Dienstag, 4. Oktober 2022

Die Perlen des Herzogs

Im Dezember werde ich 73 und habe bemerkt, dass je älter man wird, umso einsamer man auch wird. Viele Weggefährten verliert man durch den Tod.  Aber auch andere ziehen sich zurück, besonders wenn man wie ich behindert und krank ist. Eine Bekannte sagte vor Jahren mal leise vor sich hin, als ich nach einer fast tödliche verlaufenden Krankeit im Bett lag: " Man muss sich hier seinen Kaffee selber kochen."  Nun sie spielt schon lange keine Rolle mehr in meinem Leben, wie manch andere. 
Zum Glück habe ich noch einige handverlesene Freunde um mich. und das ist ein großes Glück.
 
viel Spaß beim Lesen! 



Die Perlen des Herzogs


Der Zirkus Bellandini gastierte in H.
In einem der bunt bemalten Wohnwägen saß eine alte Dame vor dem Schminktisch und sah traurig in den Spiegel.
Das Leben hatte viele Falten in das einst schöne Gesicht gegraben.
Carmelita di Pavlio, unter diesem Künstlernamen sang sie auf den größten Bühnen der Welt. 
Von den Kritikern hochgejubelt, vom Publikum geliebt und von den Männern begehrt.
Doch ihr Herz gehörte nur einem, Archibald! Mit seinem jungenhaften Charme hatte sich der englische Adelige in ihr Herz gestohlen und es im Sturm erobert.
Es machte ihm nicht aus, dass sie fünf Jahre älter war. Auf all ihren Reisen begleitet er sie, war immer für sie da und der ruhende Pol in ihrem hektischen Leben.
Einen Moment schloss die alte Dame träumend die Augen und ließ noch einmal die unbeschwerte glückliche Zeit Revue passieren.
Doch Fortuna ist neidisch und kein Glück dauert ewig.
Der Vater von Archibald starb und er musste zurück nach England und die Frau heiraten, die ihm seine Familie ausgesucht hatte. Es war undenkbar, dass er als Herzog eine Künstlerin heiratete.
Es war hier in H., als sie für immer Abschied genommen hatten. Archie hatte ihr ein rotes Etui mit einer wunderschönen Perlenkette überreicht, damit sie ihn niemals vergaß.
Als ob das nötig gewesen wäre.
Vor einigen Jahren war er gestorben.
Die alte Dame öffnete eine Schublade an ihrem Tischen und zog ein rotes Etui heraus.
Zärtlich fuhr sie mit den Fingern die Perlen entlang.
Perlen bedeuten Tränen. Für jede einzelne dieser Perlen hatte sie hundert Tränen vergossen.
Sie stürzte sich in die Arbeit und die Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung, denn ihr Gesang war noch besser, noch gefühlvoller
geworden und niemand ahnte den großen Schmerz, der hinter all diesen Tönen lag.




Doch eines Tages brach ihre Stimme und sie musste die Bühne verlassen.
Zuerst musste sie ihre wunderschöne Villa verkaufen, dann ihren Schmuck.
Doch von der Perlenkette konnte sie sich nicht trennen.
Schließlich landete sie in einer kleinen schäbigen Pension und fürchtete sich jeden Tag davor, dass ihre Ersparnisse zur Neige gingen.
Und dann war sie dem Zirkusdirektor Martinsen begegnet. Er hatte sie sofort erkannt und ihr eine Stelle an der Kasse angeboten.
Viele Jahre reiste sie nun schon mit dem Zirkus durchs Land und sie waren wie eine kleine Familie.
Doch Direktor Martinsen starb vor einigen Monaten und sein arroganter Sohn übernahm die Leitung und heute hatte er sie in den Bürowagen bestellt und erklärt, dass ab sofort seine Freundin an der Kasse sitzen würde.
Außerdem wäre er nicht so dumm wie sein Vater und würde nutzlose alte Leute mit durchfüttern.
Sie solle sich eine andere Bleibe suchen, denn wenn der Zirkus weiterzöge, würde sie nicht mitkommen.
Die alte Dame seufzte, dann steckte die das Etui in ihre Handtasche und stand auf.
Gerade als sie ihren Mantel anzog, öffnete sich die Tür und die alte Lissy ,die beiden Clowns Pippo und Peppo und der alte Sam, der seit einem Unfall auf dem Trapez hinkte, drängten sich herein.
Als die alte Dame Lissys verweintes Gesicht sah, fragte sie nur:
Ihr auch?“
Schweigend nickten die Vier.
Dann polterte Pippo wütend: „Unsere Späße seien veraltet, niemand könne darüber noch lachen. Und er will den Zirkus verjüngen und wir Alten sollen verschwinden.
Lissy schluchzte laut auf. „Ich habe doch niemanden, wohin soll ich?“
Die alte Dame nahm sie liebevoll in die Arme. „Wir sind deine Familie.“
Fragend sah sie die drei Männer an und diese nickten und bestätigten.
Wir bleiben zusammen!“
Siehst du, du kleiner Angsthase, nun hast du eine Schwester und drei Brüder. Wir werden uns eine Wohnung suchen und unsere kleinen Renten zusammen schmeißen. Dann können wir wunderbar
leben. Aber nun muss ich noch etwas erledigen. Wartet doch hier auf mich ich bin bald zurück.“
Kurze Zeit später stand sie vor dem Juweliergeschäft, in dem Archie damals die Perlen für sie gekauft hatte.
Wenig später kam sie mit einem Scheck in der Tasche aus dem Geschäft, dessen Höhe sie noch immer erbleichen ließ.
Diesmal leistete sie sich ein Taxi zurück in den Zirkus.
Wie staunten und strahlten ihre Freunde, als sie ihnen den Scheck zeigte und ihnen erklärte, dass sie für sich und ihre kleine Familie ein Haus kaufen wollte und gleich darauf machten sie sich auf den Weg zu einem Makler.
Es dauerte auch nicht lange bis sie ein passendes kleines Häuschen mit fünf Zimmern und einer großen Wohnküche und einem schönen Garten gefunden hatten.
Sie bekamen es sogar ziemlich günstig, da es schon lange leer stand und die Renovierungsarbeiten wollten sie selber machen.
So blieb noch eine schöne Summe über als Notgroschen.

Ein Jahr war vergangen.
Es war eine laue Sommernacht.
Auf der Terrasse saß Lissy deren Stricknadeln lustig klapperten. Zu ihren Füßen lag der Kater Merlin.
Pippo, Peppo und Sam spielten Karten und die alte Dame trat eben aus der Tür und ging die kleinen Stufen hinunter in den Garten.
Auf der Bank unter der Ulme setzte sie sich und sah hinauf in den Sternenhimmel.
Nun hast du wieder einmal für mich gesorgt Archibald. Dein großzügiges Geschenk hat uns allen einen ruhigen Lebensabend beschert.
Einige Jahre muss ich noch hier bleiben, denn meine Freunde brauchen mich, doch dann komme ich zu dir und keine Macht der Welt wird uns wieder trennen können!“
Sie schüttelte den Kopf und blinzelte verwirrt.
Es war ihr, als hätte einer der Sterne geblinkt, doch als sie wieder nach oben sah, zogen die Sterne gleichmäßig ihre Bahn.
Lächelnd stand sie auf. Das war wohl eine Sinnestäuschung.
Wer weiß!


© Lore Platz


1 Kommentar:

  1. Was für eine schöne Geschichte. Sie hat mein Herz berührt. Ende gut - alles gut Lore!

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