Freitag, 17. Januar 2020

Arco Erinnerungsgeschichte

Ich wünsche euch ein schönes Wochenende. 
Ganz bin ich noch nicht in meinem Blog angekommen.
Trotzdem wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen meiner Erinnerungsgeschichte.   






Arco

Wenn man wie ich jetzt die siebzig erreicht hat, dann hat man fast ein ganzes Leben schon hinter sich.
Und jeder von uns hat ja so seine eigene Lebensgeschichte und aus meiner habe ich euch ja schon einige Episoden erzählt.
Erinnert ihr euch noch wie meine damals zehnjährige große Schwester Karin versuchte einen Hund vor dem Erschießen zu retten, das ihr aber leider nicht gelang.
Jahre sind inzwischen vergangen.
Mein Vater ist versetzt worden und wir lebten nun in einer Kleinstadt in einem großen Mietshaus im zweiten Stock, ohne Garten, nur mit einem kleinen Balkon.
Meine große Schwester hatte ihre Ausbildung beendet und arbeitete in einer anderen Stadt.
Ich war inzwischen sechzehn Jahre alt und ging auf die Realschule und hieß jetzt Lore.
Eines Tages hatte ich nämlich meiner Familie erklärt, dass ich für den kindlichen Namen Norle zu groß wäre und ab heute Lore heißen würde.



Da meine Mutter ein kleines Handarbeitsgeschäft eröffnet hatte, fiel mir die Aufgabe zu, mich um meine kleine zehnjährige Schwester Renate zu kümmern.
Ich wärmte für uns das Essen auf, machte mit ihr Hausaufgaben und kümmerte mich um sie, bis unsere Eltern abends nach Hause kamen.
Eines Tages wartete ich vergebens auf Renate.
Als es immer später wurde, begann ich mir ernsthaft Sorgen zu machen, blieb sie doch verdächtig lange aus.
Die Schule müsste schon längst zu Ende sein.
Immer wieder lief ich zum Fenster, um nach ihr zu sehen.
Endlich klingelte es und als ich hinunter sah, stand Renate mit einem Schäferhund an der Leine vor der Tür.
Sie winkte mir, dass ich nach unten kommen sollte.
Unten angekommen machte ich mich erst einmal mit dem wirklich schönen Tier bekannt.
Während ich ihn zwischen den Ohren kraulte, wedelte er so begeistert mit dem Schwanz, dass das ganze Hinterteil gleich mit wackelte.
Der Hund gefiel mir und das sagte ich auch meiner Schwester, die sofort zu strahlen begann und verkündetet:
Arco gehört mir, ich habe ihn geschenkt bekommen!“
Nun war ich sprachlos. 
Ich schüttelte den Kopf und machte meiner Schwester klar, dass unsere Eltern das nie erlauben würden und forderte sie auf, den Hund sofort zurückzubringen. Außerdem konnten wir in einer Dreizimmerwohnung im zweiten Stock keinen Schäferhund halten.
Wir können ihn doch auf dem Speicher verstecken. Morgen ist Samstag und dann können wir mit den Eltern reden. Vielleicht geht es doch! Biiiiitttteeee!“
Nun meine kleine Schwester war ja sehr clever und wusste genau wie sie mich herumkriegen konnte.
Sie warf mir diesen – ich bin ja so unglücklich – Blick zu, den sie bis zur Perfektion beherrschte.
Doch mittlerweile war ich immun dagegen, aber nicht gegen den Blick des Hundes.
Ich schmolz dahin und entschied gegen meinen Willen, den Hund auf den Speicher zu bringen.
Meine Schwester flog mir jubelnd um den Hals und Arco gleich mit, sodass ich Mühe hatte mich auf den Beinen zu halten.
Nun aber hatten wir ein Problem. Arco ein ganz junges Tier, das bisher im Käfig lebte, hatte noch nie eine Treppe gesehen und weigerte sich hoch zu laufen.


Renate lief einige Stufen hoch und zog an der Leine, doch Arco krebste langsam zurück und legte sich nieder.
So sehr wir auch bettelten und schmeichelten, er rührte sich nicht von der Stelle.
Erst als meine Schwester auf ihn zuging, sprang er auf und leckte ihr freudig das Gesicht.
Doch sobald sie mit ihm auf die Treppen zuging, blieb er, am ganzen Körper zitternd, stehen.
Was sollten wir tun?
Wir konnten den Hund nicht die ganzen vier Stockwerke hoch tragen.
Schließlich zogen und schoben wir ihn bis zur Treppe und dann habe ich ihn Pfote für Pfote, Stufe für Stufe, die vier Stockwerke hoch gezogen und geschoben.
Als ich oben ankam, fühlte ich mich, als hätte ich den Mount Everest bestiegen.
Jeder Mieter hatte ein Speicherabteil mit einer Tür.
Während ich nun einen schönen Platz für Arco richtete und nebenbei seine stürmischen Begeisterungsausbrüche abwehrte, ging Renate hinunter, um frisches Wasser und etwas zum Fressen zu holen.
Anschließend spielten wir mit dem Hund, bis wir durch das Fenster unsere Eltern kommen sahen und schnell in die Wohnung hinab liefen.
Am frühen Morgen wollten wir uns gleich um den Hund kümmern.
Mein letzter Gedanke beim Einschlafen war:
'Hoffentlich geht das Treppensteigen morgen besser.'

Manchmal spielt der Zufall uns einen Streich.
Mein Vater hatte Frühschicht und musste um vier Uhr aufstehen und ausgerechnet an diesem Tag brauchte er etwas von der Wäscheleine auf dem Speicher.
Arco, der dachte, wir wären es, kam freudig aus seiner Ecke. Als er unseren Vater sah, blieb er erschrocken stehen und ließ vor Angst Wasser ab.


Vati erzählte uns das später lachend.
Er war nicht böse auf uns und wir durften den Hund behalten, aber nicht für immer. Wir sollten für ihn ein gutes Zuhause finden denn der Speicher war auf die Dauer keine Lösung.
Doch darum machten wir uns keine Gedanken. Wir waren einfach nur glücklich und kümmerten uns gut um unseren Arco.
Vor der Schule und nach der Schule gingen wir abwechselnd mit ihm Gassi. Nach den Hausaufgaben unternahmen wir dann einen längeren Spaziergang.
Dabei lernten wir einen jungen Mann kennen.
In der Straße, durch die wir immer kamen, wurde ein Cafe
renoviert und wenn wir mit Arco ankamen, dann sprang Hans vom Gerüst und tobte mit dem Hund herum.
Er liebte Hunde und auch Arco mochte ihn gern.
Der junge Mann kam aus einem zwanzig Kilometer entfernten Ort und war hier nur so lange, bis der Umbau das Cafes fertig war.
Eine Zeitlang ging alles gut und wir hatten uns nicht wirklich um einen Platz für Arco gekümmert.
Doch die Geduld unseres Vaters war zu Ende und er stellte uns ein Ultimatum.
Niedergeschlagen trotteten wir am nächsten Tag neben unserem freudig hechelndem Hund einher und bemerkten gar nicht, dass wir in der Nähe des Cafes waren,
Erst als Arco freudig bellte und Hans vom Gerüst sprang, sahen wir auf.
Die beiden balgten sich begeistert, dann fiel Hans unsere belämmerten Gesichter auf.
Was für eine Laus ist euch denn über die Leber gelaufen?“ wollte er wissen und wir erzählten ihm von unserem großen Kummer.
Da ging ein Leuchten über sein Gesicht und er meinte:
Gebt Arco doch mir. Ich habe ein kleines Häuschen mit Garten und Arco wird es gut bei mir haben.“
Das war die Lösung!
Wir verabredeten, den Hund am nächsten Tag, wenn Hans Feierabend hatte, vorbei zu bringen.
Der Abschied am nächsten Tag war herzzerreißend.
Für uns! Nicht für Arco, denn der lief freudig mit seinem neuen Herrchen mit.
Und wir waren glücklich, dass er ein so schönes Zuhause gefunden hatte.

© Lore Platz