Donnerstag, 2. März 2023

Robins Wiese


 
(c) meine Tochter




Robins Wiese

Es war einmal eine große Stadt.
Sie unterscheidet sich wenig von anderen Städten.
Ein Hochhaus grau und trist neben dem anderen und wenig grün dazwischen.
Die Menschen hasteten durch die Straßen ohne rechts und links zu schauen und ohne einander einen freundlichen Gruß zu schenken.
Es gab einen kleinen Park, in den aber nur die Hundebesitzer gingen.
Kinder sah man selten, die hockten lieber zu Hause vor dem Computer.
Bäume gab es auch in den Straßen, auf denen die Vögel wohnten.
Doch nicht einer, der Menschen, die vorüber hasteten, blieb stehen, um dem fröhlichen Gezwitscher zu lauschen.




Am Rande dieser Stadt lag eine große wunderschöne Wiese, voll mit Mohnblumen, Kornblumen, Margeriten, Augentrost,Frauenschuh, Butterblumen und Vergissmeinnicht und dazwischen die kleinen bescheidenen Gänseblümchen.
Auch einige Sträucher mit saftigen Beeren wuchsen auf dieser schönen, grünen Insel.
Ein hoher, kräftiger Zaun umgab das Grundstück.
Daneben stand ein kleines gemütliches Häuschen, das gehörte dem alten Robin.
Oft saß er auf der Bank vor seinem Häuschen, die geliebte Pfeife im Mund und sah über die Wiese und lächelte, als wäre da etwas, was nur er sehen konnte.
Als er vor langer Zeit seine Wiese eingezäunt hatte, wurde er neugierig gefragt, warum er das machte, da antwortet er:
Damit niemand mit seinen groben Schuhen die Elfen verletzt.“
Das Gelächter war groß und seitdem hieß er nur der Elfenkönig oder der alte Spinner.
Den alten Robin störte das nicht, denn mit den heutigen Menschen konnte er nicht mehr viel anfangen.
(c) eigenes Foto



Als er vor vielen Jahren mit seiner Luise hierher kam, war alles noch grün und unberührt.
Er baute ihnen das kleine Häuschen, in dem er viele Jahre mit ihr sehr glücklich war.
Nach und nach kamen immer mehr Menschen und es entstand eine hübsche Siedlung mit kleinen Häusern und Gärten.
Die Nachbarn waren freundlich, man hatte Zeit für ein kleines Schwätzchen und oft flog ein freundlicher Gruß über den Gartenzaun.
Doch dann verschwand ein Häuschen nach dem anderen und an ihrer Stelle entstanden große, graue Betonblöcke und niemand hatte mehr Zeit für ein kleines Schwätzchen.
Immer wieder kam der Bürgermeister bei Robin vorbei und wollte ihm das Grundstück abkaufen und bot ihm eine hübsche kleine Wohnung dafür in der Stadt an, doch dieser schüttelte nur den Kopf.
Sein Luiserl war inzwischen ins andere Reich gewechselt und er wusste, dass sie dort auf ihn wartete.
Er freute sich auf das Wiedersehen mit ihr, aber gleichzeitig wollte er hier nicht weg gehen, denn was sollte dann aus den kleinen Elfen werden.
Ja die Wiese war die Heimat der Elfen und nur er und seine Luiserl konnten sie sehen.
Viele schöne Stunden hatten sie mit dem fröhlichen sorglosen Völkchen verbracht und das tröstete sie darüber hinweg, dass sie keine Kinder hatten.
Und als sein Luiserl ihm dann voraus ins andere Reich gegangen war, fühlte er sich trotzdem nicht allein, denn die Elfen besuchten ihn und trösteten ihn und mit der Zeit wurde es ihm wieder leichter ums Herz.
Inzwischen war er 95 Jahre alt geworden und in letzter Zeit fühlte er sich etwas müde.
Und dann schickte der liebe Gott seinen Todesengel zu ihm, um ihn abzuholen.
Das ganze Zimmer war voller Elfen, die Abschied nahmen von ihrem Freund und als man den alten Robin fand, lag ein seliges Lächeln auf seinem Gesicht und das Zimmer duftete nach Blumen.
Da Robin in einer Zeit groß geworden war, in der noch der Handschlag galt, hatte er nicht daran gedacht ein Testament zu machen, um seine Elfen zu schützen.
Ein weit entfernter Verwandter erbte das Grundstück und verkaufte es an Bürgermeister Habgier.
Niemand folgte dem schmucklosen Sarg, nur der Verwandte, der ihn kaum gekannt hatte und Lehrer Fröhlich mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter Annegret.
Annegret war auch die Einzige, die die vielen kleinen Elfen auf der alten Buche im Friedhof sah.
Doch sie sagte nichts, denn sie wusste, die Erwachsenen konnten die Elfen sowieso nicht sehen.




Es ist ein schöner warmer Tag.
Die Fenster im ersten Stock des Rathauses sind weit offen. Anton, der Spatz, der mit seiner Familie auf dem Kastanienbaum gegenüber wohnt, sitzt auf dem Fensterbrett und putzt seine Federn.
Als er „Robins Wiese“ hört, hüpft er näher und blickt in den Raum.
Fünf Männer sitzen um den großen Tisch, vier im Anzug und einer in Jeans und T-Shirt.
Anton kannte ihn, es war Lehrer Fröhlich, ein netter Mann.
Auch die anderen Männer sind ihm bekannt.
Bürgermeister Habgier, Bauunternehmer Spachtel, Zimmermann Hobel und der Glaser Durchsicht.
Die Drei hatten sich nicht umsonst in den Stadtrat wählen lassen, wussten sie doch, dass ihr Freund, der Bürgermeister ihnen die besten Aufträge zuschusterte.
Nur Lehrer Fröhlich hatte sich aus Idealismus gemeldet, dachte er doch, er könnte etwas bewirken.
Doch mittlerweile hatte er gemerkt, dass er auf ziemlich verlorenen Posten stand.
Sobald wie möglich wollte er sein Amt aufgeben.
Nun aber setzt er sich gerade hin und sieht den Bürgermeister aufmerksam an.
Was ist mit Robins Wiese?“ fragt er vorsichtig.
Er hatte den alten Mann immer bewundert, wie er für seine Wiese kämpfte und es tat ihm leid, dass sie jetzt in der Hand des Bürgermeisters war.
Dieser schlägt eine Akte auf, die vor ihm auf dem Tisch liegt und meint:
Wie ihr wisst habe ich dem Erben von dem alten Sp...“
Lehrer Fröhlich räuspert sich.
„ … von dem alten Robin die Wiese abgekauft.
Ein großer Konzern hat mir nun ein Angebot gemacht.
Er möchte einen Supermarkt dort errichten.“
Lehrer Fröhlich schüttelt den Kopf:
Noch ein Supermarkt, warum lassen wir nicht die Wiese im Andenken an unseren ältesten Bürger, so wie sie ist.“
Der Bürgermeister wirft ihm einen spöttischen Blick zu.
Glauben sie auch an die Elfen, Herr Lehrer? Wundern würde es mich nicht, ihr Grünen seid ja auch nicht von dieser Welt!“
Er lacht dröhnend und sieht seine Freunde fragend an.
Lehrer Fröhlich wird vier zu eins überstimmt und ist gar nicht fröhlich, als er nach Hause geht.

 
(c) Elli M.

Anton aber fliegt zu den Elfen.


Die Elfenkönigin Primelchen sitzt auf einem Himbeerstrauch, lässt die Beine baumeln und sieht ihren Elfen zu, die vergnügt singend und lachend ihrer Arbeit nachgehen.
Mit den am Morgen gesammelten Tautropfen gießen sie die Blumen, frischen mit ihren Farbpinseln die Farben auf und helfen den geknickten Blumen sich wieder aufzurichten.
Die Elfenkinder aber reiten kreischend und lachend auf Hoppelchen.
Der kleine Zwerghase war eines Tages bei ihnen aufgetaucht und wohnte seither bei ihnen.
Hoppelchen gehörte einem kleinen Jungen, der aber bald die Lust an dem Geschenk verloren hatte.
Als er wieder einmal bei sengender Hitze den Hasen auf den Balkon sperrte, war dieser einfach hinunter gesprungen.
Das war vor zwei Jahren gewesen und nun lebt er bei den Elfen.
Als Robin dies bemerkte, legte er Salatblätter, Karotten oder Äpfel ins Gras.

 
(c) Elli M.


Im Winter, wenn die Elfen tief unter der Wurzel ihrer Blumen schliefen, holte der alte Mann den Hasen zu sich ins Haus.
Was diesen Winter sein würde, das stand noch in den Sternen.
Doch Hoppelchen hatte sich inzwischen die sorglose Lebensweise der Elfen angewöhnt, die nur den Augenblick wichtig nahmen und nicht über später nachgrübelten.
Anton lässt sich neben Primelchen auf dem Strauch nieder.
Freundlich lächelt die Elfe ihn an.
Schön, dass du uns mal wieder besuchst. Wie geht es der Familie?“
Gut, meine Kinder sind inzwischen alle flügge und wir, mein Gretchen und ich haben etwas mehr Ruhe, aber ...“
Ein fragender Blick von Primelchen lässt ihn innehalten.
Wie soll er seiner kleinen Freundin nur die schlimme Nachricht überbringen?
Doch dann gibt er sich einen Ruck und erzählt ihr, was er heute im Rathaus erlauscht hat.
Primelchen wird immer blasser.
Inzwischen sitzen alle die niedlichen kleinen Wesen auf dem Strauch und lauschen dem Spatz.
Sie weinen, klagen und jammern, als sie begreifen, dass man ihre Heimat zerstören will.
Anton wird ganz traurig und verabschiedet sich schnell.
Primelchen aber hebt die Hand und fordert:
Nun seid bitte still und kümmert euch um eure Blumen.“
Traurig aber denkt sie daran, dass die Blumen bald sterben und vielleicht auch sie alle.

Fortsetzung Morgen