Kurze
Zeit später steht sie vor der Höhle der Eishexe.
Ein
tiefes Knurren lässt sie inne halten.
Lautlos
ist der Wolf aus der Höhle aufgetaucht und fletscht seine
kräftigen Zähne und tief aus seinem Inneren dringt ein bösartiges
Knurren.
Mutter
Erde bleibt stehen und sieht ihn streng an.
Der
Wolf beginnt zu winseln und verschwindet mit eingezogenem Schwanz.
Mutter
Erde geht weiter und steht bald der Eishexe gegenüber, die auf ihrem
Thron aus Eis lümmelt und ihr spöttisch entgegensieht.
„Wie
ich sehe bist du an meinem Wächter vorbei gekommen?“
„Nun
ich bin Mutter Erde!“
„Ach
und wie komme ich zu der Ehre des Besuches der mächtigen Mutter
Erde?“
„Was
hast du mit meinem Sohn, dem Frühling gemacht?“
„Dem
Frühling, ich hatte noch nicht die Ehre ihn kennen zu lernen. Wie du
weißt, wenn er erwacht, muss ich schlafen gehen.“
Sie
gähnt theatralisch.
„Ich
habe mir schon gedacht, er ist spät dieses Jahr und dabei bin ich
doch schon soooo müde.“
Wieder
hebt sie die Hand um ein Gähnen zu unterdrücken, doch dabei funkeln
ihre Augen vor Vergnügen.
Mutter
Erde wendet sich zum Gehen.
„Ich
weiß nicht, wie du es gemacht hast, aber ich komme dahinter!“
„Viel
Vergnügen!“
Das
schrille Lachen der Eishexe lässt die Eiszapfen an den Wänden
erzittern.
Mutter
Erde ist sehr besorgt, als sie in ihr Wolkenschloss zurückkehrt.
Ein
kleiner Junge steht am Fenster und sieht traurig den tobenden Kindern
zu, die sich vergnügt mit Schneebällen bewerfen.
Weiter
hinten auf dem zugefrorenen Weiher drehen einige ihre Runden auf
Schlittschuhen.
Er
seufzt leise, wir gerne würde er auch einmal mit Schlittschuhen über
die glatte Fläche gleiten zu den Klängen der Musik, die er im Kopf
hören würde.
Ein
Lächeln spielt um seine Lippen.
Vor
sechs Jahre, im Alter von drei Jahren hatte er Kinderlähmung und
seitdem war sein linkes Bein lahm.
Lange
war er traurig gewesen, obwohl er es seinen Eltern nie gezeigt hatte,
denn er wollte ihnen keinen Kummer machen.
Doch
eines Tages hatte er im Radio die
„Träumerei“
von Robert Schumann gehört und sie wurde von einem bekannten
Violinisten gespielt.
Und
seitdem hatte er den Wunsch mit der Geige zu spielen .
Als
er seinen Wunsch einmal seinen Eltern anvertraute, lag unter dem
Weihnachtsbaum eine wunderschöne rotbraun glänzende Geige.
Seitdem
bekam er Unterricht und er lernte schnell dieses Instrument zum
Singen zu bringen.
Bald
stellte sein Lehrer die außerordentliche Begabung des Jungen fest
und legte den Eltern nahe,
diese
zu fördern und schlug ihnen Herrn Bellini vor, einen der besten
Lehrer.
Deshalb
waren sie hierher gezogen.
„Pascal,
du musst zum Unterricht.“
Die
Mutter kommt herein, in der einen Hand seinen Mantel, in der anderen
seinen Geigenkasten.
Vor
der Haustür legt sie ihm noch einen dicken Schal um den Hals, gibt
ihm einen Kuss auf die Stirn und geht zurück ins Haus.
Dies
alles wird von Arne beobachtet und es macht ihn wütend , obwohl er
nicht sagen kann warum.
Aber
eigentlich ist ihm dieser „Krüppel“ vom ersten Augenblick an
zuwider gewesen.
Er
winkt seinen Freunden, Rudi und Andreas und grinsend stellen sich die
drei Pascal in den Weg.
„ Da
kommt ja unser Muttersöhnchen und wie elegant er wieder schreitet.“
Arne
ahmt das Hinken des Jungen nach und seine Freunde kichern.
Pascal
beachtet ihn nicht und geht unbeirrbar weiter.
Doch
plötzlich umkreisen sie ihn und zwingen ihn zum stehenbleiben.
„Ich
habe dich was gefragt, Hinkebein!“ schnauzt Arne ihn an.
Pascal
betrachtet ihn ruhig.
„Da
ich meine Geige dabei habe, sollte es wohl klar sein, wohin ich
gehe.“
„Ach
natürlich unser Wunderknabe, der besser musizieren, als Laufen kann
und außerdem der Liebling der Lehrer ist, geht zu Herrn Bellini!“
spottet Arne und zieht Pascal schnell seine Mütze vom Kopf und wirft
sie Rudi zu.
Nun
spielen sie mit der Mütze und werfen sie sich gegenseitig zu,
während Pascal sich hilflos im Kreis dreht und versucht sie zu
erwischen.
Als
die Mütze zu Boden fällt kicken die frechen Jungen sie wie einen
Fußball durch die Gegend.
Herr
Belline, der alles vom Fenster aus beobachtet hat, kommt nun aus dem
Haus und auf sie zu.
Lachend
laufen die Jungen weg.
Pascal
bückt sich, hebt die klatschnasse Wollmütze vom Boden auf und
schüttelt sie, dann steckt er sie in die Tasche.
Herr
Bellini hat ihn nun erreicht und meint grimmig.
„Ein
übler Bursche dieser Arne, mit dem nimmt es einmal ein schlechtes
Ende. Aber nun komm ins Warme.“
Er
legt seinem Lieblingsschüler den Arm um die Schultern und führt ihn
ins Haus.
Bald
sitzt Herr Bellini in seinem großen Ohrensessel, die Hände über
den Bauch gefaltet, die Augen geschlossen und lauscht entzückt , den
wundervollen Klängen die Pascal seiner Geige entlockt.
Wieder
sind einige Wochen vergangen und Mutter Erde wird immer besorgter.
Die
Eisdecke über der Erde hatte sich weiter ausgebreitet und die kalte
Luft, die nach oben zieht hält Mutter Sonne und ihre Töchter
gefangen.
Die
guten Geister haben sich auf die Suche nach dem Frühling gemacht,
doch er war nirgendwo zu finden.
Bekümmert
betrachtet Mutter Erde ihren Garten und bemerkt voller Schrecken,
dass die Frühlingsblumen ihren Glanz verloren hatten und einige
sogar schon ihre Köpfe hängen lassen.
Die
Zeit drängt.
Die
Eishexe lümmelt auf ihrem Thron und blickt voller Spott den Winter
an, der mit grimmigem Gesicht vor ihr steht.
„Du
wagst es mir zu drohen, du kümmerlicher Wicht!“
Wütend
funkelt der Winter sie an.
„Gib
meinen Bruder frei, damit die Welt ihre Ordnung hat. Auch sind wir
Wintergeschöpfe müde und möchten endlich schlafen.“
Die
Eishexe richtet sich auf.
„Willst
du mir drohen? “
Mit
geballten Fäusten tritt der Winter einen Schritt auf sie zu.
„Wo
hast du meinen Bruder versteckt, sprich Weib!“
Die
Eishexe lacht schrill.
„Deine
Respektlosigkeit habe ich mir lange genug gefallen lassen. Wenn ich
dich nicht brauchen würde, hätte ich dich schon längst vernichtet.
Und
glaube nicht deine Mutter kann dich noch lange beschützen, bald wird
sie ihre Macht verloren haben!“
Sie
schnippt mit dem Finger und der Winter ist in einem Eisblock
gefangen.
Verzweifelt
schlägt er dagegen.
Die
Eishexe tritt dicht an ihn heran.
„Du
wolltest dich doch ausruhen, nun das kannst du nun tun. Nutze die
Zeit und überlege wem du dienen möchtest!“
Ihr
Lachen lässt die Eiszapfen klirren.
„
Was
ist denn hier so lustig?“ fragt die Feuerhexe, die zusammen mit
ihren Schwestern die Halle betritt.
Die
Eishexe betrachtet sie aus zusammen gekniffenen Augen.
„Was
wollt denn ihr schon wieder hier, was verschafft mit das Vergnügen!“
„Aber
Schwesterherz,“ kichert die Meerhexe.
„ erst
flehst du uns an, dir zu helfen, damit du die Weltherrschaft antreten
kannst und nun nachdem wir dir geholfen haben den Frühling zu
fangen, sind wir dir lästig.“
„Ach
nein, ihr seid mir doch nicht lästig,“ säuselt die Eishexe und
beobachtet aus den Augenwinkeln die Feuerhexe, die einzige ihrer
Schwestern, die sie fürchtete.
Diese
mustert sie spöttisch und deutet dann auf den eingefrorenen Winter.
„Sperrst
du nun schon deine Helfer ein.“
Die
Eishexe wirft einen düsteren Blick auf den Eisblock, in dem der
Winter wütend gegen die Innenwand schlägt.
„Leider
brauche ich ihn noch, aber ich will ihm etwas Respekt beibringen und
vor allem soll er lernen, wer hier der Herr ist.“
Ihre
Schwestern kichern.
„Aber
was führt euch zu mir?“
Auf
einmal ist sie besorgt:
„Ist
euch der Frühling entkommen?“
Die
Meerhexe winkt ab.
„Keine
Bange, der schläft tief und friedlich in meinem Reich in einer
Höhle, die nicht einmal der Wassermann kennt.“
„Aber
es gibt trotzdem ein Problem,“ murmelt die Moorhexe und wagt es
nicht ihrer Schwester in die Augen zu sehen.
Die
Eishexe richtet sich kerzengerade auf ihrem Thron auf und ihre
Stimmer klirrt vor Kälte, als sie drohend fragt:
„Was
für ein Problem?“
Ihre
Schwestern sehen sich an, dann ergreift die Feuerhexe das Wort:
„Du
weißt, dass der Frühling vor uns geflohen ist und es einige Zeit
gedauert hat, bis wir ihn eingefangen haben. Während dieser Zeit ist
es ihm gelungen seine Zaubergeige zu verstecken.“
Die
Eishexe lacht und lehnt sich entspannt zurück.
„Und
deshalb macht ihr euch Sorgen? Er schläft doch, was kann er mit der
Geige schon anrichten.“
„Nun
Mutter Erde hat sie ihm geschenkt, als er ein kleiner Junge war und
er kann damit die Tier und Pflanzen aus dem Winterschlaf wecken,“
erklärt die Moorhexe leise.
„Na
und, er kann ja wohl jetzt nichts mehr damit anfangen. Pech für die
Tier und Pflanzen, sie müssen nun ewig schlafen!“
Die
Eishexe lacht trillernd.
“ Was
ist?“ will sie wissen, als sie die verlegenen Blicke bemerkt, die
sich ihre Schwestern zuwerfen.
Wieder
ist es die Feuerhexe, die das Wort ergreift:
„Wenn
jemand die Zaubergeige findet, kann sie vielleicht doch eine Gefahr
für deine Pläne werden.“
„Warum,
ich denke nur der Frühling kann darauf spielen?“
„Und
ein Mensch mit reinem Herzen.“
Erleichtert
lehnt sich die Eishexe zurück.
„Menschen
mit reinem Herzen gibt es nicht!“
„Doch
Kinder!“
Wieder
ist es die Moorhexe , die dies leise ausspricht.
Die
Eishexe fängt an zu toben.
„Warum
bin ich nur mit solchen Schwestern geschlagen, nichts könnt ihr
richtig machen!
Macht
euch gefälligst auf den Weg und sucht diese verflixte Geige!“
„Stopp!“
Die
Feuerhexe sieht sie wütend an, hebt den Zeigefinger und der
Feuerstrahl, der heraus schießt trifft den Eiszapfen, der dicht
neben ihrer Schwester hängt und verwandelt ihn in einen dampfenden
Wassertropfen.
Die
Eishexe zuckt zusammen und einen kurzen Moment blitzt Angst in ihren
Augen auf.
„Du
hast uns angefleht dir zu helfen die Weltherrschaft zu erlangen und
wir haben dir geholfen. Wir haben den Frühling gejagt und er machte
es uns bestimmt nicht leicht. Trotzdem haben wir ihn gefangen,
eingeschläfert und versteckt. Das mit der Geige ist ein
bedauerlicher Fehler, den wir leider nicht mehr rückgängig machen
können.“
Die
Eishexe wirkt auf einmal ziemlich kleinlaut.
„Tut
mir leid, dass ich euch beschimpft habe, aber ihr werdet doch nach
der Geige suchen?“
„Nein!
Du beherrscht inzwischen die Hälfte der Erde durch unsere Hilfe.
Bisher hast du noch keinen Finger gerührt. Um die Zaubergeige
kümmere dich nun selbst!“
Die
Feuerhexe dreht sich um und verlässt mit ihren Schwestern den
Eispalast.
Die
Eishexe schimpft wütend vor sich hin, aber leise, denn sie fürchtet
sich vor der Feuerhexe.
Dann
begibt sie sich auf die Suche nach dem weißen Wolf.
Der
Winter in seinem Eisblock hat sich ganz still verhalten, damit ihm
nicht ein Wort entgeht.
Die
Eishexe hat ihn nach einigen Tagen aus seinem eisigen Gefängnis
befreit.
Und
obwohl er seitdem unter Beobachtung steht, ist es ihm doch gelungen
seiner Mutter eine Nachricht zu senden und zu berichten, was er
erlauscht hatte.
Mutter
Erde macht sich sofort auf die Suche nach der Zaubergeige.
Der Wolf hatte dasselbe Ziel im Auftrag der Eishexe.
Mühsam
schält sich Pascal aus den vielen Decken in die ihn seine besorgte
Mutter gewickelt hat und klettert aus dem Bett.
Einen
Moment trifft ihn die Kälte wie eine Faust und er beginnt zu
zittern.
Schnell
schlüpft er in seine Hausschuhe, nimmt seine Kleider und eilt ins
Bad, das seine Mutter extra für ihn geheizt hatte, obwohl dass
Heizmaterial immer knapper wird.
Er
dreht das eiskalte Wasser auf.
Es
kostet ihn immer eine Überwindung sich damit zu waschen, obwohl er
ich danach frisch und wach fühlt.
Als
der Junge dann in die Küche kommt, sieht er seine Eltern eng
umschlungen vor dem Ofen stehen und seine Mutter weint und flüstert.
„Der
Kohlenhändler hat schon wieder die Preise erhöht, bald werden wir
sie nicht mehr bezahlen können. Pascal wird wieder krank werden.“
„Mama,
ich bin kerngesund hat Doktor Wendel bei der letzten Untersuchung
gesagt.“
Die
Eltern drehen sich um.
Schnell
wischt die Mutter die Tränen ab.
Sie
eilt zu ihrem Sohn und umarmt ihn fest und drückt ihn an sich.
Pascal
befreit sich aus ihren Armen und meint leise.
„Du
sollst dir nicht immer Sorgen machen. Ich bin genauso gesund wie die
anderen Kinder.
Ich
habe nur ein lahmes Bein und das schon seit fünf Jahren. Es stört
mich nicht und es tut auch nicht weh. Ich spiele sowieso lieber Geige
als Fußball!“
Sein
Vater grinst.
„Recht
so mein Junge.“
Dann
zwinkert er und flüstert verschwörerisch:
„Aber
weißt du mein Sohn, Mütter müssen sich immer sorgen, das liegt bei
ihnen in den Genen.“
Seine
Frau gibt ihm einen Klaps auf die Schulter.
Lachend
wirbelt er sie herum und Pascal kichert.
Fröhlich
frühstücken sie zusammen und der Vater bringt die Mutter immer
wieder zum Lachen.
Ein
kurzes Klopfen und die Tür wird aufgerissen und die Nachbarin Frau
Bernhuber stürmt herein und bringt einen Schwall Kälte mit.
Schnell
schließt sie die Tür hinter sich und platzt heraus: „Die alte
Leni ist in ihrer Hütte erfroren!“
Erst
jetzt bemerkt sie Pascal, der sie mit offenem Mund anschaut.
„Solltest
du nicht schon längst auf den Weg zur Schule sein? Astrid ist schon
unterwegs.“
meint
sie verlegen.
Die
Mutter sieht zu Uhr und springt auf.
„Tatsächlich,
wir haben heute ein wenig die Zeit vergessen.“
Sie
hilft Pascal, der noch den letzten Bisses seines Brotes in den Mund
stopft in den Mantel. Setzt ihm die Mütze auf und schlingt den Schal
um seinen Hals.
Nachdem
der Junge noch die Fäustlinge angezogen hat, nimmt er den Ranzen und
verlässt das Haus.
Auf
dem Weg zur Schule grübelt er darüber nach, wie es wohl war, wenn
man erfriert.
Ob
es so ähnlich war wie bei ihm, wenn er abends im kalten Zimmer unter
die Decke schlüpft und bibbert, bis ihm endlich warm wird und er
dann einschläft.
Hat
Leni auch erst gefroren, dann wurde ihr warm und sie ist
eingeschlafen?
Nur
ist sie dann nicht mehr aufgewacht.
Stimmen
und Lachen reißen ihn aus seinen Gedanken.
Bald
sitzt er auf seiner Bank in der Schule und für den Moment hat er die
alte Leni vergessen.
Fortsetzung folgt