Hexe
Liliput und das Dorfmädchen
Die
Nacht hat sich verabschiedet und an ihre Stelle ist die Dämmerung
ins Land getreten.
Das
Dorf unterhalb des Hexenbergs liegt ruhig verschlafen.
Doch
in einem Gehöft öffnet sich die Tür und ein junges Mädchen tritt
heraus, bindet sich die Schürze, schlüpft in ihre Holzpantoffel und
verschwindet im Stall.
Fröhlich
begrüßt sie die vier Kühe, die ihr verschlafen entgegen blicken.
Mit
flinken Finger melkt sie diese, schüttet die Milch durch den Seiher
in die großen Kannen, und füllt den kleinen Rest, den sie zurück
behalten hat, in eine alte Emailschüssel.
Nun
wird es lebendig im Stall. Die alte Katze Mille kommt aus einer Ecke
und ihr drei Jungen purzeln durcheinander im Eifer ja die schnellsten
zu sein.
Lächelnd
sieht Marianne ihnen zu, wie sie gemeinsam die leckere Milch
schlabbern.
Milli
kommt zu dem Mädchen und streicht ihr dankbar schnurrend um die
Beine.
Zusammen
mit Marianne verlassen die Katzen den Stall und die Kleinen tollen
über den Hof.
Das
Mädchen wäscht sich am Brunnen. In der Küche ist es mollig warm,
denn sie hatte den Ofen bereits sauber gemacht und angeheizt bevor
sie zum melken ging. Auch das Wasser im Kessel ist inzwischen warm
und schnell gießt sie den Tee auf, deckt flink den Tisch, denn sie
hört die Tante kommen.
In
eine große Pfanne gibt sie Butter, Speckstreifen und Eier und bald
zieht ein köstlicher Duft durch die Küche.
Dann
stellt sie die Pfanne auf den Tisch. In dem Moment betritt ihre Tante
den Raum.
Marianne
wünscht „Guten Morgen,“
bekommt aber keine Antwort, nur einen finsteren Blick.
„Anna
fühlt sich heute nicht wohl, bring ihr das Frühstück ans Bett.“
Schweigend
füllt ihre Nichte den Teller und trägt ihn in das Schlafzimmer
ihrer Kusine.
Diese
rekelt sich im Bett und reißt ihr den Teller aus der Hand und stürzt
sich darüber.
'
Na die Krankheit hat deinem Appetit ja nicht geschadet' denkt
Marianne spöttisch.
Als
sie in die Küche kommt ist die Pfanne leer nur ein wenig gelbes Ei
schwimmt noch darin.
Das
Mädchen setzt sich und tunkt mit dem Brot den spärlichen Rest aus
der Pfanne.
„Mama
ich will Erdbeeren!“ ertönt die quengelige Stimme der Tochter des
Hauses.
Die
Bäuerin reißt die Pfanne aus den Händen ihrer Nichte und stellt
sie in die Spüle, dann eilt sie zu ihrem
Liebling.
Schnell
lässt das Mädchen ihr Brot in der Schürzentasche verschwinden,
damit ihr dieses nicht auch noch abgenommen wird.
Die
Mutter kommt aus dem Zimmer ihrer Tochter.
„Mein
Täubchen möchte Erdbeeren mit Sahne.“
„Aber
die Erdbeeren sind doch noch nicht reif und von den grünen
bekommt sie nur Bauchweh.“
„Aber
im Hexenwald sind sie schon reif, das hat die alte Kuni gesehen, als
sie neulich an der Grenze vorbei ging. Wenn du deine Arbeit gemacht
hast, dann wirst du welche pflücken.“
Marianne
wird blass.
„Aber
wir dürfen doch nicht in den Hexenwald, das ist gefährlich.“
flüstert sie entsetzt.
„Geh
an deine Arbeit und ein wenig schneller als sonst und anschließend
holst du die Erdbeeren.“
Es
ist fast Mittag als das Mädchen fertig ist. Voller Angst nimmt sie
das Körbchen und macht sich auf den Weg zum Hexenwald.
An
der Grenze bleibt sie zögernd stehen und auch die herrliche Aussicht
auf den schönen Wald und die trutzige Burg dahinter kann ihr die
Beklemmung nicht nehmen.
Tief
atmet sie durch und überschreitet die Grenze.
Vor
ihr breiten sich rote Erdbeeren aus und schnell beginnt sie mit dem
Pflücken.
Bei
jedem Rascheln zuckt sie zusammen und schaut sich ängstlich um.
Liliput
die wieder einmal an die Grenze gekommen ist, weil sie unbedingt
einen Menschen sehen will, kauert hinter einem Busch und beobachtet
sie.
Ihr
Herz klopft vor Aufregung.
Das
ist also ein Mensch, nett sieht sie aus, nur sehr verängstigt und
irgendwie auch traurig. Nun hat sie ihr Körbchen voll, lässt sich
ins Gras fallen, schlägt die Hände vors Gesicht und fängt
bitterlich zu weinen an.
Mitleidig
verlässt Liliput ihr Versteck, setzt sich neben das Mädchen und
streicht ihr tröstend über das Haar.Erschrocken nimmt diese die
Hände vom Gesicht und weicht entsetzt zurück.
Die
Hexe lacht sie fröhlich an. „ Du musst keine Angst haben, ich will
dir nichts tun.“
Marianne
betrachtet die kleine Gestalt mit den wirren roten Haaren und den
vergnügt blitzenden Augen.
Nein,
zum Fürchten sah sie nicht aus.
Sie
streckt die Hand aus und als Liliput zögernd auch ihre Hand
ausstreckt, drückt sie diese und meint:
„Ich
bin Marianne .“
Liliput
kichert. „Begrüßen sich die Menschen so, ich heiße Liliput,
eigentlich ja Honorine Herminus, aber weil ich so klein bin, haben
mich meine Eltern Liliput gerufen.
Leider sind sie schon lange Tod.“
Leider sind sie schon lange Tod.“
„Meine
Eltern auch und seitdem wohne ich bei meiner Tante.“
Wieder wird ihr Gesicht traurig.
Wieder wird ihr Gesicht traurig.
„Willst
du mir nicht von deinem Kummer erzählen?“
Und
nun erzählt ihr Marianne wie sie nach dem Tod ihrer Eltern zu ihrer
Tante kam, die sie schlechter behandelt als eine Magd . Und während
sie ihrer neuen Freundin alles berichtet, spürt sie wie es ihr ganz
leicht ums Herz wird.
Denn
wer niemals von seinem Kummer spricht, dem eines Tages das Herze
bricht.
Ein
grummeliges Geräusch lässt Liliput zusammen zucken.
„Was
war das?“
Ihre
Freundin wird rot. „Das war mein Magen.“
„Was
hast du heute gegessen?“
„Ein
Stück trockenes Brot heute Morgen.“
Liliput
schüttelt ärgerlich den Kopf, murmelt einige Worte und vor Marianne
liegt ein weißes Tischtuch voller Leckereien.
Mit
strahlenden Augen lässt sich das Mädchen die Köstlichkeiten
schmecken.
Dann
lacht sie.
„Weißt
du was, ich werde die Erdbeeren verzaubern und wenn deine böse
Kusine sie isst, werden ihr eine lange Nase und Ohren wachsen.“
„Und
du wirst deine Zauberkraft verlieren.“
Marianne
sieht erstaunt auf die Schildkröte, die ihren Kopf aus der Tasche
von Liliputs Tasche steckt.
„Eine
sprechende Schildkröte?“
Die
Hexe lacht.
„Das
ist Tinchen. Wenn eine Hexe geboren wird, dann schenken ihr ihre
Eltern ein Tier, das sie ein Leben lang begleitet.“
„Guten
Tag, Tinchen.“
Guten
Tag Marianne, aber glaube ja nicht, dass es immer Spaß macht diesen
Ungestüm zu begleiten.“
„Ach
Tinchen,“ lacht das Mädchen, „Liliput ist doch so lieb.“
„Danke,“
grinst die Freundin.
„Aber
Tinchen hat Recht, wir dürfen keine Lebewesen verzaubern, sonst
nimmt man uns die Zauberkraft. Aber witzig wäre es doch.“
Die
beiden Mädchen kichern und Tinchen zieht sich kopfschüttelnd in
ihren Panzer zurück.
Mit
einem Blick auf das Körbchen meint Liliput.
„Aber
ich werde die Beeren besonders süß und lecker zaubern.“
Marianne
verzieht unwillig das Gesicht.
„Das
muss aber auch nicht sein.“
„Doch,
denn wenn deiner grässlichen Kusine diese schmecken, dann wird dich
deine Tante morgen wieder herauf schicken und wir können uns
treffen.“
„Eine
gute Idee!“
Die
Kirchturmglocke schlägt laut und dröhnend.
„So
spät schon, ich muss gehen.“
Die
beiden Mädchen umarmen sich und Liliput murmelt.
„Da
ich jetzt deine Freundin bin, sollst du nie wieder hungern. Jeden Tag
wenn du nach der Arbeit in dein Zimmer gehst, wirst du dort etwas zu
Essen finden.“
„Danke!“
Ein
Winken und Marianne läuft den Abhang hinunter und kommt atemlos in
die Küche, wo sie schimpfend empfangen wird.
Schnell
wäscht sie die Erdbeeren und reicht sie mit geschlagener Sahne ihrer
Kusine, die sich sofort gierig darüber hermacht.
„Hmmm,
Mama ich habe noch nie so gute Erdbeeren gegessen, Marianne muss
morgen wieder in den Hexenwald.“
„Du
hast es gehört und nun mach dich an deine
Arbeit!“
Heimlich
grinsend verlässt das Mädchen die Küche und da sie heute satt und
glücklich ist, geht ihr die Arbeit doppelt so schnell von der Hand.
Und
als sie spät abends in ihr Zimmer geht, erwartet sie ein reichlich
gedeckter Tisch, der verschwindet sobald sie satt ist.
Selig
schlüpft sie ins Bett, denn sie weiß, nun ist sie nicht mehr
allein.
©
Lore Platz
Freunde machen das Leben schöner!!!
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