Im Dezember werde ich 73 und habe bemerkt, dass je älter man wird, umso einsamer man auch wird.
Viele Weggefährten verliert man durch den Tod.
Aber auch andere ziehen sich zurück, besonders wenn man wie ich behindert und krank ist.
Eine Bekannte sagte vor Jahren mal leise vor sich hin, als ich nach einer fast tödliche verlaufenden Krankeit im Bett lag: " Man muss sich hier seinen Kaffee selber kochen."
Nun sie spielt schon lange keine Rolle mehr in meinem Leben, wie manch andere.
Zum Glück habe ich noch einige handverlesene Freunde um mich. und das ist ein großes Glück.
Viel Spaß beim Lesen!
Die
Perlen des Herzogs
Der
Zirkus Bellandini gastierte in H.
In
einem der bunt bemalten Wohnwägen saß eine alte Dame vor dem
Schminktisch und sah traurig in den Spiegel.
Das
Leben hatte viele Falten in das einst schöne Gesicht gegraben.
Carmelita
di Pavlio, unter diesem Künstlernamen sang sie auf den größten
Bühnen der Welt.
Von den Kritikern hochgejubelt, vom Publikum
geliebt und von den Männern begehrt.
Doch
ihr Herz gehörte nur einem, Archibald! Mit seinem jungenhaften
Charme hatte sich der englische Adelige in ihr Herz gestohlen und es
im Sturm erobert.
Es
machte ihm nicht aus, dass sie fünf Jahre älter war. Auf all ihren
Reisen begleitet er sie, war immer für sie da und der ruhende Pol in
ihrem hektischen Leben.
Einen
Moment schloss die alte Dame träumend die Augen und ließ
noch einmal die unbeschwerte glückliche Zeit Revue passieren.
Doch
Fortuna ist neidisch und kein Glück dauert ewig.
Der
Vater von Archibald starb und er musste zurück nach England und die
Frau heiraten, die ihm seine Familie ausgesucht hatte. Es war
undenkbar, dass er als Herzog eine Künstlerin heiratete.
Es
war hier in H., als sie für immer Abschied genommen hatten. Archie
hatte ihr ein rotes Etui mit einer wunderschönen Perlenkette
überreicht, damit sie ihn niemals vergaß.
Als
ob das nötig gewesen wäre.
Vor
einigen Jahren war er gestorben.
Die
alte Dame öffnete eine Schublade an ihrem Tischen und zog ein rotes
Etui heraus.
Zärtlich
fuhr sie mit den Fingern die Perlen entlang.
Perlen
bedeuten Tränen. Für jede einzelne dieser Perlen hatte sie hundert
Tränen vergossen.
Sie
stürzte sich in die Arbeit und die Kritiker überschlugen sich vor
Begeisterung, denn ihr Gesang war noch besser, noch gefühlvoller
geworden
und niemand ahnte den großen Schmerz, der hinter all diesen Tönen
lag.
Doch
eines Tages brach ihre Stimme und sie musste die Bühne verlassen.
Zuerst
musste sie ihre wunderschöne Villa verkaufen, dann ihren Schmuck.
Doch
von der Perlenkette konnte sie sich nicht trennen.
Schließlich
landete sie in einer kleinen schäbigen Pension und fürchtete sich
jeden Tag davor, dass ihre Ersparnisse zur Neige gingen.
Und
dann war sie dem Zirkusdirektor Martinsen begegnet. Er hatte sie
sofort erkannt und ihr eine Stelle an der Kasse angeboten.
Viele
Jahre reiste sie nun schon mit dem Zirkus durchs Land und sie waren
wie eine kleine Familie.
Doch
Direktor Martinsen starb vor einigen Monaten und sein arroganter
Sohn übernahm die Leitung und heute hatte er sie in den Bürowagen
bestellt und erklärt, dass ab sofort seine Freundin an der Kasse
sitzen würde.
Außerdem
wäre er nicht so dumm wie sein Vater und würde nutzlose alte Leute
mit durchfüttern.
Sie
solle sich eine andere Bleibe suchen, denn wenn der Zirkus
weiterzöge, würde sie nicht mitkommen.
Die
alte Dame seufzte, dann steckte die das Etui in ihre Handtasche und
stand auf.
Gerade
als sie ihren Mantel anzog, öffnete sich die Tür und die alte Lissy
,die beiden Clowns Pippo und Peppo und der alte Sam, der seit einem
Unfall auf dem Trapez hinkte, drängten sich herein.
Als
die alte Dame Lissys verweintes Gesicht sah, fragte sie nur:
„Ihr
auch?“
Schweigend
nickten die Vier.
Dann
polterte Pippo wütend: „Unsere Späße seien veraltet, niemand
könne darüber noch lachen. Und er will den Zirkus verjüngen und
wir Alten sollen verschwinden.
Lissy
schluchzte laut auf. „Ich habe doch niemanden, wohin soll ich?“
Die
alte Dame nahm sie liebevoll in die Arme. „Wir sind deine Familie.“
Fragend
sah sie
die drei Männer
an und diese nickten und bestätigten.
„Wir
bleiben zusammen!“
„Siehst
du, du kleiner Angsthase, nun hast du eine Schwester und drei Brüder.
Wir werden uns eine Wohnung suchen und unsere kleinen Renten zusammen
schmeißen. Dann können wir wunderbar
leben.
Aber nun muss ich noch etwas erledigen. Wartet doch hier auf mich ich
bin bald zurück.“
Kurze
Zeit später stand sie vor dem Juweliergeschäft, in dem Archie
damals die Perlen für sie gekauft hatte.
Wenig
später kam sie mit einem Scheck in der Tasche aus dem Geschäft,
dessen Höhe sie noch immer erbleichen ließ.
Diesmal
leistete sie sich ein Taxi zurück in den Zirkus.
Wie
staunten und strahlten ihre Freunde, als sie ihnen den Scheck zeigte
und ihnen erklärte, dass sie für sich und ihre kleine Familie ein
Haus kaufen wollte und gleich darauf machten sie sich auf den Weg zu
einem Makler.
Es
dauerte auch nicht lange bis sie ein passendes kleines Häuschen mit
fünf Zimmern und einer großen Wohnküche und einem schönen Garten
gefunden hatten.
Sie
bekamen es sogar ziemlich günstig, da es schon lange leer stand und
die Renovierungsarbeiten wollten sie selber machen.
So
blieb noch eine schöne Summe über als Notgroschen.
Ein
Jahr war vergangen.
Es
war eine laue Sommernacht.
Auf
der Terrasse saß Lissy deren Stricknadeln lustig klapperten. Zu
ihren Füßen lag der Kater Merlin.
Pippo,
Peppo und Sam spielten Karten und die alte Dame trat eben aus der Tür
und ging die kleinen Stufen hinunter in den Garten.
Auf
der Bank unter der Ulme setzte sie sich und sah hinauf in den
Sternenhimmel.
„Nun
hast du wieder einmal für mich gesorgt Archibald. Dein großzügiges
Geschenk hat uns allen einen ruhigen Lebensabend beschert.
Einige
Jahre muss ich noch hier bleiben, denn meine Freunde brauchen mich,
doch dann komme ich zu dir und keine Macht der Welt wird uns wieder
trennen können!“
Sie
schüttelte den Kopf und blinzelte verwirrt.
Es
war ihr, als hätte einer der Sterne geblinkt, doch als sie wieder
nach oben sah, zogen die Sterne gleichmäßig ihre Bahn.
Lächelnd
stand sie auf. Das war wohl eine Sinnestäuschung.
Wer
weiß!
©
Lore Platz 4.10.2022
Was für eine schöne Geschichte. Sie hat mein Herz berührt. Ende gut - alles gut Lore!
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