Dienstag, 8. Januar 2019

Lilaluna, Anneliese und die Kräuterfrau

Es liegt wohl in der Natur der Menschen, dass alles was sie nicht verstehen ihnen Angst einflößt. Und Angst bringt oft das schlimmste hervor, wie man zur Zeit auch bei uns im Land spüren kann.

 
(c) Peter S.


Lilaluna, Anneliese und die Kräuterfrau


Etwas wehmütig faltet Anneliese das Elfenkleid zusammen und legt es in den Karton, dann steigt sie auf einen Stuhl und verstaut diesen auf dem Schrank in ihrem Zimmer.
Gestern war sie bei ihrer Brieffreundin Bärbel zu einer Faschingsparty eingeladen gewesen.
Ihre Brieffreundschaft entstand, als diese ihre Adresse mit einem gelben Ballon auf die Reise geschickt hatte.
In den Weihnachtsferien hatten sie sich dann endlich auch persönlich kennengelernt und gestern dann die Party.
Leider war Bärbel heute nach Hamburg gefahren, um den Rest der Ferien bei ihrer Oma zu verbringen, da ihre Mutter den Vater auf einer Geschäftsreise begleitete.
Anneliese setzt sich aufs Bett, was sollte sie tun?
Ihre Elfenfreundin Lilaluna schlief während des Winters zusammen mit den anderen Elfen unter der Erde.
Lustlos stützt sie den Kopf in beide Hände und starrt trübsinnig vor sich hin.
Ein Klopfen am Fenster schreckt sie auf. Eine Taube schlägt kräftig mit ihrem Schnabel an die Scheibe.
Empört reißt Anneliese das Fenster auf. „He, was soll das!“
Die Taube wirft ihr einen hochnäsigen Blick zu, fliegt an ihr vorbei und lässt sich auf dem Schreibtisch nieder.
Anneliese wedelt mit beiden Armen. „He, verschwinde!“
Ein Kichern ertönt und unter dem Flügel schlüpft Lilaluna hervor.
Ich dachte du hältst Winterschlaf?“
Lilalunas Gesicht wird ernst. „Würdest du bitte das Fenster schließen, es ist soooo kalt.“ Zittern schlägt sie die Arme um sich.
Anneliese schließt das Fenster hinter der Taube und setzt sich an den Schreibtisch.
Wieso schläfst du nicht, du wirst bei der Kälte doch nicht überleben können,“ besorgt sieht das Mädchen ihre Freundin an.
Wir alle schlafen nicht mehr, denn unsere Königin ist schwer krank und selbst Dr. Wichtel kann ihr nicht mehr helfen, deshalb bin ich zu dir gekommen.
Aber ihr schlaft doch tief unter der Erde, warm und sicher vor dem kalten Wetter?“
Aber unsere Königin hat ihr Himmelbett hoch oben in einer alten Eiche und diese wurde bei dem letzten Sturm schwer geschädigt und in das Zimmer der schlafenden Königin drangen von allen Seiten kalte Winde und nun liegt sie mit hohem Fieber da. Wenn Frau Eule uns nicht geweckt hätte, hätten wir es gar nicht bemerkt.“
Lilaluna senkt den Kopf und Tränen rollen über ihre Wangen.
Aber wie kann ich denn helfen?“
Dr. Wichtel hat leider keine Kräuter mehr und in dieser Jahreszeit sind weit und breit keine zu finden.
Aber am Ende des Dorfes lebt eine alte Frau, die sammelt Kräuter und wir möchten, dass du uns die passenden Kräuter besorgst.“
Anneliese wird blass. „Die Kräuterhexe!“
Lilaluna sieht sie erstaunt an.
Aber das ist keine Hexe, sondern ein Mensch wie du.“
Die Dörfler aber nennen sie Hexe und außerdem sie mag keine Kinder.“
Kein Wunder, weil die sie immer verspotten und ihr übles antun,“ ruft Lilaluna empört.
Anneliese lächelt. „Ich werde die Kräuterfrau aufsuchen, welche Kräuter braucht Dr. Wichtel?“
Moment!“ Lilaluna schließt die Augen um sich zu konzentrieren.
Thymian, Brunnenkresse, Ehrenpreis, Weide, Holunder, Lindenblüten, Pfefferminz und Sauerdorn.“
Nachdem Anneliese sich alles sorgfältig notiert hat, läuft
sie gefolgt von der Elfe hinunter, schlüpft in ihre warmen Winterstiefel und zieht sich ihren flauschigen Mantel über.
Während sie die selbst gestrickte Mütze über die Ohren stülpt, fragt sie ihre kleine Freundin.
Willst du mitkommen oder hier warten?“
Ich würde dich ja gerne begleiten, aber die Kälte?“
Anneliese runzelt die Stirn, dann fällt ihr Blick auf die gefütterten Fäustlinge ihrer Mutter.
Krieche hier rein, das wird dich vor der Kälte schützen.“
Die Elfe verschwindet in dem Handschuh und streckt dann grinsend den Kopf raus. „ Herrlich warm und kuschelig.“
Es schneit als sie den Feldweg zum Haus der Kräuterfrau entlang schreiten.
Nicht weit davon hören sie Kinder johlen, die mit ihren Schlitten den kleinen Feldberg hinunter rasen.
Drei Jungen aber schlagen sich in die Büsche und pirschen zu dem alten Haus und bald darauf prasseln Schneebälle begleitet von grölenden Rufen gegen das Fenster.
Anneliese versteckt sich hinter einem Baum und meint grimmig:
Die kenne ich, die sind eine Klasse unter mir, Max, Tom und Werner.“
Wieder ertönt der Ruf: „ Komm raus alte Hexe!“
Lilaluna aber guckt vorsichtig aus der Manteltasche, den Zauberstab gezückt.
Soll ich sie in Ratten verwandeln?“ fragt sie grimmig.
Anneliese kichert.
Nein, du weißt, dass du Menschen nicht verwandeln darfst,“ einen Moment überlegt sie, „aber kannst du Schneebälle bewegen?“
Denke doch!“
Schnell formt das Mädchen einige Schneebälle und verteilt sie auf dem Boden, dann formt sie die Hände zu einem Trichter und ruft mit hohler Stimme.
Hier ist das Schneemonster, verschwindet ihr bösen Buben, oder es wird euch schlimm ergehen.
Und dann prasseln von allen Seiten Schneebälle auf die Jungen und laut schreiend laufen sie davon.
Die beiden Mädchen kichern.
Wenig später klopft Anneliese an die schwere Holztür, die sich vorsichtig öffnet.
Was willst du?“
Guten Tag Frau Brunner, eine Freundin von mir ist sehr krank und ich würde gerne einige Kräuter von ihnen kaufen.“
Komm rein!“
Müde und irgendwie traurig schlurft die alte Frau voraus in die Küche, in der ein fröhliches warmes Feuer prasselt.
Ein alter Eichenschrank ist voller Tiegel und Töpfe und von den Wänden hängen Bündel mit Kräutern.
Möchtest du einen Tee?“
Anneliese nickt.
Bald steht eine dampfende Tasse vor ihr und die alte Frau schiebt ihr einen Topf mit Honig hin.
Habe nicht oft Besuch, die Leute wollen zwar meine Hilfe aber weiter möchten sich nichts mit mir zu tun haben. Hast du die Lauser vertrieben?“
Anneliese nickt grinsend. „Feiglinge sind es, nur stark in der Gruppe .“
Die alte Frau mustert sie lange, dann lächelt sie.
Du hast ein gutes Herz, danke für deine Hilfe.“
Sie unterhalten sich noch ein wenig und das Mädchen spürt die Einsamkeit der alten Frau und schämt sich ein wenig, dass auch sie auf das dumme Gerede der Leute gehört und sogar Angst gehabt hat.
Später holt sie dann den Zettel mit den Kräuternamen hervor.
Frau Brunner packt alles in ein Säckchen, dann gibt sie noch einen kleinen Tiegel Gänseschmalz dazu.
Damit soll sich die Kranke die Brust einreiben, das hilft und löst den Husten.“
Nachdem Anneliese das Geld hin gezählt hat, bedankt sie sich für den Tee und einer Eingebung folgend fragt sie, ob sie wiederkommen darf.
Die Augen der Alten leuchten auf.
Gerne, ich bekomme niemals Besuch.“
Das Mädchen winkt und verlässt das Grundstück.
Frau Eule kommt ihnen entgegen, als sie den Wald betreten und bringt die Medizin hinauf in den Baumhöhle.
Es dauert lange bis sie wiederkommt mit Dr. Wichtel auf dem Rücken.
Danke dir, Anneliese, du hast der Königin das Leben gerettet. Sobald es ihr besser geht, werden wir sie in eine Höhle unter der Erde bringen, denn auf der Baumkrone ist es wohl zu gefährlich.“
Das Mädchen verabschiedet sich von ihren kleinen Freunden, die ihr Versprechen sie im Frühling wieder zu treffen.
Als sie an dem Haus der Kräuterfrau vorbei kommt, denkt Anneliese, dass sie heute einen Kuchen backen und Morgen die alte einsame Frau besuchen will.
Sicher konnte sie viel von ihr lernen.

© Lore Platz