Mittwoch, 23. Oktober 2019

Die alte Uhr

Eine wahre Geschichte erzählt von Roswitha Borgfeld










Die alte Uhr



Da meine Eltern beide arbeiten mussten, um das Haus abzuzahlen, durfte ich nach der Schule zu meiner Oma zum Mittagessen.
Unsere Schule war oben auf dem Berg neben der Wallfahrtskirche Maria Dorfen.
An dieser musste ich vorbei, über Stufen den Berg hinunter und bis zu einer Straße, die ich vorsichtig überquerte. Schön nach rechts und links schauen, bevor man eine Straße, so hatte man es mir beigebracht.
Vorbei ging es dann an dem Geschäft meiner Tante, einer Schwester meines Vaters. Zu gerne hätte ich die Spielsachen in dem Schaufenster betrachtet, doch ich musste mich sputen.
Zu oft war ich schon geschimpft worden, weil ich so gerne trödelte.
Und heute hatten wir nachmittags auch noch Unterricht, sodass ich um 15Uhr den langen Weg zurück musste.
Also sputen Roswitha!
Vorbei ging es an der Bäckerei Maier, am Kaufhaus Schmederer, doch beim Goldschmied Josef Wilm
konnte ich mir nicht verkneifen vor dem Schaufenster stehen zu bleiben. Es gab hier so schöne glitzernde Dinge zu bestaunen.
Nur mühsam konnte ich mich losreißen.
Weiter ging es an der Marktkirche, am kleinen Supermarkt Fenk, weiter zum Brugger Bäcker, dann über die Straße an der Hubertusapotheke vorbei.
Nachdem ich noch das Schuhgeschäft Schmid, die alte Schmiede und den Bäcker Numberberger, der so tolle Anisplätzchen machte. hinter mir gelassen hatte, musste ich nur noch den ganzen Bahnweg entlang, vorbei beim Omnibus Weber und endlich war ich am Haus meiner Oma.

Warum ich meinen Weg so ausführlich beschreibe, weil ich möchte, dass ihr euch ein Bild machen könnt, wie lang wir damals zur Schule laufen mussten. Und wenn wir nachmittags nochmal Unterricht hatten, mussten wir die Strecke zweimal zurück legen.

Heute undenkbar!







Wenn ich die Augen schließe, sehe ich heute noch die Küche meiner Oma, der Mutter meines Vaters, vor mir.
Die Küche meiner Oma war funktionell, würde man sagen, eingerichtet.
Kam man durch die weiß lackierte Tür stand links das Küchenbuffett, daneben eine kleine Kommode, auf der, der Volksempfänger stand, darüber hing das Soldatenbild von Omas ältestem Sohn Georg, der in Afrika gefallen war und dann das Küchenfenster zur Straße.
Die linke Ecke füllte der quadratische Tisch und die Eckbank aus, eingerahmt von einer Holzvertäfelung in dunklem Holz.
Über dem Tisch hing eine Lampe, die man herunter ziehen konnte.
In der Ecke war der Herrgottswinkel, mit dem Kreuz und einem Heiligenbild.
Links neben der Eckbank stand das Sofa mit Kissen, Omas Lieblingsplatz.
Aus der Schwingkommode daneben konnte man die Schubladen umdrehen und es erschienen zwei große emaillierte Schüsseln, die man heraus nehmen konnte. Man benutzte sie zum Abwaschen.
Der große weiße Küchenherd hatte seitwärts ein Wasserschiff, in dem immer heißes Wasser war.
Auf diesem Ofen, der hauptsächlich mit Holz geheizt wurde entstanden viele leckere Gerichte.
Vorne gab es ein Klappe, das sogenannte Ofenrohr, für Kuchen, Plätzchen oder auch leckeren duftenden Braten.
Der Küchenofen hatte unten eine geteilte Schublade für Holz und Kohle.




Manchmal wurde das Fach für Holz mit Holzwolle ausgepolstert, wenn Oma kleine Enten- oder Hühnerküken aufziehen musste, die von den Müttern abgelehnt wurden.
Am liebsten aber war mir den Regulator, eine Pendeluhr in einem braunen Gehäuse. Jedes Mal wenn ich Omas Küche betrat fiel mein Blick sofort auf diese Uhr.
Und dann eines Tages!
Wie immer fiel mein Blick als erstes auf den Regulator, als ich Omas Küche betrat, aber… er war nicht mehr da.






Statt dessen hing eine weiße quadratische Uhr an der Wand von Junghans, die man nicht mehr aufziehen musste, da sie mit Batterien ging.
Oma strahlte voll Stolz und meinte;
Gell, da schaugst, wie modern i bin und des oide Drum ist im Schupfa, des werd zsammghaut, damit mas verhoazn ko.“
(da schaust wie modern ich bin und das alte Teil ist im Holzschuppen und wird zerkleinert, dass es verheizt werden kann)
Ich drückte meine Hand auf das wild klopfende Herz und fragte : „Ist sie noch ganz?“
Oma zuckt mit den Schulter.
Wenn‘s der Rull (Onkel Rudolf) no net zu Klohoz (Kleinholz) gmacht hoat.“ (gemacht hat)
Als wäre der Teufel hinter mir her, rannte ich aus der Küche, durch den Flur, aus dem Haus und in den Schuppen.
Atemlos und strahlend sah ich sie liegen, unversehrt, inmitten von altem Holz und Sägespänen.
Ich hob sie auf, befreite sie liebevoll von Staub und Dreck, drückte sie an mich und schleppte sie zurück in die Küche.
Meine Oma fragte erstaunt.
Wos wuist denn mit dem oiden Drum?“
(was willst du denn mit dem alten Teil.)
Flehend sah ich sie an.
Bitte Oma lass sie nicht kaputt machen, darf ich sie haben?“
Um Gott‘s Wuin, wenn dei Herz so dro hängt!“
(Um Gottes Willen, wenn dein Herz so dran hängt.)





Ich hätte weinen können vor Glück.
Gleich nach dem Unterricht rannte ich nach Hause und konnte es nicht erwarten, dass meine Eltern von der Arbeit kamen.
Als mein Vater zur Tür reinkam, überfiel ich ihn gleich mit der Bitte, die Uhr zu holen.
Papa sagte:
„Setz dich erst mal und erzähl.“
Meine Mutter war sauer, weil so kurz nach Feierabend wollte sie erst mal eine Tasse Kaffee und sonst nix - heute versteh ich das - damals nicht
Als ich Papa die ganze Geschichte erzählt hatte, sagte er: „Komm wir holen die Uhr gleich.“
Mama war nicht glücklich darüber.






Aber ein Papa, ein Wort.
So fuhren wir in unserem 12er FORD zur Oma.
Die staunte nicht schlecht, als sie uns sah.
Dann lachte sie und sagte:
Des Drum liegt in da Schlafkamma“ ( Das Teil liegt in der Schlafstube)
Papa holte es, legte es vorsichtig auf die Decke im Kofferraum und wir fuhren es nach Hause, das Drum.
Im Keller suchte er nach einem passenden Nagel und dann wurde die Uhr aufgehängt.
Mama bestand darauf, dass sie, wenn sie denn unbedingt aufgehängt werden musste, nur an eine Wand auf dem Speicher .

Das war mir egal. Hauptsache, ich hatte sie gerettet.


Dort hing sie bis ich auszog, umzog und dann wegzog und heute hängt sie hier bei uns.

Ich liebe das alte Teil so sehr und hoffe, der es mal erbt, liebt es ebenso.


© Roswitha Borgfeldt