Hexe
Liliput und die Drachenjäger
Liliput
saß auf der kleinen Bank vor ihrem Häuschen,
den Kopf in die Hände gestützt, die Stirn sorgenvoll
gerunzelt.
Tinchen an einem Grashalm knabbernd, warf ihr
einen mitleidigen Blick zu.
Liliput stieß einen langen von Herzen kommend
Seufzer aus.
„Warum
sagst du nicht, ich habs dir ja gesagt,“
fragte sie bitter.
Die Schildkröte krabbelte auf sie zu und die kleine
Hexe hob sie hoch
und setzte sie neben sich auf die
Bank.
„Was
hätte das jetzt für einen Sinn.“
Liliput seufzte wieder, „er ist doch nicht böse, nur
tolpatschig.“
„Ja
aber für die Bauern, deren Kühe er geraubt und
deren Scheunen er in
Brand gesetzt hat, ist er böse.“
„Sie
werden die Drachenjäger holen und diese
werden ihn jagen.“
Liliput
sprang auf.
„Ich
muss ihn finden bevor sie ihn töten.“
„Das
wird gefährlich, wenn sie dich mit dem Drachen
in Verbindung bringen, dann werden
sie auch dich
jagen.“
„Ich
weiß Tinchen, aber Tolpatsch ist mein Freund
und außerdem bin ich
für ihn verantwortlich. Ich
muss ihn finden bevor er einen Menschen
verletzt,
denn dann kann auch ich ihm nicht mehr helfen.“
Vorsichtig
umkreiste Liliput das Dorf, dann ließ sie
sich auf der Spitze der
großen Kastanie nieder, die
mitten im Hof von Mariannes Verwandten
steht.
Niemand hielt sich unten auf, nur ein paar Hühner
liefen herum. Eine Katze
kam aus dem Stall, dehnte
sich, machte dann einen Buckel und lief
mitten durch
die Hühnerschar, die empört auseinander liefen.
Ein junges Mädchen kam aus dem Haus und leerte
die beiden Eimer mit
Abfällen in den Schweinetrog
und schmatzend machten sich die Tiere
darüber her.
Marianne erschrak, als Liliput neben ihr auf ihrem
Besen balancierte.
„Bist
du allein?“
„Ja
sie sind in der Stadt.“
„Ich brauche deine Hilfe.“
„Dann komm mit ins Haus.“
Kaum hatten sie das Haus betreten, fing Liliput
bitterlich zu weinen an.
Tröstend nahm ihre Freundin sie in die Arme und
führte sie zu dem Sofa.
Liliput erzählte Marianne nun von Tolpatsch.
„ Ich
verstehe dich ja, aber dein Drache hat schon
viel Unheil angerichtet.
Die einzige Kuh von Lukas
Eltern hat er verschlungen und dabei sind
die doch
so arm und können sich keine neue kaufen. Und die
Ziege der
alten Grete hat er auch geraubt.
Und dem reichen Mooshofbauern hat er mitten aus
der Herde eine Kuh
gestohlen.
Deshalb haben sich gerade beim Mooshofbauern alle
versammelt, sie wollen
die Drachenjäger kommen
lassen.“
„Oweh,
Oweh. Oweh“!
Liliput sprang auf, „ ich muss Tolpatsch finden, bevor
es die Drachenjäger
tun.“
Sie umarmte ihre Freundin, öffnete die Tür, sah
vorsichtig hinaus und
setzte ich auf ihren Besen.
„Wenn
ich etwas erfahre, lege ich eine Nachricht in
unser Versteck.“
Die Hexe winkte ihr zu, fuhr mit der Hand über den
Besen und war
unsichtbar.
Sie
flog zu dem Anwesen von Lukas Eltern. Marianne
und Lukas liebten
sich hatten aber kein Geld, um
jetzt schon zu heiraten.
Als
sie auf dem Hof landete, liefen die Hühner laut
gackernd
auseinander.
Ein alter Mann kam aus dem Haus und setzte sich
auf die Bank neben seine
Frau.
Liebevoll legte er den Arm um ihre Schultern.
„Annamierl
sei net traurig. Wir haben doch soviel
schon gemeinsam geschafft. Wir
werden auch mit
diesem Verlust fertig werden. Der Herrgott lässt uns
nicht im Stich.“
Die alte Frau legte müde ihren Kopf an seine
Schulter.
Liliput aber schlich leise in den Stall, der leer und
verlassen war.
Sie murmelt leise vor sich hin und auf einmal stand
eine große kräftige
Kuh mit dick gefüllten Eutern in
der Box und muhte laut.
Die Tür des Stalls flog auf und die Eltern von Lukas
starrten auf das
Tier.
„Annamierl,
das is ja unsere Lies, die hat gar net der
Drache gholt, de hoat sie
blos verlaafa. Schau woas.
für dicke Euter sie hoat, die muss
unbedingt gmolker
wern.“ jubelt der Bauer.
„ Ja
Josef,“ schluchzte die Frau und holte
Melkschemmel und Eimer.
Die kleine Hexe aber verließ leise und glücklich
lächelnd den Stall.
Sie flog weiter zur alten Grete, deren armseliges
kleines Anwesen am
Rande des Dorfes liegt.
Den von Tolpatsch verbrannten Zaun konnte sie
nicht reparieren, das würde
zu viele Fragen
aufwerfen.
Aber mit spitzbübischem Lächeln nahm sie doch
einige Verbesserungen am
Haus vor, die nicht gleich
ins Augen fielen.
Dann ließ sie eine weiße Ziege mit lautem Gemecker
auf das Haus zu
laufen und freute sich als Grete die
Haustür öffnete und fassungslos die
Hände über dem
Kopf zusammenschlug.
Als sie über den Moorhof flog hörte sie laute
Stimmen und wieder
erklang das Wort Drachentöter.
Mit großer Sorge flog Liliput zurück in den
Hexenwald.
Jeden
Tag flog Liliput durch die Gegend auf der
Suche nach Tollpatsch. Über
das Dorf zu fliegen
wagte sie sich nicht mehr.
In einem Brief, den Marianne in ihrem Versteck
hinterlegt hatte, stand,
dass die Drachentöter
angekommen waren und dass die Wut der Dörfler
sich auch gegen die Hexen gewandt hätte.
Sie gaben ihnen die Schuld.
Die kleine Hexe bekam ein schlechtes Gewissen.
Eigentlich war es ja ihre Schuld, dass es den
Drachen gab und nun mussten alle
darunter leiden.
Jeden
Tag flog Liliput zum Versteck und wirklich fand
sie eines Tages einen
Brief , in dem Marianne ihr
mitteilte, dass der Drache in der Nähe
der Felsen
gesehen worden war und die Drachentöter auf dem
Weg
dorthin waren.
Liliput
machte sich sofort auf den Weg und dann
entdeckte sie Tolpatsch, der
müde auf die Felsen
zusteuerte.
Doch auch die Drachentöter hatten ihn entdeckt.
„Los
Bruno du bist der beste Schütze, hol ihn
herunter !“
Dieser hob seine Armbrust, der Pfeil schnellte auf
den Drachen zu, dieser
zuckte zusammen und ein
riesige Flamme schoss aus seinem Mund.
„Getroffen!“
jubelten die Jäger, „ los ihm nach!“
Doch plötzlich tauchte eine große Nebelwand vor
ihnen auf.
„He,
wo kommt der Nebel plötzlich her! Wir werden
nicht sehen wo er
herunter fällt. Die Prämie wird uns
verloren gehen!“ so brüllten
sie durcheinander und
versuchten die Nebelwand zu durchbrechen.
Liliput aber hatte inzwischen ihren Freund erreicht.
Aus einer tiefen Wunde tropfte Blut.
„Schaffst
du es bis zu den Felsen?“
Tolpatsch nickte und mit letzter Kraft sank er auf
den felsigen Boden.
„Hier
könnt ihr nicht bleiben. Die Drachenjäger
haben den Nebel verlassen
und sind auf dem Weg
hierher.“
Ein kleiner Junge trat aus dem Gebüsch. Er sah
seltsam aus, hatte große
Segelohren, ein schiefes
Gesicht und wirre rote Haare.
Fortsetzung folgt