Der
Stern, der vom Himmel fiel
Tinchen
war ein kleiner Stern. Er war keiner der wichtigen Sterne bei denen
die Sternengucker auf der Erde in Verzückung gerieten.
Nein,
Tinchen war nur ein kleiner unwichtiger Stern unter Millionen
Sternen.
Aber
er war glücklich und freute sich wenn er in der Nacht sein Licht
anknipsen durfte und er hing an einem ganz besonderen Platz, direkt
neben dem großen Himmelstor.
Hier
war immer etwas los.
Wenn
er im Morgengrauen sein Licht ausknipste und Frau Sonne ihre Kinder
auf die Erde schickte, stolperte über die Milchstraße das
Sandmännchen müde und verschwand hinter dem Tor, um möglichst
schnell in sein Bett zu kommen.
Kurze
Zeit später purzelten dann die Engel kichernd und lachend an ihm
vorbei, die die Engelsschule besuchten.
Tinchen
liebte die pausbäckigen immer fröhlichen Gesellen.
Besonders
um die Weihnachtszeit war es am schönsten.
Die
Engel sangen, während sie hämmerten, klopften, nähten und backten.
Der
Duft nach Plätzchen umschmeichelte Tinchens Nase und sie schloss
verzückt die Augen.
Aufregend
und hektisch wurde es jedes mal wenn der
Schlitten
des HL. Nikolaus bepackt wurde.
Und
eines Tages geschah ein großes Unglück.
Da
sie zu spät waren, nahm Rupprecht die Kurve zu scharf, als er das
Himmeltor verließ und traf Tinchen mit der Kufe und diese fiel und
fiel und fiel in die Finsternis.
Hart
schlug sie auf. Vorsichtig öffnete der kleine Stern die Augen und
sah sich staunend um. Sie lag im Schnee neben einigen großen grauen
Mülltonnen.
Es
raschelt und eine Maus kam mit ihren drei Kindern an getrippelt.
Sie
beschnuppert das seltsame Ding.
„Mama
was ist das fragen die Kinder.“
„Ich
weiß es nicht,“ wieder schnuppert Mama Maus, Tinchen nieste und
kicherte.
„Lass
das, das kitzelt!“
Erschrocken
sprang die Maus zurück und ihre Kinder schmiegten sich Schutz
suchend an sie.
„Habt
keine Angst!“
„Wer
bist du?“
„Ich
bin ein Stern und gestern Abend noch leuchtete ich am Himmel, leider
wurde ich von Nikolaus Schlitten getroffen und nun liege ich hier auf
der Erde.“
Tinchen
ließ ihr Licht leuchten und die kleinen Mäuse jubelten, „oh wie
schön!“
Zutraulich
kamen sie näher und Tinchen erzählte ihnen vom Himmel.
Plötzlich
hob Mama Maus die Nase und rief warnend.
„Kater
Carlo kommt, schnell versteckt euch!“
Blitzschnell
verschwanden die Mäuse zwischen den Tonnen und durch ein Loch in der
Mauer.
Neugierig
sah Tinchen dem Kater entgegen, der mit hoch erhobenen Kopf und
Schwanz über den Hof schlenderte, als würde er ihm gehören.
Nun
hatte er die Mülltonnen erreicht und schnupperte an der Stelle an
der die Mäuse verschwunden waren.
Missmutig
wandte er sich ab. Da erblickte er Tinchen.
Neugierig
beugte er sich hinunter und Tinchen kicherte, als seine Barthaare sie
kitzelten.
„Geh
weg du Ungetüm!“
„Das
komische Ding kann ja sprechen?“
„Ich
bin kein komisches Ding, ich bin ein Stern!“
„Pah,
Sterne hängen am Himmel und liegen nicht im Schnee!“
„Naja,
aber ich bin halt heruntergefallen, als die Kufe von Nikolaus
Schlitten mich traf.“
Carlo
wandte den Kopf und seine Augen wurden zu Schlitzen.
„Ich
denke wir sollten hier verschwinden, da kommen die grässlichen
Jungen, spring auf meinen Rücken, du kannst mir ja später erzählen,
wie du auf die Erde gekommen bist, aber im Moment ist es hier für
uns beide gefährlich.“
Mit
Tinchen auf dem Rücken sauste er Hacken schlagend über den Hof
verfolgt von den grölenden Jungen.
Aufatmend
lehnte sich der Kater an eine Hausmauer und Tinchen glitt von seinem
Rücken.
„Die
hätten wir abgehängt!“ grinste der kleine Stern, dem das ganze
riesigen Spaß gemacht hatte.
Ein
grollendes Geräusch aber ließ ihn zusammen fahren und ängstlich
sah er sich um.
„Was
war den das?“
Carlo
wird etwas rot und meinte verlegen.“Mein Magen, ich habe Hunger.“
„Ich
habe nie Hunger.“
„Na
dann sei froh, ich schon und zwar gewaltigen, aber ich weiß wo wir
hingehen können, komm, steig auf.“
Wieder
geht es durch verschiedene Straßen. Vor einem großen Gebäude auf
dessen Hof viele Kinder herumtollen bleibt Carlo stehen.
„Wo
sind wir?“
„ Das
ist eine Schule und da drüben, das Mädchen mit der roten Mütze
ist meine Freundin Annegret. Die teilt immer ihr Pausenbrot mit mir.“
„Eine
Schule, wie schön, im Himmel gibt es auch eine Engelsschule.“
„Ach
ich dachte Engel sitzen nur auf den Wolken und zupfen auf so einem
komischen Ding und singen.“
Tinchen
lachte herzlich.
„Du
meinst eine Harfe, viele Menschen glauben das.
Nein
die Engel singen und lachen gerne, aber sie müssen auch lernen.“
Carlo
zuckte nur mit den Schultern, denn er hatte Annegret entdeckt, die zu
ihnen herüberkam.
Schnurrend
strich er um ihr Beine, das Mädchen streichelte ihn und warf ihm
einige Stücke ihres Pausenbrot hin. Während der Kater gierig fraß,
betrachtete Tinchen das Mädchen.
„Hallo,
ich bin Tinchen.“
„Du
kannst sprechen?“
Annegret
streckte die Hand aus und der Stern sprang hinauf und nun erzählte
sie dem Mädchen wie sie auf die Erde gekommen ist.
Carlo,
der sich inzwischen geputzt hatte, meinte,
„frag
Annegret, ob du mit ihr kommen kannst, es ist viel zu gefährlich
hier unten für dich und ich kann nicht immer auf dich aufpassen.“
Tinchen
schluckte.
„Carlo
lässt fragen, ob ich mit dir kommen darf, da es hier auf der Erde zu
gefährlich für mich ist.“
Annegret
sah den Kater lächelnd an.
„Carlo
heißt du, schön, dass ich das jetzt weiß. Gerne nehme ich deine
kleine Freundin mit nach Hause.“
Wie
staunter Tinchen, als sie Annegrets zuhause sieht. Überall war
weihnachtlich geschmückt,ein großer Adventskranz stand in der Küche
auf dem Tisch und an den Wänden hingen selbstgebastelte Strohsterne,
verziert mit roten Bändern.
Nun
begann für den kleinen Stern eine schöne, aufregende Zeit.
Während
Annegret vormittags in der Schule war, versteckte sich Tinchen in
deren Zimmer.
Nachmittags
aber durfte sie gut verwahrt in der Tasche des Schneeanzugs das
Mädchen begleiten, wenn es mit ihren Freunden auf dem Schlitten den
Berg hinab sauste, oder über den zugefrorenen See mit den
Schlittschuhen glitt.
Besonders
schön war es abends, wenn sie auf dem Kopfkissen in Annegrets Bett lag
und sie bis spät in die Nacht quatschten.
Das Mädchen wollte alles über ihr Leben im Himmel hören. Doch je
mehr Tinchen erzählte, umso größer wurde ihr Heimweh.
Und
als Annegret schlief, setzte sich der kleine Stern auf die
Fensterbank und während er hinauf in die sternenklare Nacht sah,
liefen die Tränen über sein Gesicht.
Eines
Tages, es war kurz vor Weihnachten hörte Tinchen eine Autotür
schlagen und sah wie Annegrets Papa eine ältere Dame ins Haus
führte.
Das
war wohl die Oma, von der das Mädchen schon seit Tagen erzählte.
Es
war schon dunkel als Annegret in ihr Zimmer kam.
„Entschuldige
Tinchen, aber Oma Betty ist gekommen und wir hatten so viel zu
erzählen.“
„Ja,
ich habe sie heute Morgen ankommen sehen, sie scheint sehr nett zu
sein.“
Annegret
warf ich aufs Bett und erzählte dem Stern von ihrer geliebten Oma.
Als
Tinchen später in den dunkel Himmel hinauf sah, war ihr das Herz so
schwer und Tränen liefen ihr über das Gesicht.
„Warum
weinst du?“
Annegret
verließ ihr Bett und setzte sich neben den Stern auf die
Fensterbank.
Eine
Weile sahen sie schweigend in die dunkle Nacht, doch dann gestand
Tinchen schluchzend ihre Einsamkeit und ihr Heimweh und ihre Angst
nie wieder in den Himmel zurückzukehren.
Am
nächsten Tag konnte sich Annegret in der Schule kaum konzentrieren
immer wieder überlegte sie wie man Tinchen nur helfen könnte, dann
hatte sie eine Idee.
Sie
konnte es kaum erwarten, bis die Schule zuende war und lief ohne auf
ihr Freundinnen zu achten nach Hause.
Sie
stürzte durch die Tür, warf den Mantel auf die Ablage, schlüpfte
aus ihren Stiefeln, und raste die Treppe hinauf.
Die
Oma und die Mutter sahen sich an und lachten.
„Weihnachtsgeheimnisse,“
murmelte die Oma.
Tinchen
erschrak, als Annegret die Tür aufriss, hinter sich ins Schloss
fallen ließ und sich atemlos auf die Fensterbank setzte.
Was
ist geschehen?“
Das
Mädchen wedelte mit den Armen, denn es konnte noch nicht sprechen.
Grinsend
wandte sich der kleine Stern ab und sah wieder hinaus.
„ Ich
habe eine Idee, wer dir helfen kann, dass du wieder nach Hause
kommst.“
„Wer?“
„Meine
Oma.“
Aber
sie ist ein Mensch und du hast gesagt, dass es besser ist, wenn die
Mensch mich nicht sehen.“
„Ach
meine Oma ist keine Gefahr und sie wird dich auch nicht verraten.
Aber es gibt keinen klügeren Menschen als sie. Glaub mir sie findet
einen Weg, wie du zurück in den Himmelt kommen kannst.“
„Annegret!“
„Ich
muss zum Mittagessen, danach legt Oma sich immer hin, aber sobald sie
wieder wach ist gehen wir zu ihr.“
So
lange ist den beiden noch nie die Zeit geworden. Immer wieder schlich
sich das Mädchen zu Omas Zimmer, öffnete vorsichtig die Tür, um
enttäuscht festzustellen, dass die alte Frau immer noch die Augen
geschlossen hatte.
Doch
Oma Betty hatte den heimlichen Besucher längst bemerkt und als
Annegret wieder leise die Tür öffnet, rief sie fröhlich.
„Komm
schon herein, ich bin wach!“
Vorsichtig
schleicht Annegret ins Zimmer und lässt sich zu Füßen ihrer Oma
nieder.
Lange
weiß sie nicht wie sie beginnen soll, dann streckte sie die Hand aus
und Tinchen sprang darauf.
Die
Oma zuckte zurück.
„Was
ist das? Ein neues elektronisches Spielzeug.“
Langsam
schüttelte das Mädchen den Kopf.
„Das
ist ein Stern vom Himmel.“
Und
die beiden erzählten nun der alten Frau Tinchens Geschichte.
Oma
Betty lehnte sich zurück und murmelte nur:
„Na
sowas, na sowas,“
„Kannst
du uns helfen, Oma?“
Diese
schloss die Augen.
„Nun
ist sie wieder eingeschlafen?“ flüsterte Tinchen.
„Nein,
sie denkt nach.“
„Und
wenn ihr beide ruhig wärt, dann könnte ich besser nachdenken.“
Still
war es im Zimmer, man hörte nur das gleichmäßige Ticken der Uhr.
Oma
Betty öffnete die Augen.
„Ich
habe eine Idee.“
Erwartungsvoll
sahen sie die zwei an.
„Am
23. um Mitternacht kommt doch das Christkind mit seinen Engel auf
seinem Schlitten, um die Geschenke unter den Baum zu legen. Ich werde
zusammen mit dem Stern im Wohnzimmer auf es warten und Tinchen kann
dann mit dem Christkind zurück zum Himmel fahren.
Jubelnd
fiel Annegret ihrer Oma um den Hals und Tinchen schmiegte sich
dankbar an die Wange der alten Frau.
„Schon
gut , schon gut,“ brummte die alte Frau, „nun verschwindet, ich
will noch ein bisschen ruhen.“
Annegret
und Tinchen vergingen die nächsten Tage viel zu langsam, doch
endlich war der 23. Dezember da.
Als
die Eltern schliefen, schlich sich das Mädchen in Omas Zimmer.
„Darf
ich auch mitkommen?“
„Nein,
dann würde das Christkind gar nicht kommen, Kinder dürfen es nicht
sehen.“
Annegret
umarmte Tinchen, dann ging sie in ihr Zimmer und war bald
eingeschlafen.
Oma
Betty und der kleine Stern setzen sich im Wohnzimmer in den großen
Lehnstuhl und bald waren sie auch eingeschlafen.
Tinchen
wurde wach als die Tür sich leise öffnete und die Englein huschten
herein, jedes ein Geschenk in den Händen.
Hinter
ihnen erschien das Christkind und der kleine Stern erzählte ihm
seine Geschichte.
Das
heilige Kind lächelte liebevoll, nahm den kleinen Stern an der Hand
und beugte sich über die alte Frau und strich sanft über deren
Stirn.
„Morgen
wird sie alles vergessen haben,“ flüsterte sie und dann
verschwanden alle so lautlos so wie sie gekommen waren.
Auch
Annegret konnte sich am nächsten Tag nicht mehr an den Stern
erinnern, denn in der Nacht hatte das Sandmännchen den Zauber des
Vergessens über sie gestreut.
Tinchen
aber hing wieder am Himmel und strahlte heller als vorher. Knecht
Ruprecht hatte sich bei ihr entschuldigt und fuhr in Zukunft
vorsichtiger um die Kurven.
(Lore
Platz) 10.12.2019