Das
Spielzeug auf dem Dachboden
Am
Rande der Stadt stand eine schöne alte Villa in einem parkähnlichen
Garten.
Im
Salon in einem gemütlichen Sessel saß eine alte Frau ein
aufgeschlagenes Buch lag auf ihrem Schoß.
Doch
sie las nicht.
Wie
so oft waren ihre Gedanken bei ihrem Sohn Joachim, den sie seit zehn
Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Nach
einem bitterbösen Streit mit ihrem Mann war er nach Amerika
gegangen.
Ihr
Blick wanderte zu dem großen Ölgemälde ihres Mannes.
Aufrecht,
stolz und ohne ein Lächeln stand er da und so war er auch gewesen.
Er
liebte sie und seine Kinder, doch er konnte es niemals richtig
zeigen. Die gute Seele des Hauses war sie gewesen und so hatten ihre
Kinder trotz allem eine schöne Kindheit.
Nur
Felicitas ihre kleine Tochter konnte dem strengen Vater manchmal ein
Lächeln entlocken.
Doch
als diese dann mit acht Jahren an einem bösen Fieber starb,
versteinerte das Herz ihres Mannes und selbst sie kam nicht mehr an
ihn heran.
Am
meisten musste nun Joachim darunter leiden, denn der ganze Ehrgeiz
ihres Mannes richtet sich auf ihn.
Er
sollte Jura studieren und die Kanzlei seines Vater übernehmen, doch
dem Junge lag die Juristerei nicht und
er
studierte stattdessen heimlich Maschinenbau.
Als
er dann stolz mit seinem Diplom nach Hause kam, als bester seines
Jahrgang und dachte das müsste den Vater doch überzeugen, kam es zu
einem fürchterlichen Streit.
Der
Vater warf ihn hinaus und erklärte, dass er keinen Sohn mehr hätte.
Am
nächsten Tag, als der Vater in der Kanzlei war, kam Joachim zu ihr
und erzählte, dass er während des Studiums an einer Erfindung zur
Verbesserung eines Motors gearbeitet habe und damit nach Amerika
gehen wollte.
Da
sie eigenes Vermögen hatte, stellte sie ihm einen großen
fünfstelligen Scheck aus, denn er sollte nicht als Bettler in das
fremde Land gehen.
Tränenreich
nahmen sie Abschied.
Lange
hörte sie nichts von ihm, dann kam ein Brief.
Begeistert
schilderte ihr Junge, dass seine Erfindung Interesse bei einem großen
Unternehmen gefunden habe.
Sein
Chef wäre ein wundervoller Mensch, der ihn und seine Visionen
verstehen würde und auch
dessen Familie hatte ihn sehr herzlich aufgenommen.
Außerdem
würde er am Gewinn seiner Erfindung beteiligt und wäre wohl bald
ein reicher Mann.
Und
dann schwärmte er von der einzigen Tochter des Hauses. Sie wäre
voller Übermut wie ein kleiner
Kobold, dabei aber sei sie so grazil und anmutig
und er
liebte
sie.
Vielleicht
gäbe es bald eine Hochzeit.
Wie
hatte sie sich darüber gefreut, dass er in der Fremde so liebevolle
Menschen gefunden hatte und sie wartete nun gespannt auf die
Nachricht der Hochzeit.
Und
dann kamen die Bilder. Sofort schloss sie die reizende junge Dame in
ihr Herz und tief im Inneren spürte sie, dass dieses Mädchen ihren
Jungen glücklich machen würde.
Ihrem
Mann sagte sie nichts davon, denn seit er ihren Jungen aus dem Haus
geworfen hatte, war die Kluft zwischen ihnen noch größer geworden.
Vor
sechs Jahren dann kamen die Zwillinge Alexander und Ramona auf die
Welt.
Sie
bedauerte, dass sie ihre Enkel nicht sehen konnte, doch Joachim
schickte immer wieder Fotos, sodass sie den Werdegang der Kinder
mitverfolgen konnte.
Vor
zwei Jahren erblickte die kleine Felicitas das Licht der Welt und sie
weinte Freudentränen, dass Joachim seiner Tochter den Namen seiner
Schwester gegeben hatte.
Nun
war also wieder eine kleine
Fee in der Familie.
Als
sie mit ihrem Mann die schweigsame Mahlzeit einnahm, legte sie ihm
die Fotos hin.
„Deine
Enkelkinder!“
Er
runzelte die Stirn.
„Ich
habe keinen Sohn und folglich auch keine Enkelkinder!“
Er
stand auf und verließ das Zimmer.
In
diesem Moment hasste sie ihn.
Noch
mehr als bisher ging sie ihm aus dem Weg. Sie war eine fröhliche
herzlich Frau, die gerne lachte und wollte nicht zu Hause versauern.
Also
ging sie mit ihren Freundinnen in die Oper oder in ein Café, auch
trafen sie sich wöchentlich zum Bridge.
Sie
genoss ihr Leben und bedauerte ihren Mann der immer mehr vereinsamte.
Nein,
sie hatte kein Mitleid mehr mit ihm, bis sie ihn eines Tages
beobachtete, wie er heimlich in ihrem Schreibtisch stöberte und die
Bilder seines Sohnes und der Enkelkinder betrachtete.
Da
verschwand all ihr Groll, denn sie ahnte, dass er in seinem eigenen
Wesen gefangen war und nicht wusste wie er
da heraus kommen konnte.
Und
sie wurde wieder herzlicher zu ihm und merkte wie gut es ihm tat und
als er dann schwer erkrankte, dann pflegte sie ihn liebevoll und sie
kamen sich wieder näher.
Kurz
bevor er starb nahm er ihre Hand und flüsterte:
„Verzeih,
dass ich so ein schlechter Ehemann war und sag unserem Sohn wie sehr
mir mein Verhalten ihm gegenüber leid tut und wie stolz ich auf ihn
bin.“
Ein
Klopfen an der Tür schreckte sie aus ihren Gedanken. Der
langjährige Diener Johann brachte ein Telegramm.
Die
alte Dame öffnete es und strahlte.
„Johann,
unser Joachim kommt übermorgen mit Familie. Ruf sofort eine
Putzfirma an, das ganze Haus muss auf den Kopf gestellt werden. Karl
soll Martha zum Einkaufen fahren und mir bringe bitte ein Tasse Tee!“
Hinter
der Wandvertäfelung saß die Maus Celina und ihr Näschen zuckte
aufgeregt. Bald würde das Haus voller putzsüchtiger
Menschen sein, die in jeden
Winkel krochen.
Sie
musste sofort ihre Kinder in Sicherheit bringen, am besten auf den
Dachboden.
Ach
die armen Kleinen, sie konnten doch kaum laufen, aber es musste sein.
Auf
dem Dachboden auf einer Kiste saß ein Kasperle, ließ die Beine
baumeln und starrte durch die kleine Luke, durch die man gerade noch
ein klein wenig vom Himmel erkennen konnte.
Seit
über zwanzig Jahren führten sie hier oben nun ein trostloses
Dasein.
Selbst
ihm, der doch von Natur aus ein fröhlicher Geselle war, verging
manchmal die gute Laune.
Was
waren das damals für schöne Zeiten, als der junge Master Joachim
sich noch Geschichten ausdachte und sie seiner kleinen Schwester und
ihren Freunden vorspielte.
Ach
wie vermisste er das Lachen der Kinder!
Als
die kleine Felicitas dann an einem bösen Fieber starb, wurde alles
Spielzeug auf den Dachboden verbannt.
Zwischen
den Balken trippelte die Maus hervor.
„Hallo
Celina,“ rief das Kasperle erfreut, „du warst ja lange nicht mehr
hier, schön dich zu sehen. Aber wo ist dein
Mann?“
„Ach
Kasperle, den hat vor einiger Zeit die Katze erwischt, nicht mal
seine Kinder konnte er noch sehen, dabei hat er sich so darauf
gefreut.“
Eine
dicke Träne lief ihr über die Wangen.
Sie
wandte
sich um und spähte
zur Mauer und murmelte: „Wo
bleiben sie nur?“
Dann
begann sie zu singen.
„Do
– Re – Mi – Fa – So -La -Si“
Hinter
der Wand ertönte die Antwort:
„Si
– La – So – Fa – Mi – Re – Do“ und sieben Mäusekinder
schlüpften durch das Loch.
Das
Kasperle sprang auf und verneigte sich vor den jungen Damen, dann
wandte er sich lachend an die Mutter.
„Du
hast deine Kinder nach der Tonleiter benannte?“
Celina
errötet etwas, dann erklärte
sie:
„Ich
wohnte bevor ich meinen Franz kennen lernte bei einer Opernsängerin
und als ich dann genau sieben Kinder bekam, dachte ich, sie so
leichter zu finden.“
„Wer
singt denn da?“ Nun waren
auch die anderen Figuren aufgewacht.
Der
König half
seiner Königin aus der Kiste, der Prinz reichte
der Prinzessin galant die Hand, der
Jäger, der Seppl, die Großmutter kraxelten aus der Kiste. Und
selbst das Krokodil riss gähnend das Maul auf.
Rasselnd
fiel die Zugbrücke der Ritterburg herunter und die Ritter
galoppierten heraus.
Der
Anführer ließ sein Pferde steigen und wollte wissen.
„Wer
hat hier um Hilfe gerufen, wen müssen wir retten!“
„Niemanden,
hier wurde gesungen. Aber mit euren Blechbüchsen auf dem Kopf könnt
ihr das ja nicht unterscheiden.“
Das
Kasperle grinste.
Der
Ritter warf ihm einen finsteren Blick zu, wendete sein Pferde und sie
ritten zurück.
Die
Zugbrücke schloss sich hinter ihnen.
Inzwischen
war auch die Familie aus dem Puppenhaus und der dicke Kaufmann aus
dem Kaufmannsladen zu ihnen
gekommen
und Celina erzählte ihnen nun, warum sie mit ihren Kindern hier
herauf geflüchtet war.
Alle
freuten sich. Kinder im Haus, dann würden sie bestimmt bald wieder
nach unten dürfen.
„Da
wäre ich mir nicht so sicher!“ rief eine Stimme.
Eine
Taube hatte sich auf der Luke niedergelassen und die Unterhaltung
belauscht.
„ Die
Kinder heutzutage haben ganz andere Spielsachen und werden sich mit
so
einem alten Krempel bestimmt nicht zufrieden geben.“
Mit
einem spöttischen Lachen flog sie davon und hinterließ eine mutlose
Stimmung.
Endlich
war der ersehnte Tag da und die alte Dame lief immer wieder zum
Fenster.
Geduld
war heute nicht ihre Stärke.
Endlich
waren sie da!
War
das ein Wiedersehen. Selbst Johann hatte Tränen in den Augen.
Minna
hatte extra frischen Waffeln gebacken, weil der Junge die so gern aß.
Nach
dem Essen ging ihre Schwiegertochter mit der Nanny und der kleinen
Fee nach oben.
Joachim
aber setzte sich mit seiner Mutter in den Salon und sie erzählte ihm
von den letzten Worten seines Vaters.
Später
kam auch noch Leonie dazu und sie sprachen davon, dass sie jetzt für
immer in Deutschland bleiben würden, denn Joachim sollte hier eine
Zweigstelle errichten
und
die alte Dame bot ihnen an, doch hier zu wohnen.
Die Villa wäre so
groß und wenn sie etwas verändern wollten, dann könnten sie das
gerne tun.
Die
Zwillinge aber durchstöberten das Haus und kamen natürlich auch auf
den Dachboden.
Lärmend
polterten sie kurze Zeit später die Treppe herunter, total verdreckt
aber mit glücklich strahlenden Gesichtern.
„Mom,
Dad, der Dachboden ist voll mit Spielzeug, sogar
eine
Ritterburg ist da oben,“ rief
Alexander begeistert.
Joachim
sprang auf.
„Meine
alte Ritterburg gibt es noch, die ich muss ich sehen!“
Und
wie der Blitz waren die
Drei verschwunden.
Die
beiden Frauen lachten
herzlich.
„ Manchmal
ich denken, ich haben vier Kinder!“
Die
alte Dame aber nahm
die Hand der Schwiegertochter und sagte
leise.
„Ich
danke dir, dass du und deine Familie meinen Sohn so herzlich bei euch
aufgenommen habt.
Er
ist so glücklich.“
Diese
lächelte.
„Jo sein ein besonders lieber Mann and a wundervoll Daddy!“
Kurze
Zeit später standen drei strahlende Dreckspatzen an der Tür zum
Salon.
Joachim
mit der Ritterburg und auch die Zwillingen hatten beide Hände voller
Spielsachen.
„ Kommt
bloß nicht damit herein, bringt sie lieber gleich in die Waschküche.
Sie müssen erst sauber gemacht werden und euch könnte es auch nicht
schaden, wenn ihr unter die Dusche geht,“ lachte die Großmutter.
„ oooh,
Grandma, wir wollen doch auch noch die anderen Spielsachen holen,“
maulten die Zwillinge.
„Die
können Karl und der Gärtner holen und Millie wird sie sauber
machen, dann können sie ins Spielzimmer.“
„Hier
gibt es ein extra Spielzimmer, wundervoll!“ riefen die Kinder
begeistert und stürmten davon.
„Ich
gehen mal lieber nach ihnen, denn man weiß nie was fällt wieder
ein ihnen,“ lachte Leonie.
Die
alte Dame aber lehnte sich glücklich zurück.
Nun
war das Haus wieder voller Leben!
Darüber
freuten sich auch die Spielsachen, als sie frisch poliert und
aufgebessert Einzug in das Spielzimmer hielten und sie wurden auch
nie mehr auf den Dachboden verbannt.
Denn
auch die nächsten Generationen spielten mit dem inzwischen antiken
Spielzeug noch gerne.
Die
alte Frau aber durfte es noch viele Jahre miterleben, wie ihre Enkel
heranwuchsen, erlebte noch die Geburt ihres ersten Urenkels, bis sie
dann glücklich die Augen für immer schloss.
©
Lore Platz
Zunächst eine traurige Familiengeschichte, doch es wäre keine Loregeschichte, wenn sie nicht ein positives glückliches Ende finden würde. Schade um einige verschenkte zufriedene Jahre, doch so ist eben manchmal das Leben. Ob es wohl den Mäuschen weiter gut ging?
AntwortenLöschenEine zuerst traurige Familiengeschichte, die sich zum Glück später zum Guten wendet. Danke liebe Lore!
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