Mittwoch, 31. Juli 2024

Das Findelkind Teil 2 und 3






Siebzig Kilometer entfernt in einer billigen Absteige sitzt ein Mann am Küchentisch und studiert mit gerunzelter Stirn die Zeitung.
Er wirft einen finsteren Blick auf die junge Frau, die mit dem Rücken zu ihm an der Spüle steht.
Was hast du eigentlich mit dem Balg gemacht.“
Unmerklich spannt die junge Frau die Schultern an, dann meint sie lachend.
Es hat auf einmal zu atmen aufgehört und ich habe es im See entsorgt. Warum fragst du?“
Weil hier ein Findelkind gefunden wurde.“
Sie kommt näher und beugt sich über die Zeitung.
Das ist niemals unsere Kleine. Sieh doch die billige Kleidung und da...,“ sie deutet auf eine Zeile, „sie schreiben das Kind hat ein Muttermal auf der rechten Pobacke in Form eines Sterns“
Sie selbst hat das abwaschbare Tattoo angebracht, doch bis das heraus kam, wären sie schon weit weg.
Immer noch misstrauisch knüllt er die Zeitung zusammen.
Trotzdem ist es besser wir verschwinden, pack unsere Sachen zusammen.“

Wenig später sind sie auf der Autobahn und wie immer fährt er viel zu schnell und es gibt deswegen einen Streit zwischen ihnen.
So übersieht er, dass sein Vordermann plötzlich bremsen muss und rast auf das Auto drauf.
Der Wagen überschlägt sich und schlittert über die Fahrbahn, prallt gegen die Leitplanke, kommt wieder auf die Räder und der Kofferraum springt auf.
Eine bunte Reisetasche fliegt in hohem Bogen heraus und landet mitten auf der Fahrbahn.
Durch den Aufprall öffnet sich die Tasche und eine Unmenge von Geldscheinen ergießt sich auf die Autobahn.
Wie es später hieß, bei dem tödlich verunglücktem jungen Paar handelt es sich um die Entführer der kleinen Baroness Evangelina di Graziano.
Von dem Baby fehlt jede Spur, wahrscheinlich hatten sie es umgebracht und irgendwo verscharrt.
Die Baronin di Graziano erlitt einen Nervenzusammenbruch und wurde von ihrem Mann in ein Schweizer Sanatorium gebracht.


Die Elfen schwirren um den Stamm der Buche und beginnen Ästchen und Moos auf den Boden zu werfen.
Was macht ihr da?“
Eine Frau in weißem schlichtem Kleid mit weißen silbrig glänzenden Haaren, die weit über ihre Hüfte fallen erscheint neben dem Baum.
Die Frau ist doch tot und kann die wahre Herkunft des kleinen Mädchen nicht mehr offenbaren, deshalb wollen wir, dass die blaue Kiste gefunden wird,“ erklären die Elfen.
Moira, die Schicksalsfrau schüttelt lächelnd den Kopf.
Ihr meint es gut, doch die Zeit ist noch nicht reif. Ihr dürft das Schicksal nicht ändern, indem ihr eingreift.“
Sie hebt die Hand und Moos und Aststückchen schweben zurück in die Lücke im Baum.
Dann streicht Moira über den Stamm und murmelt:
Hüte dein Geheimnis, bis die Zeit reif ist.“
Zu den Elfen gewandt, die mit enttäuschten Gesichter auf dem untersten Ast der Buche sitzen sagt sie ernst.
Bleibt immer in der Nähe des kleinen Mädchens, passt auf sie auf und behütet sie. Eines Tages wird sie eure Hilfe brauchen.“
 
Sieben Jahre sind inzwischen vergangen.
Mariella hat sich zu einem hübschen klugen Mädchen entwickelt, das von ihrer Pflegemutter sehr viel Liebe bekam.
Der Bauer ein hochfahrender Klotz, begegnet dem Mädchen nur mit Unfreundlichkeit.
Wollte er doch seinen unehelichen Sohn als Erben für den Hof und nun sah es so als würde die Bäuerin ihre Pflegetochter als Erbin einsetzen.
Mariella aber ging dem mürrischen Mann aus dem Weg.
Sie liebte ihre Mutter innig und auch an Beatrice, die wie eine zweite Mutter für sie war, hing sie sehr.
Und Arianne, die Tochter von Beatrice war ihr wie eine Schwester.
Eben wieder laufen die beiden kichernd über den Hof und versuchen eines der kleinen Kätzchen einzufangen.
Signoria Elena liegt auf einem Liegestuhl, eine Decke über den Knien und beobachtet lächelnd das fröhliche Herumtollen der Kinder.
Ein heftiger Husten schüttelt sie.
Seit einer schweren Lungenentzündung im Winter hat sie sich nicht mehr richtig erholt.
Mariella kommt zu ihr, das kleine Kätzchen auf dem Arm.
Sie nur Mama, Pietrona hat Junge bekommen.“
Sie setzte das maunzende kleine Bündel auf der Decke ab.
Das Kätzchen beginnt sofort mit den
Vorderpfötchen zu treten, wobei es das Mäulchen mit den kleinen Milchzähnchen weit aufreißt und miaut.
Die Bäuerin streichelt es und zufrieden rollt sich das kleine Geschöpf zusammen und fängt zu schnurren an.
Signoria Elena sieht liebevoll ihre kleine Pflegetochter an.
Mariella habe ich dir eigentlich schon gesagt wie lieb ich dich habe?“
Ach Mutter so oft! Und ich habe dich doch auch ganz schrecklich doll lieb!“
Sie umarmt ihre Mutter und läuft zurück zu ihrer Freundin Ariane.
Lächelnd sieht die Bäuerin ihr nach, doch dann wird ihr Blick düster.
Sie fühlt, dass ihre Zeit auf Erden bald abgelaufen ist und was wird dann aus dem Mädchen?
Sie weiß, dass ihr Mann nur darauf wartet den Hof zu erben und dass dann seine Geliebte mit ihrem gemeinsamen Sohn hier einziehen wird.
Zwar hat sie ein handschriftliches Testament gemacht, in dem sie Mariella den Hof vermacht hat und Anna und Beatrice als Zeugen unterschreiben lassen.
Somit wäre das Testament rechtsgültig.
Aber was ist, wenn ihr Mann es findet und verschwinden lässt?
Sie muss unbedingt einen Notar kommen lassen.
Doch dazu kommt es nicht mehr.
In der Nacht stirbt sie.
Mariella ist untröstlich, schluchzend wirft sie sich über ihre tote Mutter bis Beatrice sie weg holt.
Alle trauern um die Signoria, war sie doch eine gute Herrin gewesen und bei allen beliebt.
  
Nur der Bauer kann seinen Triumph kaum verbergen.
 
 
 
 
Fortsetzung folgt


Dienstag, 30. Juli 2024

Das Findelkind Teil 1

 
 




 

Das Baby verzieht beleidigt das Gesicht und will losweinen, da erscheint über ihm das zottige Gesicht eines Jagdhundes.

Die Kleine kräht fröhlich.
Hektor, sitz!“
Gehorsam setzt sich der Hund und im nächsten Moment beugt sich das bärtige Gesicht des Försters über das Kind.
Na, wen haben wir denn da?“
Vorsichtig hebt der Mann das Kind hoch, das ihn freudig anstrahlt und nach seinem Bart greift.
Mit dem Kind im Arm macht sich der Förster auf den Weg ins Dorf.
Signoria Eposito begegnet ihm, als er gerade auf die Straße zum Dorf einbiegt.
Na Enrico sind sie plötzlich Vater geworden?“
Der alte Mann lacht.
Nein, Signoria, das arme Wurm habe ich im Wald gefunden. Seine Mutter hat es wohl ausgesetzt.“
Ach das arme Ding, geben sie es mir und melden sie es auf der Gemeinde. Ich werde mich um das Kind kümmern.“
Der Förster froh, die Verantwortung los zu sein, eilt zum Rathaus.
Signoria Eposito aber bringt das Kind auf ihren Bauernhof.
Sie ist die reichste Bäuerin im Ort, doch das Glück war nicht hold mit ihr. Nach vielen Fehlgeburten musste sie für immer auf ihren Kinderwunsch verzichten.
Ihre Ehe bestand schon lange nur noch auf dem Papier, denn ihr Mann verachtete sie, weil sie keine Kinder bekommen konnte.
Doch da sie den Hof von ihren Eltern geerbt hatte und er als armer Schlucker eingeheiratet hatte, konnte er es sich nicht leisten sich scheiden zu lassen.
Seine Frau wusste, dass er mit seiner Geliebten einen dreijährigen Sohn hatte, doch sie duldete es stillschweigend.
So lebten sie nur noch neben einander her.

Als Frau Elena in die Stube tritt, schickt sie die Magd gleich weg, um eine Amme zu besorgen.
Beatrice, die Frau des Holzfällers Adriano, der vor kurzem tödlich verunglückt war, hatte eine kleine Tochter zur Welt gebracht und lebte nun in der Hütte bei ihrer alten Mutter.
Beatrice betritt die Stube, bescheiden grüßt sie und deutet auf ein Bündel, das sie dabei hat.
Ich habe ein paar Windeln mitgebracht, Signoria, sicher sind sie nicht darauf vorbereitet.“
Das ist nett von dir, sag doch Anna die Größe, dann kann sie welche beim Kramer besorgen.“
So hält das kleine Findelkind Einzug im größten Bauernhof des Dorfes R.
Ein Bild des Mädchens erscheint in der Zeitung, doch als sich niemand meldete, beschließt die Gemeinde es bei den Espositos zu lassen.
Beatrice übersiedelt als Amme mit ihrem Baby auf den Hof.
Und als Mariella, auf diesen Namen wird der kleine Findling getauft, keine Amme mehr benötigt, arbeitet die junge Frau als Magd auf dem Hof und die beiden Mädchen wachsen zusammen auf.
 
Mrgen geht es weiter

Montag, 29. Juli 2024

Das Findelkind








 Das Findelkind


Es ist ein herrlicher Sommertag.
Von dem wolkenlosen blauen Himmel strahlt die Sonne und beleuchtet das Dörfchen R., das eingebettet zwischen den Alpen auf der italienischen Seite liegt.
Auf den Feldern leuchtet der gelbe Raps und in die Kornfelder werfen Mohn- und Kornblumen rote und blaue Farbtupfer in das goldgelbe Getreide.
Inmitten der Wiesen, auf denen in verschwenderischer bunter Pracht die Blumen blühen, stehen träge wiederkäuende Kühe und genießen die Wärme der Sonnenstrahlen.
In dem angrenzenden Wald tummeln sich Hasen, Rehe und Hirsche.
Ein Eichkätzchen fliegt von Baum zu Baum, wobei es mit seinem Schwanz das Gleichgewicht hält.
Ein Buntspecht klettert geschickt den Baum auf und ab, dabei klopft er mit dem Schnabel gegen die Baumrinde und pickt die Insekten und Larven darunter auf.
In den dichten Blättern einer Buche tummeln sich einige Elfen.
Kichernd sitzen sie auf den Ästen und lassen die Beine baumeln.
Eine Autotür schlägt zu und der Wald verstummt.
Der Specht unterbricht sein Klopfen, verharrt einen Moment lauschend, dann schlüpft er in seinen Bau.
Hasen und Rehe verschwinden und nur das Rascheln im Unterholz ist zu hören, als sie eilig das Weite suchen.
Die Elfen fliegen in den Gipfel des Baumes und lugen vorsichtig durch das Geäst.
Schritte sind zu hören, langsam und müde.
Eine junge Frau taucht zwischen den Bäumen auf mit einem Bündel im Arm.
Vorsichtig legt sie es unter der Buche ab und nun kann man erkennen, dass es ein Baby ist.
Ein hübsches Kind, das mit seinen dunklen Augen die Frau anstrahlt und glucksend die Arme nach ihr ausstreckt.
Die junge Frau lässt sich neben dem Baby auf die Knie nieder und streicht ihm sachte über das Köpfchen.
Ich muss es tun, mein Kleine, sonst bringt er dich um,“ flüstert sie und dicke Tränen laufen ihr über die Wangen.
Sie schlägt die Hände vors Gesicht und ihre Schultern zucken.
Dann wischt sie sich energisch über das Gesicht.
Ich habe eine große Dummheit gemacht und meine gute Herrin verraten. Ich werde es wieder gut machen, aber zuerst muss ich dafür sorgen, dass er aus deiner Nähe kommt.“
Sie beugt sich zu dem Kind und küsst es.
Möge Gott mir verzeihen.“
Aus der Tasche zieht sie eine blaue Blechdose und sieht sich suchend um.
Da sind alle Beweise und auch mein Geständnis drin, nur wohin damit. Ich kann doch niemanden trauen?“
Da fällt ihr am Stamm des Baumes eine Einbuchtung auf.
Sie greift hinein, um festzustellen wie tief diese ist, dann schiebt sie vorsichtig die Dose in das Loch.
Mit Moos und kleinen herunter gefallenen Ästchen macht sie das Versteck unkenntlich.
Noch einmal bückt sie sich, streicht dem Kind über den Kopf, dreht sich um und läuft davon.
Kurze Zeit später hört man eine Autotür zuschlagen, der Motor springt an und dann ist es wieder still.
Das Baby liegt ganz ruhig da und blickt mit wachen forschenden Augen umher, doch dann verzieht es das Mündchen und will zu weinen anfangen.
Schnell fliegen die Elfen vom Baum hinunter und setzen sich zu der Kleinen, die sofort zu weinen aufhört und glucksend versucht die kleinen Wesen zu greifen.
Lächelnd öffnet es den zahnlosen Mund, an ihren langen Wimpern hängen noch einige Tränen, doch nun hebt es beide Händchen und brabbelt fröhlich vor sich hin.
Und die Elfen zwitschern beruhigend als könnten sie die Babysprache verstehen.
Es raschelt im Unterholz und ein Hecheln ist zu hören und schnell sind die Elfen im Gewirr der Blätter verschwunden.

Samstag, 27. Juli 2024

Die Puppe Namenlos 5

Mit dem Ende der Geschichte wünsche ich euch ein schönes 
Wochenende.





Er springt in den Garten, schaut noch einmal bei Hannchen vorbei, doch der Futternapf ist leer.
Gemächlich schlendert er durch die Straßen.
Wäre es nicht schön, wenn Namenlos und Anna sich begegnen könnten?
Unwillkürlich lenkt er seine Schritte zu „Marions` Puppenstube“.
Am Straßenrand steht eine große Kastanie und Ramon flitzt den Stamm hinauf und legt sich auf einen Ast.
Er döst ein wenig vor sich hin, als er Stimmen hört und den Namen Anna.
Schnell springt er auf und steckt den Kopf durch das Blättergewirr.
Auf der Bank neben dem Schaufenster sitzt eine alte Frau und daneben ein kleines Mädchen, das den Kopf gesenkt hat und mit den Beinen baumelt.
Das Mädchen hat genau so rote Haare wie seine kleine Freundin.
Die alte Frau streicht liebevoll über den Kopf der Kleinen.
Liebele, immer wenn wir an dem Schaufenster vorbei gehen, wirst du traurig. Ist es wegen der Puppe, die verkauft wurde?“
Anna nickt und senkt tief den Kopf, damit Oma Jansen ihre Tränen nicht sehen kann.
Ramon aber lässt sich wieder auf den Ast sinken und legt eine Pfote über die andere.
Das war ja interessant. Das Mädchen sehnte sich genau so nach der Puppe, wie diese nach ihr.
Es müsste doch möglich sein, die Beiden zusammen zu führen.
Eine Bewegung unter dem Baum lässt ihn aufspringen.
Die alte Frau ist mit dem Mädchen an der Hand weiter gegangen.
Ramon klettert den Stamm hinunter und folgt den Beiden.


Sie biegen durch eine Toreinfahrt in einen Hof, in dem ein mehrstöckiges Mietshaus steht.
Die alte Frau kramt einen Schlüssel aus der Tasche, schließt auf und die zwei gehen ins Haus.
Hier wohnt also Anna.
Der Kater erkundet den Hof.
In einer Ecke stehen nebeneinander fünf Mülltonnen.
Alles ist hier ordentlich und sauber.
Mehrere Fahrradständer sind an der Hausmauer angebracht, in denen vereinzelt Räder stehen.
In der Mitte des Hofes steht eine schöne prächtige Linde und um den Baum sind Veilchen angesiedelt.
Vögel turnen auf den Zweigen und erfüllen die Luft mit ihrem fröhlichen Gezwitscher.
Ramon überlegt, wie er seiner Freundin Namenlos helfen könnte, damit sie und Anna zusammen kommen.
Doch da meldet sich sein Magen.
Erst wollte er auf Nahrungssuche gehen, dann war immer noch Zeit einen Plan zu entwerfen.
Schließlich war er Ramon der König der Straßen und nichts war für ihn unmöglich!



Am nächsten Tag kam der Kater wieder durch das Fenster zu Namenlos ins Zimmer.
Nach einem Inspektionsgang sprang er zu seiner Freundin auf das Sofa.
Ich weiß, wo Anna wohnt,“ verkündet er und beginnt seine Pfote zu putzen.
Du hast es heraus gefunden? Ramon du bist ein Schatz!“
Natürlich, meine Rede!“
Aber was nützt mir das? Ich kann ja doch hier nicht weg, meint Namenlos traurig.
Aber sicher, ich habe dich hierher gebracht, ich kann dich auch wieder weg bringen.“
Ist das denn auch richtig? Sie waren alle so nett zu mir, ich kann doch nicht einfach verschwinden.“
Sicher kannst du das!“ ruft Bärbel von ihrem Regal herunter.
Stell dir vor, du bekommst endlich eine Puppenmutti und einen Namen. Bleibst du hier, wirst du ewig Namenlos bleiben!
Wenn man eine Chance erhält, sollte man sie nützen!“
Ja, geh nur, wir sind dir nicht böse!“ rufen die anderen Puppen.




Ramon verneigt sich.
Meine Damen, ihr seid bewundernswert und ich bedanke mich, dass ihr meine kleine Freundin so nett aufgenommen habt.“
Die Puppen kichern und unter einem vielstimmigen
Auf Wiedersehen!“ verlässt Namenlos auf dem Rücken des Katers die Stube.
Als Inge wenig später ins Zimmer kommt ist sie vollkommen
überrascht, als der Platz auf dem die rothaarige Puppe saß, leer ist.
Die Puppe ist genauso geheimnisvoll verschwunden, wie sie gekommen ist.
Ramon läuft auf Schleichwegen zur Taubengasse 17 und setzt Namenlos in der Nähe der Mülltonnen ab.
Aber hier kann Anna mich ja gar nicht sehen?“ jammert diese.
Und auch kein anderer, oder möchtest du, dass ein Fremder dich mitnimmt?“
Die Puppe schüttelt heftig den Kopf.
Lass mich nur machen.“
Der Kater beobachtet aufmerksam die Toreinfahrt.
Jetzt betritt Oma Jansen mit Anna an der Hand den Hof.
Ich komme gleich wieder,“ murmelt Ramon und läuft los.
Mit stolz erhobenem Schwanz stolziert er auf die Beiden zu und umkreist sie laut schnurrend.
Du bist aber ein Hübscher, dich habe ich ja noch nie hier gesehen,“ gurrt die alte Frau.
Der Kater schnurrt noch lauter und Anna bückt sich, um ihn zu streicheln.


Ramon fasst mit seinen kleinen Zähnchen die Finger des Mädchens und beginnt daran zu ziehen.
Was willst du denn?“
Der Kater lässt ihre Hand los, läuft einige Schritte in Richtung Mülltonnen, bleibt stehen und dreht sich um.
Ich glaube, er will mir was zeigen?“
Nun, dann lauf los,“ lacht Oma Jansen, „ich werde hier warten.“
Anna folgt dem Kater, der erst vor Namenlos stehen bleibt.
Das Mädchen stoppt ihren Lauf und starrt auf die Puppe.
Das war doch die Puppe aus dem Schaufenster?
Sicher ihr Kleid sah anders aus und auch ihre Nase schien ein wenig verändert.
Aber ihr Herz sagte ihr, das war „ihr Puppenkind!“
Sie hebt die Puppe auf und drückt sie fest an ihr Herz, dann läuft sie damit zu der alten Frau.
Oma Jansen, Oma Jansen, sieh nur, da hinten saß meine Puppe aus dem Schaufenster!“
Wie, was, wo hast du sie gefunden?“ stottert die alte Frau.
Anna zeigt nach hinten.
Dort bei den Mülltonnen, darf ich sie behalten?“
Ich denke schon,“ meint Frau Jansen zögernd.
Im ganzen Block gab es außer Anna kein Kind.
Trotzdem blieb es rätselhaft, wie ausgerechnet diese Puppe hier her kam.
Doch als sie in die bangen Augen des kleinen Mädchens sieht, nickt sie.
Anna jubelt und drückt ihr Puppe ganz fest.
Ich werde sie Jennifer nennen!“
Jennifer strahlt mit ihrer Mutti um die Wette.
Endlich hatte sie einen Namen und was für einen schönen!
Das findet auch Oma Jansen.
Jennifer, das klingt hübsch. Doch nun komm Kind, wir wollen hinein gehen.“
Sie setzen sich in Bewegung, doch dann bleibt die alte Frau stehen und wendet sich zu dem Kater um.
Irgendwie werde ich den Gedanken nicht los, dass du hinter der ganzen Sache steckst. Hast du keine Lust deine kleine Freundin zu begleiten?“
Ramon sitzt da, den Schwanz um die Vorderpfoten gelegt, als würde ihn die ganze Sache nichts angehen.
Jennifer lugt über Annas Schulter.
Komm doch mit, Ramon, endlich ein Zuhause, keinen Hunger mehr, keine Straßenkämpfe. Hast du nicht gesagt, dass es von Jahr zu Jahr schwerer wird? Denk an die Worte von Bärbel:
Wenn man eine Chance bekommt, soll man sie nützen“
Und dies ist deine Chance auf ein besseres Leben. Komm doch mit!“





Ramon bewegt sich nicht.
Sein Blick wandert unschlüssig zwischen der Straße, dem Weg in die Freiheit und den langsam sich entfernenden Menschen hin und her.
Dann geht ein Ruck durch seinen Körper und er saust los, flitzt gerade noch ins Haus, bevor die schwere Eisentür zuschlägt.
Mit langen Sprüngen rast er die Treppe hinauf und schlängelt durch die Menschenbeine in die Wohnung.
Er bleibt stehen und lässt seinen Blick schweifen.
Eine rotweiße hübsche Katze kommt in den Flur gelaufen, um ihr Frauchen zu begrüßen und bleibt abrupt stehen, als sie den Kater erblickt.
Ramon wirft sich in Pose und schreitet in kleinen eleganten Schritten auf die Katze zu.
Mit seiner dunkelsten Stimme schnurrt er.
Halloooo, meine Hübsche, ich bin Ramon der König der Straßen und wie heißt du bezauberndes Geschöpf?“
Ich heiße Minou,“ meint die Katze schüchtern, „bleibst du bei uns?“
Mal sehen, wie ist es denn hier so?“
Wunderschön, mein Frauchen ist eine ganz Liebe.“
Hm und wie ist das Essen?“
Herrlich und abwechslungsreich und im Bad steht eine Kiste für ...“ Sie wird etwas verlegen, … du weißt schon was,“ murmelt sie verschämt.
Ramon, der inzwischen mit Minou ins Wohnzimmer gewandert ist, sieht sich um.
Das heißt, ich darf hier meine Spur nicht setzen?“
Oh, nein! Da wird Frauchen sehr böse!“ ruft Minou entsetzt.
Nun, du wirst mir sicher erklären was hier so üblich ist.
Aber es gibt keine Luft und keinen Sonnenschein!“
Oh, doch wir haben einen sehr schönen Balkon! Komm ich zeig ihn dir.“



Der Kater folgt Minou hinaus auf den Balkon und bald liegen sie dicht aneinander geschmiegt in der Sonne und Ramon erzählt von seinem Vagabundenleben und die Katze, die noch nie die Wohnung verlassen hatte, lauscht entzückt seinen Abenteuern, die der Schlingel natürlich noch ausschmückt.
Oma Jansen blickt lächelnd hinaus auf den Balkon.
Sie scheinen sich gut zu verstehen.“
Anna, die mit Jennifer auf dem Schoß auf dem Sofa sitzt, fragt:
Meinst du, der Kater wird hier bleiben?“
Ich weiß nicht. Er ist ein Streuner, aber wenn er will, dann kann er gerne hier bleiben.“
 „Das wäre schön,“ seufzt Anna und drückt ihre Jennifer liebevoll an ihr Herz und diese schmiegt sich an ihre Puppenmutter und ist glücklich.
Nun hat sie einen schönen Namen, war bei ihrer geliebten Anna und ihr bester Freund hatte ein Zuhause gefunden.
Schöner konnte es gar nicht werden.

 
© Lore Platz


Freitag, 26. Juli 2024

Die Puppe Namenlos 4





Am nächsten Morgen holt die blonde Frau sie aus dem Bettchen und nun wird der Arm der Puppe gerichtet.
Wieder muss sie still liegen und kann an der Teeparty um Mitternacht nicht teilnehmen.
Doch als am Morgen darauf die Sonne durch das Fenster lacht, darf Namenlos wieder ihre Wiege verlassen und wird auf einen Tisch gesetzt.
Inge öffnet eine alte von Hand geschnitzte Truhe und breitet einige Kleidungsstücke vor der staunenden Namenlos aus.
Diese bekommt nun ein mit Spitzen besetztes Unterhöschen, dazu das passende Unterhemd und dann noch einen weit ausladenden Unterrock, der von der Hüfte abwärts mit Rüschen besetzt ist.
Inge kneift ein Auge zusammen und betrachtet die rot wallenden Locken der Puppe.
Grün oder Türkis!“ murmelt sie.
Dann holt sie ein wunderschönes grünes Kleid aus der Truhe und stülpt es Namenlos über den Kopf, schließt dann die kleinen Perlmuttknöpfe am Rücken und zieht das Kleid über dem bauschigen Unterrock glatt und betrachtet stolz die Puppe.


Hübsch siehst du aus. Jetzt wollen wir deine Locken noch etwas entwirren und dann bist du perfekt.“
Mit einem kleinen Kamm fährt sie durch die dichte Lockenpracht und obwohl es etwas ziept, ist Namenlos in diesem Moment die glücklichste Puppe der Welt.
Auf der Teeparty in der Nacht darf Namenlos zum ersten Mal teilnehmen.
Alle freuen sich, dass sie wieder gesund ist und bewundern ihr schönes Kleid.
Tagsüber sitzt sie nun mit einigen anderen Puppen auf dem Sofa und abends feiern sie die schönsten Feste.
Sie war nun eine von ihnen und alle waren nett zu ihr.
Namenlos könnte nun zufrieden und glücklich sein, wenn nicht dieser nagende Schmerz in ihrem kleinen Puppenherz wäre.
Sie konnte Anna nicht vergessen und sehnte sich nach ihr.
Immer wieder taucht das liebe Gesicht des kleinen Mädchens in ihren Träumen auf.



Wieder ist es Tag und die Puppe sitzt auf dem Sofa.
Durch das geöffnete Fenster dringt die Wärme der Sonne und goldene Pünktchen tanzen im Raum.
Die Vögel im Garten jubilieren um die Wette.
Eine dicke Hummel fliegt brummend ins Zimmer, stößt überall an, bevor sie wieder den Weg hinaus in den Garten findet.
Ein Schatten taucht plötzlich am Fenster auf.
Ein Kater sitzt auf der Fensterbank, springt auf den Boden und stolziert durch das Zimmer.
Ramon, hier bin!“ ruft Namenlos.
Der Kater wendet seinen Blick zum Sofa und starrt überrascht auf die Puppe.
Ich hätte dich beinahe nicht mehr erkannt. Gut siehst du aus!“
Namenlos errötet vor Freude.
Dann bemerkt sie, dass das rechte Ohr des Katers herab hängt
und daran noch ein wenig verkrustetes Blut klebt.
Was ist denn passiert?“
Ramon zuckt lässig mit den Schultern.
Ach das ist nichts. So ein junger Spund hat geglaubt, er könnte meinen Platz einnehmen.“
Der Kater lacht vergnügt.
Du solltest ihn einmal sehen. Sobald kann er sich bei der Damenwelt nicht mehr blicken lassen.“
Namenlos lacht.
Du bist schon einer. Wie geht es denn der reizenden Prisilla?“
Ramon streckt beide Vorderpfoten nach vorn und gähnt herzhaft.
Ach die,“ meint er gedehnt, „ mit leckerer Sahne ist es vorbei. Ihr Frauchen passte immer auf und wenn ich den Garten betrat, hat sie mich mit dem Besen verjagt. Und nun hat sie einen Kater gekauft, so einen Lackaffen mit Stammbaum.“
Ramon kratzt sich mit der Pfote hinter dem Ohr.
Jetzt würdigt mich die reizende Prisilla keines Blickes mehr und hat nur noch Augen für ihren Gigolo.“
Habe ich dir nicht gesagt, sie ist eine hochnäsige Zicke!“
triumphiert Namenlos.




Der Kater zuckt die Schulter, streift durch das Zimmer und beschnuppert die Einrichtung.
Und was hast du in der Zwischenzeit so erlebt?“
Wie du siehst hat die Puppendoktorin mich wieder geheilt und die anderen Puppen hier sind alle sehr nett.
Nach Mitternacht feiern wir immer eine lustige Teeparty.
Es ist schön hier!“
Aber?“
Ramon ist wieder zum Sofa zurück gekehrt.
Namenlos sieht ihn an.
Was meinst du mit `aber ` ?“
Der Kater hat sich hingesetzt und den Schwanz um die Vorderpfoten gekringelt.
Dein Worte klingen nach einem großen ´aber´ .
Was bedrückt dich?“
Die Puppe lächelt traurig.
Wie gut du mich doch kennst. Ich kann das kleine Mädchen nicht vergessen.“
Das dich immer im Schaufenster besucht hat? Weißt du denn wo sie wohnt?“
Namenlos schüttelt den Kopf.
Ich weiß nur, dass sie Anna heißt, so hat die alte Frau sie gerufen.“
Irgendwo knarrt eine Tür und Ramon springt auf die Fensterbank.
Ich komme bald wieder!“

Morgen geht es weiter

Donnerstag, 25. Juli 2024

Die Puppe Namenlos 3

 
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meiner Internet – Freundin Inge bedanken, die mir genau erklärt hat, wie man Puppen repariert und mir außerdem die wunderbare Geschichte erzählt hat, wie sie selbst dazu kam, Puppen zu reparieren.




Namenlos liegt in dem Bettchen und fühlt sich endlich wieder sauber und glücklich.
Sie duftet so frisch und ihr herrlich rotes Haar ist von Schmutz und Blättern befreit.
Neugierig sieht sie sich in der Stube um.
Ringsum in Regalen und Schränken stehen unzählige Puppen.
In einer Ecke sind aufeinander gestapelt Puppenküchen und Kaufläden.
Namenlos gefällt es hier. Seit ihrer Irrfahrt fühlt sie sich
wieder so heimelig wie im Schaufenster von
Marion`s Puppenstube“.
Plötzlich taucht Annas Gesicht vor ihr auf und Augen voller Liebe sehen sie an.
Ein leise Sehnsucht zieht in ihr kleines Puppenherz.
Die Tür öffnet sich und die blonde Frau kommt herein.
Namenlos wird aus der Wiege gehoben und auf einen Tisch gesetzt, der voller Kästchen, Schächtelchen, Töpfchen und Döschen ist.




Inge fährt vorsichtig mit dem Finger über die kaputte Nase, dann öffnet sie ein Döschen, holt Celluloidsplitter heraus und lässt sie behutsam in das Loch rieseln, drückt sie mit den
Fingern fest und streicht die neu geformte Nase glatt.
Sie schraubt ein Gläschen auf und trägt mit dem Pinsel das flüssige Celluloid auf.
Diesen Vorgang wiederholt sie mehrmals.
Dann betrachtet sie ihr Werk.
Nun hast du wieder ein hübsches Näschen. Das Ganze muss
aber jetzt trocknen. Erst dann kann ich mich um deinen Arm kümmern.
Namenlos wird wieder hoch gehoben und in die Wiege gelegt, dann verlässt die Puppendoktorin den Raum.
Die Gedanken der Puppe wandern wieder zu Anna und sie beginnt zu träumen.




Anna und sie laufen zusammen über eine blühende Wiese, setzen sich auf eine Decke und machen ein Picknick.
Dann legen sie sich hin und beobachten die Wolken. Schmetterlinge tanzen im Sonnenschein, Bienen fliegen brummend von Blüte zu Blüte und alles duftet so herrlich und
Namenlos fühlt sich so glücklich.
Und am Abend nimmt Anna sie mit in ihr Bett und sie kuscheln zusammen.



Ein Geräusch schreckt Namenlos aus ihren Träumen und als sie die Augen aufschlägt, sieht sie viele Puppen, die sich um die Wiege drängeln und tuscheln.
Es ist dunkel draußen, nur der neugierige alte Mond blickt durch die Scheibe.
In den Kaufläden und Puppenküchen brennen kleine Lichter.
Jetzt hat eine der Puppen bemerkt, dass Namenlos die Augen geöffnet hat.
Sie ist wach!“ ruft sie und alle drängen an die Wiege, die leicht zu schaukeln beginnt.
Herzlich willkommen bei uns. Bald bist du wieder wie neu
und darfst auch an unseren nächtlichen Teepartys teilnehmen.“
So schwirrt es durcheinander.
Macht Platz! Lasst mich durch!“
Eine große Puppe zwängt sich nach vorne.
Hallo, ich bin Bärbel und wie heißt du?“
Namenlos,“ flüstert diese verschämt.
Mitleidiges Gemurmel ringsum.




Bärbel runzelt die Stirn.
Das heißt, du hattest noch niemals eine Puppenmutti, wie bedauerlich! Meine erste Puppenmutter gab mir den Namen Bärbel und den habe ich behalten, auch wenn ich im Laufe der Jahre mehrere Puppenmütter hatte. Aber du weißt ja, der erste Name von der ersten Puppenmutter bleibt für immer.“
Bärbel lässt einen hoheitsvollen Blick durch die Stube gleiten.
Ich bin eine echte Schildkrötpuppe und die erste, die in diese Stube eingezogen ist. Alle anderen hier haben es mir zu verdanken, dass es die Puppendoktorin gibt.“
Die anderen Puppen stöhnen und verdrehen genervt die Augen.
Schon wieder die alte Geschichte.
Jedes Mal, wenn eine Neue kam, dann erzählte Bärbel die uralte Geschichte.
Still und leise verdrücken sie sich in die Ecke.
 



In der Puppenküche wird schon fleißig Tee gekocht und Kekse gebacken.
Dorthin schleichen die Puppen und bald wird eine fröhliche Party gefeiert.
Bärbel aber holt sich ein Kissen und setzt sich neben die Wiege und beginnt mit ihrer Erzählung.
Ich landete mit einem riesigen Loch im Kopf in einem Trödelschuppen. Dort fand mich Inge und wollte mich reparieren lassen, aber das kostete eine Menge Geld und so beschloss sie, es selbst zu versuchen. Sie hörte sich ein wenig um und hatte das Glück eine alte Dame kennen zu lernen.
Diese besaß vor dem Krieg zusammen mit ihren Eltern ein Spielwarengeschäft mit einer Reparaturwerkstatt .
Die vielen Ersatzteile, die sie über den Krieg retten konnte, schenkte sie Inge und sie brachte ihr bei, wie man Puppen repariert. So wurde aus Inge eine Puppendoktorin.“
Bärbel erhebt sich.
Wenn du wieder gesund bist, darfst du auch an unseren Teepartys teilnehmen. Aber solange nicht alles verheilt ist, musst du liegen bleiben. Wie ist es eigentlich passiert?“
Namenlos erzählt nun ihre Lebensgeschichte und viele
mitleidige Rufe dringen aus der Ecke.
Bärbel gesellt sich zu den anderen und Namenlos ist wieder allein.
Sie hört das Gelächter und Geplauder der Puppen und einmal ist sogar einer der Nussknacker herunter gestiegen, um den Damen ein Ständchen zu bringen.
Doch als sie ihn auslachen, weil er keinen Ton richtig halten kann, verzieht er sich beleidigt wieder auf sein Regal.

Irgendwann schläft Namenlos dann ein.


Morgen geht es weiter