Heute
erzähle ich euch eine Geschichte von einem lieben alten Mann, der
als Archivar die Gerichtsakten im Amtsgericht verwaltet und dabei
zwei Freunde findet.
Der
einzige Lagerist, dem ich begegnet bin, war ein richtiges Ekelpaket.
Nach
der Schule fing ich in einer großen Versicherung an zu arbeiten.
Damals gab es noch keine Computer und digitalisierten Akten.
Unten
im Keller (sechs Stockwerke) war ein großer Lagerraum mit Akten und
der Herr des Ganzen war ein Mann in mittleren Jahren.
Er
trug einen grauen Kittel, hatte fettige gewellte Haare und stank
permanent nach Schweiß.
Als
Jüngste in der Abteilung wurde ich von meinen Kollegen öfter als
Laufbursche eingesetzt.
Und
ich habe es gehasst!
Denn
während ich am Tisch die Akten sortierte, rückte mir der
unangenehme Mann auf die Pelle. Geschickt versuchte ich seinen
widerlichen Annäherung zu entkommen, indem ich zur Seite rückte,
raffte schließlich die Papiere und verließ fluchtartig den Raum.
Damals
wusste man noch nicht wie man sich gegen sexuelle Belästigung am
Arbeitsplatz wehren kann.
Doch
Herr Franz in meiner Geschichte ist ganz anderes, ein lieber
freundlicher älterer Herr mit einem großem Herzen für Tiere.
Viel
Spaß beim Lesen!
Die
Mäuse Max und Moritz
Im
Keller des Amtsgerichts war
das Archiv untergebracht.
In
hohen Regalen, die fast bis zur Decke reichten waren hunderte von
Akten verstaut.
Vorne
neben dem niedrigen Fenster stand ein alter Schreibtisch, an dem der
Archivar Herr Franz immer arbeitete.
Zwei
dicke Mäuse saßen zusammen gekauert in einer Ecke und blickten
etwas ratlos zur Tür.
Wenn
die Uhr der nahestehenden Kirche achtmal läutete,
dann kam Herr Franz herein.
Die Augen hinter der Brille funkelten vergnügt
und er pfiff eine fröhliche Melodie.
Nachdem
er die alte verschrammte Aktentasche neben den Schreibtisch gestellt
hatte, schlüpfte er in seinen grauen Kittel und setzte sich.
Das war der Zeitpunkt an dem die beiden Mäuse losliefen, flink an dem Schreibtisch emporkletterten und Männchen machten.
Herr
Franz lachte dann vergnügt,
holte einen Apfel hervor und legte ihnen ganz klein geschnittene
Stückchen vor
die Nase.
Er
selbst aß die andere Hälfte und dabei erzählte er ihnen, was er
gestern Abend so erlebt und was seine Frau Trudchen ihm leckeres
gekocht hatte.
Dann
aber setzte er die beiden Mäuse auf den Boden und das war das
Zeichen, dass sie ihn jetzt nicht stören durften.
Zusammengekauert
saßen sie dann da und beobachten
ihren Ziehvater.
Das
ging nun schon so seit zwei Jahren.
Seit
ihre Mutter plötzlich ganz still da lag und ihr verzweifeltes Fiepen
nicht hörte.
Doch
Herr Franz hatte sie gehört und sofort gesehen, was passiert war.
Mitleidig
hatte er die beiden Waisen aufgehoben, auf den Schreibtisch gesetzt,
ihnen einige kleine Stückchen Äpfel und Käse hin gelegt.
Dann
hatte er ihre Mutter auf eine
kleine Schaufel geladen und war hinaus gegangen.
Als
er zurück kam, saßen sie immer noch etwas verängstigt da, die
kleinen Bröckchen aber hatten sie verschluckt.
Herr
Franz erzählte ihnen nun, dass ihre Mutter im Mäusehimmel sei und
von dort über sie wachen würde und er nun in Zukunft für sie
sorgen würde.
Dann
erklärte er ihnen, dass sie nun Max und Moritz hießen. Max sei der
mit dem schwarzen Punkt unter dem Auge und Moritz der mit dem
geringelten Schwanz.
Sie
hörten ihm aufmerksam zu und nun freuten sie sich jeden Tag auf das
Kommen von Herrn Franz.
Sie
beobachteten ihn gerne bei der Arbeit.
Oft
klingelte der schwarze Apparat auf dem Schreibtisch und der alte Mann
lauschte der Stimme, die daraus erklang.
Dann
nahm er das große Buch und schrieb etwas in seiner sauberen
akkuraten Schrift hinein.
Anschließend
ging er zu den Regalen, zog einige Akten, legte sie auf seinen Wagen
und verließ den Raum.
Wenn
er dann wieder kam mit dem Wagen voller Akten, die nicht mehr
gebraucht wurden, lachte er oft vergnügt und setzte sich an den
Schreibtisch.
Das
war das Zeichen und Max und Moritz flitzen heran, denn von so einem
Rundgang brachte er meist etwas mit.
Obst,
Kekse oder selbstgebackenen Kuchen, den ihm die Sekretärinnen
zusteckten.
Und
während er seine Schätze mit ihnen teilte, erzählte er ihnen von
Fräulein Ilona, die wieder mal unglücklich verliebt
war, oder von Frau Ulrike, deren Mutter schwerkrank
war, oder von dem schüchternen Assessor, der in seine Sekretärin
Fräulein Klara verliebt war.
Manchmal
aber schimpfte er aber auch über die Schlechtigkeit und Dummheit der
Menschen.
Denn
davon bekam man hier im Gericht viel zu viele zu sehen.
Dann
philosophierte er, wenn Menschen sich wegen einem Stück Zaun oder
einem Ast, der in ihr Grundstück ragte schon stritten, wie könnte
man dann erwarten, dass ganze Völker sich vertrugen.
Und
Max und Moritz hörten aufmerksam zu und lernten viel.
Heute
aber war alles anders, schon lange hatte die Uhr achtmal geschlagen
und Herr Franz war immer noch nicht da.
Angstvoll
kauerten sie sich zusammen und ließen die Tür nicht mehr aus den
Augen.
Endlich
öffnete sie sich.
Doch
wie sah Herr Franz aus?
Statt
dem Schlamm braunen Anzug trug er heute einen schwarzen und
unter dem Kinn ein seltsames
Stück Stoff.
Es
sah aus wie ein Schmetterling.
Einmal
hatte sich ein solcher hierher verirrt und Herr Franz hatte ihnen
erklärt, was für ein Tier das sei.
Aber
der alte Mann war nicht nur anders gekleidet, auch seine Augen sahen
traurig aus.
Müde
schleppte er sich an seinen Schreibtisch.
Max
und Moritz sausten los und saßen wenig später vor ihm.
Herr
Franz lächelte traurig und berichtete ihnen, dass das
Archiv
geschlossen worden sei und man ihn in Frührente geschickt hätte.
Der
Herr Obergerichtsrat hatte eine schöne Rede gehalten und ihm eine
tolle Uhr überreicht. Alle hatten ihm die Hand gedrückt, doch wenn
er heute dieses Haus verließ, würde er
morgen schon vergessen sein.
Nachdenklich
betrachtet er die beiden Mäuse und meinte erschrocken:
„Morgen
schon kommt eine Speditionsfirma und holt alle Akten ab, sie werden
digitalisiert und dann wird
der Keller geschlossen. Aber was wird dann aus
euch?“
Herr
Franz öffnete die Schubladen und räumte seine persönlichen Sachen
in die Aktentasche, dann nahm er Max und Moritz und steckte auch sie
dazu.
„Am
besten, ich bringe euch in den Park,“ murmelte er.
Nachdem
er in seinen Mantel geschlüpft, seinen Hut aufgesetzt hatte, warf er
noch einen traurigen Blick durch den Raum.
Herr
Albrecht, der Pförtner eilte herbei und hielt ihm die Tür auf.
Er
tippte sich an seine Mütze und meinte :
„Auf
Wiedersehen Herr Franz und alles Gute für die Zukunft.“
Der
alte Mann drückte ihm stumm die Hand und ging mit müden Schritten
die
Stufen hinab.
Es
war ein verregneter Tag,
als würde das Wetter sich seiner Stimmung anpassen.
Max
und Moritz kletterten sofort heraus und flüchteten sich auf seinen
Schoß.
Eine
lange Zeit saßen sie im Nieselregen, dann aber nahm der alte Mann
die beiden Mäuse und setzte sie ins Gras.
„Nun
müsst ihr allein zurecht kommen,“ erklärte er und ging mit
langsamen müden Schritten davon.
Max
und Moritz aber flüchteten unter die Bank, denn die Nässe war ihnen
unheimlich.
(c) Irmgard Brüggemann |
Als Herr Franz den Flur seines kleinen Häuschens betrat, kam ihm seine Frau, die bereits besorgt aus dem Fenster nach ihm Ausschau gehalten hatte, entgegen.
Sie
half ihm aus dem nassen Mantel, reichte ihm die Puschen und lotste
ihn in die warme heimelige Küche.
„Ich
habe einen Gugelhupf gebacken mit extra viel Rosinen, so wie du ihn
magst.“
Lächelnd
betrachtete Franz sein Trudchen, das
in der Küche herum wuselte
und dachte liebevoll:
'
Ohne sie wäre alles noch viel schlimmer '.
Als
sie dann gemeinsam am Tisch saßen, berichtete er seiner Frau, dass
er Max und Moritz im Park ausgesetzt hätte.
„Du
hättest die beiden doch mitbringen können,“ sagte Trudchen leise.
„Aber
du ekelst dich doch vor Mäusen.“
„Sie
hätten ja nicht unbedingt hier im Haus wohnen müssen, aber im
Schuppen wäre bestimmt ein Plätzchen für sie gewesen. Ich weiß
doch wie sehr du an ihnen hängst.“
Franz
drückte stumm die Hand seiner Frau.
Er
wusste welches Opfer sie ihm damit gebracht hätte und dachte
traurig:
'
Ach hätte ich das nur früher gewusst. Ob die Zwei wohl im Park
zurecht kommen?'
Max
und Moritz saßen zitternd unter der Bank. Sie hatten Angst. Alles um
sie herum war so fremd und die Nässe war ihnen unangenehm.
Endlich
hörte es zu regnen auf und sie wagten einige Schritte hinaus in das
Unbekannte.
Dicht
beieinander liefen sie durch das nasse Gras.
„Wen
haben wir den da? Ihr seid ja zwei nette fette Kerlchen, gerade was
ich brauche.“
Seine
Augen verengten sich und er setzte zum Sprung an.
Doch
er verschätzte sich.
Jetzt
erwachten Max und Moritz aus ihrer Erstarrung und rannten los, bis
sie gegen einen großen Erdklumpen prallten.
„Wer
klopft denn da und stört mich in meiner Mittagsruhe!“
Der
Hügel bewegte sich und oben guckte eine schwarze Maus mit einer
spitzen Nase heraus.
Sie
blinzelte, wie Kurzsichtige das tun, und sah dann die beiden Mäuse
streng an.
„Warum
habt ihr geklopft?“
„Ent...
Entschuldigung, wir sind nur aus Versehen an ihr Haus gerannt, weil
ein riesengroßes Monster uns verfolgte.“
„Was
geht mich das an, das nächste Mal passt besser auf.“
Der
unfreundliche Gesell verschwand.
Ein leises Kichern erklang und Max und Moritz erblickten einen Wichtel der zwischen den Wurzeln eines Baumes stand.
„ Herr
Maulwurf mag es gar nicht wenn man ihn stört.
Hallo
ihr zwei, ihr seid wohl neu hier. Habe gesehen, dass ein alter Mann
euch gebracht hat. Außerdem scheint ihr ja richtige Grünschnäbel
zu sein. Das Monster das euch verfolgt hat war ein Kater.“
Er
sah sich vorsichtig um.
„Sicher
schleicht er noch hier herum. Am besten ist, ihr kommt erst mal zu
mir herein, bisschen ungemütlich bei dem Wetter und auch
gefährlich.“
Die
Mäuse folgten dem Wichtel, der sich als Pietro, aus der Familie der
Wurzelwichtel vorstellte, durch das Gewirr von Wurzeln.
Wie
staunten sie, als er sie in ein gemütliches mollig warmes Stübchen
führte.
Pietro
holte aus einem Schrank zwei Handtücher und warf sie ihnen zu.
„Trocknet
euch lieber ab, damit ihr euch nicht erkältet. Und dann berichtet,
ich höre gerne Geschichten.“
Max
und Moritz erzählten ihm nun von ihrem Ziehvater und wie sie hier
her gekommen sind.
Pietro
bot ihnen an, bei ihm zu wohnen, das Nebenstübchen wäre noch frei.
Außerdem
könne er zwei so Grünschnäbel nicht allein lassen, denn sonst
würden sie die Nacht hier im Park nicht überleben.
Nun
waren sie schon einige Wochen hier und hatten viele nette Freunde
gefunden, aber auch ihre Feinde hatte der Wichtel ihnen gezeigt.
Doch
obwohl es hier schön war und es ihnen gut ging, sehnten sie sich
doch nach ihrem Ziehvater.
Herrn
Franz ging es nicht anders.
Immer
wieder dachte er an Max und Moritz und ob sie überhaupt noch lebten.
Manchmal plagte ihn das schlechte Gewissen, dass er sie so einfach
ins Unbekannte ausgesetzt hatte.
Und
eines Tages machte er sich auf den Weg in den Park.
Er
setzte sich auf die Bank und ließ seinen Blick herum schweifen. Viel
Hoffnung hatte er natürlich nicht.
Aber
wenn er hier auch nur saß so fühlte er sich seinen Lieblingen doch
ganz nahe.
Es
war Frühling als Max und Moritz in den Park gekommen sind und
inzwischen war es Herbst geworden.
Die
Blätter hatten sich bunt verfärbt und dann mit Hilfe des Windes die
Bäume verlassen.
Auch
unter dem Baum, in dem die Mäuse zusammen mit Pietro wohnte lagen
eine Menge Blätter.
Max
und Moritz liebten es in dem raschelnden Haufen zu spielen.
Auch
heute versteckten sie sich darin.
Pietro,
der auf dem Rückweg von seinem Freund, dem Igel war, sah Herrn Franz
auf der Bank sitzen und begann zu laufen.
„Jungs
kommt schnell!“ rief er schon von Weitem und die beiden Mäuse
rannten ihm erschrocken entgegen.
„Was
ist los?“
„Vorne
auf der Bank, sitzt euer Ziehvater!“
Nun
waren die Beiden nicht mehr zu halten.
Sie
sausten durch das Gras, sprangen Herrn Franz auf den Schoß, machten
Männchen, drehte sich im Kreis, liefen an seinen Armen rauf und
runter, setzten sich auf seine Schulter und wussten vor Freud nicht
ein noch aus.
Dem
alten Mann liefen die Tränen über das Gesicht.
Pietro
aber, der alles beobachtete hatte, drehte sich langsam um und ging
traurig nach Hause.
Er
wusste, dass er seine beiden Freunde nicht mehr wiedersehen würde.
Herr
Franz aber nahm Max und Moritz mit und richtete ihnen im Schuppen ein
lauschiges Plätzchen her.
In
die Wand des Schuppens sägte er ein kleines kreisrundes Loch, sodass
sie in den Garten konnten.
Und
jeden Tag wenn er ihnen etwas zum Fressen brachte, dann setzte er
sich zu ihnen und erzählte und philosophierte.
Und
wenn er in ihre kleinen klugen schwarzen Äuglein sah, wusste er,
dass sie jedes Wort verstanden.
©
Lore Platz 10.10.2022
Ach wie schöööön Lore!
AntwortenLöschenImmer noch wunderschön Deine Geschichte Lore. So etwas brauchen Menschen in der heutigen Zeit!
AntwortenLöschenLore eigentlich kann ich mich nur wiederholen! Zu schöne Geschichte !!!!
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