Montag, 23. Januar 2023

Der alte Kapitän

Es geht mir etwas besser, aber nicht gut. Aber wenn man so in die Jahre kommt, muss man damit leben. (zwinkern)
Doch die Freude am schreiben wird mir niemals vergehen.
Viel Spaß beim Lesen!

(c) Nadine F.

Der alte Kapitän



Am Rande der Stadt stand eine alte Villa mitten in einem verwilderten Garten.
Lange war sie leer gestanden, doch vor kurzem war sie verkauft worden an einen pensionierten Kapitän.
Und vor einigen Tagen war dieser zusammen mit seiner Schwester Lena, die ihm den Haushalt führte, eingezogen.



Kapitän Fridjoofen saß in seinem gemütlichen Arbeitszimmer und sah sich vergnügt um.
Die Wände waren voll von all den Mitbringsel, die er im Laufe der Jahre während seiner Reisen gesammelt und sie bei seiner Schwester in ihrem kleinen Häuschen gelagert hatte.
Worüber diese oft geschimpft hatte, besonders über das lebensgroße ausgestopfte Krokodil, das drohend sein Maul aufriss und eine Reihe beachtlicher Zähne zeigte.
Auch die große Schlange, die einem mit glitzernden Augen anstarrte war ihr nicht geheuer.
Schmunzelnd ließ der alte Mann seinen Blick über die verschiedenen Waffen an der Wand gleiten und auch den Piranhas die den Sims des Kamins bevölkerten gönnte er einen Blick.
Zufrieden seufzte er, was den schwarzweißen Spaniel zu seinen Füßen aufstehen und seinen Kopf an das Knie seines Herrn schmiegen ließ.
Dieser kraulte ihn hinter dem Ohr und Hund und Mensch genossen ihr Zusammensein.
Ein gewaltiges Klirren schreckte beide auf und das große Fenster zerbarst in tausend Stücke.
Ein brauner Fußball rollte auf den Kapitän zu.
Die Tür wurde aufgerissen und Lena stürzte herein.
Sie stemmte die Arme in die Hüften und wetterte:
Das waren bestimmt die Lausbuben von drüben! Ich hab`s ja immer gesagt, wie konntest du nur ein Haus genau neben einem Waisenhaus kaufen.“
Ihr Bruder lachte gutmütig.
Es war günstig und mich stören die Kinder nicht, außerdem so laut sind sie doch gar nicht und nachts schlafen sie tief und friedlich und wir auch.“
Er bückte sich, hob den Fußball auf und wandte sich zur Tür.
Dann werde ich das Geschoss mal zurückbringen!“
Er erhielt nur ein Gemurmel als Antwort, denn Lena die sich inzwischen mit Besen und Schaufel bewaffnet hatte, war dabei die Scherben zu beseitigen.

 
(c) meine Tochter

Im großen Vorhof des Waisenhauses tummelten sich vergnügt die Kinder. 
Als der Kapitän durch das Tor trat sah er aus den Augenwinkel, wie sich drei Jungen schnell seitwärts in die Büsche verdrückten.
Der Spaniel aber war zu der alten Kastanie gelaufen, um die rundum eine Bank angebracht war.
Darauf saß ein kleines Mädchen, die den Hund liebevoll streichelte.
Als Fridjoofen näher trat, bemerkte er, dass die Kleine blind war.
Er setzte sich neben sie.
Das Mädchen wandte ihm den Kopf zu.
“Ist das dein Hund?“
Ja, darf ich vorstellen. das ist Klabautermann und wer bist du?“
Ich bin Else, aber dein Hund hat einen komischen Namen.“
Weißt du denn, was ein Klabautermann ist?“
Die Kleine schüttelte den Kopf.
Nun dann will es dir erzählen, aber erst einmal muss ich ein paar Übeltäter kielholen!“
Eine nicht mehr ganz junge Frau kam mit misstrauischem Blick auf sie zu, doch als sie den Fußball sah, wurde sie verlegen.
Guten Tag sie sind wohl unser neuer Nachbar Kapitän Fridjoofen und wie ich sehe haben die Jungen den Ball wohl in ihren Garten geschossen.“
Der alte Mann schmunzelte:
Nicht nur in den Garten, sondern durch die Scheibe meines Arbeitszimmers.“
Das tut mir leid, wir werden die Scheibe selbstverständlich ersetzen. Entschuldigen sie, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Frauke Sörensen und leite dieses Waisenhaus.“
Der Kapitän erhob sich und beugte sich ganz Kavalier der alten Schule über ihre Hand.
Die Scheibe brauchen sie nicht zu ersetzen, aber ich werde mal einigen jungen Herrn ein wenig einen Schrecken einjagen.“
Er zwinkerte und deutete mit den Augen auf das Gebüsch in das Klabautermann gerade schnüffelnd seine Nase steckte.
Die Direktorin lächelte und nickte zustimmend.
Ein kleine Hand schob ich sich in die große Pranke des Kapitäns und Else sagte bittend.
Onkel Kapitän, du darfst sie aber nicht verhauen, sie haben es doch nicht absichtlich getan. Der Tom hat nur so einen schweren Fuß und deshalb ist der Ball so weit geflogen.“
Die beiden Erwachsenen lächelten, dann ging der Kapitän mit seiner kleinen Freundin an der Hand, gefolgt von der Leiterin des Waisenhauses, hinüber zum Gebüsch.
Mit seiner dröhnenden Stimme meinte er:
Ich glaube gar dahinter haben sich ein paar Feiglinge
versteckt, die nicht wissen, dass man zu seinen Taten stehen muss !“
Das Gebüsch teilte sich, drei Jungen standen mit gesenkten Köpfen vor ihm und ließen das Donnerwetter, das nun über sie prasselte erschrocken über sich ergehen.
Die kleine Hand zuckte in der großen Pranke und Else flüsterte, „nun ist es aber gut, Onkel Kapitän.“
Der Hüne beugte sich zu seiner kleinen Freundin hinunter.
Denkst du, dass sie als Strafe bei mir in meinem Garten arbeiten sollen, der sieht nämlich ziemlich verwildert aus.“
Else nickte eifrig.
Nun!“ wandte Fridjoofen sich an die Jungen.
Ihr könnt nicht erwarten, dass das Waisenhaus die kaputte Scheibe bezahlt, also werdet ihr euch Morgen um 15Uhr bei mir drüben einfinden und mir helfen meinen Garten zu roden.“
Er warf einen fragenden Blick auf die Leiterin, die zustimmend nickte und auch die Jungen nickten erleichtert.
So nun will ich meiner kleinen Freundin vom Klabautermann erzählen, wollt ihr die Geschichte auch hören?“
Wir auch, wir auch !“ riefen die Kinder, die sich inzwischen alle bei den Büschen eingefunden hatten, angelockt durch das laute Brüllen des Kapitäns.
Gefolgt von allen großen und kleinen Waisenkindern geht der Kapitän zur Kastanie, setzt sich auf die Bank und nimmt Else auf seinen Schoß.
Die Kinder aber lassen sich zu ihren Füßen nieder.
Frau Sörensen geht lächelnd zurück in ihr Büro.
Der Kapitän blickte vergnügt schmunzelnd in die erwartungsvoll erhobenen Gesichter und fragte.
Weiß jemand von euch, wer der Klabautermann ist?“
Kopfschütteln!



(c) meine Tochter


Nun der Klabautermann ist ein Kobold, der unsichtbar auf den Schiffen lebt und dort allerhand Unfug anstellt.
Auch erschreckt er gerne die Matrosen durch poltern und lässt einfach mal Dinge vor ihren Augen in die Luft gehen oder einfach umfallen. Er ist aber auch sehr hilfsbereit und hilft ihnen bei ihren Arbeiten.
Mancher der Matrosen kann es sich dann gar nicht erklären, wieso er so schnell fertig wurde und guckt sich dann immer furchtsam um.
Aber er kann natürlich niemanden sehen, denn der Klabautermann ist unsichtbar und wenn man ihn einmal zu Gesicht bekommt, dann ist das ein schlechtes Zeichen.
Er zeigt sich und verlässt ein Schiff nur wenn diesen untergeht.
Ich habe ihn aber einmal gesehen und kann euch deshalb genau sagen wie er aussieht.
Er ist gekleidet wie ein Matrose, hat rote Haare und grüne Zähne und ist nicht größer als ein Zwerg.
Wer von euch kennt den Pumuckl von Ellis Kaut?“
Fast alle Finger schossen in die Höhe.
Fridjoofen schmunzelte.
Dann wisst ihr sicher auch, dass der Pumuckl ein Nachfahre von den Klabautermännern ist.“
Eifrig nickten die Kinder.
Also wir fuhren über den Atlantik, als auf einmal ein heftiger Sturm die Wellen peitschte, dass sie meterhoch das Deck überschwemmten.
Der Wassermann hatte wohl wieder seine Frau verärgert und die tobte nun unter Wasser, dass das ganze Meer in Aufruhr war.
Unser Schiff schaukelte im tosenden Wind und der Steuermann hatte alle Hände voll zu tun, das Schiff auf Kurs zu halten.
Ein Matrose wurde schwer verletzt als einer der Masten brach und wir hatten Mühe in darunter hervor zu ziehen.
Während man ihn in die Kajüte brachte und der Sanitäter ihn verarztete, sah ich plötzlich einen kleinen Gnom an Deck und vorne zum Bug laufen.
Ich wusste sofort das war der Klabautermann, denn keiner meiner Männer war so klein. 
Erschrocken wurde mir bewusst, das konnte nur bedeuten, dass das Schiff untergehen wird, denn offensichtlich wollte der kleine Kerl das Schiff verlassen.
Daran musste ich ihn unbedingt hindern.
Ich kämpfte mich durch Wind und Nässe nach vorn und fasste ihn gerade noch an seinem blauen Rock, als er über Bord springen wollte.
Nein mein Freund,“ brüllte ich gegen den Sturm an, „ du bleibst schön hier. Mein Schiff wird nicht untergehen.“
Er wand sich und zappelte und warf mir finstere Blicke zu, doch ich hielt ihn mit eiserner Faust fest.
Da verlegte er sich aufs Bitten und versprach mir, dass das Schiff bestimmt nicht untergehen würde, ich sollte ihn doch nur loslassen.
Aber ich glaubte ihm nicht und hielt ihn so lange mit meiner Faust fest, bis der Sturm sich gelegt und wir in ruhigen sicheren Fahrwasser segelten.
Da wurde er unsichtbar in meiner Hand und während der ganzen Fahrt hatte ich nichts zu Lachen.
Fässer fielen vor mir um, Seile lösten sich und mehr als einmal stolperte ich darüber, nachts polterte und rumorte es in meiner Kabine, dass ich kein Auge zu tun konnte.
Doch das machte mir nichts aus, mein Schiff war gerettet.
Und bei der nächsten Fahrt nahm ich ein Huhn mit an Bord, denn es heißt, Klabautermänner können Hühner nicht leiden.
So Kinder nun muss ich aber gehen, denn meine Schwester schimpft mit mir, wenn ich nicht pünktlich zum Tee zuhause bin!“
Er wandte sich an die drei Fußballer.
Abgemacht, morgen Nachmittag!“
Eifriges Nicken.
Dürfen wir auch mitkommen, wir können doch auch helfen!“ riefen die Kinder.
Frau Sörensen, die durch das geöffnete Fenster lächelnd der Geschichte gelauscht hatte, kam nun heraus und wollte protestieren.
Der Kapitän sah sie verschmitzt an.
Sicher wenn eure Direktorin nichts dagegen hat.“
Diese nickte, denn sie konnte den fünfzehn bettelnden Augenpaare nicht widerstehen.

Am nächsten Nachmittag erschien die ganze kleine
Gesellschaft frisch gewaschen und gestriegelt aber in vernünftiger Arbeitskleidung bei Fridhoofens.
Lena, die erst protestiert hatte, als ihr Bruder ihr die Nachbarn ankündigte, war sehr angetan von den höflichen gut erzogenen Kindern.
Besonders die kleine Else schlich sich in ihr Herz und sie ließ sie nicht mehr von ihrer Seite.
Die größeren Kinder durften mit dem Kapitän nun die Bäume und Sträucher beschneiden.
Während die Mädchen und die kleineren Jungen die Äste sammelten und sie an den dafür vorgesehenen Platz brachten, wo sie morgen abgeholt werden sollten.
Später brachte Lena eine riesige Platte mit frischen Waffeln, dazu gab es Sahne und Kakao.
Als die kleinen Helfer abenda in ihren Betten lagen, da waren sie sich einig, dass dies der schönste Tag gewesen war.
Nun herrschte ein reger Verkehr zwischen den Nachbarn.
Und der Kapitän schaffte es nach hartem Kampf mit den Behörden, dass die kleine Else zu ihm und seiner Schwester als Ziehkind kam.
So ein Sturm erprobter Kapitän, der wird auch mit dem stursten Bürokraten fertig.
Er schickte Else auf eine Blindenschule, wo sie zur Lehrerin ausgebildete wurde.
Und als Else dann längst schon eine erwachsene Frau war,
saß sie am Bett ihres Pflegevaters und hielt tröstend seine Hand, als er ins andere Reich wechselte.
Sie nahm sich liebevoll der alten Lena an, die froh war nicht ganz allein zu sein.
Und da Else die Erbin von Villa und Vermögen der beiden war, richtete sie eine Blindenschule in dem alten Haus ein und Lena konnte nun wieder für viele Kinder kochen, natürlich mit Hilfe einiger Hausmädchen.
Und als sie einige Jahre später ihrem Bruder folgte, saß auch an ihrem Bett die junge Frau, die sie als kleines Kind so liebevoll aufgenommen hatten.


© Lore Platz