Sonntag, 27. Oktober 2024

Fortsetzung 6

 Viele Monate zieht er durch das Land, reitet von einem Ort zum anderen. Überall wohin er kommt zeigt er das kleine Miniaturbild von Griseldis, das ihm der König mitgegeben hat, doch keiner hat sie gesehen.


 
(c) Irmi Brüggemann

Leise senkt sich die Nacht herab und wirft ihre Schleier über die Bäume.
Ricardo bemerkt es gar nicht, denn er ist traurig und mutlos.
Erst als sein treues Pferd schnaubt, bleibt er stehen und bemerkt, dass sie direkt vor einem kleinen Häuschen stehen.
 Er klopft.
Niemand meldet sich oder öffnet die Tür, dabei sieht er durch den Spalt der Vorhänge eine Licht schimmern.
Vorsichtig drückt er die Türklinke.
Sie gibt nach und er betritt ein sauberes kleines Stübchen.
Ein grüner Kachelofen verströmt wohlige Wärme und auf einem Herd brodelt ein Topf aus dem verführerische Düfte aufsteigen.
Auf einem langen Tisch, der von einer Eckbank umgeben ist, stehen sieben Teller, sieben Bestecke und sieben Gläser.
Doch niemand ist zu sehen.
Etwas ratlos blickt der junge Mann sich um.
Hallo?“
Er sieht hinauf zur Treppe , und betrachtet die sieben Betten die dort im ersten Stock neben einander aufgereiht.
Als er seinen Blick wieder über den gedeckten Tisch streifen lässt, bemerkt er wie das Tischtuch sich bewegt.
Schnell bückt er sich und greift unter den Tisch.
Als er seine Hand zurückzieht, hält er eine rote Zipfelmütze in derselben und vor ihm sitzt ein kleines putziges Männchen und sieht ihn mit vor Angst geweiteten Augen an.
 

Freundlich grüßt der junge Prinz.
Guten Abend, kleiner Mann.“
Misstrauisch wird er von dem Zwerg gemustert.
Du willst mir nichts tun?“
Lächelnd schüttelt Ricardo den Kopf und zaghaft gibt der Zwerg das Lächeln zurück und langsam verschwindet der furchtsame Ausdruck in seinem Gesicht.
Er kriecht unter dem Tisch hervor und erzählt dem jungen Mann von seinen Brüdern, die im Bergwerk nach Edelsteinen suchen.
Jede Woche hat einer von ihnen Küchendienst und diesmal ist Purzel, so hat er sich vorgestellt, an der Reihe.
Draußen erklingt nun fröhlicher Gesang und durch die Tür kommen sechs kleine Männchen, die über der Schulter Hacken, Spaten und Seile tragen.
Sie sind etwas erstaunt, als sie den Gast erblicken, aber bald haben sich alle miteinander bekannt gemacht und fröhlich plaudernd wird nun gegessen.
Ricardo erzählt nun dem Verschwinden seiner Liebsten und die Zwerge sind sehr traurig.
Zu gerne würden sie ihm helfen, aber sie wussten nicht wie sie das machen sollten.
Als Purzel weit seinen Mund aufreißt und zu gähnen beginnt, beschließen sie schlafen zu gehen.
Ricardo macht es sich auf einer Decke auf dem Küchenboden vor dem Kamin bequem.
 
 



Früh am nächsten Morgen, als sie alle beim Frühstück sitzen und überlegen wie sie ihrem Gast helfen können, ruft Purzel plötzlich: „Hokuspokus!“
Ricardo lacht:
Möchtest du zaubern?“
Nein, nein!“ rufen alle durcheinander, „ er meint den Zauberer Hokuspokus, er wohnt gar nicht weit von hier, den wollen wir fragen!“
Und schon springen sie auf und wuseln nach draußen.
Der Prinz folgt ihnen kopfschüttelnd.
Sie finden den Zauberer in seinem Arbeitszimmer, wo er die Beine weit von sich gestreckt, die Hände
über dem kleinen Bäuchlein gefaltet mit leicht geöffnetem Mund leise schnarcht.
Leise treten die Besucher näher, da stolpert Brummer über einen Schemel und erschrocken öffnet der Zauberer seine Augen und sieht sich erschrocken um.
Wie, wo, was wer...?“
Dann erblickt er die Zwerge und ein Strahlen geht über sein Gesicht.
Ach ihr seid es, mein kleinen Freunde.
Wie schön dass ihr mich in meinem bescheidenen Heim besucht.
Wie sehr erfreut und ergötzt es mein Herz. Und wie ich sehe, habt ihr mir noch einen Gast herbeigeführt.
Wollt ihr ihn mir nicht vorstellen?“
Ricardo tritt nach vorn und verbeugt sich, dabei kann er nur mit Mühe sein Lachen verbeißen, denn Purzel hatte ihn heimlich in die Seite gestoßen und geflüstert:
Musst dir nichts denken, der quatscht immer so geschwollen.
Doch dann wird der junge Mann wieder ernst, als er dem Zauberer von Griseldis Verschwinden erzählt.
Hokuspokus wiegt bedenklich das Haupt und murmelt leise vor sich hin, dann dreht er sich um und läuft mit langen Schritten in das Nebenzimmer.
Die Zwerge stürzen hinter ihm her, dabei fallen sie fast übereinander in ihrer Eile.
Der Zaubermeister aber eilt zu einem Schreibpult auf dem ein großes Buch liegt und öffnet es.
Neugierig drängen sich die Zwerge um das Pult.
Doch wie enttäuscht sind sie, als sie nur leere Seiten entdecken.
Hokuspokus wendet sich an den Zwergenältesten.
Verehrter Meister Brummer, würdet ihr bitte die Vorhänge schließen lassen, damit ich dieses Buch befragen kann, in der Hoffnung, es möge mir Auskunft geben über das so traurige Verschwinden der Prinzessin Griseldis, die von diesem jungen Mann ach so schmerzlich vermisst wird.“
Ricardo presst fest die Lippen zusammen, um nicht laut loszulachen, denn Purzel hat ihm begeistert gegen das Schienbein getreten.
Schnell eilt er zum Fenster und zieht die Vorhänge zu.
Der Zauberer aber beugt sich über das leere Buch, lässt die Hände kreisen und murmelt dabei beschwörende Worte.
Das Buch leuchtet auf und eine schwarze Schrift erscheint.
Die Zwerge rücken noch näher an das Pult heran, dabei stupsen und stoßen sie sich und der kleine Purzel stürzt zu Boden bei dem Gerangel.
Schnell bückt sich Ricardo und hebt ihn auf, dann sehen beide über die Schulter des Zauberers und Purzel liest laut vor.
Die Prinzessin Griseldis wurde Opfer einer bösen Verschwörung von der Hexe Esmeralda und deren Tochter.
Sie gaben ihr das Pulver „Vergissdichselbst“ und dann nahm Esmeralda sie zu ihrer Hütte mit, wo sie als Dienstmagd seitdem arbeitet.“
Die Schrift verschwindet.
Ricardo ist ganz blass geworden und setzt Purzel vorsichtig auf den Boden.
Wer sind diese Esmeralda und ihre Tochter?“
Das ist eine Hexe, die nicht weit von hier in der schwarzen Schlucht ihre Hütte hat,“ rufen die Zwerge.
Und Purzel zupft Ricardo am Wams.
Und, und ihre Tochter hat einen König geheiratet.“
Nun ist dem Prinzen alles klar.
Sie ist Griseldis Stiemutter.“
Fragend sieht er den Zauberer an, der bis jetzt noch nichts gesprochen, sondern nur finster vor sich hin gestarrt hatte.
Nun nickt er langsam mit dem Kopf und grollt:
Gewarnt habe ich sie schon mehrmals, dass sie nicht in meinem Reich böse verbotene Zauber ausführen darf. Nun ist das Maß voll, folgt mir meinen geehrten Freunde.“
Er eilt ihnen voraus mit wehendem Mantel und sie müssen sich beeilen, um ihm zu folgen.
Bald stehen sie vor der Hütte der Hexe und Hokuspokus brüllt:
Komm heraus, du elendes Frauenzimmer!“
Vorsichtig öffnet sich die Tür und Griseldis späht heraus.
Ach wie sieht sie aus.
Schmutzig sind ihr Wangen, ängstlich ihre Augen. Ihre Haare sind wirr und verstrubbelt und und das graue Kleid voller Flicken und Flecken.
An den Füßen trägt sie grobe Holzpantoffeln und in der Hand hält sie einen Besen.
Meine Herrin ist nicht zu Hause,“ flüstert sie.
Ricardo will zu ihr gehen, doch der Zauberer hält ihn zurück und sagt mit freundlicher Stimme zu dem Mädchen.
Komme sie mit uns, ehrbare Jungfrau und diene sie nicht mehr diesem scheußlichem Weib. Geht mit diesem jungen Mann er wird euch zu eurem Vater bringen.Ich werde jetzt suchen nach der Hexe und ihrer Tochter, um sie für immer zu bestrafen, auf dass sie nie mehr anrichten können ein Unheil.“
Und schon war er verschwunden.
Aber der Vergessenszauber!“ ruft der Prinz.
Er ist weg,“ meint Purzel bedauernd und zuckt die Schulter.
Seid froh, dass ihr eure Prinzessin wieder habt, bringt sie nach Hause zu ihrem Vater. Sicher wird alles wieder gut,“ trösten die Zwerge.
Einer der Zwerge bringt das Pferd des Prinzen.
Dieser schwingt sich hinauf, nimmt die Prinzessin vor sich, hebt grüßend die Hand und reitet davon.
Die Zwerge winken ihnen lange nach.



1 Kommentar:

  1. Wäre ja manchmal ganz gut, alles zu vergessen, um alles Schlechte zu streichen. Aber das Schöne und Gute sollten einem wenigstens bleiben.
    Liebe Grüße

    AntwortenLöschen

WIR FREUEN UNS SEHR ÜBER JEDEN KOMMENTAR! MIT DER NUTZUNG DIESES FORMULARS ERKLÄRST DU DICH MIT DER SPEICHERUNG UND VERARBEITUNG DEINER DATEN DURCH DIESE WEBSITE EINVERSTANDEN.