Der
Streit der Buchstaben
Schrill
ertönt die Schulglocke und lärmend stürzen die Erstklässler in
den Schulhof, wo sie von ihren Müttern oder Omas bereits erwartet
werden.
Johanna
und ihre Freundin Christa dürfen schon allein nach Hause gehen, denn
sie wohnen ganz in der Nähe.
Johanna
winkt ihrer Freundin nach, als diese durch das Gartentor zu ihrem
Haus läuft, dann hüpft sie vergnügt weiter.
Frau
Baumann schneidet gerade einen Kopf Salat vorsichtig ab und blickt
lächelnd ihrer kleinen Tochter entgegen.
„Du
kommst aber früh heute?“
„Die
letzte Stunde ist ausgefallen, Kaplan Werder ist krank.“
„Das
Essen ist aber noch nicht fertig.“
„Das
macht nichts, ich habe noch keinen Hunger, dann kann ich gleich meine
Hausaufgaben machen und nach dem Essen zu Christa gehen. Wir wollen
eine Karte für Frau Kebinger zeichnen, weil sie doch bald
Geburtstag hat“
Johanna
darf nämlich erst zum Spielen, wenn die Hausaufgaben gemacht sind.
Wenig
später sitzt sie am Küchentisch. Ihre Mutter beugt sich über ihre
Schulter.
Eifrig
erklärt ihr das Mädchen:
„Heute
haben wir die letzten drei Buchstaben des Alphabets gelernt, X,Y, und
Z. Siehst du...“
Sie
deutet auf die linke Heftseite auf der 'Zebra' steht.
„Das
Zebra beginnt mit Z und wir müssen die ganze Seite
mit
diesem Wort schreiben und hier...“
Johanna
zeigt auf die rechte Seite des Hefts auf der ein sehr langes Wort
steht, das die ganze Zeile füllt.
„Das
heißt Xylo.., Xylof..., Xylofo..., Xylofon und es ist ein X und ein
Y drin. Damit kann man Musik machen. Weißt du wie es aussieht?“
„Hat
euch Frau Kebinger das nicht gezeigt?“
Johanna
schüttelt den Kopf. „Nein sie hatte leider kein Bild.“
„Dann
wollen wir doch mal in Papas Lexikon nachsehen!“
Das
Mädchen strahlt.
Das
Lexikon ihres Vater war ein dickes in Leder gebundenes Buch mit
vielen bunten Bildern und Papa hütete es wie einen Schatz.
Er
hatte es von seinem Opa, der leider schon tot war, zum Schulabschluss
bekommen.
Johanna
war es verboten es anzufassen, nur wenn Mama oder Papa dabei waren.
Als
die Mutter das Buch aus dem Regal im Wohnzimmer zieht, berührt
Hanna ehrfürchtig das braune Leder.
Sie
setzen sich auf das Sofa und Frau Baumann sucht die Seite mit dem
Buchstaben 'X'.
Als
das Mädchen das Musikinstrument sieht, ruft sie:
„Aber
das kenne ich, so etwas hat mir doch Tante Grete einmal geschenkt,
nur waren Frösche darauf und immer wenn ich mit dem Hämmerchen auf
einen Ton geklopft habe, dann haben sie gequakt.“
Sie
runzelt die Stirn.
„Eines
Tages war es verschwunden und ich konnte es nicht mehr finden?“
Ihre
Mutter wird ein wenig rot, denn daran war sie schuld, das Ding machte
einen grässlichen misstönenden Lärm, dass sie es einfach heimlich
entsorgte, als Hanna im Kindergarten war.
Um
das Kind abzulenken, blättert sie schnell weiter zum Z
und
deutet auf das Zebra.
Johanna
winkt ab. „Das habe ich doch im Zoo gesehen.“
Frau
Baumann stellt das Buch zurück und sie gehen in die Küche.
Es
ist Abend und der gute alte Mond wandert seine Bahn.
Vor
Johannas Fenster verweilt er und lässt einen seiner silbernen
Strahlen in das Zimmer gleiten.
Lächelnd
betrachtet er das vom Schlaf zart gerötete Gesicht und streichelt
sanft über die Wange des Mädchens, das leise lächelt.
Doch
dann runzelt der alte Geselle die Stirn.
Die
pinkfarbene Schultasche öffnet sich und ein leises Schimpfen und
Murmeln ist zu hören.
Buchstaben
verlassen die Mappe und klettern an dem Tischbein empor, um auf dem
Tisch heftig zu streiten anzufangen.
Der
Mond spitzt die Ohren.
„Ich
bin der wichtigste Buchstabe, denn ich stehe für 'Anfang',“ ruft
das A.
„Wenn
das so ist, dann bin ich der wichtigste, denn ich stehe für Ende!“
brüllt das E.
„Unsinn!“
behauptet sich das S , „für das Wort 'Schluss' bin ich
verantwortlich.
„Quatsch!
Was wären die Menschen wohl ohne Leben, also bin ich am
allerwichtigsten, „ meldet sich das L.
„Ach
ja und gäbe es das Feuer nicht, könnten die Menschen gar nicht
kochen,“ ereifert sich das F.
„ Und
was ist mit dem Licht!“ ruft das L „ und was mit dem Bett,“
meint das B.
„Ich
kann Wunder vollbringen, Wünsche erfüllen und das ist wirklich
wunderbar!“ erklärt das W.
Und
nun rufen alle durcheinander, jeder weiß ein anderes besonders
wichtiges Wort und will die anderen damit übertrumpfen.
Nur
das K steht mit verschränkten Armen etwas abseits und betrachtet
Kopf schüttelnd die Streithähne.
Das
fällt dem D auf und es stellt sich breitspurige
vor
das K .
„Du
bist ja so still, gibt wohl kein Wort das wichtig wäre.“
Das
K zieht eine Augenbraue nach oben und lächelt überlegen.
„ Oh
doch, es gibt sogar ein sehr wichtiges Wort an dessen Anfang ich
stehe und es ist sogar das Gegenstück zu einem Wort von dir?“
„ Pah,
und was wäre das?“
„Die
Klugheit!“
Einen
Moment sind die Buchstaben still, doch dann ruft das vorwitzige V:
„ Und
das Gegenstück ist die Dummheit. Das D ist dumm!“
Alle
fangen zu lachen an und das O lässt sich sogar auf den Rücken
fallen und strampelt mit Armen und Beinen.
Das
D aber wird puterrot, ballt die Fäuste und macht einen Schritt auf
das K zu.
Schnell
stellt sich das F dazwischen, denn schließlich ist es für den
Frieden verantwortlich.
Das
K aber bleibt ganz ruhig und wartet bis seine Kameraden sich wieder
beruhigt haben.
Dann
aber sagt es ernst:
„Ihr
streitet euch wer für das wichtigste Wort verantwortlich ist, dabei
habt ihr aber vergessen, dass ein einzelner Buchstabe kein Wort
bilden kann.
Nur
mit Hilfe eurer Kameraden entstehen doch Wörter.
Was
wäre der Apfel ohne das p – f - e und l, der Wind ohne das i - n
und d und die Sonne ohne das o – die n-Zwillinge und das e.
Die
Buchstaben schweigen betroffen und senken beschämt die Köpfe.
Daran
haben sie nicht gedacht, nur das K.
Kein Wunder, dass es für das
Wort Klugheit verantwortlich ist.
Dann
aber lachen sie fröhlich und befreit auf, fassen sich an den Händen
und tanzen jubelnd um das K herum.
Als
Johanna sich unruhig im Bett bewegt, werden sie ganz leise, rutschen
das Tischbein hinunter und verschwinden im Schulranzen.
Der
Mond aber zieht lächelnd weiter
©
Lore Platz
Übrigens
hatte meine Tochter ein so grässliches Frosch-Xylofon. Aber ich habe
es NICHT heimlich
verschwinden
lassen.