Donnerstag, 12. Januar 2023

Als Opa die Oma freite

Lasst uns wieder zurück in die gute alte Zeit gehen. 
Diesmal ist es nicht eine Erinnerung von mir, nur eine ausgedachte Geschichte.
Wie mein Mann und ich uns kennenlernten werde ich euch später mal erzählen.
Aber ich habe keine Wintergeschichten mehr und für Frühlingsgeschichten ist es noch zu früh.
Denn wenn ich jetzt schon meinen kleinen Elfen losfliegen lasse, würden sie nur erfrieren.
Viel Spaß beim Lesen!

(c) R.M.z.V.



Als Opa die Oma freite


Der alte Mann sitzt auf der Bank vor dem Haus und reibt sich über sein schmerzendes Bein.
Seit seinem Beinbruch vor einigen Jahren taten ihm die Knochen weh und besonders vor jedem Wetterumschwung.
Er wirft einen nachdenklichen Blick auf den strahlend blauen Himmel.
Eigentlich sah es gar nicht nach Regen aus, doch sein Bein irrte sich nie.
Sein kleiner Enkel Tim stapft über die Wiese auf ihn zu, bleibt mit den Händen in den Hosentaschen vor ihm stehen und betrachtet ihn ernsthaft.
Dann stürzt er plötzlich nach vorne, umklammert das Knie des alten Mannes und presst sein Ohr ganz fest auf dessen Oberschenkel.
Enttäuscht richtet er sich wieder auf und meint:
Sie reden ja gar nicht!“
Wer soll denn reden?“
Deine Knochen! Papa hat gerade zu Mama gesagt, sie braucht die Wäsche gar nicht aufzuhängen, denn es wird sowieso bald regnen, denn deine Knochen hätten dir das erzählt.“
Der alte Mann lacht herzlich und hebt den kleinen Dreikäsehoch auf den Schoß.
Tim meine Knochen können nicht sprechen, sie tun nur sehr weh und besonders wenn das Wetter sich ändert.“
Der Junge überlegt einen Moment, dann nickt er.
Oma hat gerade Kekse gebacken, aber sie haben mich weg geschickt,“ meint er dann übergangslos.
Warum denn das?“
Ach Frau Baumann von gegenüber ist mit ihrer Tochter gekommen und nun heulen die Beiden. Glaubst du, dass sie alle Kekse aufessen.“
Aber nein, die Oma hebt dir bestimmt welche auf.“
Willst du wissen warum die Frau Baumann und Rosemarie geweint haben?“
Der Opa sieht den Jungen streng an.
Hast du wieder gelauscht?“
Tim wird ein wenig rot und murmelt:
Nur ein kleines bisschen. Die Rosemarie bekommt ein Baby!“
Der alte Mann runzelt die Stirn.
Das Nachbarmädchen war erst sechzehn und ging noch auf die Schule.
0pa? Man bekommt doch erst ein Baby, wenn man geheiratet hat, aber Rosemarie hat doch gar keinen Mann.“
Der Opa hustet, dann blickt er in das Gesicht des kleinen Jungen, das vertrauensvoll zu ihm aufschaut.
Ich habe dir doch erzählt, dass oben im Himmel in einem großen Saal viele, viele Seelen wohnen. Und diese Seelen warten darauf, dass sie endlich auf die Erde dürfen und wenn nun eine Seele sich seine Eltern ausgesucht hat, dann wird das Tor geöffnet, damit sie zu seinen neuen Eltern fliegen kann.
Manche Seelen aber sind viel zu ungeduldig und schlüpfen mit hinaus, ohne zu warten bis ihre Eltern verheiratet sind.“
Nicht wahr, ich war eine geduldige Seele und habe gewartet.“
Tim strahlt seinen Großvater an.
Dieser schmunzelt und fragt dann, um den Jungen abzulenken.
Soll ich dir eine Geschichte erzählen?“
Ja, aber eine echte!“
Was ist denn eine echte Geschichte?“
Kein Märchen oder eine erfundene Geschichte, sondern eine Geschichte, die du selbst erlebt hast.“
Dann will ich dir erzählen, wie ich deine Oma kennen gelernt habe.“
Der kleine Junge kuschelt sich an den Großvater und dieser beginnt zu erzählen:

Als ich noch Student war habe ich in den Semesterferien mit meinen Freunden Richard und Bernhard eine mehrtägige Radtour durch unsere schöne Heimat gemacht.
Wenn es regnete haben wir in einer Jugendherberge und bei schönem Wetter im Freien übernachtet.
Eines Abends, es war schon dunkel, schoben wir unsere Räder durch ein kleines Waldstück.
Ein Bauer hatte uns erklärt, dass dahinter ein schöner See sei, an dem wir übernachten konnten.
Als wir die Lichtung erreichten sahen wir das Wasser vor uns liegen und der Mond spiegelt sich darin und tauchte alles in ein gespenstisches Licht.
Aus dem Wasser stieg eine Nixe und schüttelte ihr langes nasses Haar, so jedenfalls kam sie mir vor.
Sie griff nach einem Handtuch und ich erwachte aus meiner Verzauberung.
Bernhard und Richard waren schon weitergegangen und ich hörte sie reden und lachen.
Da erst bemerkte ich den bunt angemalten Bus und die zwei Zelte und das hell lodernde Lagerfeuer.
Vier Jungen und drei Mädchen saßen daran und auch meine Freunde hatten sich dazu gesellt.
Ich trat zu ihnen und nun stellten sie sich alle vor. Sie waren mir sofort alle sympathisch.
Genau wie wir waren sie Studenten, die in den Ferien mit dem Bus durch die Gegend fuhren und mal hier und mal da hielten.
Aus dem Zelt trat meine schöne Nixe. Sie trug nun
ein Kleid und ihre Haare waren noch feucht.
Als sie mir als Marianne vorgestellt wurde, stammelte ich nur dummes Zeug und schämte mich dafür.
Ich war doch sonst nicht auf den Mund gefallen.
Sie aber lächelte mich liebreizend an und setzte sich dann neben einen großen dunkelhaarigen Jungen.
Traurig dachte ich, dass sie schon vergeben sei und wie jubelte mein Herz, als ich nach einiger Zeit mitbekam, dass es ihr Bruder war.
Den ganzen Abend konnte ich kaum den Blick von ihr wenden und wenn sie lachte, hüpfte mein Herz vor Freude.
Sie hatte ein so fröhliches herzliches Lachen.
Wir feierten bis spät in die Nacht mit unseren neuen Freunden, sangen zur Gitarre, brieten uns Würste, die wir an einem langen Stecken ins Feuer hielten und ließen die Rotweinflasche kreisen.
Kein Wunder, dass ich tief, fest und lange schlief.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, waren die Zelte abgebaut und der Bus verschwunden.
Aufgeregt weckte ich meine leise schnarchenden Freunde.
Sie sind weg, wo sind sie hin!“
Wer, was, brüll` doch nicht so!“ Richard rieb sich verschlafen die Augen und auch Bernhard streckte seinen Kopf aus dem Schlafsack.
Unsere neuen Freunde!“ schrie ich panisch.
Die haben doch gestern Abend gesagt, dass sie heute ganz früh bereits wieder losfahren. Aber das hast du ja nicht mitbekommen, warst viel zu beschäftigt die schöne Marianne anzuhimmeln.“
Ich wurde etwas rot und rollte meinen Schlafsack zusammen.
Was war ich doch selten dämlich, hatte mich in ein Mädchen verliebt von dem ich nur den Vornamen kannte.“

Tim hebt den Kopf:
Aber du hast sie dann wiedergefunden, sonst wäre sie ja nicht meine Oma geworden.“
Der alte Mann nickt und streicht dem Jungen über die Haare.
Ja, aber fast zwei Jahre später. Wir steckten mitten im Examen und um uns etwas abzulenken, beschlossen wir die neue Eisbahn auszuprobieren.
Richard hatte sich inzwischen ein Auto angeschafft und wir drei quetschen uns in das kleine Fahrzeug und fuhren in die 15 Kilometer entfernte Stadt.
Ich war noch nie auf der Eisbahn gewesen und staunte.
In den vier Ecken standen große Strahler und beleuchteten die vielen Menschen, die sich auf dem Eis tummelten und nach der Musik aus den Lautsprechern mehr oder weniger elegant tanzten.
Der Duft nach Bratwürsten und Glühwein erfüllt die Luft.
Wir setzten uns an den Rand, um unsere Schlittschuhe zu binden.
Ich fädelte gerade die Schnur durch die Öse, da hörte ich ein fröhliches herzliches Lachen.
Es traf mich wie ein elektrischer Schlag.
Dieses Lachen kannte ich, Marianne!
Fieberhaft ließ ich meinen Blick über die Schlittschuhläufer gleiten und dann entdeckte ich sie.
Eine kecke rote Strickmütze auf den goldblonden Locken tanzte sie übermütig mit einem kleinen Mädchen.
Ihre kleine Schwester wie ich später erfuhr.
Ich sprang auf und sauste los.
Meine Freunde riefen mir nach, denn sie wollte mich auf meine nachschleifenden Schnürsenkel aufmerksam machen.
In der Eile hatte ich vergessen meine Schlittschuhe fertig zu binden.
Aber ich hörte sie nicht.
Meinen Gedanken waren nur bei dem Mädchen, dass ich
nie vergessen konnte.
In Windeseile sauste ich über das Eis auf Marianne zu.
Da ging ein Ruck durch meinen Körper.
Die losen Bänder hatten sich in den Kufen verfangen.
Ich hob beide Arme, um die Balance zu halten und fiel auf meinen Allerwertesten.
Durch die Schnelligkeit schlitterte ich noch einige Meter auf dem Eis dahin, direkt auf das erschrockene Mädchen zu.
Da lag ich nun, mit schmerzende Po und rot wie eine Tomate vor Verlegenheit.
Marianne war erschrocken zur Seite gesprungen und sah mich nun an.
Sie erkannte mich, wurde etwas rot, strahlte mich an und begann herzlich zu Lachen.
Seit diesem Moment habe ich meine Marianne nicht mehr aus den Augen verloren und nun sind wir mehr als vierzig Jahre verheiratet.“

Tim grinst:
Das war eine schöne echte Geschichte und Oma Marianne
lacht immer noch so schön, dass man einfach mitlachen muss.“
Das stimmt mein Junge, aber sieh mal nach oben. Meine Knochen haben sich nicht geirrt. Es wird bald regnen.“
Tim kichert, denn ein dicker Regentropfen platscht auf seine Nase.
Hand in Hand laufen sie auf das Haus zu und erreichen es gerade noch bevor der Regen niederprasselt.


© Lore Platz (2023)


Anmerkung:
Solche sprechenden Knochen habe ich auch und am lautesten protestieren sie, wenn das Wetter umschlägt.
Das ist wohl ein Privileg des Alters, auf das ich aber gerne verzichten würde.



3 Kommentare:

  1. So eine schöne wahre Geschichte. Ja, so hat man sich früher kennen gelernt Lore. Lang, lang ist es her!

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  2. Eine zauberhafte Geschichte du Märchentante, sie hat mir sehr gefallen

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  3. Oh Lore, das ist eine sooo schöne Geschichte!!!! Ich habe sie gelesen und dabei habe ich alle Personen deutlich vor meinem inneren Auge gesehen.
    Ich habe es als kleines Mädchen geliebt, wenn mein Vater aus seiner Kindheit oder Jugend erzählt hat,- wahre, aber schöne Geschichten.
    LG
    Astrid

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