Dienstag, 26. Februar 2019

Erinnerungsgeschichte Die Wunderpflanze





Erinnerungsgeschichte


Die Wunderpflanze


Mein damals 15jähriger Neffe Rainer war ein rechtes Schlitzohr und Lausbub.

Eines Tages bekam er von seinem Freund eine kleine Pflanze geschenkt, die dieser angeblich aus Vogelfutter gezüchtet hatte.
Die beiden Schlingel wussten garantiert, um was für eine Pflanze es sich handelte.
Rainer aber stellte das kleine Blumentöpfchen auf die Fensterbank in seinem Zimmer und vergaß es.
Als wenige Tage später seine Tante Anneliese in sein Zimmer kam und das halb verdorrte Gewächs erblickt, quoll ihr Herz über vor Mitleid.
Sie war Gärtnerin aus Leidenschaft mit zwei grünen Daumen und liebevoll pflanzte sie das vernachlässigte Gewächs in eine Ecke des Gartens und begann es nun zu hegen und zu pflegen.
Und die Pflanze dankte es ihr und wurde groß und immer größer.
Vielleicht kennt ihr ja das Märchen von Jack und der Bohnenstange?
Diese unbekannte Pflanze wuchs zwar nicht in den Himmel, aber sie wurde doch recht stattlich.
Eines Morgens aber stand im Garten nur noch ein Skelett!
Die arme Pflanze reckte ihre Äste gen Himmel, all ihrer Blätter beraubt.
Wenig später klingelte die Polizei an der Tür.
Was war geschehen?
Ein polizeilich bekannter Jugendlicher war auf einen seiner Streifzüge an dem Garten vorbeigekommen und hatte die Pflanze sofort als das erkannt was sie war.
In der Nacht kam er dann wieder und hielt reiche Ernte, wurde aber kurze Zeit später mit dem „Gras“ in der Tasche von der Polizei aufgegriffen.
Und nun begannen die Mühlen des Gesetzes zu mahlen.
Fazit: Mein minderjähriger Neffe wurde vor den Kadi zitiert, begleitet von seinem Vater und der Tante.
Und nun begann eine Verhandlung, die sehr an das königlich bayrische Amtsgericht erinnert, nur ins schwäbische verlegt.
Der Richter und er Staatsanwalt konnten sich kaum das Lachen verkneifen, als die Anklageschrift verlesen wurde.
Die kämpferische Tante Anneliese rief immer wieder von der Zuschauerbank dazwischen.
Der Buabe is unschuldig, des Plänzle han ich gosse!“
Und mein Schwager amüsierte sich königlich.
Der Einzige, der geknickt und ziemlich weiß um die Nase auf dem Armesündbänkchen saß, war mein sonst so übermütiger Neffe.
Die Verhandlung endete mit Freispruch und einer Ermahnung.
Vor einigen Tagen rief ich die inzwischen über achtzig Jahre alte Anneliese an, um mir die Geschichte noch einmal schildern zu lassen.
Selbst nach zwanzig Jahren klang ihr Stimme noch kämpferisch, als sie meinte:
Aneui , i muast do mit go, um dem Bieble zu helfe!

© Lore Platz