In
dem altehrwürdigen Gebäude, in dem das Mädcheninternat
„St. Anna“ untergebracht war, summte es wie in einem Bienenstock.
„St. Anna“ untergebracht war, summte es wie in einem Bienenstock.
Die
Osterferien hatten begonnen und alle waren beim Packen.
In
ihrem Zimmer aber saß Natalie und starrte traurig auf den Brief in
ihren Händen.
Ihre
Eltern, die in Neuseeland lebten, konnten ihr das Reisegeld nicht
schicken und sie musste die Osterferien hier im Internat bleiben.
Eine
dicke Träne tropfte auf das Papier und verwischte die Tinte.
Ihre
Zimmergenossin Gerlinde von Arlington kam in das Zimmer.
„Du
hast ja noch gar nicht gepackt!“ rief sie fröhlich, dann sah sie
ihr Freundin genauer an.
„Du
weinst ja, was ist los?“
Stumm
reichte Natalie ihr den Brief.
Gerlinde
setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern.
„Das
ist wirklich traurig, aber es ist doch gar nicht mehr lange bis zu
den großen Ferien,“ tröstete sie, „ und
du hast wenigstens deine Eltern noch, meine sind schon lange tot,“
sagte Gerlinde leise.
„Ja,
aber du hast doch deine wunderbare Tante Franziska,“
„Fränzchen,
das ist die Idee, du kommst einfach mit zu mir auf Gut Arlington. Ich
werde meine Tante sofort anrufen!“
Wenig später kam sie wieder ins Zimmer gestürzt.
„Packe
deine Koffer Nali, wir gehen auf die Reise!“
Zwei
aufgeregte Mädchen kletterten die eisernen Stufen hinunter und
nahmen die Koffer, die ihnen der freundliche Schaffner reichte,
entgegen.
Gerlinde
sah sich suchend um, dann hüpfte sie aufgeregt winkend auf und ab.
„Ferdinand
hier sind wir!“
Ein
alter Mann mit einem mächtigen Schnurrbart kam grinsend näher.
„Guten
Tag Komtess, schön dass sie wieder da sind.“
Er
verfrachtete das Gepäck im Kofferraum und dann fuhren sie durch die
blühende Landschaft.
Natalie
sah aber nichts von der Herrlichkeit. Ganz still war sie geworden.
Wie
redete man denn eine Gräfin an, musste man einen Hofknicks machen.
Ganz
bang war ihr zumute.
Doch
als sie neben Gerlinde die große Halle des Herrenhauses betrat und
in die fröhlich lachenden Augen der Gräfin von Arlington blickte,
verlor sie alle Scheu.
Bald
saßen sie bei Tee und Waffeln mit Sahne im kleinen Salon und
unterhielten sich fröhlich.
Doch
Gerlinde bemerkte, dass Fränzchen etwas bedrückte und beschloss
dies herauszufinden.
Die
Gelegenheit bot sich, als Natalie nach oben ging, um ihre Koffer
auszupacken.
„Was
ist los Fränzchen?“
Die
junge Frau lächelte kläglich.
„Ist
es so offensichtlich?“
„Ich
kenne dich eben ganz genau!“
„Ach
Kind, wenn kein Wunder geschieht, dann kommt Arlington unter den
Hammer.“
„So
schlimm steht es?“
Ihre
Tante nickte.
Dann
fiel ihr Blick auf das große Bild an der Wand, das eine hübsche
junge Frau zeigte.
„Weißt
du, dass du meiner Urgroßmutter Edelgarde immer ähnlicher siehst.“
Gerlinde
betrachtet die Frau die genau so rote Haare hatte wie sie.
Ein
wunderschönes Collier lag um ihren Hals.
„Was
ist eigentlich aus dem Familienschmuck geworden?“
„Ach
Linde, den wenn wir noch hätten, der muss mindestens eine Million
wert sein. Aber als Edelgarde mit ihrem Geliebten nach Amerika
durchging, da hat sie ihn wohl mitgenommen, denn seit dieser Zeit hat
niemand ihn mehr gesehen.“
Gräfin
Franziska stand auf.
„Komm
wir wollen deiner Freundin kein trauriges Gesicht zeigen. Ihr sollt
eure Ferien hier genießen.“
Gerlinde konnte nicht schlafen, immer wieder dachte sie über die verzweifelte Lage nach. Was wurde aus ihr und Fränzchen wenn sie ihre Heimat verloren?
Nali
neben ihr schlief tief und fest.
Plötzlich
hörte das Mädchen Stimmen, sie schienen von der Treppe
zu kommen.
Schnell
schlüpfte sie in ihre Pantoffeln und verließ das Zimmer.
Auf
der großen geschwungenen breiten Treppe war niemand zu sehen.
Die
alte Standuhr in der Halle schlug zwölfmal.
Ein
Kichern ertönte aus dem Salon und Gerlinde lief hinunter und öffnete
vorsichtig die Tür.
Mitten
im Raum stand Edelgarde von Arlington, sie lächelte und winkte das
Mädchen mit dem Fächer herein.
„Und
sie sieht dir ähnlich meine Liebste!“
Er
trug Kniehose,weiße Strümpfe und Schnallenschuhe und eine hüftlange
Jacke aus golddurchwirkten Satin, an dessen Ärmel die weißen
Rüschen des Hemdes hervor sahen.
Linde
starrte die beiden an.
„Du
bist meine Ur-Ur- Großmutter Edelgarde
„Mein
Kind, sag doch nicht dieses schreckliche Wort, da fühle ich mich so
alt, nenne mich Edelgarde.“
Gerlinde
kicherte.
„Aber
du bist alt, du bist 218 Jahre.“
„Was
man ihr keineswegs ansieht,“ warf der Edelmann ein.
„Kunststück,
ihr seid ja auch Gespenster, da endet der Alterungsprozess nach dem
Tod,“ spottete das Mädchen.
„Ach
auch wenn meine Liebste nicht so jäh aus dem Leben gerissen worden
wäre, wäre sie im Alter noch wunderschön gewesen.“
„Ach
Armand,“ seufzte Edelgarde und warf ihm einen zärtlichen Blick zu.
Gerlinde
verdrehte die Augen.
„Aber
sagt mal, wieso spukt ihr hier im Schloss herum und seid nicht in
Amerika geblieben.“
„Wir
waren nie in Amerika, das war nur eine bösartige Lüge deines
Ur-Ur-Großvaters, übrigens zu ihm passt dieses Wort, denn er kam
schon als alter Mann auf die Welt.“
„Und
was ist damals wirklich passiert!“
„Nun
nachdem uns Robert in der Bibliothek in inniger Umarmung erwischt
hatte, trieb er uns mit vorgezogener Waffe in den Keller und sperrte
uns dort in das tiefste Verlies, das nur wenigen bekannt war.
Hohnlachend
rief er uns durch die Tür zu, dass er den Schlüssel wegwerfen
würde.
Außerdem würde er allen erzählen, dass wir durchgebrannt wären und den Familienschmuck mitgenommen haben.“
Außerdem würde er allen erzählen, dass wir durchgebrannt wären und den Familienschmuck mitgenommen haben.“
Edelgarde
schauderte.
„Es
war kein schöner Tod zu verhungern und ich hatte auch mächtige
Angst.“
„Aber
meine Liebste du bist in meinen Armen gestorben,“ sagte Armand
zärtlich.
Edelgarde
strahlte ihn an.
„Und
du hast mir immer Mut gemacht und mich sogar mit deinen Geschichten
zum Lachen gebracht und am Ende war es gar nicht mehr so schlimm zu
sterben. Wir sind einfach eingeschlafen.
Und seitdem spuken wir durch das Schloss, was uns eine Menge Spaß macht. Liebster kannst du dich noch erinnern, vor hundert Jahren, die Köchin die wir so erschreckten, dass sie das ganz Salzfässchen in die Suppe fallen ließ.“
Und seitdem spuken wir durch das Schloss, was uns eine Menge Spaß macht. Liebster kannst du dich noch erinnern, vor hundert Jahren, die Köchin die wir so erschreckten, dass sie das ganz Salzfässchen in die Suppe fallen ließ.“
Edelgarde
lachte vergnügt und Armand nahm ihre Hand und küsste zärtlich
jeden einzelnen Finger.
„Liebste
dein bezauberndes Lachen war das Erste, das mir an dir auffiel und
dann war ich rettungslos verloren.“
Gerlinde
rollte mit den Augen.
„Könnt
ihr mal mit eurem „Liebesgeschnulze“ aufhören,“ rief sie
ungeduldig. „Es gibt wichtigere Dinge zu besprechen!“
„Aber
was gibt es denn wichtigeres als die Liebe,“ rief der Graf empört.
Edelgarde
schlug ihm spielerisch mit ihrem Fächer auf die Hand.
„Für
die Liebe ist die Kleine noch zu jung, deshalb kann sie uns nicht
verstehen. Nun was hast du auf dem Herzen meine Kleine?“ wandte sie
sich an ihre Enkelin.
„Wenn
ihr den Familienschmuck nicht gestohlen habt, wo ist er dann?“
„Aber
Kind was willst du denn mit dem Schmuck, du bist doch viel zu jung,
um ihn zu tragen und außerdem ist er scheußlich. Ich hasste es
immer, wenn Robert mich zwang ihn anzulegen ,damit er mit meiner
Schönheit und seinem Reichtum prunken konnte.“
„Ja,
aber er ist ein Vermögen wert und mit dem Geld
könnte
man Arlington retten.“
„Ist
es denn in Gefahr?“
„Ja,
wenn kein Wunder geschieht, dann kommt es unter den Hammer!“
„Wer
will es denn kaputt machen, gibt es wieder Krieg?“
„Nein,
aber nach dem letzten Krieg und der Inflation hat es sich nie wieder
richtig erholt und außerdem war der letzte Arlington ein
schrecklicher Verschwender und nun ist es so verschuldet, dass es
versteigert werden soll.Aber wenn wir den Schmuck finden könnten,
dann wären wir gerettet.“
Edelgarde
krauste ihre Stirn.
„Mein
teurer Gatte hat den Schmuck bestimmt so versteckt, dass er nie
wieder auftauchte. Schließlich wären seine Lügen dann aufgedeckt
worden, zumindest aber hätte man peinliche Fragen gestellt.“
Die
Gräfin versank in langes Nachdenken und Gerlinde beobachtete sie
ungeduldig.
„Ich
kann mir denken wo der Schmuck sein könnte, Roberts Schreibtisch in
seinem Arbeitszimmer hatte ein Geheimfach, sicher hat er ihn darin
versteckt.“
„Aber
wo ist der Schreibtisch!“ rief Gerlinde verzweifelt.
Die
Uhr schlug einmal und die beiden Gespenster wurden immer
durchscheinender.
„Die
Stunde, in der wir sichtbar werden ist um,“ hörte sie die Stimme
von Edelgarde wie aus weiter Ferne und die Geister waren
verschwunden.
„Edelgarde,
warte, wo kann der Schreibtisch denn stehen!“
rief
Gerlinde verzweifelt.
„Wir
werden das Schloss durchstreifen und danach suchen, ich werde mich
dann bei dir melden.“
Zurück
blieb ein Duft von Rosen.
Mutlos
schlurfte das Mädchen zurück in ihr Zimmer.
Es
war dämmrig draußen, als Gerlinde erwachte.
Sie
verschränkte die Arme unter dem Kopf und grübelte über ihr
gestriges Erlebnis und die wundervolle Erkenntnis, dass der Schmuck
sich noch im Schloss befinden könnte.
Wenn das wahr wäre, da könnten Fränzchen und sie ihr Zuhause behalten.
Wenn das wahr wäre, da könnten Fränzchen und sie ihr Zuhause behalten.
Nali
neben ihr regte sich, streckte sich wie ein Kätzchen und gähnte.
„Guten
Morgen, Linde, was habe ich gut geschlafen.“
„Das
macht die gute Landluft,“ grinste ihre Freundin.
„ Du
Nali, wenn ich dir jetzt erzähle was mir gestern Nacht passiert ist
wirst du mich sicher für verrückt halten.“
„Unsinn!
Schieß los“
Nali
setzte sich auf und schlang die Arme um die Knie.
Auch
Linde macht es sich bequem und erzählt ihrer Freundin alles.
(c) Irmgard Brüggemann |
Nali lachte vergnügt: „ Weißt du, dass ich gestern vor dem Einschlafen dachte, ob es hier wohl spukt, die Örtlichkeiten währen dazu gegeben.“
Beide
kicherten.
Dann
wurde Linde wieder ernst.
„Verstehst
du jetzt, dass ich alles daran setzen muss, um den Schmuck zu
finden?“
Ihre
Freundin nickte.
„Willst
du es deiner Tante sagen?“
„Nein
ich möchte nicht, dass sie sich Hoffnung macht, die dann doch
zerbricht. Schließlich sind mehr als 200 Jahre vergangen,
vielleicht hat ihn jemand inzwischen gefunden.“
„Dann
lass uns mit der Suche beginnen!“ rief Nali unternehmungslustig und
sprang aus dem Bett.
„Aber
erst hab ich mal Hunger!“ lachte Linde.
Bald
saßen sie mit Fränzchen im Salon und ließen es sich schmecken.
Gerlinde
spürte plötzlich einen leichten Rosenduft und eine Stimme flüsterte
ihr ins Ohr.
„ Auf
dem Bild lehnt Robert an dem Schreibtisch.“
Das
Mädchen warf einen Blick auf das große Gemälde von dem ihr Urahn
mit finsterem Blick auf sie herab sah.
„Fränzchen,
wo wurde denn Robert von Arlington gemalt?“
Ihre
Tante warf einen Blick auf den grimmigen Ahnherrn.
„Ich
denke, das war in seinem Arbeitszimmer.“
Nali
die ihrer Freundin einen kurzen Blick zuwarf, meinte:
„Das
ist aber schönes Möbel gibt es das noch?“
Fränzchen
nickte:
„ Ich
denke es steht noch im Nordturm, aber dort war schon lange niemand
mehr.
Robert
von Arlington wurde nach dem Verschwinden seiner Frau zum
menschenscheuen Einsiedler und lebte weitab vom Herrenhaus im Turm.“
„Es
gibt einen richtigen alten Turm hier,“ quietschte
Nali,
„dürfen wir den mal ansehen.“
„Ja
sicher, fragt Franz nach dem Schlüssel, aber zieht euch alte Kleider
an, denn es wird ziemlich schmutzig dort sein.“
„Das
macht nichts, was für ein Abenteuer!“
(c) meine Tochter |
Wenig später stiegen zwei abenteuerlustige Mädchen die steile Treppe zum Turmzimmer hoch.
Sie
gingen ziemlich in der Mitte, denn rechts und links waren die Wände
mit Spinnweben bedeckt und manche dicke schwarze Spinne glotzte auf
sie herunter.
Knarrend
öffnete sich die Tür und sie traten ein.
Die
Möbel waren mit Tüchern bedeckt und als sie diese abzogen wirbelten
Staubwolken durch den Raum und brachten sie zum Husten.
Und
dann standen sie vor dem Schreibtisch, klopften die Seitenwände ab
und suchten nach doppelten Schubladen.
Enttäuscht
wandten sie sich ab, kein Geheimfach.
Rosenduft
erfüllte plötzlich das Zimmer und Edelgarde flüsterte Gerlinde ins
Ohr.
„Unter
dem Tisch ist ein schwarzer Knopf!“
Nali
war erstaunt, als ihre Freundin auf einmal unter den
Schreibtisch
kroch.
Auch
hier lag alles voller Staub und eine Spinne lief eilig davon.
Da
sah das Mädchen den Knopf und als sie ihn drückte, jubelt Nali
laut.
Schnell
krabbelte Linde hervor und hätte sich beinahe noch den Kopf
gestoßen.
Unter der Schreibtischplatte war ein Schubfach hervorgeschossen und hatte sein langjähriges Geheimnis preisgegeben.
Staunend
standen sie vor dem glitzerndem Geschmeide, dann fielen sie sich in
die Arme und tanzten durch das Zimmer, nicht darauf achtend dass sie
in eine große Staubwolke gehüllt wurden.
Ein
leises Kichern zeigte Gerlinde, dass ihre Ahnfrau immer noch hier war
und sie beschloss, heute um Mitternacht in den Salon zu gehen, um
sich persönlich bei ihr zu bedanken.
Wenig
später stürmten sie in die Küche wo Fränzchen gerade mit der
Köchin sprach und entsetzt die beiden Dreckspatzen, die herein
stürzten, betrachtete.
Linde
aber nötigte ihre Tante zum Sitzen und breitete
dann
die Herrlichkeit vor ihr aus.
Was
das eine Überraschung, Freude und Jubel und manche Träne floss.
Natürlich
musste Gut Arlington nicht unter den Hammer, auch blieb noch genug
Geld über um es zu sanieren und modernisieren.
Und
Nali bekam natürlich einen dicken Finderlohn, konnte doch in den
Ferien zu ihren Eltern fliegen und brachte noch ein gut gefülltes
Sparbuch mit.
©
Lore Platz 1.10.2022
Wieder so eine wunderbare Geschichte an einem trüben Samstag. Lore Du hast mir den Tag verschönert!
AntwortenLöschen