Freitag, 7. November 2025

Glück

 

 


 




Die heilige Barbara



Heute ist der Tag der Schutzheiligen der Bergleute

Diese lebte im 3. Jhrdt in Kleinasien und wurde von ihrem Vater sehr geliebt.

Da er aber sehr eifersüchtig und argwöhnisch war, sperrte er sie in einen Turm, wenn er verreisen musste.

Das erinnert doch sehr an das Märchen Rapunzel!

Obwohl Barbara reich war, war sie doch auch sehr einsam und unglücklich und als sie die christliche Religion kennen lernte, gab das ihrem Leben einen Sinn.

Ihr Vater selbst zeigte sie an. Der Legende nach enthauptet er sie selbst. Den Vater aber traf kurz darauf der Blitz.

Ebenfalls der Legende nach sollen die im Winter verdorrten Blüten am 24. Dezember auf Barbaras Grab jedes Jahr erblühen

Daher auch der Brauch, am 4. Dezember einen Zweig ins Haus zu holen und in eine Vase zu stellen und wenn er am Hl. Abend blüht dann bedeutet das Glück.

Auch Hochzeiten soll der Zweig voraus sagen und früher haben die Mädchen einen Zettel mit den Namen Ihrer Verehrer in die Zweige gehängt und wessen Zweig blühte, der war dann der Auserwählte.



 


 

Oma was ist Glück



Gisela sieht den Schneeflocken zu, die langsam und stetig vom Himmel fallen und die Straßen und Dächer in eine weiße weiche Decke hüllen. Oma Luise kommt ins Zimmer und stellt sich neben sie. „Schön nicht wahr.“

Gisela nickt. „ Weißt du, wenn ich den Schneeflocken so zuschaue, dann habe ich ein ganz komisches Gefühl im Bauch.“

Die Oma lacht, „ ein schreckliches oder schönes“, „ein schönes Gefühl.“ „Das ist Glück!“ „Was ist denn eigentlich Glück.“

Setzen wir uns auf das Sofa, das zu erklären dauert etwas.

Glück ist etwas , dass sich jeder Mensch wünscht.

Deshalb gibt es auch so viele Glücksbringer.

Ein Hufeisen soll Glück bringen, man nagelt es an die Haustür, um böse Geister abzuhalten. Auch vierblättrige Kleeblätter sollen für das Glück zuständig sein, weil sie sehr selten sind. Und jedes Blatt hat eine Bedeutung : Hoffnung, Glaube, Liebe, Glück.

Und dass Marienkäfer und Schornsteinfeger Glück bringen sollen weißt du ja.

Alle Menschen wollen glücklich sein, aber das wäre nicht gut.“

Gisela sieht sie erstaunt an, „aber das wäre doch wunderbar!“

Oma Luise schmunzelt.

Das wäre entsetzlich. Du isst doch gerne Schokolade.

Stell dir vor du würdest wochenlang nichts anderes als Schokolade essen, du hättest bald genug davon und dir eine saure Gurke wünschen.“

Gisela kichert und Luise stupst liebevoll an ihre Nase.

Deshalb sind kleine Glücksmomente viel wichtiger, als das große Glück.

Weißt du, als ich so alt war wie du, da habe ich Glücksmomente aufgeschrieben und in einer von Opas Zigarrenkisten gesammelt.“

Die Tür wird aufgerissen und Rick stürmt herein. „Da bist du ja, hallo Oma, nun komm schon wir wollen mit den anderen rodeln gehen.

Gisela sieht ihren Bruder finster an.

Der Schnee liegt auch in einer Stunde noch.“ „Ja aber die anderen warten schon unten!“

Und schon fliegt die Tür hinter ihm zu.

Lachend folgt ihm seine Schwester.

Und dann ist endlich der Heilige Abend da. Zuerst gibt es Wiener mit Kartoffelsalat, dann ziehen sich alle fein an und gehen gemeinsam ins festlich geschmückte Wohnzimmer.

Sie stellen sich vor dem Weihnachtsbaum auf und singen die altbekannten Weihnachtlieder. Gisela muss sich sehr zusammen reißen um nicht zu kichern, denn Rick ist gerade im Stimmbruch.

Als der musikalische Genuss überstanden war werden die Geschenke verteilt.

Am Ende steht nur noch ein Päckchen unter dem Baum.

Da kein Name darauf ist, weiß niemand für wen es bestimmt ist.

Das ist für dich Gisela,“ lächelte die Oma.

Das Mädchen entfernt das weihnachtliche Papier und jubelt.

Eine Glücksmomente Schatulle!“ und hebt den Deckel. Sie ist gefüllt mit vielen kleinen bunten Zetteln.

Und nun berichtet Gisela von ihrem Gespräch über das Glück und dass Oma auch Glücksmomente gesammelt hat.

Ja, aber ich hatte nicht so eine schöne Schatulle, sondern eine alte Zigarrenkiste meines Opas.“

Alle lachten.

Die Mutter aber sieht Gisela fragend an.

Was wirst du als ersten Glücksmoment aufschreiben?“

Die Kleine schmunzelt vergnügt.

Diese Weihnachten, da ich die Schatulle bekam und es mit meiner wunderbaren Familie feiern durfte!“

Mit Tränen in den Augen wird sie von Mutter und Oma umarmt und auch der Vater streicht ihr etwas unbeholfen über das Haar.

Nur Rick hat ein mulmiges Gefühl bei all diesen Rührseligkeiten.

Also krächzt er, „will denn niemand wissen, was heute mein Glücksmoment wäre?“

Als alle ihn anschauen, grinst er.

Ich habe Hunger und es würde mich sehr glücklich machen, wenn ich etwas zu Essen bekommen würde.“

Aber Junge wir haben doch erst vor zwei Stunden gegessen.“

Das war doch kein Essen zum satt werden, außerdem bin ich noch im Wachstum!

Und denk daran, dass wir in vier Stunden zu Fuß zur Christmette gehen. Du willst doch nicht, dass ich in der Kirche zusammen klappe“.

Schallendes Gelächter füllt das Zimmer!



© Lore Platz Juni 2024


Pearl S. Buck eine Frau, die ich sehr bewunderte und deren Bücher ich gerne las, sagte einmal:

 

"Viele Menschen versäumen das kleine Glück, während sie auf das Große vergebens warten"











Donnerstag, 6. November 2025

Tobias reißt aus

In diesem Jahr sind viele Menschen gestorben, sowohl in meiner Familie, als auch in meinem Bekanntenkreis. Mit der Trauer umzugehen ist nicht leicht, Als mein Mann starb ,habe ich viele Geschichten über das Sterben geschrieben.Auch hat mich ein Spruuch immer wieder getröstet;

Seid nicht traurig, dass ich gegangen

Seid froh, dass ich gewesen

 


 

 


Tobias reißt aus


Die Schulglocke ertönte und die Kinder stürmten lachend und lärmend aus dem Schulhaus.

Sechs Wochen Ferien lagen nun vor ihnen und nicht mal die Zeugnisse in ihren Mappen konnten ihnen die Freude verderben.

Tobias ging mit gesenktem Kopf und traurigem Gesicht zwischen seinen Kameraden, die ihn in Ruhe ließen.

Tobias war einst ein fröhlicher übermütiger Junge, doch vor zehn Monaten war sein Vater gestorben und seitdem hatte er sich sehr verändert.

Seine Freunde wussten nicht so recht wie sie mit ihm umgehen sollten und hatten auch eine gewisse Scheu vor Tobias.

Der Junge hatte nun das große Miethaus erreicht und ging die abgetretenen Holzstufen hinauf.

Abgestandene Luft schlug ihm entgegen und schnell öffnete er die Fenster.

In der Küche nahm er eine Dose Linsensuppe schüttete sie in einen Topf und stellte die Herdplatte an.

Dann deckte er den Tisch, schnitt Brot, stellt die Flamme kleiner und atmetet tief durch, bevor er ins Wohnzimmer ging.

Wie immer saß seine Mutter im Sessel, ein Bild des Vaters auf dem Schoß und starrte vor sich hin.

Tobias berührte sachte ihre Schulter und wie aus einem Traum erwachend sah die Mutter ihn an.

Sie versuchte ein Lächeln, doch es misslang.

Komm zum Essen, Mama.“

Schwerfällig wie eine alte Frau erhob sich die vierzigjährige und folgte ihrem Sohn stumm in die Küche.

Schweigend löffelten sie ihre Suppe, dann erhob sich Frau Königsberger und murmelte: „ Ich gehe zum Friedhof.“

Der Zehnjährige nickte nur.

Nachdem er aufgeräumt hatte warf er sich auf sein Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke.

Er fühlte sich erbärmlich !

Wie schön war es gewesen als der Vater noch lebte, die Mutter hatte gesungen und gelacht und wenn der Vater sie neckte wurde sie immer rot wie ein junges Mädchen.

Und dann war von einem Tag auf den anderen alles vorbei.

Auf dem Weg nach Hause wurde das Auto seines Vaters von einem betrunkenem Autofahrer gerammt, überschlug sich und sein geliebter Vater war tot.

Seitdem war die Sonne aus seinem Leben verschwunden und er fühlte sich, als würde er in einer Schattenwelt wohnen. Besonders, da seine Mutter sich immer mehr in ihreTrauer vergrub und oft vergaß, dass sie noch einen Sohn hatte.

Dabei hätte er sie gerade jetzt so dringend gebraucht, denn er wusste nicht wohin mit seinem ganzen Kummer und Schmerz.

Zu gerne hätte er sich in ihre Arme geflüchtet und geweint, doch seine Mutter hatte eine unsichtbare Mauer um sich gebaut und ihn ausgeschlossen.

So war er immer stiller geworden und hatte all sein Leid tief im Inneren verschlossen.

Mit Grauen dachte er an die vor ihm liegenden sechs Wochen. Nein das hielt er nicht aus, er würde verrückt werden. Er musste weg.

Schnell holte er sein Sparschwein und zerschlug es. Die 60 Euro, die darin waren würden genügen, bis er bei seiner Tante war, die in der Nähe des Chiemsees einen Bauernhof besaß.

Ja er wollte zu Tante Jutta, die hatte ihnen sowieso angeboten einige Zeit zu ihnen zu kommen, doch die Mutter wollte nicht weg vom Grab ihres Mannes.

Tobias holte den Schlafsack vom Schrank und packte seinen Rucksack, dann verließ er die Wohnung.

Kurz überlegte er, ob er seiner Mutter ein paar Zeilen schreiben sollte, doch dann meldete sich sein Trotz. Nein! Sie würde doch sowieso nicht merken, ob er da war oder nicht.

Er klemmte den Schlafsack auf den Gepäckständer seine Rads, schulterte den Rucksack und fuhr los.

Bald hatte er die Stadt verlassen, ein leichter Wind fuhr durch sein Haar und die Sonne umschmeichelte sein Gesicht. Ganz leicht wurde ihm auf einmal ums Herz.

Es war schon Spätnachmittag, als er an einem Bach hielt, um die unterwegs gekauften belegten Brötchen zu verspeisen.

Dann legte er sich bäuchlings ans Ufer und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser aus dem klaren Bach.

Anschließend füllte er noch die leere Saftflasche und stieg wieder aufs Rad. Es war Zeit sich nach einem Schlafplatz umzusehen.

Er musste ganz schön in die Pedale treten um die Steigung zu schaffen, auch war er schon sehr müde.

Plötzlich gab es ein komisches Geräusch und das Hinterrad fing an zu hoppeln.

Schnell sprang er ab und besah sich den Schaden. Ein langer Nagel steckte im Hinterrad. Er hatte einen Platten. Tobias schob die letzten paar Meter nach oben und blieb dann stehen.

Im Tal unten sah er die Spitze eines Kirchturms und weiter rechts flatterte eine Fahne auf einem großen Zelt lustig im Wind.

Ein Zirkus! Da wollte er hin und vielleicht erlaubten sie ihm auch dort zu übernachten. Und in dem Dorf fand er sicher jemand, der ihm das Fahrrad wieder richtetet.

Bald erreichte er die große Wiese und sah staunend das große Zelt und die bunten Wohnwagen.

Ein Clown jonglierte mit Bällen. Eine Dame ließ einen Hund in rosa Kleidchen mit vielen Rüschen auf den Hinterbeinen tanzen.

Eine Frau, die eine große Schlange um den Hals trug, tänzelte über den Platz wobei sie den züngelnden Kopf des Reptils vor ihr Gesicht hielt.Du hast ja einen schönen Platten!“ hörte er eine Stimme neben sich und erblickte ein Mädchen ungefähr in seinem Alter, das einen Schimpansen an der Hand führte.

Tobias grinste. „Ja, gerade passiert, ich heiße Tobias und wollte fragen, ob ich bei euch übernachten dürfte. Ich brauche nicht viel Platz für meinen Schlafsack.“

Aber sicher, komm wir fragen den Direktor! Ich bin übrigens Lisa und das ist Gina. Gina sag schön guten Tag zu Tobias.“

Der Affe fletschte die Zähne, schnatterte und reichte dem Jungen seine Pfote, die dieser mit einem freundlichen: „Guten Tag Gina;“ drückte.

Dann folgte Tobias dem Mädchen und dem Schimpansen zu dem älteren Mann, der gerade mit der Schlangentänzerin sprach.

Der Direktor betrachtete forschend den Jungen, dann lächelte er und nickte. Außerdem lud er ihn zur Vorstellung ein, bevor er weiter ging.

Tobias sah etwas scheu auf die große Schlange, die sich auf der Schulter der jungen Frau ringelte.

Diese meinte lächelnd. Hast du Angst vor Schlangen?“

Der Junge zuckte verlegen die Schultern.

Meine Indira ist ganz harmlos, willst du sie mal streicheln. Keine Angst, sie ist nicht glitschig!“

Während die Schlangentänzerin den Kopf der züngelnden Schlange fest hielt, fuhr Tobias vorsichtig mit der Hand über den Rücken des Tieres.

Die Haut fühlte sich trocken und etwas rau an, trotzdem atmete er auf, als die junge Frau sich verabschiedete und weiter ging.

Lisa führte ihn nun in ein kleines Zelt, in dem Werkzeuge und allerlei Gerümpel war.

Ein alter Mann feilte gerade an einer Eisenstange und drehte sich um, als sie eintraten.

Freundlich begrüßte er Lisa und diese stellte ihm Tobias vor. Beppo betrachtete sich den Schaden am Rad und meinte:

Wird ne Weile dauern, heute kannst du nicht weiter fahren.“

Das geht in Ordnung,“ erklärte das Mädchen, „der Direktor hat erlaubt, dass Tobias bei uns schlafen darf.“

Dann wüsste ich ein Plätzchen für dich.“

Der alte Mann deutete in die Ecke, in der neben dem Futter für die Tiere auch ein großer Heuhaufen war und gemeinsam brachten sie Tobias Sachen dorthin.

Nachdem sie sich von Beppo verabschiedet hatten, zeigte Lisa dem Jungen noch die Tiere, doch dann musste sie zurück ins Zelt, weil bald die Vorstellung begann.

Da Lisa bereits bei der Einzugsparade mit machen musste, wollte sie sich vorher noch umziehen.

Auf dem Rückweg kamen sie an einem Wohnwagen vorbei auf dessen Stufen eine alte Frau saß und eine Pfeife rauchte.

Das ist die Großmutter von unserem Direktor, sie kann in die Zukunft sehen.“

Lisa, was wisperst du mit dem Jungen, du machst ihm doch nur Angst. Komm her mein Junge setz' dich zu mir und du Lisa lauf los, damit du nicht zu spät kommst.“

Scheu setzte Tobias sich neben die alte Frau und betrachtete das braune lederartige Gesicht, das voller Runzeln war.

Können sie wirklich in die Zukunft sehen?“

Die alte Frau schmunzelte und einige Zahnlücken wurden sichtbar.

Wer weiß? Außerdem niemand sagt 'Sie' zu mir, ich bin Miranda und dass du Tobias heißt habe ich gehört.“

Sie kicherte und auch der Junge lächelte. Die alte Frau gefiel ihm und er vertraute ihr.

Ich kann gut in Gesichtern lesen und in die Herzen der Menschen sehen. Dein Herz ist voller Kummer und Schatten.“

Mein Vater ist tödlich verunglückt vor einigen Monaten,“ sagte Tobias leise.

Die alte Frau nickte ernst.

Ich musste schon viele der Meinen begraben, das Zirkusleben steckt voller Gefahren. Dein Vater musste viel zu früh gehen, du hättest ihn noch so notwendig gebraucht.“

Tobias nickte und eine Träne rollte über seine Wange.

Und meine Mutter hat sich so in die Trauer vergraben, dass sie vergessen hat, dass es mich gibt!“

Seine Stimme klang bitter.

Miranda schwieg eine Weile, dann sagte sie leise.

Ein indianisches Sprichwort sagt:

'Lass den Vogel der Trauer ruhig über deinen Kopf kreisen, aber erlaube ihm nicht in deinen Haaren zu nisten.'

Mein Vater war ein Cherokee-Indianer und in diesem Spruch steckt viel Weisheit.

Man darf die Trauer nicht unterdrücken und muss sie zulassen, nur so kann man sie einst überwinden.

Aber wenn man sich zu sehr in der Trauer verliert, dann findet man den Weg nicht mehr zurück ins Leben. Du darfst deiner Mutter nicht böse sein, der plötzliche und viel zu frühe Tod deines Vaters war für sie ein Schock.“

Aber wie kann ich ihr helfen?“

Du hast ihr schon geholfen, indem du ausgerissen bist.“

Schweigend blicken die zwei so ungleichen Menschen hinauf ins Firmament, das sich inzwischen dunkelblau verfärbt hat und ab und zu blinkt bereits ein Stern auf.

Gibt es ein Leben nach dem Tod?“

Wer weiß? Schließ' deine Augen und blicke in dein Herz.“

Was spürst du?“

Die Nähe meines Vaters.“

Mein Volk glaubt, dass nur dann eine Seele stirbt, wenn es niemanden gibt, der sich an sie erinnert. Solange du dich an deinen Vater erinnerst, wird er immer bei dir sein und du bist nie allein.

Und nun geh, die Vorstellung beginnt gleich und denke daran, dein Vater würde sich freuen, wenn du wieder lernst zu lachen und das Leben zu genießen. Und mache dir keine Sorgen um deine Mutter. Es wird alles gut werden.“

Tobias lief zum Zirkuszelt, wo ihn Lisa schon erwartete und ihn zu einer Kiste hinter der Bühne führte, von wo er die Vorstellung verfolgen konnte.

Es waren schöne Darbietungen und bei den Späßen Clowns lachte er hellauf.

Erstaunt lauschte er den eigenen Tönen, wie lange hatte er schon nicht mehr gelacht.

Und gleichzeitig liefen ihm die Tränen über das Gesicht. Sie spülten die letzten Schatten aus seinem Herzen und das Lachen erfüllte es mit Freude.

Er fühlte sich so glücklich und frei wie schon lange nicht mehr.

Am nächsten Morgen nach einem ausgiebigem Frühstück radelte er weiter, begleitet von den guten Wünschen der Zirkusleute.

Und am Spätnachmittag fuhr er in den Hof seiner Tante Jutta.

Nachdem er ihr alles erzählt und sie ihn in der Küche bei der alten Bertha abgeliefert hatte, die den Jungen sofort begann so richtig mit Leckereien zu verwöhnen, führte Jutta ein langes Gespräch mit ihrer Schwester.

Elfriede Königsberger legt den Hörer auf. Sie schämte sich, denn sie hatte nicht einmal bemerkt, dass Tobias nicht da war. Wie erwachend schaute sie sich um und erkannte wie ihre einstmals so saubere Wohnung herunter gekommen war. In den achtlos hingeworfenen Papieren wühlt sie, bis sie den Zettel mit der Telefonnummer der Trauerhilfe fand, die Pfarrer Braun ihr bei der Beerdigung in die Hand gedrückt hatte.

Nachdem sie einen Termin für Morgen Vormittag vereinbart hatte, krempelte sie die Ärmel hoch, um mit Wasser und Seife den Schmutz in ihrer Wohnung zu beseitigen.

Spät in der Nacht fiel sie todmüde ins Bett und schlief zum ersten Mal tief und traumlos.

Am nächsten Morgen, nachdem sie ein langes Gespräch mit der Dame von der Trauerhilfe geführt und die Adresse eines Trauercafes in der Tasche hatte, rief sie ihre Schwester an.

Lange redeten die beiden miteinander, dann bat Elfriede ihre Schwester ihr doch Tobias zu holen.

Tobias legte den Hörer auf und sah seine Tante strahlend an.

Mama hat sich professionelle Hilfe geholt und sie will sich eine Arbeit suchen, obwohl sie es durch Papas Lebensversicherung eigentlich nicht nötig hat.

Aber sie meint, die Arbeit würde sie vom Grübeln abhalten und sie hat versprochen wenn ich nach Hause komme wird alles anders werden.

Außerdem kommt sie in drei Wochen zu dir, bleibt bis zum Ende der Ferien und wir fahren gemeinsam zurück.“

Jutta die das alles schon wusste nickte.

Und ich werde euch nach Hause bringen, dein Rad bekommen wir locker in meinen Jeep.“

Sie umarmte ihren Neffen, der sich nicht schämte zu weinen. Doch diesmal waren es Freudentränen.


© Lore Platz  ( 4.7.2015)



Mittwoch, 5. November 2025

Armin und der Stift des Glücks

Der Monat November ist der einzige Monat den ich nicht leiden kann,deshalb habe ich ihm  nur einen Eintrag gewidmet. Den Rest des Monats will ich mit positiven Geschichten die dunklen Schleier vertreiben




Armin und der Stift des Glücks


Lena springt aus dem Schulbus und läuft die paar Meter zu dem alten Mietshaus. Ihr Schulranzen auf dem Rücken hüpft dabei fröhlich auf und ab.
Nachdem sie die ausgetretenen Holzstufen bis zum zweiten Stock hinter sich hat, klingelt sie an der Tür von Henriette Ohlsen.
Henriette wohnt gleich gegenüber von Lena und ihrer Mutter und passt auf das Mädchen auf, bis deren Mutter von der Arbeit kommt.
Die alte Frau öffnet und Balduin, der alte Dackel, drängt sich an ihr vorbei und begrüßt das Mädchen freudig.
Er bellt und hechelt etwas kurzatmig und wedelt heftig mit dem Schwanz.
Lena krault ihn zwischen den Ohren und stellt dann ihren Schulranzen ab.
Lena gehst du schon in die Küche, ich möchte nur noch die Glühbirne in meiner Nachttischlampe auswechseln.“
Das Mädchen nickt vergnügt und gefolgt von Balduin hüpft sie in die Küche, in der es herrlich duftet.
Auf dem Ofen blubbert ein Gemüseeintopf und in einem Topf schwimmen Würstchen.
Lena holt zwei Teller aus dem Küchenschrank und deckt flink den Tisch, während Balduin sich in sein Körbchen verzieht und sie von dort aus beobachtet.
Nach dem Essen holt Henriette ihr Strickzeug und das Mädchen macht ihre Hausaufgaben.
Es ist still in der warmen gemütlichen Küche, in der noch ein leichter Essensgeruch liegt. Nur das gleichmäßige Ticken der alten verschnörkelten Uhr und das leise Schnarchen des Dackels ist zu hören.
Lena klappt aufatmend das Heft zu. „Fertig nun muss ich nur noch ein Herbstbild malen.“
Sie holt aus ihrem Schulranzen den Zeichenblock und wühlt in ihrem Schlampermäppchen.
Tante Henriette hast du einen Bleistift?“
Sieh mal in der Krimskrams-Schublade nach Kind.“
Lena springt auf.
Sie liebt die Krimskrams-Schublade, in der Dinge sind, die man nicht mehr, aber vielleicht doch noch einmal gebrauchen konnte.
Eifrig wühlt Lena zwischen den alten Knöpfen, Resten von Garn und einer alten Schnur, einem abgebrochenem Schraubenzieher, Nägeln und noch so allerlei und zieht schließlich einen Bleistiftstummel heraus.
Zweifelnd betrachtet sie ihn.
Ob man den noch benutzen kann?“
Aber sicher,“ meint Henriette lakonisch, die nicht gerne etwas weg warf, bevor es total unbrauchbar war.
Lena schließt die offene Schublade und kommt zurück zum Tisch.
Erzählst du mir eine Geschichte während ich male?“
Henriette überlegt einen Moment und ihr Blick ruht auf dem Mädchen, das mit hochkonzentrierten Gesicht mit dem Stift über das Papier fährt.
Möchtest du die Geschichte von einem Stift hören, der Glück brachte?“
Lena nickt und Henriette beginnt zu erzählen.

In einem alten Mietshaus, ganz oben unterm Dach wohnte  Armin  Notnagel, ein junger Künstler.
Viele Möbel hatte er nicht.
Auf dem Boden lag eine Matratze mit einer Decke. Daneben stand eine alte Holzkiste, auf der ein alter Teller mit einer Kerze stand, denn man hatte ihm mal wieder den Strom abgestellt.
Auf einem alten wackeligen Tisch, dessen linkes Bein mit einem dicken Telefonbuch gestützt war, lagen kreuz und quer eine Menge Zeichnungen, die er angefertigt hatte.
Ein Stuhl, aus dem die Lehne herausgebrochen war, vervollständige die Einrichtung.
Vielleicht sollte man den Eimer in der Ecke noch erwähnen, denn, wenn es regnete, dann regnete es durch das löchrige Dach.
Den jungen Mann störte das Alles nicht. Er war ein fröhlicher Typ mit einem goldenen Herzen und durch kleine Aushilfsjobs verdiente er sich das Wenige, das er zum leben brauchte.
Und die Menschen mochten ihn wegen seiner fröhlichen unbekümmerten Art.
  Armin glaubte fest an seinen großen Durchbruch als Maler und in letzter Zeit mehr denn je, denn er war verliebt und wollte dem Vater seiner Liebsten imponieren.
Der reiche Bäckermeister Gottfried Semmel sah es gar nicht gern, dass der arme Hungerleider seiner Tochter Else schöne Augen machte. Das Mädel war sowieso schon so verdreht, seit sie aus dem feinen Internat zurück gekommen war.
Einen Bäcker sollte sie heiraten, der einmal das Geschäft übernahm.
So hatte das Liebespaar also wenig Aussichten.




Else brachte jeden Morgen einen Korb mit frischen Brötchen und allerlei Leckereien zu dem Kiosk an der Ecke. Denn die alte Berta war ihre Verbündete.
Berta kochte in dem kleinen Raum hinter dem Kiosk einen guten Kaffee und frühstückte mit dem jungen Mann, der dann seufzend den Liebesbrief seiner Else las, der jeden Morgen zwischen den frischen Brötchen steckte.
Bevor er dann in die Arbeit ging, schlenderte er an dem Haus des Bäckers vorbei und Else winkte ihm von ihrem Fenster aus zu.
So vergingen die Tage, der Herbst hatte schon längst die Blätter bunt gefärbt und sein Spießgeselle, der stürmische frostige Wind, hatte sie von den Bäumen gepustet.
Manchmal wollte der junge Mann die Hoffnung aufgeben jemals als Maler berühmt zu werden und überlegte sogar eine Bäckerlehre zu machen, denn er wollte seiner Else nahe sein.
Als er eines Tages von einem seiner zahlreichen Jobs nach Hause ging sah er vor sich eine alte Frau, die tief gebeugt immer wieder kurz stehen bleibend, durch den Park schlurfte.
Mitleidig sprach Armin sie an.
Gute Frau, wohin müssen sie denn gehen, kann ich sie nach Hause bringen.“
Die alte Frau blieb stehen und ihre erstaunlich jungen Augen in dem von Runzeln übersäten Gesicht sahen ihn freundlich an.
Danke junger Mann, wenn sie mir ihren Arm reichen könnten.“
Sie zog fröstelnd das zerschlissene Schultertuch um ihre mageren Schultern.
Der junge Mann zog seine Jacke aus und hängte sie ihr über, dann legte er seinen Arm um die Alte, um sie zu stützen.
Als sie den Park verlassen hatten, blieb die Frau stehen, schlüpfte aus der Jacke und reichte sie ihm.
Danke junger Mann von hier aus kann ich alleine weiter gehen. Aber weil sie so ein gutes Herz haben, will ich ihnen etwas schenken. Denken sie niemals daran ihren Traum aufzugeben, denn sie können Großes erreichen. Hier dieser Stift wird ihnen Glück bringen.“
Armin betrachtete den einfachen unansehnlichen Kohlestift und steckte ihn in die Jackentasche, denn er wollte die alte
Frau nicht kränken.
Als er sich umwandte, um ihr zu danken, war sie verschwunden.



Doch von diesem Tag an, schien das Glück in sein Haus zu kommen.
Berta musste zum Zahnarzt und Ronny wollte in dieser Zeit auf den Kiosk aufpassen.
Es war nicht viel los. Die Menschen hasteten vorbei, ohne stehen zu bleiben und zwei Jungen spielten Fußball mit einer Blechbüchse, während ein Hund sie umsprang.
Und schnell holte er seinen Zeichenblock, um dieses Bild festzuhalten. Und wie durch Zauberhand lag plötzlich der Stift der alten Frau in seiner Hand. Mit schnellen gekonnten Strichen fuhr Hieronymus über das Blatt.
Aufatmend betrachtete er das Bild, das ihm besonders gut gelungen war, da begann der Stift in seiner Hand zu blinken, als würde er ihm zuzwinkern.
Ein Mann in einem teuren Pelz kam auf den Kiosk zu und verlangte eine Tasse Kaffee.
Ronny ließ die Espressomaschine laufen.
Zucker und Milch?“
Als er keine Antwort bekam, drehte er sich um und sah wie der Herr seine Zeichnung betrachtete.
Junger Mann sie haben Talent, das ist wunderschön und sehr detailgetreu. Malen sie auch Porträts?“
Rony nickte.
Auch in Öl?“
Ja.“
Der gut gekleidete Herr reichte ihm eine Visitenkarte.
Ich bin Kommerzienrat Goldner, kommen sie morgen zu dieser Adresse, ich möchte, dass sie ein Porträt meiner Frau malen.“
Dann ging er, ohne seinen Kaffee getrunken zu haben.
  Armin malte das Porträt und es wurde in der feinen Gesellschaft bewundert.
Bald konnte er sich vor Aufträgen nicht mehr retten.
Er heiratete seine geliebte Else und niemand war stolzer auf seinen berühmten Schwiegersohn, als Bäckermeister Semmel.“
 
Das war schön und mein Bild ist auch fertig, gefällt es dir?“
Henriette bewundert das schöne Herbstbild.
Balduin aber verließ sein Körbchen und lief zur Tür.
Ich glaube Lena, wir drehen noch eine Runde mit Balduin, bevor deine Mutter kommt.“

© Lore Platz 20.07.2020




Dienstag, 4. November 2025

Der alte Puppenspieler


Vor vielen Jahren las ich in einem Forum, dass ein junger Mann einem Obdachlosen die Hand gedrückt hat und dieser glücklich gelächelt hat. Damals dachte ich dieser junge Mann hat ihm seine Würde wieder gegeben. Wie achtlos und verächtlich gehen doch die Menschen an denen vorbei. Dabei steckt hinter jedem Obdachlosen eine eigene Geschichte. Mein Mann der dreißig Jahre zur See  gefahren und die Armut auf der ganzen Welt sah, hat immer versucht zu helfen. Und als wir beide zusammen kamen haben wir nie wegeschaut .
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
 
 Jaja, das Alter ist so ein Ding. Meine  Freundin Irmi hat darübe r ein Gedicht gemacht und darin schildert sie ihren derzeitigen Alltag.
 
 
 
 (C) Irmgard Brüggemann

 
Bist du reif an Jahren, kann man sich über Arzt Termine nicht beklagen.
Ein Facharzt für alle Körperteile, nein, man hat keine Langeweile.
Erst werden die Organe gecheckt, Herz, Lunge, Leber, Bauch, Probleme im Kopf vielleicht auch.
Bei jedem positiven Befund, ist man noch ein wenig Gesund.
Jetzt sind die anderen Teile im Körper dran, ob man da etwas entdecken kann.
Vom Radiologen, zum Kardiologen, Neurologen, doch, es ist wirklich nicht gelogen.
Die Gelenke, Blut, Kreislauf und Puls, wer ist für das Missbehagen schuld?
Auch die Nervenschmerzen, was soll ich sagen, nein nicht noch zusätzlich klagen.
Auch die Augen offenbar, haben den Grauen Star.  
Gegen die Schmerzen einige Tabletten dreimal am Tag, auch wenn ich sie nicht mag.
Zum Schluss bleibt nur noch der Psychiater, kein Wunder, bei all dem Theater!
Ja, nur die Termine für all diese schlauen Ärzte sind vielleicht gleich und sofort, dengste.
Monate gehen ins Land, das bringt mich um den Verstand.
Vieleicht fange ich mit dem Termin beim Psychiater an, so dass ich vielleicht dann viele andere Termine vergessen kann ❗ 😁
Oh je, habe ich vielleicht ein Körperteil vergessen, die Vergesslichkeit, kann es vielleicht noch nicht ganz ermessen?
 
 (c)Irmgard Brüggemann
 
 
 Viel Spaß beim Lesen !
 
 
eigenes Foto

Der alte Puppenspieler



Langsam senkt sich die Dämmerung über den Marktplatz und es sind nur noch wenige Menschen unterwegs.
Eine leichte Brise wirbelt den Staub auf und der alte Mann senkt den Kopf und schlägt den Kragen seines abgetragenen Mantels hoch.
Traurig bückt er sich zu dem verbeulten Teller und schüttet die paar Kupferstücke in die hohle Hand.
Niemand hat mehr Interesse an seinem Puppenspiel, nicht mal die Kinder. Sie laufen vorbei und spotten noch über seine langweiligen Puppen.
Müde hebt er den schwarzen, abgeschabten Koffer, indem er liebevoll seine 'Kinder', wie er seine Puppen nennt,verstaut hat, auf und schlurft mit gesenktem Kopf die Straße hinab.
Er biegt in den kleinen Weg ein, der zum Häuschen seiner Schwester führt, die ihm ein kleines Kämmerchen zur Verfügung gestellt hat, als er sich nicht mehr als Puppenspieler selbst ernähren konnte.
Seinem Schwager war das gar nicht Recht und er missgönnte ihm jeden Bissen.
Der alte Mann öffnet die Holztür, die leise knarrt, als wollte sie protestieren und tritt in den gefliesten Flur.
Sein Schwager Paul tritt ihm entgegen.
Na, hast du heute gut verdient mit deinem Firlefanz,“ spottet er.
Martin senkt den Kopf und will sich an ihm vorbei drängen, doch dieser hält ihn am Arm fest.
Ich habe es satt, dich unnützen Träumer noch weiter mit durch zu füttern, du wirst in Zukunft auf dem Hof mitarbeiten.“
Hilde tritt aus der Küche und stemmt die Arme in die Hüften.
Lass meinen Bruder in Ruhe, das bisschen was er isst, können wir immer noch verkraften.“
Ins Narrenhaus gehört er, ein alter Mann, der noch mit Puppen spielt!“ brummt ihr Mann und verlässt das Haus.
Hilde aber legt liebevoll ihren Arm um Martins Schulter.
Komm mit in die Küche ich habe eine gute warme Suppe.“
Obwohl Hilde einige Jahre jünger war als ihr Bruder hatte sie ihn schon als Kind bemuttert und in Schutz genommen, wenn der Vater mal wieder grob wurde, weil Martin lieber Puppen schnitzte und träumte, als auf dem Hof zu arbeiten.
Sie hatte für seine Puppen die Kleider genäht und auch ihm das Nähen beigebracht.
Natürlich durfte der Vater das nicht mitbekommen, dann hätte er sich noch mehr erzürnt, wenn er seinen Sohn bei so einer weibischen Tätigkeit erwischt hätte.
Als die Eltern dann gestorben sind, war Hilde in die Stadt in Dienst gegangen und Martin hatte seine Puppen in den Rucksack gepackt und war über Land gezogen.
In Dörfern und Städten hatte er alte Märchen und auch ausgedachte Geschichten vorgeführt.
Reich wurde er nicht, aber für eine warme Mahlzeit hatte es immer gereicht.
Aber sein schönster Lohn war doch das Lachen und die Freude der Kinder.
So ging das viele Jahre, doch auf einmal wollten die Menschen keine Puppenspiele mehr sehen und auch die Kinder fanden andere Spiele interessanter.
Martin war inzwischen alt geworden und auch das Leben auf der Straße wurde immer beschwerlicher und so war er eines Tages vor der Tür seiner Schwester gestanden.
Hilde hatte ihn ohne viel zu Fragen aufgenommen.
Martin löffelt schweigend seine Suppe und auch den
Milchkaffee und das dick mit Butter bestrichene Brot lässt er sich schmecken.

 
(c) meine Tochter

In seiner Kammer holt er seine Puppen aus dem Koffer und setzt sie nebeneinander auf das alte Sofa.
Er legt sich auf das Bett und verschränkt die Arme unter dem Kopf. Er kann nicht schlafen, denn zu viele Gedanken gehen ihm durch den Kopf.
Die Tür unten knarrt. Sein Schwager kommt wohl aus dem Wirtshaus zurück und wenn er getrunken hat, fühlt er sich besonders stark.
Schon hört man ihn brüllen, „ und dass du es genau weißt, der alte Nichtsnutz kommt aus dem Haus, ich dulde es nicht länger, dass du ihn durch fütterst.“
Martin hebt sich die Ohren zu, um die streitenden Stimmen nicht mehr zu hören.
Endlich werden sie leiser und dann verstummen sie ganz.
Der alte Mann setzt sich im Bett auf und sieht hinüber zu seinen Puppen und flüstert. „Kinder, Morgen werden wir diese Haus verlassen. Ich will nicht, dass meine Schwester ständig Ärger wegen mir bekommt.“
Es dauert lange, bis er eingeschlafen ist, doch dann fallen ihm die Augen zu und leise Schnarchtöne sind zu hören.
Auf dem Sofa wird es auf einmal lebendig. Die Puppen recken und strecken sich.
Habt ihr gehört,“ murmelt Friederich, der meistens die Rolle des Kammerdieners spielen muss, „ Morgen will er ganz allein mit uns weiter reisen.“
Kasperles Oma sieht sehr besorgt aus.
Ja, das wird er nicht überleben, bald kommt der Winter und außerdem will uns doch niemand mehr spielen sehen.
Er wird verhungern.“
Alle Puppen nicken betrübt, selbst der Räuber, die Hexe und das Krokodil, die immer die Rolle der Bösewichte übernehmen müssen, obwohl sie doch gar nicht so böse 
sind.
Hm,“ der Zauberer streicht über seinen langen grauen Bart, „Vielleicht sollten wir die Puppenfee um Hilfe bitten?“
Wer ist die Puppenfee, wo wohnt sie und warum kann sie Meister Martin helfen.“ so rufen die Puppen durcheinander.
Die Puppenfee wohnt in einem wunderschönen Land und ihre Helfer eilen durch die ganze Welt um allen traurigen Puppen, die verlassen oder durch Menschenhand zerstört wurden, zu sich zu holen und ihnen eine neue Heimat zu geben,“ erklärt der Zauberer.
Weißt du denn wo sie wohnt?“


(c) meine Tochter
Nicht so genau, aber vor der Stadt im Wald wohnt Eulalia, die Eule, sie ist sehr weise und kann uns weiter helfen.“
Wir können aber nicht alle gemeinsam losgehen, was wird Meister Martin denken. Er wird einen großen Schreck bekommen. Wenn nur einer von uns die Fee aufsucht, wird es ihm nicht auffallen,“ meint der König, der sehr klug ist.
Ich werde gehen,“ meldet sich das Kasperle und alle sind einverstanden.
Wenig später klettert der kleine Kerl durch das Fenster und lässt sich an der Regenrinne hinab.
Mit schnellen Schritten verlässt er den Hof und saust die Straße entlang, die aus der Stadt führt. Atemlos kommt er im Wald an.
Müde sinkt er ins Gras, lehnt sich an den Stamm eines Baumes und schließt erschöpft die Augen.
Warum rennst du denn so?“
Kasperle öffnet die Augen und sieht einen Igel vor sich, der ihn aus seinen dunklen Knopfaugen neugierig mustert.
Ich muss zu Eulalia.“
Das geht jetzt nicht, die ist vor einiger Zeit zurück gekommen und schläft jetzt sicher und wenn man sie aufweckt wird sie furchtbar böse.“
Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen, ich brauche unbedingt ihre Hilfe.“
Na ich weiß nicht,“ meint der Igel zweifelnd.
Wenn er Eulalies Hilfe benötigt, dann wird sie ihm auch helfen.“
Ein Reh tritt zwischen den Büschen hervor.
Komm, setz' dich auf meinen Rücken, ich werde dich zu Eulalie bringen.“ wendet sie sich an das Kasperle.
Der Igel zuckt nur mit der Nase und verschwindet im Gebüsch.
Kasperle aber klettert auf den Rücken des hilfsbereiten Rehs und nun geht es über Stock und Stein durch den Wald.
Vor einer großen mächtigen Eiche bleibt das Reh stehen und deutet mit dem Kopf nach oben.
Siehst du die große runde Öffnung, dort wohnt Eulalie.“
Kasperle bedankt sich, richtet sich auf und greift nach dem nächsten Ast und schwingt sich flink den Baum hinauf.
Das Reh beobachtet ihn noch eine Weile bis er im Bau der Eule verschwunden ist, dann läuft es weiter.
Kasperle aber steht vor dem Bett der Eule, die mit leicht geöffnetem Mund leise schnarcht. Es tut ihm leid sie zu wecken, denn war sie doch als Nachttier die ganze Nacht unterwegs gewesen, aber dann denkt er an Meister Martin und auch an seine Freunde und rüttelt die Eule leicht an der Schulter.
Unwillig brummt diese und dreht sich auf die andere Seite.
Doch Kasperle lässt ihr keine Ruhe und ruft verzweifelt. „Bitte Frau Eulalie, bitte ich brauche eure Hilfe.“
Die Eule öffnet die Augen und blickt den Störenfried finster an.
Bitte, ich muss wissen wie ich zur Puppenfee komme. Es geht um Meister Martin und seine Puppen. Wir brauchen Hilfe.“
Eulalie setzt zu einer unwirschen Antwort an, doch dann sieht sie den flehenden Blick des kleinen Kerls und ihr gutes Herz siegt.
Wenn du nicht weißt, wo die Puppenfee wohnt, dann ist es dir noch nie schlecht gegangen.“
Nein!“ Kasperle lächelt, „ unser Vater Meister Martin hat uns geschaffen und all die Jahre geliebt und für uns gesorgt. Doch nun ist er alt und niemand will unser Spiel
mehr sehen und der Mann seiner Schwester ist böse und deshalb möchte Meister Martin heute wieder auf Wanderschaft gehen. Aber er ist zu alt für das Leben auf der Straße, deshalb will ich die Puppenfee um Hilfe bitten und man hat mir gesagt, sie wüssten wie ich sie finden kann.“
Eulalie richtet sich seufzend auf.
Das ist ganz einfach, du musst die Puppenfee rufen und wenn du wirklich in Not bist, wird sie dich finden. Aber nun lass mich schlafen.“
Die Holzpuppe bedankt sich und klettert flink den Baum hinab. Einen Moment bleibt sie stehen und überlegt, sollte es wirklich so einfach sein?
Nun er musste es versuchen.
Leise ruft er: „ Liebe Puppenfee, ich brauche deine Hilfe.“
Aufmerksam sieht er sich um, doch nirgends kann er jemanden entdecken. Mutlos mit gesenktem Kopf verlässt er den Wald.
Als er die große Lichtung erreicht, hört er plötzlich leises Lachen und neben ihm geht eine wunderschöne Frau mit rotbraunen wallenden Haaren. Das Kleid, das aus vielen Schleiern besteht ist fast so bunt wie sein Kasperlegewand.
Du hast mich gerufen?“
Kasperle starrt sie mit offenem Mund an. „Du bist die Puppenfee?“
Wieder erklingt das melodische Lachen und schmeichelt sich in sein Herz.


Ja, ich bin die Puppenfee und ich kenne deinen Kummer, denn schon viele Jahre beobachte ich deinen Meister Martin und seine Liebe zu meinen Geschöpfen. Längst habe ich beschlossen ihm helfen, also sorge dich nicht.“
Sie lächelt und Kasperle fühlt, wie all sein Kummer von ihm abfällt und er ist sicher, dass alles gut wird.
Aber nun lauf, bald wird Meister Martin aufstehen und dann solltest du wieder bei den anderen sein.“
Die Puppenfee verschwindet, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
Nun aber saust das Kasperle los, kommt über die Regenrinne ungesehen ins Zimmer und ist gerade mit seinem Bericht fertig, als Meister Martin sich in seinem Bett bewegt.
Etwas schwerfällig erhebt er sich und schlurft ins angrenzende Bad.
Als er zurück kommt nimmt er den Koffer und legt ganz liebevoll eine Puppe nach der anderen hinein. Seine wenigen Habseligkeiten packt er in den alten Rucksack, den er im Schrank verstaut hat, dann wirft er noch einen Abschied nehmenden Blick ins Zimmer und geht langsam die Treppe hinunter.
Er hört Hilde in der Küche hantieren und deponiert Koffer und Rucksack im Flur, dann tritt er zu seiner Schwester.
Diese schenkt ihm ein liebevolles Lächeln.
Guten Morgen, Martin, setz' dich. Willst du wirklich wieder durch die Gegend streifen. Es ist Sturm und Regen angesagt, da wird wohl niemand stehen bleiben.“
Ach vielleicht kann ich ja in einer Gaststube spielen.“
Hilde nickt nur, sie weiß dass niemand seine Puppen mehr sehen will, aber sie schweigt. Sie weiß wie wichtig ihrem Bruder das Gefühl ist noch etwas unternehmen zu können.
Aber wenn nicht, dann komm bitte nach Hause, aber nun trink deinen Kaffee und iss deine Stulle.“
Nach dem Frühstück bleibt der alte Mann unschlüssig stehen, dann umarmt er seine Schwester.
Nanu, was ist denn heute mit dir los?“
Ach Hilde, ich will dir einfach nur mal danken, warst immer eine gute Schwester.“
Sie gibt ihm eine kleinen Klaps und brummt, um ihre Rührung zu verbergen.
Dafür sind Geschwister doch da, aber nun nimm deine Brotzeit und bring Freude mit deinen Puppen unter die Menschen.“
Martin verlässt die Küche, dreht sich noch einmal um und wirft Hilde einen langen Blick zu, unter dem es dieser ganz eigentümlich zu Mute wird.
Langsam mit müden Schritten wandert er aus dem Dorf und das Herz ist ihm schwer.
Nach endlos scheinender Zeit hat er die nächste Ortschaft erreicht und stellt sich auf den Marktplatz und holt seine 'Kinder' heraus.
Doch die Menschen hasten vorbei und niemand hat Interesse für seine schön geschnitzten Puppen.
Große Tropfen fallen vom Himmel und schnell verstaut er die Marionetten im Koffer. Er schlägt den Kragen hoch und eilt, um einen schützenden Platz vor dem Regen zu finden.
In einer alte Scheune lässt er sich aufatmend ins Heu sinken. Mit einem großen karierten Taschentuch fährt er sich über das nasse Gesicht. Ihm ist kalt und seine Zähne klappern, er fühlt sich so elend und müde und dann fallen ihm die Augen zu.
Ein überirdisch schönes Licht erhellt den alten Schuppen und vor ihm steht eine junge Frau in einem kunterbunten Kleid und lächelt ihn an.
Martin, komm mit!“
Und sie hält ihm ihre feingliedrige Hand entgegen und wie in einem Traum nimmt der Puppenspieler diese und folgt ihr. Sie erreichen einen herrlichen großen Garten voller Sonnenschein in dem viele Puppen fröhlich herum springen.
Wo bin ich hier?“
In meinem Puppenreich, in dem vergessene und verletzte Puppen eine neue Heimat finden, möchtest
du mir helfen diese armen Geschöpfe wieder glücklich und gesund zu machen?“
Ach bin doch so alt und müde.“
Die Puppenfee lächelt und schnippt mit den Fingern und Martin spürt wie seine Kraft zurück kehrt. Er dehnt und streckt sich.
Dann sind auf einmal alle seine 'Kinder' hier und umringen ihn.
Vater, du bist ja auf einmal wieder jung!“ staunen sie.
Und Martin bewegt seine durch Arthritis geschwächten Finger.
Sie sind beweglich und ohne Schmerzen, da stößt er einen Jodler aus und ruft fröhlich.
Ich will all den verletzten Geschöpfen helfen, hast du ein Schnitzmesser für mich?“
Die Puppenfee lächelt und führt ihn zu einem hübschen kleinen Häuschen.
Hier kannst du mit deinen Kindern wohnen und nebenan ist eine Werkstatt. Also willst du bei mir bleiben?“
Ja!“ ruft Martin mit strahlenden Augen.

Am nächsten Morgen fand man den alten Puppenspieler tot in der Scheune.


© Lore Platz 25.01.2019