Freitag, 31. Juli 2020

Oma Jette weiß Rat







Oma Jette weiß Rat






Wenn Amelie hier oben auf ihrer Bank saß und ins Tal hinunter schaute, dann schien ihr alles so friedlich zu sein da unten.
Doch leider täuschte der Schein. Gar nichts war friedlich dort, wieder hatte sie Schelte von ihrer Stiefmutter bekommen. Das war so ungerecht, dabei hatte sie gar nichts gemacht, für das man sie hätte ausschimpfen müssen.
Aber egal was sie machte, alles war falsch.
Dabei hatte sie sich so gefreut, als Papa nach Mamas frühen Tod wieder geheiratet hatte und schon ihm zuliebe wollte sie sich bemühen ihre neue Mutter lieb zu haben. Doch leider spürte sie sofort, dass die neue Mutter sie nur als Störenfried empfand und ganz schlimm war, dass Papa ihren bösen Einflüsterungen glaubte.
"Mein Lieber", hatte sie erst heute zu Papa gesagt, "du musst dringend mit deiner Tochter sprechen.
Sie hat schon wieder das Waschbecken nicht sauber gemacht, nachdem sie ihre Zähne geputzt hatte!"
Dabei hatte sie die Wörter 'deiner Tochter' besonders betont und in die Länge gezogen, dass es Amelie fast weh in den Ohren getan hatte, obwohl sie im Nebenzimmer war.
Ganz leise hatte sie das Nebenzimmer verlassen, denn sie wollte gar nicht hören was ihr Papa dazu sagte.
Zu oft schon hatte sie erlebt, dass er ihren Lügen glaubte. Sie bemühte sich doch so sehr es allen Recht zu machen, aber nie war es genug.
Und heute bekam sie zufällig ein Telefongespräch mit, das ihre Stiefmutter mit ihrer Freundin führte,
"Ich habe ihn bald soweit, ab September wird die lästige Göre im Internat sein und ich werde schon dafür sorgen, dass er sie vergisst. Jedenfalls will ich sie auch in den Ferien nicht mehr hier haben,"
Entsetzt hatte sie das Haus verlassen und war hierher zu ihrer Bank gelaufen.
Die Tränen kullerten nun unaufhörlich von ihren Wangen und Amelie wusste nicht, wie es nun weitergehen sollte. Ins Internat sollte sie - für immer. Die Stiefmutter wollte sie nie mehr zurückhaben. Das konnte doch ihr Vater nicht gutheißen, er liebte seine Tochter doch.
Aber wenn er all die Lügen glaubte, die ihm seine neue Frau auftischte, dann war es sicher für Papa immer schwieriger, sie, seine einzige Tochter, zu lieben.
Energisch wischte sie sich die Tränen ab. Wenn man sie hier nicht mehr wollte, dann würde sie eben gehen.
Es waren ja Ferien! Aber wohin sollte sie gehen, die Oma wohnte ja weit weg im Schwarzwald.
Jetzt müsste sie auf jeden Fall erstmals nach Hause gehen und dann wollte sie sich etwas überlegen. vielleicht konnte sie vom Nachbarhaus die Oma einmal anrufen, die möglicherweise einen Rat für sie hätte.
Traurig machte sich Amelie auf den Heimweg.
Frau Mahler, die Nachbarin stand in ihrem Garten.
"Guten Morgen, Amelie. Deine Mutter ist eben zum Einkaufen gefahren, willst du nicht herein kommen."
Das Mädchen nickte und folgte der alten Frau ins Haus.
Frau Mahler tat das Mädchen sehr leid, sie hatte oft erlebt, wie die Stiefmutter die Kleine behandelte und deshalb wunderte sie sich auch nicht, als Amelie sie bat ob sie ihre Oma anrufen dürfte.
Diskret verließ sie das Zimmer. als die zehnjährige den Telefonhörer nahm und wählte.
Als Amelie die liebe Stimme der Oma hörte, sprudelte alles aus ihr heraus, was sie die letzten Monate seit der Hochzeit mit der Stiefmutter erlebt hatte und was sie jetzt vorhatte.
Ein Weile war es still, dann meinte die Oma.
"Liebes sei nicht traurig ich werde mir etwas einfallen lassen. Denk daran du bist nicht allein."
Getröstet legte Amelie den Hörer auf. Sie bedankte sich bei Frau Mahler und ging still nach Hause, wo sie gleich wieder eine Schimpftirade der Stiefmutter über sich ergehen lassen musste.
"Habe ich dir nicht gesagt, dass du gefälligst pünktlich zu Hause sein sollst. Du trödelst den ganzen Tag herum und ich muss alle Arbeit allein machen. Nicht einmal die Einkäufe nimmst du mir ab. Warte nur, das werde ich deinem Vater sagen, wenn er nachher von der Arbeit heimkommt."
Dieses Mal weinte Amelie nicht. Das Gespräch mit der Oma hatte ihr gut getan, vor allem, weil sie sich einmal alles von der Seele gesprochen hatte.
Oma hatte versprochen, sich zu kümmern und das würde sie gewiss tun.
Still verrichtete sie die Arbeit, die die Stiefmutter ihr auftrug.
Nach dem Abendessen ging sie in ihr Zimmer. Das Telefon läutete und sie hörte ihren Vater;
"Hallo Mama," sagen.
Fest drückte sie beide Hände auf ihr stark klopfendes Herz. Und als ihr Vater sie rief, lief sie mit einem bangen Gefühl nach unten, das sich noch verstärkte, als sie ein bösen Blick ihrer Stiefmutter traf.
Doch ihr Vater rief ihr fröhlich entgegen. "Oma Jette hat angerufen, sie lädt dich ein, die Ferien bei ihr zu verbringen, was hältst du davon."
Amelie lief auf ihn zu und umarmte ihn, das hatte sie schon lange nicht mehr gemacht.
"Das werte ich mal als Zustimmung!", Papa lachte und Amelie stimmte ein.
Lediglich Elvira machte ein missmutiges Gesicht. Dabei hatte sie doch gesagt, sie sei froh, wenn sie Amelie mal wegschicken könnte.
"Du wirst sie doch nicht etwa dorthin bringen?", keifte sie. "Die kann mit dem Zug fahren!"
"Die ist meine Tochter und selbstverständlich werde ich sie fahren. Komm doch mit, dann machen wir drei einen schönen Ausflug und du könntest meine Mutter auch einmal wiedersehen.", schlug Papa vor.
Obwohl sie ihre Schwiegermutter überhaupt nicht leiden konnte beschloss sie doch mitzufahren, fürchtete sie doch ,Amelie könnte etwas ausplaudern.
Also ging es am Wochenende in den Schwarzwald.
Oma stand schon an der Haustür, als die drei am Samstag angefahren kamen. Amelie sprang aus dem Auto und stürmte auf ihre Oma zu.
"Unmöglich, dieses Kind!", schimpfte Elvira. Sie konnte es sich einfach nicht verkneifen, Amelie zu kritisieren und erntete einen erstaunten Blick ihres Mannes.
"Sie freut sich eben, das ist doch ganz normal!", sagte er und lief ebenfalls einen Schritt schneller auf seine Mutter zu, umarmte und küsste sie herzlich auf beide Wangen.
Nach einem gemütlichen Kaffee mit Kuchen, sagte Oma Jette lächelnd zu Amelie:
"Willst du nicht hinüber zu Christina gehen, die freut sich schon so sehr auf dich,"
Als Amelie zu ihrer Freundin gegangen war, führte
Oma Jette ein ernstes Gespräch mit ihrem Sohn und dessen Frau.
"Mir ist zu Ohren gekommen, dass du Amelie loswerden willst!", sagte sie. "Red dich nicht raus, ich weiß es genau!", fügte sie hinzu.
Elvira war kreidebleich geworden und Amelies Papa wich auch jede Farbe aus dem Gesicht. Was hatte seine Mutter da gerade gesagt? Das war ja ungeheuerlich!
Oma Jette meinte versöhnlich, sie wollte keinen Knacks in die Ehe ihres Sohnes bringen.
" Ich weiß es ist nicht einfach in einer jungen Ehe sich auch noch um eine Zehnjährige zu kümmern, obwohl du wusstest, Elvira, dass Bernd eine Tochter mit in die Ehe bringen würde.
Und auch für Amelie war die Situation nicht ganz so leicht. Sie wurde aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen, wo sie seit dem frühen Tod ihrer Mutter lebte und alle ihre Freunde hier hatte.
Und in ihrem neuen Zuhause war ihr nur ihr Vater vertraut. deshalb mache ich euch auch einen Vorschlag.
Lasst sie die Ferien über jetzt mal bei mir, das wird auch eurer jungen Ehe gut tun.
Nach den Ferien kann sie weiter hier zur Schule gehen, und ihr könnt sie am Wochenende so oft ihr Lust habt besuchen, die Ferien verbringt Amelie bei euch. So ist beiden Teilen geholfen.
Mit strahlendem Gesicht kam Amelie von ihrer Freundin zurück, doch als sie das blasse Gesicht ihrer Stiefmutter und das ernste Gesicht ihres Vaters sah, wurde ihr ganz ängstlich zumute.
Sie sah zu ihrer Oma und als diese ihr zuzwinkerte wurde es ihr wieder leichter ums Herz.
Bernd trat zu seiner Tochter und legte ihr den Arm um die Schulter.
Komm`, wir gehen in den Garten und setzen uns auf die Hollywoodschaukel.“
Mit bangem Herzen folgte Amelie ihrem Vater.
Hör mal mein Kind, ich weiß von Oma, dass du und Elvira euch nicht so gut vertragen. Schuld bin wohl ich auch ein bisschen, Die Heirat, der Umzug und mein neuer Job waren für uns alle ein Problem, das wir nicht gleich erkannt haben.
Dir fiel es nicht leicht dich einzugewöhnen, Elvira hatte sich ihr junge Ehe anders vorgestellt und ich hatte viel zu wenig Zeit für euch beide, da ich mich in meinem neuen Job erst einarbeiten musste.
Und darum war Elvira auch eifersüchtig und hat wohl etwas falsch reagiert. Ich bitte dich, gib ihr noch eine Chance.
Amelie nickte.
Und erzählte Bernd seiner Tochter, was die Oma vorgeschlagen hatte.
Und bei jedem seiner Worte begann das Mädchen mehr zu strahlen, dann fiel sie ihrem Vater um den Hals.
Natürlich komme ich in den Ferien zu euch, dass ist eben umgekehrt wie jetzt und außerdem können wir ja uns ja über Video unterhalten.“
Als sie wieder ins Wohnzimmer zurück gingen, trat Amelie
auf ihre Stiefmutter zu und streckte ihr die Hand entgegen.
Es tut mit leid, wir beide hatten wohl einen schlechten Anfang , in Zukunft wollen wir es besser machen.“
Mit Tränen in den Augen nickte Elvira und drückte fest die Hand ihre Stieftochter.
Oma Jette schmunzelte zufrieden und dachte sie:
Der Anfang wäre gemacht!“



© Lore Platz