9. Türchen
Raunächte
Vom 25. Dezember bis 6. Januar findet ein weiteres uraltes weihnachtliches Ritual in der Alpenregion statt:
Das ausräuchern . Mit einer Pfanne heißer Kohle und aromatischer Kräuter geht man die Zwölf Nächte durch Haus und Stall , um es vor dem dem Ballast des alten Jahres und vielleicht auch vor bösen Geistern zu befreien.
Zwischen den Zeiten
Draußen tobt der Sturm und wütend treibt er die Schneeflocken vor sich her.
Die frostigen Gesellen treiben es heute besonders arg und die alte Frau mit der Kraxen auf dem Rücken kommt nur mühsam voran. Das Tuch tief in die Stirn gezogen kämpft sie sich durch die wild wirbelnden Flocken, die ihr die Sicht nehmen.
Vor sich sieht sie ein Licht aufblinken, das muss der Sternenhof sein.
Aufatmend überquert sie den Hof und drückt die Tür auf und betritt die warme Bauernstube.
Sie schüttelt sich den Schnee ab und blickt sich um.
„Guten Abend zusammen.“
Ein junges Mädchen kommt ihr entgegen und hilft ihr die Kraxe vom Rücken zu heben.
„Dank dir Veverl, das ist ein vielleicht ein Wetter.“
„Komm setz dich an den Ofen, ich bring dir einen Tee.“
Während das Mädchen in die Küche eilt, schlurft die Alte zum Kachelofen und lässt sich schwer atmend neben der Magd nieder.
Sie reibt sich die Hände und blickt auf das Strickzeug in der Hand der jungen Frau neben sich.
„Was wird denn des Annamierl.“
„ A Schal für meine Mam, der Bauer hat mir über Weihnachten frei gem. Und was treibt dich bei dem Wetter no aussi?“
„Am Schneider seine Kinder haben Fieber, hoab a paar Kräuter vorbei bracht und am Rückweg bin i vom Wetter überrascht worden.“
„So Gretl, da hast du einen warmen Tee, hab dir a bisserl Honig rein dan.“
„ Dank der Veverl.“
Sie deutet mit dem Kinn auf den alten Mann, der in einer Ecke des Sofas saß, den Mund etwas geöffnet und leise schnarchte.
„Der Sepp is aber ganz schee müad.“
„Ja, der Arme,“ sagt Veverl mitleidig., „er hat wieder es Reißen, bei dem Wetter is es ganz besonders schlimm. Vielleicht hast ja a paar Kräuter dabei, die ihm helfen können.“
„Wo ist denn der Bauer?“
Annamierl lacht, „der ist mit dem Brandner Konrad und dem Roserl in der guten Stube.“
Sie zwinkert der alten Frau zu.
Die Tür wird aufgestoßen und ein junger Bursche kommt herein und bringt einen Schwall kalter Luft mit. Er zieht sich die Mütze vom Kopf.
„Das Vieh ist versorgt.“
Gretl bemerkt wie Veverls Augen aufleuchten und eine leichte Röte ihr ins Gesicht steigt.
„Ich bring dir ein heißen Tee, „ ruft sie und eilt hinaus.
Gretl schmunzelt und beugt sich zum Annnamierl.“
„Wer ist das?“
„Der neie Knecht, Anderl, stammt ausm bergischen.“
„ich glaub das Veverl sieht ihn recht gern.“
„Ja und er sie auch.Aber sie ham hoat beide nix.“ seufzt Annamierl traurig.
„Moanst net, dass der Bauer ihr a Heiratsgut gibt, ist doch seine Nichte.“
Die Magd zuckt die Schulter.
„Der alte Bauer hat ja sei Tochter damals rausgeschmissen, als sie den armen Lehrer geheiratet hoat. Wenn er noch leben dat, hätte die Veverl hier nach dem Tod der Eltern koa Heimat gefunden.“
Die Tür wird aufgerissen und knallt gegen die Wand.
Die Tochter des Hauses stürmt ins Zimmer, mit wütend funkelnden Augen, die Hände zu Fäusten geballt.
„Veverl, Veverl!“
Das Mädchen kommt erschrocken aus der Küche.
„Bring mir an Schnaps.“
„Ich werd dir lieber an Tee bringen.“
Roserl lässt sich auf den Stuhl fallen und knirscht mit den Zähnen.
„Was hat die denn so aufgeregt.“ Veverl schiebt ihr die Tasse hin.
„Ausgelacht haoat a mi, der Hallodrie, richtig ausgelacht,“ schnaubt das Mädchen.
„Wissen wollt er ob ich kochen kann, na hoabe gesagt, dafür hama schließlich die Mägde, dann wollt er wissen, ob i die Melkmaschine bedienen kann und bevor er auch no fragen konnte ob i den Stall ausmisten koa, hoabn angeschnauzt; ich denk du suchst a Frau und koa Magd.
Da hoat er schallend zum lachen aogfangt, der der ausgschamte Flegel.
Am liebsten hätte erm Pest an Hals gewünscht.“
„Vorsicht mit dem Wünschen, bald kommen die Raunächte,“ warnt Gretl.
Roserl knallt die Tasse auf den Teller, springt auf und poltert die Treppe hinauf. Erst als die Tür zu ihrem Zimmer zuschlägt, prusten sie los.
Annamierl wischt sich die Tränen aus den Augen.
„Da hoat oane ihren Meister gefunden.“
Veverl wischt den verschütteten auf und trägt die Tasse in die Küche.
Als sie zurück kommt blickt sie fragend die Gretl an.
„Was sind denn die Raunächte, du weißt ich habe vor kurzem noch in der Stadt gelebt.“
Gretl sieht sie mit gerunzelter Stirn an.
„Raunächte, das ist eine besondere und bedeutsame Zeit voller Magie und Wunder.“
Sie wirft einen ärgerlichen Blick auf den schlafenden Knecht.
„Ich kann net weiterreden, wenn der do so schnarcht.“
Anderl gibt dem neben ihm sitzenden einen leichten Rempler.
Der alte Mann fährt hoch.
„ was, was ist los?“
„Es schnarchen sollst auf hern, de Gretl will uns was von de Raunächten erzählen und da soll ma mucksmäuschenstill sein.“
„ Ah, de Raunächte, a gefährliche Zeit, da gehen Geister um.“
„Veverl, wennst Angst hoast, dann setz zu mir,“ grinst der junge Knecht und klopft neben sich auf das Sofa.
Als endlich Stille eintritt, selbst die frostigen Gesellen rütteln nicht mehr an Fenster und Türen, als würden sie innehalten, um zu lauschen, fragt Gretl.
„Ververl, du weißt aber schon was die Zwischenzeiten sind.“
Ja, die Sonnwende zwischen Winter und Frühling und auch die Dämmerung zwischen Morgen und Abend.“
„Richtig und die Raunächte sind die längste Zwischenzeit, die zwölf Tage zwischen dem Jahreswechsel.
Die erste Raunacht ist die vom 24.12. auf den 25.12 und man behauptet in dieser Nacht können die Tiere sprechen.
Anderl lacht vergnügt. „Ich hab sie no nie gehört.“
Gretl wirft ihm einen strafenden Blick zu.
„Die Nacht vom 31.12. auf den 1.1. hat eine besondere Wirkung auf die Wahrsagerei und daher kommt auch der Brauch vom Bleigießen.
Und die Nacht vom 5.1. auf den 6.1. ist besonders wichtig, um alles überflüssige und belastende aus der Vergangenheit zu vertreiben.
Deshalb wird auch am sechsten Januar die Weihnachtsdekoration und der Christbaum entsorgt.
Auch sollte man man diesem Tag die Fenster weit öffnen, um die bösen Geister hinaus zu lassen und die guten herein bitten.“
Gretl zwinkert dem jungen Mädchen zu.
„Aber weißt du in den Raunächten werden auch Wünsche erfüllt.
Man muss auf zwölf Zetteln jeweils einen Wunsch schreiben und den gefaltet in ein Kästchen legen jeden Tag zieht man einen Zettel und ohne ihn anzusehen, muss man ihn verbrennen.“
„Aber wenn man keine zwölf Wünsche hat?“
„Dann schreibst du eben einige Wünsche mehrmals auf.
Wichtig ist, du musst jeden Tag einen Zettel verbrennen und darfst ihn vorher nicht anschauen. Sonst wirkst nicht.“
Die alte Frau steht auf.
„Der Wind hat nachgelassen, dann werde ich mal gehen.“
„Sitz de wieder hin, ich richte dir ein Zimmer her, bei dem kalten Wetter sollst doch nimmer raus gehen.“
Veverl eilt hinaus.
Die frostigen Gesellen haben sich zurück gezogen.
Der Mond leuchtet mit vollen pausbäckigen Gesicht vom Himmel und taucht den Schnee in ein geisterhaftes Licht.
Leise wird die Tür zu Veverls Zimmer geöffnet und eine Gestalt schleicht sich herein, beugt sich über das schlafende Mädchen und rüttelt es an der Schulter.
Erschrocken fährt die Schlafende hoch.
„Ich bins Roserl.“
„Was willst mitten in da Nacht.“
„Ich brauch deine Hilf. Komm rutsch a bisserl, mich friert an de Füße“
Veverl rückt zur Seite und Roserl schlüpft ins Bett.
„Weißt am zweiten Weihnachtstag kommt der Konrad mit seinen Eltern zu Besuch. Könntest du mir das Kochen beibringe, damit der Konrad sieht, dass ich sehr wohl ein gute Bäuerin bin.“
„Aber sicher, du wirst das schnell lernen.“
„ In der Schule hat es mir immer Spaß gemacht.“
„Da sixt, die Grundkenntnisse hast ja schon.“
„Aber de anderen sollen nix mitkriegen, de lachen mich bloß aus.“
„Des ist kein Problem, s Annamierl geht Morgen sowieso zu ihre Eltern und kommt erst nach Neujahr zurück und die Mannsleit, die kommen sowieso nur in die Küche wenn es was zum Essen gibt,“ lacht Veverl.
Eine Weile bleibt es still, dann fragt Veverl leise.
„Da hast ihn wohl sehr gern den Konrad.“
„Oh ja, immer wenn er mich mit seinen Augen so anblitzt, denn wird mir ganz komisch im Bauch. Wenn er bloß net so a Sturkopf wäre.“
„Besonders weil du ja s a sanftes Lamperl (Lämmchen) bist.“
Die beiden Mädchen kichern.
Roserl umarmt ihre Kusine, schlüpft aus dem Bett und huscht aus dem Zimmer.
Veverl winkt Annamierl nach, die zu Anderl ins Auto steigt, der sie zum Bahnhof bringt, dann geht sie zu Roserl in die Küche, die sie schon erwartet.
Am Morgen des Heiligen Abends sitzt Veverl in ihrem Zimmer und schreibt auf zwölf vorbereiteten Zetteln ihre Wünsche, faltet sie sorgfältig zusammen und legt sie in das Kästchen in denen sie kleine Andenken an ihre Eltern aufbewahrt.
Sie betrachtet das Hochzeitsbild ihrer Eltern und es ist ihr als würden sie sie anlächeln und mit einem kleinem Hoffnungsschimmer im Herz eilt sie nach unten.
Anderl steht unten im Hausflur, den Rucksack auf dem Rücken, als hätte er auf sie gewartet.
„Ich geh jetzt zu meiner Mutter, am 7. Januar komm ich wieder, wollt mich noch von dir verabschieden.
Wirst denn heut Nacht deinen ersten Wunsch verbrennen.“
Das Mädchen wird rot, „Woher weißt,“ stammelt es.
„Ich habs mir gedacht, ich habe nämlich auch zwölf Zettel. Was hältst davon, wenn wir jede Nacht um zehn unsere Zettel verbrennen, vielleicht treffen sich dann unser Wünsche.“
Veverl nickt schüchtern.
Der junge Mann schaut sich um und beugt sich dann zu dem Mädchen.
„Darf ich meinem Mutterl erzählen, dass ich a Madl gfunden hab, das ich liab hoab.“
Das Mädchen nickt und Anderl gibt ihr einen schnellen Kuss auf den Mund, stößt einen Juchzer aus und verlässt das Haus.
(c) bonmomo |
Das Essen am zweiten Weihnachtsfeiertag wird ein voller Erfolg. Konrad aber sieht Roserl mit aufleuchtendem Blick an, als er erfährt, dass sie ganz allein dieses gekocht hat.
An Neujahr ist Verlobung.
Anderl kommt am 7. Januar zurück und geht gleich zum Bauern.
Dieser ruft das Veverl und zu dritt gehen sie in die gute Stube zu Roserl und Konrad.
Jubelnd fällt diese ihrer Kusine um den Hals und schlägt gleich eine Doppelhochzeit vor.
Konrad holt Wein aus dem Keller und füllt die Gläser.
Roserl aber flüstert ihm etwas ins Ohr und als ihr Bräutigam nickt, geht sie zu ihrem Vater und flüstert auch diesem ins Ohr.
Der alte Mann strahlt und wendet sich an die frisch Verlobten.
„Veverl, mein Vater war ein harter Mann und als deine Mutter nicht von deinem Vater lassen wollte, der nur ein armer Lehrer war, da hat er sie einfach aus dem Haus geworfen.
Nicht mal ihr Heiratsgut hat er ihr mitgem. Dies steht jetzt dir zu, dir gehört die Hälfte des Hofes und die andere Hälfte will Roserl dir zur Hochzeit schenken.“
Fassungslos sehen die jungen Leute ihn an, dann springt Veverl auf und umarmt ihren Onkel und Anderl drückt ihm die Hand.
Dem alten Mann steht das Wasser in den Augen, denn trotz all seiner Brummigkeit, hat er doch ein butterweiches Herz.
„Eins bitt ich mir aus, dass ihr mir ein warmes Plätzchen an eurem Ofen lasst und die Mutter vom Anderl holen wir auch zu uns. Nun lasst uns auf die Zukunft trinken.“
Ich weiß nicht, was die beiden auf ihren Wunschzetteln hatten, aber besser konnte es doch gar nicht kommen.
(c) Lore Platz 15. Jan. 2020
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