Für mich ist der Monat November ein besinnlicher Monat, an dem ich mich mit der Vergänglichkeit des Lebens beschäftige. Vielleicht gefällt euch die Geschichte.
Ich wünsche euch einen schönen Sonntag!
Einmal Himmel und zurück
Anna
stand vor der Tür der kleinen Bergpension und genoss den Ausblick.
Als
sie vor fünf Tagen hier ankam, war sie verzweifelt und total
unglücklich und ihr Leben ein einziger Scherbenhaufen.
Doch
die herrliche Landschaft, die Freundlichkeit der Menschen und ihre
täglichen einsamen Wanderungen in den herrlichen Bergen, hatten sie
viel ruhiger werden lassen.
Außerdem
war sie, als sie einen verwundeten kleinen Falken gefunden hatte und
ihn, in ihre Jacke gewickelt, ins Tal brachte, dem hiesigen Tierarzt
Jochen Berner begegnet und seine liebevolle Art mit dem Tier
umzugehen hatte eine Seite in ihr zum klingen gebracht.
Hinter
ihr trat die mollige Pensionswirtin aus der Tür.
„Fräulein
Anna, ich habe ihnen eine Brotzeit gerichtet und eine Thermoskanne
mit Kaffee, hell und süß, wie sie ihn mögen.“
Dankend
nahm die junge Frau die Kanne und die eingewickelten Brote und
verstaute sie in ihrem Rucksack.
Die
Wirtin drückte ihr nun noch einen Plan in die Hand.
„Hier
sind die Schutzhütten verzeichnet, versuchen sie immer in deren Nähe
zu bleiben, denn das Wetter schlägt schnell um in den Bergen.
Anna
schulterte ihren Rucksack und mit einem Gruß ging sie den Abhang
hinunter und dann hinauf Richtung Gogelalm.
Einige
Stunden wanderte sie nun schon in der sengenden Hitze, ließ sich
dann an einem Felsen nieder und machte Brotzeit.
Tief
aufatmend schweifte ihr Blick umher und plötzlich fiel ihr auf, dass
die Vögel verstummt waren und auch sonst lähmende Stille
herrschte.
Dunkle
drohende Wolken türmten sich am Himmel und ein heftiger Wind brachte
die Bäume und Gräser zum Zittern.
Anna
faltete den Plan auseinander, um die nächste Schutzhütte zu suchen,
doch der Sturm der jetzt aufbrauste, riss ihr das Blatt aus
der Hand, spielte mit ihm und trieb es wild aufheulend vor sich her.
Das
Mädchen raffte ihre Sachen zusammen und rannte los.
Bald
bemerkte sie, dass sie sich vollkommen verirrt hatte.
Ein
Poltern hinter ihr ließ sie umschauen und entsetzt sah sie, wie
Geröll und Steine sich vom Berg lösten und direkt auf sie zukamen.
Mehr
schlitternd als rennend lief sie den Weg nach unten, das Tosen hinter
ihr nahm kein Ende.
Dann
spürte sie einen harten Schlag auf dem Kopf und um sie war Schwärze.
Stimmen
und Licht umgab sie und sie fühlte sich wie in Watte gepackt.
Dann
hörte sie einen entsetzten Aufschrei:
„Herzstillstand,
wir verlieren sie!“
Eine
andere Stimme brüllte: „Reanimieren!“
Anna
aber fühlte sich sehr glücklich und sah sich plötzlich in einem
Tunnel, an dessen Ende ein helles strahlendes Licht leuchtete.
Sie
lief darauf zu und kam auf eine herrliche sonnenbeschienene Wiese
voll leuchtender Blumen, von Bienen um schwirrt und Schmetterlingen
um tanzt.
Kinder
spielten und ihr fröhliches Lachen spiegelte sich auf den Gesichter
der Erwachsenen die in Gruppen standen, oder im Gras bei einem
Picknick saßen, wider.
Anna
sah an sich herunter und stellte fest, dass sie anstatt der
Krankenhauskleidung nun ihre Jeans und ein T-Shirt trug.
Langsam
ging sie über die Wiese, grüßte freundlich die Menschen um sie
herum, die fröhlich zurück grüßten, dann sah sie, wie sich zwei
alte Leute aus einer Gruppe lösten und auf sie zu eilten.
„Oma,
Opa!“ jubelte sie und bald hielten die drei sich umfangen.
Ihre
Großeltern führten sie auf eine Bank und nun musste Anna erzählen
von den Eltern daheim und was ihr passiert ist.
„Ein
bisschen jung bist du, um schon hier bei uns zu sein,“ brummte der
Großvater.
Anna
sah sich glücklich um.
„Es
ist so wunderschön hier und ich fühle mich so wohl, wie schon lange
nicht mehr.“
Eine
Weile schwiegen alle drei, dann meinte ihre Oma.
„Hast
du dich schon angemeldet?“
„Muss
man sich denn anmelden?“
Der
Opa kicherte: „Auch der Himmel bleibt nicht verschont von der
Bürokratie.“
Die
beiden Alten nahmen nun ihre Enkelin in die Mitte und führten sie zu
einem großen weißen Gebäude.
An
einer Tür stand Anmeldung und sie reihten sich in die lange Schlange
ein.
Ein
hübsches rothaariges Mädchen auf Rollschuhen brachten ihnen auf
einem Tablett Getränke und etwas skeptisch besah sich Anna in ihrer
Tasse die farblose Flüssigkeit.
„Was
ist das?“
„Probiere!“
lachte die Oma.
„Hm,
das ist ja Kaffee so wie ich ihn liebe!“
„Ja,
hier im Himmel kann man essen und trinken was man sich wünscht,“
meinte ihre Oma fröhlich.
„Nur
mein geliebtes Bier nicht, denn im Himmel ist Alkohol verboten,“
brummte der Opa, zwinkerte aber seiner Enkelin fröhlich zu.
Endlich
dürfen sie in das große Büro treten.
An
einem Schreibtisch saß ein Mann mit einer riesigen Brille auf der
Nase und schaute in ein großes aufgeschlagenes Buch.
„Name?“
fragte er kurz angebunden.
„Anna
Möller!“
Der
Engel runzelte die Stirn und suchte die Listen rechts und links ab,
blätterte rückwärts und vorwärts, dann hob er den Kopf und sah
Anna an.
„Ich
kann sie nicht finden, welcher Engel hat sie herauf begleitet?“
„Ich
bin allein gekommen.“
Einen
finsteren Blick auf sie werfend wendete sich der Mann an den Jungen
hinter ihm, der an einem Computer saß.
„Gib
den Namen ein.“
Die
Finger des Jungen fuhren flink über die Tasten und Anna sah ihr Bild
auf dem Bildschirm erscheinen.
„Sterbetag
12. Oktober 2074,“ schnarrte das Bürschlein.
„Sie
sind sechzig Jahre zu früh gekommen, sie müssen sofort zurück.“
Streng
sah der Büroengel das junge Mädchen an.
Der
Opa aber hatte sich leise hinter den Jungen am Computer geschlichen.
Plötzlich
wurde das Bild auf dem Apparat schwarz und der Jüngling drehte sich
um und warf dem alten Mann einen finsteren Blick zu.
Annas
Opa grinste, er hatte genug gesehen.
Der
Aufnahmeengel aber drückte eine Taste und sprach in den kleinen
Apparat: „Welcher Engel ist gerade frei, er muss ein Mädchen
zurück begleiten.“
Doch
Annas Großvater legte seine riesige Pranke auf die feingliedrigen
Finger des Mannes und meinte:
„Wir
werden unsere Enkelin selbst zum Tunnel begleiten.“
Der
Engel sah ihn kurz an, dann sprach er in das Sprechgerät. „ Hat
sich erledigt!“
Die
alten Leute führten Anna nach draußen und setzten sich auf eine
Bank.
„Ich
möchte nicht gehen, hier ist es so schön und friedlich und zum
ersten Mal seit langem fühle ich mich wieder froh und frei. Mein
Leben ist zur Zeit ein einziges Chaos. Mein Freund ist nach vier
Jahren ausgezogen, weil er mich nicht mehr lieb hat. Ich muss mir
eine kleinere Wohnung suchen, weil ich die Miete nicht bezahlen kann
und mein Job füllt mich auch nicht aus. Lasst mich doch hier
bleiben!“
Liebevoll
strich ihr die Oma über die Locken.
„Du
hast ja gehört, du bist sechzig Jahre zu früh gekommen. Bist du
denn nicht neugierig was das Leben dir noch bietet. Nach Regen kommt
Sonnenschein! Und denk doch an deine Eltern, wie traurig sie sind,
wenn sie ihr einziges Kind so früh schon verlieren.“
Anna
senkte beschämt den Kopf.
Der
Opa aber meinte schmunzelnd:
„Ich
habe doch ein wenig in deiner Akte gelesen bis der verdammte Bas...!“
„Ferdinand!“
„Ja,
ja, ich weiß wir sind im Himmel, Fluchen und Schimpfwörter
verboten.“
Anna
sah wie ihr Opa leicht errötete und grinste.
Dieser
aber zwinkerte ihr zu und fragte ganz harmlos:
„Kennst
du jemanden, der Jochen heißt?“
Nun
errötete Anna und verlegen erzählte sie von dem jungen Tierarzt,
den sie vor kurzem an ihrem Urlaubsort kennen gelernt hatte.
Ferdinand
Möller aber lehnte sich behaglich zurück und erzählte den beiden
Frauen was er in der Akte von Anna lesen konnte.
Anna
würde den Jochen Berner heiraten, vier bezaubernde Kinder bekommen,
eine Schar Enkelkinder und genauso eine lange und glückliche Ehe
führen wir ihre Großeltern.
„Ist
das kein Grund zurück zu gehen?“ beendete der alte Mann
schmunzelnd seinen Bericht.
Anna
strahlte und sprang auf.
Sich
an den Händen haltend liefen die drei nun los.
Mit
dem Rücken zum Tunnel stand das Mädchen da und umklammerte die
Hände ihrer Großeltern.
Sie
konnte sich nicht trennen.
Ein
Ruck ging durch ihren Körper, die Hände entglitten ihr und sie
wurde in den Tunnel gezogen.
Ihre
Großeltern wurden immer kleiner, bis sie ganz verschwanden.
„Gott
sei dank, wir haben sie wieder!“ hörte das Mädchen eine Stimme
und öffnete die Augen.
Das
weiße sterile Krankenzimmer war voller Menschen. Ärzte und
Schwestern standen mit erleichterten Gesichtern um ihr Bett.
Im
Hintergrund sah sie ihre Eltern, denen die Tränen über das Gesicht
liefen und hinter ihnen war Jochen.
Sie
bemerkte die Liebe, aber auch die Angst in seinen Augen und Anna
lächelte, schloss die Augen und schlief dem Leben entgegen.
©
Lore Platz (2014)