Dienstag, 1. Oktober 2024

Pension Eulenspiegel 6

 

  

(c) Lore Platz


Der Sturm wütete über das frisiesche Dorf.

Er peitschte das Meer, das sich laut brüllend wehrte und sich aufheulend gegen die Felsen warf und über den Strand rollte.

Der Wind aber trieb seinen wilden Tanz weiter mit immer größerem Vergnügen.

Er entwurzelte Bäume, deckte Dächer ab, zerbrach Fensterscheiben und tobte auch über das große Zirkuszelt.

Ein Riss geht durch den Stoff, die Stangen knicken ein und das ganze Zelt bricht in sich zusammen, wie ein Ballon aus dem man die Luft heraus gelassen hatte.

Direktor Quirin und die Artisten rennen hinüber zum kleineren Zelt, in dem die Tiere untergebracht sind.

Don Fernando beruhigt seine aufgeregten Pferde und führt sie hinaus.

Angela und Fridolin lassen die Hunde frei und Kasimir öffnet den Verschlag, in dem das Pony und der Esel stehen..

Auf diesen Moment hat Eulenspiegel nur gewartet.

Blind vor Angst läuft er an dem Clown vorbei und galoppierte aus dem Zelt, die Rufe hinter ihm nicht beachtend.

Er läuft und läuft und läuft.

Der Wind pfeift ihm um die Ohren, herunterfallende Äste streifen ihn und als ihm ein Dachziegel auf den Rücken fällt, rast er voller Panik noch schneller.

Auf einmal befindet er sich am Meer, wo die Wellen sich wütend gegen das Land werfen und der Wind und seine Gesellen den Strand aufwühlen, dass er wie eine meterhohe Wand auf ihn zurollt.

Auf einmal spürt er einen stechenden Schmerz auf dem Rücken und eine Stimme kreischt:

Lauf zu den Felsen, dort ist eine Höhle, dort sind wir sicher!”

Instinktiv gehorcht Eulenspiegel und stöhnt, als sich die Krallen der Möwe noch tiefer in seinen Rücken pressen .

Aufatmend lässt er sich in der Grotte zu Boden fallen und japst nach Luft.

Könntest du endlich meinen Rücken verlassen, du tust mir weh!”

Entschuldige, aber bei diesem Wind konnte ich nicht mehr fliegen und außerdem sind meine Federn pitschnass.”

Schon gut,” brummt der Esel und dehnt etwas seinen schmerzenden Rücken.

Vor dem Höhleneingang tobt der Sturm sich noch immer aus.

Doch plötzlich verdunkelt sich der Eingang und Eulenspiegel ruft überrascht: “Gina!”

Die Schimpansin kommt schnell herein, wobei sie die Finger der rechten Hand am Boden abstützt.

Überglücklich legt sie beide Arme um Eulenspiegels Hals und schmiegt ihren Kopf an sein Gesicht.

Obwohl ihre erste Begegnung vor sechs Jahren nicht besonders freundlich war, sind sie in den vergangenen Jahren die besten Freunde geworden.

Gina setzt sich nun neben den Esel und erklärt.

Ich sah dich aus dem Zelt rasen und folgte dir.

Junge kannst du rennen, ein paar Mal habe dich fast aus den Augen verloren und dann sah ich, wie dieser Vogel,” sie deutet auf die Möwe,dich angegriffen hat.

Die Möwe unterbricht ihr Zupfen an den zerzausten Federn und meint empört:

Ich habe ihn nicht angegriffen. Der Sturm hat mich nur wie einen Spielball durch die Luft geschleudert und ich habe einen Halt gesucht.”

Ja und mein Rücken tut mir jetzt noch weh!” brummt der Esel.

Habe ich dir nicht schon gesagt, dass es mir leid tut? Und außerdem ohne mich hättest du die Höhle niemals gefunden,” meint die Möwe beleidigt.

Du hast recht, wir sind quitt,” lacht Eulenspiegel gutmütig.

Draußen tobt immer noch der wilde Geselle und als wäre er verärgert, dass die Drei ihm entwischt waren, wirft er Sand, Steine und Äste in die Höhle, gefolgt von einem Schwall Wasser.

Die Tiere kriechen weiter nach hinten.

Eulenspiegel legt den Kopf auf die Vorderbeine und beobachtet eine Weile das Toben vor der Öffnung, doch dann fallen ihm die Augen zu.

Gina setzt sich dicht daneben und kuschelt sich an ihn.

Die Möwe legt ihren Kopf unter den Flügel und bald schlafen die Tiere.Gina zieht Eulenspiegel an den Ohren.

Hallo aufwachen!”

Der Esel öffnet die Augen und stemmt sich hoch.

Die Möwe aber, deren Federn wieder trocken sind, steht am Eingang.

Seht doch der Sturm hat nachgelassen.”

Sie schlüpft hinaus.

Gina legt eine Hand an die Mähne ihres Freundes und stapft neben ihm ins Freie.

Der Orkan war verschwunden, aber nicht ohne eine schreckliche Verwüstung zu hinterlassen.

Strandkörbe lagen umgekippt im aufgewühlten Sand.

Ein riesiger Sonnenschirm mit dem Aufdruck “Nordseefisch” lag teilweise im Wasser und die Sandburgen der Kinder waren nur noch ein nasser Matsch.

Ein Fisch an Land gespült, zappelte hilflos im Sand.

Die Möwe erhebt sich, “auf wiedersehen, ihr beiden, da vorne liegt mein Frühstück!”

Im Sturzflug schnappt sie sich ihre Beute und fliegt aufs offene Meer hinaus.

 


Eulenspiegel und Gina aber marschieren zurück ins Dorf.

Überall sind die Menschen beschäftigt, die Äste, Dachziegel und umgestürzten Mülltonnen aufzuräumen.

Feuerwehrautos rasen mit Blaulicht durch die Straßen und niemand beachtet die beiden Tiere.

Als sie am Zirkusplatz ankommen, finden sie ihn verlassen vor.

Nur die beiden Zelte liegen völlig zerfetzt auf dem Boden.

Was nun?” fragt Gina bang.

Eulenspiegel seufzt traurig. “Ich glaube wir beide haben wieder einmal unsere Heimat verloren.”

Die Schimpansin nickt, obwohl sie sich kaum noch an Afrika erinnern konnte .

Aber weißt du was!” ruft der Esel munter, “ diesmal ist keiner von uns allein. Wir haben uns beide und vielleicht finden wir ja eine neue Heimat! Setz dich auf meinen Rücken.”

 


Gina hält sich an seiner Mähne fest, während der Esel zurück durch das Dorf läuft und immer weiter, bis sie in einem kleinen Waldstück angekommen sind und dort eine Rast einlegen.

Während Eulenspiegel auf der Lichtung die zarten Kleeblätter rupft und genüsslich zerkaut, hat Gina einen Beerenstrauch entdeckt und stopft sich eine Handvoll der köstlichen Früchte nach der anderen in das Maul. Dass der Saft an ihr herunter läuft stört sie nicht.

Der Esel beobachtet sie eine Weile, dann meint er grinsend.

Langsam wird dein Fell ganz rot von den Beeren und wahrscheinlich bist du auch ganz klebrig. Komm mit, ich habe dort hinten einen Bach entdeckt und bin sowieso durstig.”

Während die Schimpansin im Wasser planscht, trinkt der Esel von dem klaren frischen Wasser, dann marschieren sie zurück in den sicheren Wald.

Gina klettert auf einen Baum und lehnt sich an den Stamm und Eulenspiegel legt sich darunter und schließt die Augen, um nachzudenken.

 

(c) RMzV


Ein schweres Schnauben ist zu hören und eine heisere Stimme brummt.

Wo bin ich hier nur? Wenn ich nur besser sehen könnte! Verflixt nun habe ich mir schon wieder den Kopf angestoßen!”

Das Gebüsch teilt sich und ein großer zotteliger Hund tritt heraus.

Schnuppernd hebt er die Nase.

Ist hier jemand?”

Eulenspiegel steht auf und geht zu dem Hund und auch Gina schwingt sich vom Baum und landet direkt neben ihm.

Dieser weicht entsetzt ein Stück zur Seite und fragt bange.

 


 

Ihr werdet mir doch nichts tun? Wer seid ihr, entschuldigt, meine Augen sind so schlecht, ich kann nur noch alles schemenhaft erkennen.”

Ich bin ein Esel und heiße Eulenspiegel und dass ist meine Freundin Gina, eine Schimpansin.”

Schimpansin, was ist das, noch nie davon gehört.”

Ist auch nicht so wichtig,” meint Gina, “ auf jeden Fall sind wir nicht deine Feinde.”

Schön,” erleichtert lässt sich der alte Hund ins Gras sinken.

Ich heiße übrigens Sultan und diente viele Jahre meinem Herrn auf dem Bauernhof. Nur als mein Augenlicht immer schlechter wurde, kaufte er sich einen jüngeren Hund und sperrt mich in den Schuppen. Ich hörte ,dass der Tierarzt mich einschläfern sollte, doch dann kam der Sturm und riss die Tür des Schuppens aus den Angeln und ich lief weg. Es war nicht ganz einfach, den Weg zu laufen, wenn man nur noch Schatten erkennen kann. Aber irgendwie bin ich doch sicher hier gelandet.”

Eulenspiegel und Gina sind voller Mitgefühl für den alten Hund und der Esel bietet ihm an. “Du kannst mit uns kommen, wir haben auch unsere Heimat verloren und sind auf der Suche nach einer neuen.”

Und Gina legt liebevoll ihre Hand auf seinen Kopf und verspricht:

Und wegen deinen schwachen Augen brauchst du dir keine Sorgen zu machen, ich werde dich führen.”

Sultan fängt plötzlich zu weinen an.

Entschuldigt ,“schluchzt er,” ich habe sonst nicht so nah ans Wasser gebaut, aber seit Tagen gab man mir schon nichts mehr zu fressen und der weite Weg hierher hat mein Kräfte aufgezehrt. Ich habe eigentlich schon mit dem Leben abgeschlossen und wollte mich hier im Wald zum Sterben hinlegen und nun treffe ich auf zwei so tolle Kameraden.”

Gina streichelt ihn und Eulenspiegel erzählt ihm vom Zirkus und langsam beruhigt sich der Hund und muss sogar lachen, als der Esel ihm die erste Begegnung mit Gina schildert.

Die Schimpansin aber hat sich schon vor einiger Zeit entfernt und steht nun plötzlich wieder vor ihnen mit einer großen dicken Wurst.

Diese legt sie Sultan vor die Nase , der schnuppernd den Kopf hebt.

Gina lacht.

Ich habe einen Besuch in dem Dorf gemacht , ein offenes Fenster gesehen und auf dem Tisch lag diese Wurst. Guten Appetit.”

Das lässt sich Sultan nicht zweimal sagen. Gierig verschlingt er die Wurst.

Gina hält ihm dann noch eine Handvoll Beeren unter die Nase.

Nachtisch!” meint sie grinsend.

Zufrieden leckt der alte Hund sein Maul

Das war ein Festmahl! Fehlt nur noch ein guter Schluck Wasser.”

Haben wir auch!”

Gina nimmt ihn am Halsband und führt ihn hinunter zum Bach.

Eulenspiegel blickt ihnen lächelnd nach.

Er ist ganz gerührt, wie liebevoll sich seine kleine Freundin um den blinden Hund kümmert.

 


Auf einmal taucht ein kleines Fellbündel vor ihm auf, flitzt zwischen seinen Beinen hindurch , macht einen Luftsprung und dreht sich dann wie ein Kreisel und rast wieder davon.

Gleich darauf kommt eine getigerte Katze auf die Lichtung, im Maul das kleine Fellbündel.

Vor Eulenspiegel setzt sie es ab und sieht es strafend an.

Ninett, habe ich dir nicht verboten, einfach wegzulaufen?”

Das Kätzchen senkt den Kopf und murmelt beschämt.

Ja, das hast du.”

Die Katze beginnt es zu lecken und gibt ihm dann einen Stups.

Hast du denn auch schön “Guten Tag” zu dem freundlichen Herrn gesagt?”

Die Kleine dreht sich um und murmelt ein leises “Guten Tag.”

Ihre Mutter lächelt und stellt sich nun dem Esel vor.

Ich bin Manu und dieser kleine Nichtsnutz ist meine Tochter Ninett, ich hoffe sie hat sie vorhin nicht erschreckt.”

Aber nicht doch, sie ist so ein süßes, lustiges Dingelchen, übrigens mein Name ist Eulenspiegel.”

Angenehm,” dann dreht sich die Katze plötzlich herum krümmt den Rücken, stellt die Haare und beginnt zu fauchen.

Sultan und Gina kommen vom Bach herauf.

 

Morgen geht es weiter


2 Kommentare:

  1. Liebe Lore, wieder konnte ich nicht in Pausen lesen. Nein..
    Das ist eine so schöne lebendige Geschichte. Teilweise habe ich sogar meinem Mann Stellen vorgelesen . Wir hatten richtig Spaß.
    Danke, und natürlich kann man in deinem Blog "Lores Märchenzauber" auf der Startseite andere Geschichten von dir lesen.
    Eine angenehme, gute Zeit für Dich , bis mal wieder am Telefon. Deine Monika

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  2. Leider ist die Geschichte jetzt zu Ende, natürlich mit einem guten Ende. Lore sie war sooooo schön!

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