Als ich heute Morgen erwachte, dachte ich, wie gut ich es doch habe. Lebe in einer schönen warmen Wohnung, werde gut versorgt und kenne viele nette und liebe Menschen. Und auch wenn meine Tochter
weiter weg wohnt, so ist sie doch immer für mich da.
Doch nicht alle Menschen in meinem Alter haben diese Glück.
Viel Spaß beim Lesen!
Der
Nussknacker
Ein
riesiger Lastwagen donnert die Straße herunter und fährt in die
Auffahrt eines alten Anwesens.
Zwei
Männer springen aus dem Wagen und bald stehen zwei große Container
auf dem Rasen.
Ein
junger Mann lehnt lässig am Treppengeländer und beobachtet alles
ganz genau.
Hinter
ihm öffnet sich die Tür und eine alte Dame tritt heraus.
Kurz
streift ihr Blick die Container, dann presst sie
die
Lippen zusammen und sich am Geländer festhaltend geht sie die Stufen
hinunter.
Der
junge Mann hatte ihren Koffer genommen und war mit schnellen
Schritten zu seinem Auto geeilt.
Unten
angekommen dreht sich die alte Dame noch einmal um und betrachtet mit
wehmütigen Blicken das alte Haus.
Tränen
steigen in ihre Augen.
Über
den Hof kommt ein alter Mann.
Es
ist ihr Nachbar August Weinberger.
Er
und Sieglinde Neumann kennen sich seit Kindesbeinen.
„Hallo
Linde, nun geht es also los?“ lächelt er etwas verlegen.
Die
alte Frau nickt traurig.
„Ach
Gustl, ich habe solche Angst, ich kenne doch niemanden im
Altersheim.“
„Ach
Lindchen, es ist ein schönes Heim und du wirst bestimmt bald
Anschluss finden und ich werde dich so oft es geht besuchen.“
Das
Gesicht von Sieglinde hellt sich auf.
„Das
wäre schön, Gustl.“
„Oma,
nun komm schon, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“ ruft der Enkel
ungeduldig.
Sieglinde
hebt den Kopf, strafft die Schulter und geht hinüber zu ihrem Enkel
Hans.
Lange
noch sieht der alte Mann dem Auto hinterher, dann geht er über die
Straße und betritt das schmucke Einfamilienhaus, das sein Sohn
gebaut hat und in dem es auch ein kleine Wohnung für ihn gab.
Seine
Schwiegertochter Rosemarie steht in der Küche und schneidet Gemüse.
Einen
Moment sieht der alte Mann ihr versonnen zu, dann tritt er auf sie
zu, umarmt sie und gibt ihr einen Kuss.
„Nanu,
wofür war das denn?“ lacht die junge Frau.
„Ich
bin so froh, dass mein Sohn dich geheiratet hat und ihr mich nicht in
ein Altersheim abschiebt.“
Seine
Schwiegertochter lächelt.
Es
ist dunkel und nur der Mond wirft sein fahles Licht durch die Luke in
den alten Speicher, in dem es recht lebendig ist.
Mäuse
huschen über den Boden und eine dicke fette schwarze Spinne krabbelt
eifrig über die Wand, um ein weiteres ihrer kunstvollen Netze zu
spinnen, mit dem schon fast der ganze Speicher bedeckt ist.
Nun
hat sie den Boden erreicht und krabbelt vorsichtig auf eine Kiste mit
Weihnachtsdekorationen zu.
Fast
hat sie den Rand der Holzkiste erreicht, da taucht der Kopf eines
Nussknackers auf.
Zornig
fletscht er seine kräftigen Zähne.
„Wage
es nicht, alte Vettel, mich mit deinen klebrigen Fäden zu bedecken!“
Die
Spinne wendet sich um und krabbelt eilig davon.
Der
Nussknacker aber stützt sich mit dem einem ihm noch verbliebenen Arm
ab, um sich aufrecht hinzusetzen.
Traurig
betrachtet er seine zerschmetterten Beine und eine Träne läuft aus
seinen Augenwinkel.
Es
raschelt und Madam Maus mit ihren fünf Kindern
trippelt
über den Boden.
„Guten
Abend, Herr Nussknacker, wir möchten uns verabschieden.“
Der
Nussknacker nickt traurig.
Madam
Maus hatte ihm vor einigen Tagen erzählt, dass seine Sieglinde von
ihren Kindern ins Altersheim abgeschoben wurde, weil der Enkel Hans
das
alte Haus abreißen und ein neues bauen will.
„Herr
Nussknacker?“ reißt ihn die Stimme von Madam Maus aus seinen
Gedanken.
„Wären
sie so liebenswürdig und würden uns zum Abschied noch eine ihrer
wundervollen Geschichten erzählen?“
Dieser
nickt, setzt sich etwas bequemer hin und erzählt der Maus und ihren
verzückt lauschenden Kindern wie er zum ersten Mal in dieses Haus
gekommen war.
Der
Vater der damals fünfjährigen Sieglinde hatte ihn ihr geschenkt. Es
war sein letztes Geschenk, denn wenige Monate später ist er im Krieg
gefallen.
Seitdem
war er für die kleine Sieglinde etwas ganz besonders. Das ganze Jahr
über durfte er in ihrem
Zimmer
auf dem Regal stehen.
Und
wenn der alte große Baum hinter dem Haus verschwenderisch seine
Walnüsse spendete, dann kam er in die gute Stube stand dann neben
einer großen Schüssel mit Nüssen und konnte fröhlich für die
Bewohner diese knacken.
Doch
dann eines Tages, der Krieg war schon eine Zeitlang vorbei, da wurde
in die Stube ein großer bis zur Decke reichender Tannenbaum gebracht
und mit allerlei bunten Kugeln, Sternen und Engelhaar geschmückt.
Echte
Wachskerzen wurden aufgesteckt und ihr Licht strahlte mit Sieglindes
Augen um die Wette, als sie das Zimmer betreten durfte.
Seitdem
hatte er noch viele viele Weihnachten in diesem Haus erleben dürfen,
bis zu dem verhängnisvollen Tag, an dem der Enkel Hans ihn in einem
Wutanfall quer durch das Zimmer an die Wand geworfen hatte.
An
dieser Stelle schluchzten die Mäusekinder laut auf.
Seitdem
verbrachte er seine Tage vergessen hier oben auf dem Speicher.
Madam
Maus aber sieht hinauf zu Luke.
„Es
beginnt hell zu werden, wir müssen los.“
„Haben
sie denn schon eine Bleibe?“
„Ja,
wir ziehen aufs Land zu meinem Vetter.“
„Dann
passen sie gut auf, wenn sie die Stadt verlassen, es streifen viele
Katzen durch die Gegend.“
„Keine
Bange, wir nehmen den Weg durch die Abwasserkanäle.“
Nun
bekommt der Nussknacker noch von jedem Mäuschen einen Kuss und mit
einem mehrstimmigen
„Auf
Wiedersehen!“ verschwinden sie in einem Loch in der Mauer.
Wieder
allein sinniert der Nussknacker traurig.
Was
wohl aus ihm werden wird?
Kaum
geht die Sonne auf, fährt ein Wagen in die Einfahrt und mehrere
Männer die auf der Ladefläche sitzen springen herab und
verschwinden lachend und schwatzend im Haus.
Bald
füllt sich ein Container nach dem anderen.
Gustl
steht am Fenster seines Zimmers und guckt traurig zu, wie ein Stück
nach dem anderen lieblos weg geworfen wird.
Plötzlich
sieht er etwas oranges aufblitzen. Ist das nicht der Nussknacker, den
Sieglinde von ihrem Vater bekommen hatte und an dem sie so hing.
Mit
schnellen Schritten eilt er hinüber und zu dem Container.
Ein
Mann brüllt ihn an:
„Hey,
Alter verschwinde hier gibt es nichts zu gaffen!“
Eben
kommt ein baumlanger kräftiger junger Mann mit dem alten
Schaukelstuhl aus dem Haus.
„Halt
den Schnabel, Max und kümmere dich um deine Arbeit.“
Er
legt den Schaukelstuhl in dem Container ab, dann kommt er herüber zu
Gustl.
Mit
einem verlegenen Lächeln meint er:
„Entschuldigen
sie Herr Rektor, meine Leute sind manchmal es ungehobelt.“
Über
das Gesicht des Lehrers gleitet ein feines Lächeln.
„Bist
du nicht der Toni Ungemach, der immer so viel Probleme in der
Mathematik hatte?“
„Ja
und auch ihre Nachhilfe hat nicht viel gebracht, aber die selbst
gebackenen Kekse ihrer Frau waren prima.“
„Ach
und du räumst jetzt Häuser aus?“
„Ja
unter anderem, ich habe doch die Spedition meines Vaters geerbt,
keine Angst meine Frau macht die Buchführung!“
Beide
lachen vergnügt.
Dann
räuspert sich Gustl und fragt bittend.
„Meinst
du, dass ich mir den alten Nussknacker da nehmen darf, die Frau
Neumann hing doch so an ihm. Vielleicht kann ich ihn reparieren und
ihr ins Altersheim bringen.“
„Ja,
nehmen sie nur, Herr Rektor. Es ist eine Schande wie der Enkel mit
der alten Frau umgeht, sagen sie ihr einen schönen Gruß von mir,
wenn sie sie besuchen.“
Mit
dem Nussknacker in der Hand verschwindet Gustl in dem Gartenhaus, in
dem ihm sein Sohn eine kleine Werkstatt eingerichtet hat.
Und
nun wird geschnitzt, gehobelt, geschliffen und gemalt und dann steht
der Nussknacker in voller Pracht mit zwei Beinen und Armen auf dem
Regal zum Trocknen.
Mit
einem versonnen Lächeln betrachtet der alte Mann sein Werk.
Wie
würde sich Sieglinde freuen.
In
zwei Monaten war doch Weihnachten. Ja er würde ihn ihr zu
Weihnachten schenken.
Vergnügt
pfeifend verlässt er die Werkstatt.
Die
nächsten Wochen besucht er seine Freundin nun so oft er kann im
Seniorenheim.
Sieglinde
kann sich nur langsam dort eingewöhnen und von ihrer Familie lässt
sich keiner blicken.
So
freut sie sich immer ganz besonders wenn Gustl vorbei kommt.
Manchmal
holt sie auch sein Sohn Martin sonntags zu Kaffee und Kuchen nach
Hause.
Und
dann kommt der Hl. Abend.
Bereits
am Vormittag wird Sieglinde geholt und während sie und Gustl die
Kinder beschäftigen, schmücken die Eltern die Weihnachtsstube.
Nach
einem leckeren Festmahl wird diese dann geöffnet.
Mit
leuchtenden Augen blickt Sieglinde auf den strahlenden
Weihnachtsbaum.
Dann
werden die Geschenke verteilt.
Rosemarie
reicht ihr ein Päckchen , in dem warme Handschuhe und ein schöner
Schal sind und Sieglinde bedankt sich mit leuchtenden Augen.
Nun
aber kommt Gustl verschmitzt lächelnd auf sie zu, in den Händen
einen länglichen Geschenkkarton.
Vorsichtig
hebt sie den Deckel und jubelt.
„Das
ist ja mein Nussknacker!“
Behutsam
hebt sie ihn aus der Schachtel und betrachtet ihn staunend von allen
Seiten.
Dann
blickt sie in die strahlenden Gesichter ringsum und haucht mit Tränen
in den Augen:
„Danke!“
Später
im Heim bekommt der Nussknacker seinen Platz auf ihrem
Nachtschränkchen und wie in Kindertagen vertraut sie ihm ihre Nöte
und Sorgen an und wie bereits damals hört er ruhig und
verständnisvoll zu.
Als
Sieglinde nach einigen Jahren starb, wurde der Nussknacker mit ins
Grab gelegt und sie nahm in mit hinauf in den Himmel.
©
Lore Platz