Viele
Monate zieht er durch das Land, reitet von einem Ort zum anderen. Überall
wohin er kommt zeigt er das kleine Miniaturbild von Griseldis, das
ihm der König mitgegeben hat, doch keiner hat sie gesehen.
Leise
senkt sich die Nacht herab und wirft ihre Schleier über die Bäume.
Ricardo
bemerkt es gar nicht, denn er ist traurig und mutlos.
Erst
als sein treues Pferd schnaubt, bleibt er stehen und bemerkt, dass
sie direkt vor einem kleinen Häuschen stehen.
Er
klopft.
Niemand
meldet sich oder öffnet die Tür, dabei sieht er durch den Spalt der
Vorhänge eine Licht schimmern.
Vorsichtig
drückt er die Türklinke.
Sie
gibt nach und er betritt ein sauberes kleines Stübchen.
Ein
grüner Kachelofen verströmt wohlige Wärme und auf einem Herd
brodelt ein Topf aus dem verführerische Düfte aufsteigen.
Auf
einem langen Tisch, der von einer Eckbank umgeben ist, stehen sieben
Teller, sieben Bestecke und sieben Gläser.
Doch
niemand ist zu sehen.
Etwas
ratlos blickt der junge Mann sich um.
„Hallo?“
Er
sieht hinauf zur Treppe , und betrachtet die sieben Betten die dort
im ersten Stock neben einander aufgereiht.
Als
er seinen Blick wieder über den gedeckten Tisch streifen lässt,
bemerkt er wie das Tischtuch sich bewegt.
Schnell
bückt er sich und greift unter den Tisch.
Als
er seine Hand zurückzieht, hält er eine rote Zipfelmütze in
derselben und vor ihm sitzt ein kleines putziges Männchen und sieht
ihn mit vor Angst geweiteten Augen an.
Freundlich
grüßt der junge Prinz.
„Guten
Abend, kleiner Mann.“
Misstrauisch
wird er von dem Zwerg gemustert.
„Du
willst mir nichts tun?“
Lächelnd
schüttelt Ricardo den Kopf und zaghaft gibt der Zwerg das Lächeln
zurück und langsam verschwindet der furchtsame Ausdruck in seinem
Gesicht.
Er
kriecht unter dem Tisch hervor und erzählt dem jungen Mann von
seinen Brüdern, die im Bergwerk nach
Edelsteinen suchen.
Jede
Woche hat einer von ihnen Küchendienst und diesmal ist Purzel, so
hat er sich vorgestellt, an der Reihe.
Draußen
erklingt nun fröhlicher Gesang und durch die Tür kommen sechs
kleine Männchen, die über der Schulter Hacken, Spaten und Seile
tragen.
Sie
sind etwas erstaunt, als sie den Gast erblicken, aber bald haben sich
alle miteinander bekannt gemacht und fröhlich plaudernd wird nun
gegessen.
Ricardo
erzählt nun dem Verschwinden seiner Liebsten und die Zwerge sind
sehr traurig.
Zu
gerne würden sie ihm helfen, aber sie wussten nicht wie sie das
machen sollten.
Als
Purzel weit seinen Mund aufreißt und zu gähnen beginnt, beschließen
sie schlafen zu gehen.
Ricardo
macht es sich auf einer Decke auf dem Küchenboden vor dem Kamin
bequem.
Früh
am nächsten Morgen, als sie alle beim Frühstück sitzen und
überlegen wie sie ihrem Gast helfen können, ruft Purzel plötzlich:
„Hokuspokus!“
Ricardo
lacht:
„Möchtest
du zaubern?“
„Nein,
nein!“ rufen alle durcheinander, „ er meint den Zauberer
Hokuspokus, er wohnt gar nicht weit von hier, den wollen wir fragen!“
Und
schon springen sie auf und wuseln nach draußen.
Der
Prinz folgt ihnen kopfschüttelnd.
Sie
finden den Zauberer in seinem Arbeitszimmer, wo er die Beine weit von
sich gestreckt, die Hände
über
dem kleinen Bäuchlein gefaltet mit leicht geöffnetem Mund leise
schnarcht.
Leise
treten die Besucher näher, da stolpert Brummer über einen Schemel
und erschrocken öffnet der Zauberer seine Augen und sieht sich
erschrocken um.
„Wie,
wo, was wer...?“
Dann
erblickt er die Zwerge und ein Strahlen geht über sein Gesicht.
„Ach
ihr seid es, mein kleinen Freunde.
Wie
schön dass ihr mich in meinem bescheidenen Heim besucht.
Wie
sehr erfreut und ergötzt es mein Herz. Und wie ich sehe, habt ihr
mir noch einen Gast herbeigeführt.
Wollt
ihr ihn mir nicht vorstellen?“
Ricardo
tritt nach vorn und verbeugt sich, dabei kann er nur mit Mühe sein
Lachen verbeißen, denn Purzel hatte ihn heimlich in die Seite
gestoßen und geflüstert:
„Musst
dir nichts denken, der quatscht immer so geschwollen.
Doch
dann wird der junge Mann wieder ernst, als er dem Zauberer von
Griseldis Verschwinden erzählt.
Hokuspokus
wiegt bedenklich das Haupt und murmelt leise vor sich hin, dann dreht
er sich um und läuft mit langen Schritten in das Nebenzimmer.
Die
Zwerge stürzen hinter ihm her, dabei fallen sie fast übereinander
in ihrer Eile.
Der
Zaubermeister aber eilt zu einem Schreibpult auf dem ein großes Buch
liegt und öffnet es.
Neugierig
drängen sich die Zwerge um das Pult.
Doch
wie enttäuscht sind sie, als sie nur leere Seiten entdecken.
Hokuspokus
wendet sich an den Zwergenältesten.
„Verehrter
Meister Brummer, würdet ihr bitte die Vorhänge schließen lassen,
damit ich dieses Buch befragen kann, in der Hoffnung, es möge mir
Auskunft geben über das so traurige Verschwinden der Prinzessin
Griseldis, die von diesem jungen Mann ach so schmerzlich vermisst
wird.“
Ricardo
presst fest die Lippen zusammen, um nicht laut loszulachen, denn
Purzel hat ihm begeistert gegen das Schienbein getreten.
Schnell
eilt er zum Fenster und zieht die Vorhänge zu.
Der
Zauberer aber beugt sich über das leere Buch, lässt die Hände
kreisen und murmelt dabei beschwörende Worte.
Das
Buch leuchtet auf und eine schwarze Schrift erscheint.
Die
Zwerge rücken noch näher an das Pult heran, dabei stupsen und
stoßen sie sich und der kleine Purzel stürzt zu Boden bei dem
Gerangel.
Schnell
bückt sich Ricardo und hebt ihn auf, dann sehen beide über die
Schulter des Zauberers und Purzel liest laut vor.
„Die
Prinzessin Griseldis wurde Opfer einer bösen Verschwörung von der
Hexe Esmeralda und deren Tochter.
Sie
gaben ihr das Pulver „Vergissdichselbst“ und dann nahm Esmeralda
sie zu ihrer Hütte mit, wo sie als Dienstmagd seitdem arbeitet.“
Die
Schrift verschwindet.
Ricardo
ist ganz blass geworden und setzt Purzel vorsichtig auf den Boden.
„Wer
sind diese Esmeralda und ihre Tochter?“
„Das
ist eine Hexe, die nicht weit von hier in der schwarzen Schlucht ihre
Hütte hat,“ rufen die Zwerge.
Und
Purzel zupft Ricardo am Wams.
„ Und,
und ihre Tochter hat einen König geheiratet.“
Nun
ist dem Prinzen alles klar.
„Sie
ist Griseldis Stiemutter.“
Fragend
sieht er den Zauberer an, der bis jetzt noch nichts gesprochen,
sondern nur finster vor sich hin gestarrt hatte.
Nun
nickt er langsam mit dem Kopf und grollt:
„Gewarnt
habe ich sie schon mehrmals, dass sie nicht in meinem Reich böse
verbotene Zauber ausführen darf. Nun ist das Maß voll, folgt mir
meinen geehrten Freunde.“
Er
eilt ihnen voraus mit wehendem Mantel und sie müssen sich beeilen,
um ihm zu folgen.
Bald
stehen sie vor der Hütte der Hexe und Hokuspokus brüllt:
„Komm
heraus, du elendes Frauenzimmer!“
Vorsichtig
öffnet sich die Tür und Griseldis späht heraus.
Ach
wie sieht sie aus.
Schmutzig
sind ihr Wangen, ängstlich ihre Augen. Ihre Haare sind wirr und
verstrubbelt und und das graue Kleid voller Flicken und Flecken.
An
den Füßen trägt sie grobe Holzpantoffeln und in der Hand hält sie
einen Besen.
„Meine
Herrin ist nicht zu Hause,“ flüstert sie.
Ricardo
will zu ihr gehen, doch der Zauberer hält ihn zurück und sagt mit
freundlicher Stimme zu dem Mädchen.
„Komme
sie mit uns, ehrbare Jungfrau und diene sie nicht mehr diesem
scheußlichem Weib. Geht mit diesem jungen Mann er wird euch zu eurem
Vater bringen.Ich werde jetzt suchen nach der Hexe und ihrer
Tochter, um sie für immer zu bestrafen, auf dass sie nie mehr
anrichten können ein Unheil.“
Und
schon war er verschwunden.
„Aber
der Vergessenszauber!“ ruft der Prinz.
„Er
ist weg,“ meint Purzel bedauernd und zuckt die Schulter.
„Seid
froh, dass ihr eure Prinzessin wieder habt, bringt sie nach Hause zu
ihrem Vater. Sicher wird alles wieder gut,“ trösten die Zwerge.
Einer
der Zwerge bringt das Pferd des Prinzen.
Dieser
schwingt sich hinauf, nimmt die Prinzessin vor sich, hebt grüßend
die Hand und reitet davon.
Die
Zwerge winken ihnen lange nach.
Wäre ja manchmal ganz gut, alles zu vergessen, um alles Schlechte zu streichen. Aber das Schöne und Gute sollten einem wenigstens bleiben.
AntwortenLöschenLiebe Grüße