Dienstag, 18. Juni 2019

Nur ein Päckchen Kaffee Teil 2


 
(c) Irmgard Brüggemann



Sie verschwindet im Schlafzimmer und kommt bald darauf altmodisch, aber adrett und sauber gekleidet wieder zum Vorschein.
Sie schließt das Fenster, wo die Spatzen inzwischen verschwunden sind, zieht vor dem Spiegel im Flur ihr altmodisches kleines Hütchen auf, legt Geldbeutel und Einkaufszettel in die Tasche und verlässt die Wohnung.
Vorsichtig hält sie sich am Geländer fest, als sie die abgetretenen Holzstufen hinunter geht.
Einen Moment blinzelt sie geblendet, als sie von dem halbdunklem Flur in das helle Sonnenlicht tritt.
Dann geht sie mit forschen Schritten zum Kaufhaus, holt sich einen Wagen und beginnt ihren kleinen Einkauf.
Sorgfältig prüft sie, ob sich die Preise auch nicht geändert haben, damit sie an der Kasse nicht in Verlegenheit geriet.




Durch die langen Gänge schiebt sie ihren Wagen in Richtung Kasse.
Da erfasst ihre Nase den feinen Duft von Kaffee.
Rechts und links sind die Regale gefüllt mit Kaffeepäckchen, in bunten Farben und in allen möglichen Sorten.
Nur mal so aus Neugier schiebt Lieschen ihren Wagen näher heran. Sie wollte doch einmal die Preise studieren.
Da erblickt sie die Sorte, die ihre Mutter immer gekauft hatte und langsam, als wäre es eine große Kostbarkeit nimmt sie das Päckchen Kaffee in die Hand.
Sie schielt auf den Preis und seufzt.
Unbezahlbar für sie!
Die schöne Zeit mit ihrer Mutter, die bescheiden doch ohne Not waren und die wunderbaren Geburtstage, die diese ihr immer bereitet hatte, all dies ging ihr durch den Kopf.
Und auf einmal, sie weiß es eigentlich selbst nicht, wie es geschah, war das Kaffeepäckchen in ihrer Tasche verschwunden.
Auf dem Weg zur Kasse lief es ihr plötzlich heiß über den Rücken.
Was hatte sie getan?
Das war ja Diebstahl!
Was war nur über sie gekommen?
Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas Unrechtes getan und nun war sie plötzlich zur Diebin geworden.
Sie öffnet ihre Tasche und holt das grüne Päckchen Kaffee heraus.
In dem Moment legt sich eine schwere Hand auf ihre Schulter.
Lieschen blickt in das Gesicht eines bulligen Mannes.
Kommen sie mit ins Büro, ich habe sie beobachtet, sie wollten diesen Kaffee stehlen!“
Ich, ich, ich ...“, stammelt Lieschen und ihre Augen füllen sich mit Tränen.



Eine junge Frau, die im gegenüberliegenden Regal die Waren studiert, dreht sich zu den Beiden um.
Was ist hier los?“ fragt sie die Stirn runzelnd.
Mischen sie sich nicht ein! Ich bin der Kaufhausdetektiv!“
Ach, und was hat die alte Dame verbrochen?“
Ich habe sie beobachtet, wie sie ein Paket Kaffee in ihrer Tasche verschwinden ließ.“
Die junge Frau überfliegt den kärglichen Einkauf in dem Wagen und den Kaffee in der Hand des vor Angst zitternden Lieschens und meint spöttisch.
Ich sehe nur eine leere Tasche und ein Päckchen in der Hand der Dame. Sieht mir nicht nach einem Diebstahl aus!“
Der Detektiv wird unsicher, trotzdem beharrt er weiterhin:
Ich habe genau gesehen, wie sie den Kaffee in die Tasche steckte!“
Na und? Haben sie noch nie in Gedanken etwas in ihre Tasche gesteckt? Ich suche ständig meine Autoschlüssel, weil ich sie irgendwo hin gesteckt habe.“
Na gut,“ murmelt der Mann, nimmt Lieschen das Paket aus der Hand und legt es in ihren Einkaufswagen.
Dann gehen sie mal zur Kasse!“ brummt er und verschwindet zwischen den Regalen.
Die junge Frau tritt neben das alte Fräulein.
Jutta Zimmermann,“ stellt sie sich vor.
Noch ganz benommen ergreift Lieschen die dargebotene Hand und murmelt leise:
Lieschen Krämer.“
Wunderbar, freut mich, sind sie fertig mit ihren Einkäufen?“ hört sie die frische Stimme von Jutta und nickt.
Ich auch, dann können wir ja gemeinsam zur Kasse gehen.“
Wie im Traum geht Lieschen in Richtung Kasse.
Jutta bleibt direkt hinter ihr, als wollte sie sie beschützen, denn aus den Augenwinkeln hat sie den Kaufhausdetektiv bemerkt, der mit verschränkten Armen in der Nähe der Kasse lungert und die alte Frau nicht aus den Augen lässt
Lieschen aber läuft es heiß und kalt über den Rücken. Was sollte sie nur tun. Sie hatte doch gar nicht soviel Geld dabei, um den Kaffee zu bezahlen.

 
(c) Irmgard Brüggemann
Sie wirft einen verzweifelten Blick nach hinten in Juttas vergnügt blitzende Augen.
Den Wagen hinter sich herziehend, tritt diese neben sie und murmelt: „ Was ist los?“
Ich habe nicht genügend Geld dabei,“ flüstert Lieschen.
Keine Bange, ich mache das schon!“
Doch das alte Fräulein hört es nicht mehr, denn nun ist sie dran.
Langsam und bedächtig legt sie ihre Waren auf das Laufband.
Jutta beginnt sofort auch ihre Einkäufe auszupacken und mit einer unauffälligen Bewegung schiebt sie das dubiose Kaffeepäckchen zu ihren Waren.
Lieschen merkt es nicht, so benommen ist sie und die Kassiererin muss sie zweimal auffordern.
2€ 76“ „ Wie bitte?“ „2€ 76!“ wiederholt diese nun leicht ungeduldig.
Lieschen sieht zu Jutta, die ihr vergnügt zu zwinkert und entdeckt den Kaffee unter deren Einkäufen.
Erleichtert atmet sie auf, zählt umständlich das Geld auf die Theke, verstaut ihre Einkäufe in ihrer alten Tasche und schiebt den leeren Wagen hinaus.
Als sie den Einkaufswagen abgestellt hat, verlassen sie ihr Kräfte und sie lässt sich auf die Bank in der Nähe fallen. Ihr zittern die Knie!


Schluchzend legt sie den Kopf in beide Hände. Wie peinlich war das doch gewesen und sie schämt sich so sehr, denn beinahe wäre sie zur Diebin geworden.
Welcher Teufel hatte sie da nur geritten?

Morgen geht es weiter