Mittwoch, 25. Mai 2022

Wenn ich bin wie mein Vater




Gewalt in der Familie gibt es leider viel zu oft.

Ursachen sind:

Versagensängste.
Alkohol und Drogen
Fehlende Kommunikation
Oder auch weil die Gewalttäter selbst Gewalt erlebt und gelernt haben Konflikte nur auf diese Art zu lösen.

Ich kenne eine Frau, die sich abends wenn ihr Mann von der Wirtschaft nach Hause kam, mit ihrem Sohn versteckt hat.
Erst als sie ihm mit Scheidung drohte, macht er eine Entziehungskur.









Wenn ich bin wie mein Vater





Sonja saß auf der Fensterbank, die Arme um die Knie geschlungen und träumte vor sich hin.
Übermorgen würde sie heiraten, Jürgen den Gesellen ihre Vaters.
Sie konnte sich noch gut an die erste Begegnung erinnern.
Sie war damals zehn Jahre alt und er war vierzehn und Papas neuer Lehrling. Da er aus dem Waisenhaus kam, bekam er ein Zimmer im Haus.
Papa stellte ihn als neuen Hausgenossen Mama und ihr vor.
Ein großer schlaksiger Junge mit ernsten Augen, der nie lächelte.
Doch er war sehr höflich, verbeugte sich vor Mama, sagte bitte und danke.
Ja er war so höflich, dass Mama in ihr als gutes Beispiel empfahl, was sie aber nur lachen ließ, denn sie war ein freundliches Kind, das von allen geliebt wurde.
Er blieb auch nach dem Essen nie sitzen, sondern verschwand sofort auf sein Zimmer.
Es stimmte wohl, dass Gegensätze sich anziehen, denn sie fühlte sich vom ersten Augenblick zu ihm hingezogen und da sie ein fröhliches Kind war beschloss sie, ihn etwas aufzuheitern.

Sobald sie ihn auf dem Hof herumlaufen sah, heftete sie sich an seine Fersen und plapperte frisch drauf los.
Es machte ihr nichts aus, dass sie keine Antwort bekam. Wenigstens schickte er sie nicht weg, verdrehte nur manchmal genervt die Augen.
Ruhig und gelassen machte er seine Arbeit und ertrug ihre Gegenwart.
Alex und Tobi die beiden gutmütigen Gesellen ihres Vaters verspotteten sie und nannten sie Jürgens Schatten oder Hündchen. Doch allmählich gewöhnten sie sich daran.
Auch Jürgen gewöhnte sich an sein plapperndes Anhängsel, so sehr, dass er sie vermisste, wenn sie mal bei einer Freundin war, oder in den Ferien bei der Oma.
Jürgen trank auch keinen Alkohol auch wenn Alex und Tobi ihn zu einem Bier überreden wollen.
Warum das so war, erfuhr sie eines Tages.
Es war ein heißer Sommertag und Sonja hatte
hitzefrei, da der Vater ein Mittagsschläfchen machte und ihre Mutter bei einer Freundin war, lief das Mädchen hinüber in die Werkstatt.
Alex und Tobi saßen auf der Werkbank und verspeisten ihre belegten Brote.
Als sie Sonja sahen, grinsten sie.
Er kühlt sich am See ab.“
Das Mädchen lief zum See. Jürgen war gerade aus dem Wasser gestiegen, stand mit dem Rücken zu ihr und trocknete sich ab.
Sonja keuchte entsetzt auf.
Sein ganzer Rücken und  auch seine Beine waren mit Narben übersät.
Jürgen hatte sie gehört, wurde rot, ließ das Handtuch fallen und zog schnell Hose und Shirt an.
Sonja packte ihn am Arm: „Mein Gott, wer hat dir das angetan.“
Jürgens Gesicht verschloss sich und er wollt gehen, doch Sonja nahm seine Hand und zerrte ihn zu der Bank unter der großen Kastanie.
Wir sind Freunde und Freunde sollten sich alles anvertrauen. Was ist geschehen?“
Jürgen saß mit gesenktem Kopf neben ihr und zerknüllte das Handtuch zwischen seinen Händen.
Sonja befürchtet schon, sie würde keine Antwort bekommen, da begann er mit monotoner Stimme zu erzählen.
Als er drei Jahre alt war, verlor sein Vater seine Arbeit, er wurde gereizt, ungeduldig, brüllte bei jeder Gelegenheit los und fing an zu trinken und je mehr er trank umso aggressiver wurde er.
Und eines Tages begann er seine Mutter und ihn zu schlagen. Ließ all seinen Frust an ihnen aus.
Seine Mutter versuchte ihn zu schützen, doch immer gelang es ihr nicht.


Und eines Tages, es war kurz nach seinem fünftem Geburtstag, kam sein Vater wieder von der Wirtschaft nach Hause und brüllte schon an der Haustür.
Seine Mutter versteckte ihn unter der Spüle und dort saß er zitternd vor Angst, hörte seinen Vater brüllen und seine Mutter vor Schmerz schreien.
Dann war Stille!
Er wagte sich erst aus seinem Versteck, als er seinen Vater laut schnarchen hörte.
Seine Mutter lag auf dem Küchenboden.
Er kroch zu ihr hin, streichelte ihr Gesicht, rüttelte sie leicht am Arm, doch sie bewegte sich nicht.
In seiner Angst lief er zur Nachbarin, die dann die Polizei und den Krankenwagen verständigte.
Seine Mutter starb noch im Krankenwagen, sein Vater bekam wegen Totschlag zehn Jahre Gefängnis, wo er nach zwei Jahren an Leberzierrose verstarb und er kam ins Waisenhaus.

Als Sonja an diesem Abend im Bett lag, weinte sie bitterlich. Zum ersten Mal in ihrem liebevollen behüteten Dasein, hatte sie die Schattenseite des Lebens kennen gelernt.

Die Jahre vergingen und aus Kinderfreundschaft wurde Liebe und übermorgen war die Hochzeit.


Die Tür öffnete sich und riss Sonja aus ihren Träumen. Jutta, ihre Freundin seit dem Kindergarten stürmte herein.
Na träumst du wieder von deinem Jürgen, das ist schon fast krankhaft, du denkst an nichts anderes mehr, man könnte richtig neidisch werden.“
Halt den Mund alte Spottdrossel, was hast du denn da unter dem Arm?“
Ach das ist ein Katalog, er lag unten vor der Haustür. Das Versandhaus … stellt seine neue Sommerkollektion vor.“
Leg ihn irgendwohin und setz dich zu mir.“
Jutta hievte sich auf die Fensterbank und betrachtete ihre Freundin nachdenklich.
Was ist los? Hast du kalte Füße vor der Hochzeit bekommen.?“
Nein, ich mache mir Sorgen um Jürgen, je näher der Hochzeitstermin kommt, umso seltsamer wird er!“
Na vielleicht hat er ja kalte Füße bekommen!“
Sonja stupst ihre Freundin in die Seite.
Unsinn, ich kenne ihn, irgendetwas bedrückt ihn.“
Na, warum fragst du ihn nicht einfach.“
Du hast Recht, das werde ich, du bist doch die Beste.“
Sonja umarmt ihre Freundin.

Nach dem gemeinsamen Abendessen mit den Eltern, gingen Jürgen und Sonja wie jeden Abend spazieren.

Sie wanderten hinunter zum See zu ihrer Bank.
Auf dieser Bank hatte Jürgen damals über seine Vergangenheit gesprochen, und hier hatte er seiner geliebten Sonja einen Heiratsantrag gemacht.
Schweigend setzten sie sich.
Sonja nahm die Hand ihres Liebsten und fragte.
Was ist los mit dir Jürgen, liebst du mich nicht mehr, willst du die Hochzeit absagen.“
Aber nein, ich liebe dich Sonja und ja ich will dich gern heiraten, aber ich habe Angst.“
Angst wovor?“
Dass ich so bin wie mein Vater und eines Tages dich und unsere Kinder verprügle.“
Sonja lachte schallend.
Liebling, ich kenne dich seit zehn Jahren, du bist überhaupt nicht aggressiv, du bist noch nie ungeduldig zu mir gewesen, obwohl ich deine Nerven bestimmt schon oft strapaziert habe.
Du bist ruhig und gelassen und für mich Chaoten der Fels in der Brandung. Ich vertraue dir blind mein Leben an.“
Sie schaute ihn spitzbübisch an.
Weißt du was mein Opa an meinem fünfzehnten Geburtstag zu mir gesagt hat.“
Sie setzte sich in Pose und äffte die Stimme ihres Großvater nach.
Dern, jetzt bist du ein Teenager, im Moment findest du alle Jungs noch doof, aber in ein paar Jahren werden sie dir immer besser gefallen. Aber ich gebe dir einen guten Rat, bevor du deinen Liebsten heiratest, versuche ihn betrunken zu machen, dann zeigt er seinen wahren Charakter.“
Jürgen grinste, ihm war schon viel leichter ums Herz.
Das wird dir bei mir nicht gelingen, ich trinke keinen Alkohol.“
Sonja kicherte.
Kannst du dich nicht mehr erinnern. Als du deine Prüfung als Lehrling bestanden hast, haben meine Eltern für dich eine Party geschmissen.
Und Tobi und Alex haben heimlich Rum in die alkoholfrei Bowle meiner Mutter geschüttet.
Nach zwei Gläsern warst du voll wie eine Haubitze. Du warst kein bisschen aggressiv, sondern lustig und albern und hast uns um Lachen gebracht.“
Und am nächsten Tag hatte ich einen Brummschädel.“
Jürgen zog Sonja in seine Arme und küsste sie.

Am Samstag fuhr eine weiße Limousine vor der Kirche vor und während Sonja am Arm ihres Vaters die Kirche betrat, fühlte sie tief in ihrem Herzen, dass sie sehr glücklich sein würde.

© Lore Platz


 
 
Anmerkung:

Mein Vater hat zu uns drei Mädels gesagt, bevor ihr einen Mann heiratet, macht ihn betrunken, dann zeigt er seinen wahren Charakter.
Meine große Schwester war die erste und da ihr Verlobter weiter weg wohnte kam er nur am Wochenende zu Besuch.
Leider rauchte und trank er nicht.
Also beschlossen mein Vater und mein Onkel, den machen wir betrunken, wenn er das nächste mal wiederkommt.
Also kauften sie eine Flasche Cognac und freuten sich wie zwei Kinder.
Die Frauen wollten das nicht zu lassen und meine Schwester kochte schwarzen Tee und wechselte das
Glas aus.
Am Ende musste der stocknüchterne Schwiegersohn ihn spe die beiden alten Herren ins Bett bringen, denn plötzlich hatten sie Gummibeine bekommen.
 
 
 
 











2 Kommentare:

  1. Liebe Lore, als Kind war ich auch voller Bewunderung für meinen Vater und das hat sich zum Glück ein Leben lang erhalten. Ich hatte eine wunderbare Kindheit - auch durch oder wegen meines Vaters. Er hat die Familie immer gut versorgt und meinen Bruder und mich gut behütet, dafür war ich mein ganzes Leben lang dankbar!

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  2. Zum Männertag einige Worte zum Nachdenken und eine gute Loregeschichte, danke liebe Lore.
    Ja leider ist Alkohol inzwischen so gesellschaftsfähig, dass bei allen Anlässen damit angestoßen werden muss.
    Auch wegen diesem Thema gibt es viele Frauenhäuser, wo Frauen mit ihren Kindern hinflüchten.
    Danke auch an Regina für die ❤ liche Einlage.
    Liebe Grüße aus Dresden sendet Monika

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