Heute will ich euch erzählen wie Zwurrli und der Professor sich kennen gelernt haben. Mit dieser Geschichte wünsche ich euch einen schönen Wochenanfang.
Viel Spaß beim Lesen!
Zwurrli und der Professor
Die Luft ist reingewaschen vom Regen und geschwängert vom Duft der Blüten.
Blumen und Pflanzen recken sich den wärmenden Strahlen entgegen und die Käfer und Insekten wagen sich wieder an die Oberfläche.
Das Summen der Bienen übertönt alle Geräusche, denn nach ihrem unfreiwilligem Hausarrest gehen sie nun mit doppeltem Eifer ihrer Arbeit nach.
Auch Zwurrli klettert zwischen den Wurzeln des Birnbaums hervor, unter dem er und seine Familie wohnt.
Aus der Ferne klingt das Klappern von Geschirr. Sicher wird seine Menschenfreundin im Garten frühstücken und bei dem Gedanken an die leckere Erdbeermarmelade läuft ihm das Wasser im Mund zusammen.
So schnell ihn seine kurzen Beine tragen eilt er durch das hohe Gras.
Biggi sitzt auf einem Stuhl einen Zeichenblock auf dem Schoß und ihr Stift fährt schnell über das Papier.
Zwurrli will gerade an ihrem Stuhl hochklettern, da kommt der große Mann aus dem Haus und schnell versteckt sich der Wichtel unter dem Tisch.
Ricky stellt eine der Kaffeetassen vor seine Frau und wirft einen Blick auf den Block, dann prustet er los.
„Ist das der Wichtel, der angeblich in unserem Garten haust!“
Biggi zieht ärgerlich die Stirn in Falten.
„Er existiert tatsächlich und ich werde mein nächstes Buch über ihn schreiben.“
Biggi ist nämlich Kinderbuchautorin und illustriert ihre Geschichten auch selbst.
Ricky grinst frech: „Ach Liebes, du hast dir gerade eine Geschichte ausgedacht und Fantasie und Wirklichkeit verwechselt. Denk daran, dass Karl May so mit seinen Figuren verwachsen war, dass er am Ende behauptete er wäre Old Schatterhand.
Aber keine Angst solltest du dich eines Tages als Wichtelfrau fühlen, ich werde dich immer lieben!“ tröstet er feixend.
„Oller Döskopp!“ grollt Biggi, muss aber doch grinsen.
Zwurrli seufzt leise, es wäre schön wenn Biggi eine Wichtelfrau wäre, denn er war ein wenig in seine Menschenfreundin verliebt. Und den Mann konnte er gar nicht leiden! Vielleicht war es ja auch Eifersucht.
Der Wichtel läuft hinüber und zwickt Ricky kräftig in den nackten Fuß.
„Aua!“ ruft der junge Mann und guckt unter den Tisch, doch Zwurrli hat sich schnell hinter einem Stuhlbein versteckt und kichert leise.
Ein beleibter Herr in einem rotkarierten Anzug , einen großen Strohhut auf dem Kopf, eilt beschwingt die Straße entlang.
Dabei schweifen seine fröhlichen Augen umher und studieren die Straßennamen.
„Amselweg 4, dann muss Amselweg 6 die nächste sein.“ murmelt er.
Gegenüber im Haus Amselweg 5 steht eine alte Frau in gekrümmter Haltung hinter einem Busch und beobachtet den Garten gegenüber aus dem fröhliches Lachen erklingt.
Der Herr schwenkt seinen Hut und grüßt freundlich, „ Guten Morgen!“
Die alte Frau zuckt zusammen, wirft ihm einen giftigen Blick zu und verschwindet ihm Haus.
Kopfschüttelnd betritt der alte Herr den Garten seiner Nichte Biggi und folgt den fröhlichen Stimmen.
„Guten Morgen Biggi, guten Morgen Ricky!“
„Onkel Theobald wie schön du kommst gerade rechtzeitig zum Frühstück !“ jubelt die junge Frau und fällt dem Bruder ihrer Mutter um den Hals.
Auch Ricky schüttelt ihm kräftig die Hand.
Und bald sitzt Professor Theobald Fleckenstein am Tisch trinkt genüsslich seinen Kaffee und lässt seinen Blick über den Garten schweifen.
„Es ist genauso schön wie du es beschrieben hast, liebe Biggi!“
„Hat sie dir auch geschrieben, dass bei uns ein Wichtel wohnt!“
„Fängst du schon wieder an!“ faucht seine Frau.
Doch der Professor bleibt ernst.
„Warum denn nicht, es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde. Außerdem so ein Wichtel ist doch etwas nettes und kann ein freundlicherer Nachbar sein als mancher Mensch.“
Zwurrli unter dem Tisch strahlt, der Professor gefällt ihm.
„Ach übrigens Nachbarn, gegenüber lauerte eine alte Frau hinter einem Busch und beobachtet euch und als ich ihr einen freundlichen Gruß zurief, da sah sie mich an als hätte ich ihr ein unsittliches Angebot gemacht.“
„ Ach das ist Fräulein Kunigunde Neumeier, eine Lehrerin, aber zwangsweise frühzeitig pensioniert.“ erklärt Ricki.
„Sie hatte ein kleines Mädchen nachsitzen lassen und dann vergessen und die Schule abgeschlossen.
Eine Hundertschaft der Polizei hat mit Spürhunden die Gegend abgesucht, als die Kleine nicht nach Hause kam.
Später fand man das Mädchen völlig verängstigt und verheult im Schulhaus.
Die Lehrerin musste den Einsatz der Polizei bezahlen und wurde pensioniert.
Seitdem spioniert sie ihre Nachbarn aus und schreibt bitterböse Briefe über sie an die Gemeinde.
Doch die nehmen sie nicht ernst.“
„Das ist die besondere Spezies des Homo sapiens, von
denen meine Mutter, deine Großmutter, liebe Biggi, immer behauptete, der Herrgott habe sie nur zu unserer Prüfung geschaffen.“Das fröhliche Lachen, das nun erklingt, lässt die alte Schreckschraube Kunigunde ihren Kopf aus dem Gebüsch strecken.
Später holt Ricky sein Fahrrad aus dem Schuppen, klemmt den Anhänger daran und ruft.
„Onkel Theobald, ich hole jetzt dein Gepäck vom Bahnhof!“
„Pass aber auf mein Angelzeug auf!“
Ricky winkt und verlässt einen Gassenhauer pfeifend den Garten.
„Du willst angeln?“
„Ach Biggi du hast mir so anschaulich die Gegend, in der ihr lebt beschrieben und als du dann den Bach, in dem es vor Fischen nur so wimmelt, erwähntest, da habe ich kurzentschlossen auch mein Angelzeug eingepackt. Es ist doch erlaubt?“
„Ja, der Bach gehört der Gemeinde und meist fischt die Dorfjugend.
Übrigens kannst du morgen angeln gehen, denn Ricky und ich machen einen Ausflug mit dem Fahrrad und wenn du was fängst, dann werden wir abends grillen.“
„Gut, aber nun möchte ich ein wenig deinen Garten besichtigen.“
Zwurrli folgt dem Professor, der sich immer wieder bückt, um eine Pflanze genauer zu betrachten oder dem Gewurrle der Insekten zuzuschauen, vorsichtig darauf bedacht, keine zu zertreten.Der Wichtel sieht plötzlich etwas großes rundes auf sich zukommen und dahinter steht ein riesengroßes Auge.
Vor Schreck fällt er auf den Rücken, rappelt sich auf und rennt davon und verschwindet unter der Wurzel des Birnbaums.
Der Professor aber richtet sich langsam auf und lässt sein Vergrößerungsglas in der Tasche verschwinden.
Kopfschütteln geht er zurück ins Haus.
Sollte das etwa Biggies Wichtel gewesen sein?
Am nächsten Morgen rumort es schon sehr früh in dem kleinen Haus. Türen schlagen, Schritte laufen treppauf, treppab und die Schuppentür öffnet sich quietschend.
Angelockt von dem Lärm streckt Zwurrli seinen Kopf aus dem Gewirr der Wurzeln.
Heute war doch Sonntag und da schliefen Biggi und ihr Mann doch immer viel länger.
Neugierig läuft er zum Haus.
Er macht einen großen Bogen um Ricky, der zwei Fahrräder aus dem Schuppen geholt hat und daran herum hantiert.
Über die offene Terrassentür schlüpft der Wichtel ins Haus folgt den Stimmen und landet in der Küche. Hier duftet es lecker nach frisch aufgebackenem Baguette.
Biggi bereitete gerade Sandwich und beim Anblick all der leckeren Sachen auf dem Tisch läuft Zwurrli das Wasser im Mund zusammen.
Schritte ertönen und Zwurrli klettert schnell in den Korb, der auf dem Boden steht.
„Hast du unser Picknick fertig?“ hört er die Stimme Rickys.
„Ja, der Korb auf dem Tisch, ich will nur noch den Korb für Onkel Theobald richten, dann können wir fahren.“
Der Deckel öffnet sich und Zwurrli drückt sich in die Ecke.Eine Thermoskanne, eine Flasche mit Wasser und eine große Plastikdose werden im Korb verstaut, dann fallen noch ein paar Äpfel von oben und Zwurrli muss zur Seite springen, um nicht getroffen zu werden.
Er hört die Stimme des Professors, der nun die Küche betritt.
„Guten Morgen, Biggi, ich freue mich schon so auf das Angeln. Am frühen Morgen ist es am schönsten.“
„Guten Morgen Onkelchen, du weißt den Weg zum Bach?“
„Ja, du hast es mir doch gestern wunderbar erklärt, durch die hintere Tür des Gartens bis zum Rande des Waldes und dann rechts ab.“
„Prima, ich muss nun los! Da habe ich dir einen Picknickkorb gerichtet, denn fischen macht sicher hungrig. Wenn du gehst, dann zieh einfach die Tür ins Schloss. Den Hausschlüssel hast du.“
„Ja mein Kind, ich bin zwar Professor, aber kein zerstreuter.“
Biggi lacht, umarmt ihn, gibt ihm einen Kuss auf die Wange und verlässt das Haus.
Schmunzelnd nimmt Theobald den Korb und zieht die Tür hinter sich zu.
An der Hauswand lehnt seine Angel und mit Angel und Eimer in der einen Hand und dem Korb in der anderen Hand wandert er vergnügt pfeifend durch den Garten.
Zwurrli wird es ein wenig schwindelig bei dem Geschaukel, dann wird der Korb abgestellt und er atmet erleichtert auf.
Vorsichtig öffnet er die Klappe und späht hinaus.
Der Professor sitzt am Bach und hält seine Angel ins Wasser.
Zwurrli setzt sich neben ihn und starrt gespannt in das klare Wasser in dem es vor Fischen nur so wimmelt.
Da! Einer beißt an und der Angler zieht ihn aufgeregt an Land.„Ein prächtiger Bursche!“
Da fällt sein Blick auf Zwurrli. „Du bist doch der kleine Wicht, den ich gestern im Garten sah?“
Der Wichtel nickt heftig grinsend.
„Ich heiße Zwurrli!“
„Angenehm, ich bin Theobald.“
Da ruckt es wieder an der Angel und der Wichtel springt aufgeregt auf und ab, als der Professor den Fisch an Land zieht.
Nachdem auch der dritte Fisch im Eimer schwimmt, beschließen die beiden, die inzwischen gute Freunde geworden sind, dass es genug ist.
Der Professor packt die Leckereien aus dem Korb und einträchtig sitzen sie nebeneinander und lassen es sich schmecken.
Dabei erzählt Zwurrli dem Professor von seiner Familie und warum sie zu Biggi in den Garten gezogen sind.
Und Theobald erzählt, dass er in Pension ist, seine Haushälterin aber im Krankenhaus liegt und er deshalb so lange bei Biggi wohnen wird.
Später legen sich beide ins Gras, jeder einen Halm im Mund und die Arme hinter dem Kopf verschränkt und gucken in den Himmel.
Und auf einmal sind sie eingeschlafen.
Auf dem Rückweg sitzt Zwurrli auf der Schulter seines neuen Freundes.
Sie lassen den Eimer mit den Fischen im Schuppen stehen und setzen sich dann in den Garten.
Fröhliches Klingeln kündet die Ankunft der jungen Leute und nach einem schnellen Abschied rennt Zwurrli zum Birnbaum und verschwindet zwischen den Wurzeln.
In Rickys Gegenwart erzählt der Professor nichts von Zwurrli, denn er fürchtet dessen Spott.
Doch als sein Neffe in den Schuppen geht, um die Fische fürs Grillen herzurichten sagt er leise zu Biggi.
„Dein Wichtel heißt Zwurrli!“
„Du hast ihn gesehen,“ jubelt die junge Frau und lässt sich auf den Küchenstuhl sinken.
Auch ihr Onkel setzt sich und dann erzählt er, dass Zwurrli in dem Picknickkorb war und dass sie inzwischen gute Freunde geworden sind.
Auch von der Familie des Wichtels und dem gespaltenen
Baum im Park erzählt er und Biggi beschließt darüber eine Geschichte zu schreiben.Ricky verraten sie natürlich nichts, doch ab und zu zwinkern sich Onkel und Nichte verschwörerisch zu.
© Lore Platz