Das schreiben ist nicht so einfach, wenn man ans Bett gefesselt ist und sich langsam den achtziger nähert. Aber
ich wollte natürlich auch nicht, dass ihr ohne eine Geschichte
bleibt. (2o23)
Zufällig
fand ich eine uralte Geschichte, die ich 1972 geschrieben habe. Es
handelt sich um eine wahre Geschichte
Die
Erinnerungen einer alten Frau, der ich etwas von meiner Zeit
schenkte, da sie sehr einsam war, habe ich zu einem Tag zusammen
gefasst und ihr die Geschichte dann zum Geburtstag geschenkt .
Das
ganze geschah Anfang der Dreißiger im vorigen Jahrhundert. Der Krieg
hat dann später alles zerstört und die Familie musste fliehen.
Ein Tag auf Sommering
Mit
einem strahlendem Lächeln begrüßt die Sonne den Tag.
Sie
taucht die Welt in ihr goldenes Licht, streift die wogenden Ähren,
beleuchtet die grünen saftigen Wiesen, spiegelt sich in dem klaren
flink dahin eilendem Bach und leuchtet schließlich auch über
Sommering, dem großen behäbigen Einödhof mitten in der herrlichen
Landschaft Jugoslawiens.
Die
Bewohner von Sommering sind schon munter und verrichten fröhlich
ihre morgendlichen Pflichten.
Peter,
der Älteste striegelt die Pferde, Johann holt frisches Heu von der
Tenne und Adam der Jüngste der Brüder füttert die Schweine.
Andrasch
der Knecht verlässt gerade mit einer Schubkarre voll Mist den
Stall.
Fröhliche
Worte fliegen zwischen den jungen Männern hin und her, doch als
Vater Ulrich aus dem Haus tritt, sind sie still.
Denn
der Bauer ist ein sehr strenger Mann.
Lena,
die älteste Tochter hilft der Mutter in der Küche.
Nun
habe ich euch alle Bewohner von Sommering vorgestellt, doch halt da
fehlt doch noch jemand?
Richtig!
Bibi, die Jüngste kuschelt noch in ihrem Bett und schläft.
Eigentlich
heißt sie ja Christine, aber da sie sie Jüngste und somit das Küken
der Familie ist, wird sie von allen nur Bibi gerufen.
Lena,
die schon sechzehn und etwas eifersüchtig auf das Nesthäkchen ist,
blickt immer wieder zur Schlafzimmertür.
Endlich
hält sie es nicht mehr aus.
„Die
Bibi darf noch schlafen, das ist ungerecht. Sie könnte uns ruhig
hier helfen,“ mault sie.
Die
Mutter lächelt nachsichtig.
„Lass
sie doch, sie ist doch noch so klein.“
„Pah,
klein! Sie ist immerhin schon zehn!“
„Bä,
bääää!“ tönt es durch das offene Fenster und gleich darauf ist
ein Kratzen an der Tür zu hören.
In
Lenas Augen blitzt es auf.
„Ha,
nun weiß ich, wie ich die Langschläferin aus dem Bett bringe,“
lacht sie und öffnet die Tür, um Suki, Bibis Schäfchen,
hereinzulassen.
Suki
bleibt mit schief geneigtem Kopf mitten in der Küche stehen, hebt
dann das Näschen, bäät noch einmal herausfordernd und trippelt
dann zielstrebig zur Schlafzimmertür, die Lena einladend geöffnet
hat.
Tripp,
Trapp, Tripp Trapp, klappern die kleinen Hufe über den Steinboden
und schon fährt eine raue Zunge über Bibis Gesicht.
Erschreckt
zuckt Christine zusammen, blinzelt und mit einem empörten „Suki,
lass mich bloß in Ruhe!“ dreht sie sich zur Wand und zieht die
Decke über den Kopf.
Doch
sie hat nicht mit Sukis Beharrlichkeit gerechnet.
Energisch
stößt das kleine Köpfchen gegen den Rücken des Mädchens und als
das nicht hilft springt das Schäfchen einfach auf das Bett.
Bibis
brauner Wuschelkopf kommt unter der Decke hervor und lachend umarmt
sie das Schaf, das sich zufrieden an ihre Schulter kuschelt.
Fröhliches
Lachen schallt von der Tür her, denn dort stehen die Mutter und
Lena.
„Na,
Bibi hat Suki es endlich geschafft dich wach zu bekommen?“
schmunzelt die Mutter.
Das
Mädchen blinzelt ihr vergnügt zu und springt aus dem Bett.
Zusammen
mit Suki, die keinen Schritt von ihrer Seite weicht, eilt
sie ins Bad und steht kurze Zeit später
frisch gewaschen und gekämmt im Flur, greift sich im vorbei gehen
den Eierkorb und läuft leichtfüßig über den Hof.
Die
Hennen flattern aufgeregt gackernd von den Nestern als
Bibi und natürlich auch Suki sich durch die schmale Tür zwängen.
Das
Schaf betrachtet misstrauisch das Federvieh. Warum müssen diese
dummen Hühner nur so viel Lärm machen und diese Federn, die durch
die Luft fliegen. Hatschi!
Suki
tritt vorsichtig zurück, doch als ihr eins dieser unmöglichen
Biester auf den Rücken fliegt und ihr mit den Flügeln eine kräftige
Ohrfeige versetzt, da ist es mit ihrer Geduld zu Ende.
Sie
dreht sich im Kreis, um das Federvieh auf ihrem Rücken los zu werden
und landet mitten in den Eiern.
Bibi
blickt entsetzt auf den goldgelben Saft, der sich über das Stroh
ergießt und schiebt das Schaf energisch aus dem Hühnerstall.
Flink
sammelt sie die restlichen Eier ein und verlässt den
Hühnerverschlag. Sauber machen will sie später.
In
der einen Hand den Korb balancierend und mit der anderen Hand das
Schaf abwehren, eilt sie ins Haus.
In
der Küche hat sich inzwischen die Familie zum Frühstück
versammelt.
Als
Bibi mit Suki in die Küche stürmt, runzelt der Vater streng die
Stirn.
„Bring
das Schaf sofort hinaus!“ ordnet er an und schweigend stellt Bibi
den Eierkorb auf die Holzbank und zieht Suki am Halsband hinaus.
Sie
weiß, dass der Vater das Schaf nicht leiden kann, weil es immer
etwas anstellt und schuldbewusst denkt sie an die kaputten Eier.
Und
auch der entsetzliche Wintermorgen fällt ihr ein, als Suki den
Truthahnküken die in einem Korb am warmen Ofen lagen, einfach die
Köpfe und Glieder abgebissen hat.
War
das eine Aufregung! Damals wollte der Vater Suki verkaufen, aber
glücklicherweise konnte die Mutter ihn besänftigen.
Bibi
wird ganz bange bei dem Gedanken und sie zerrt das Schaf in den Stall
und verschließt fest die Tür.
Krampfhaft
versucht sie das klägliche 'Bäääää' zu überhören.
Und
nach dem Frühstück hat sie nichts eiligeres zu tun, als Suki aus
ihrem Gefängnis zu befreien.
Übermütig
springt das Schäfchen um seine kleine Freundin
herum
und versucht immer wieder die leuchtend roten Zopfschleifen zu
erwischen.
Die
beiden gebärden sich, als hätten sie sich monatelang
nicht
mehr gesehen.
Peter,
der lässig die Hände in den Hosentaschen, über den Hof schlendert,
grinst von einem Ohr zum andern.
„Na,
Kleines fährst du mit zur Mühle?“
„Ja,
aber nur, wenn Suki mit darf,“ meint Bibi trotzig.
Peter
lacht und zupft sie am Ohrläppchen.
„Na,
dann kommt ihr Zwei,“ brummt er gutmütig.
Andrasch
schirrt gerade die beiden temperamentvollen Rappen Lendsch und
Gendsch ein.
„Ah
die beiden Unzertrennlichen fahren also auch mit,“ feixt er.
Bibi
streckt ihm die Zunge raus, was der Knecht mit einem fröhlichem
Gelächter beantwortet.
Peter
lässt die Peitsche durch die Luft sausen und die Pferde traben los.
Es
ist ein wunderschöner Morgen und das Mädchen genießt die Fahrt
durch ihre schöne Heimat.
Sie
sitzt auf den leeren Mehlsäcken, die Arme um Sukis Hals geschlungen
und träumt.
Vorbei
geht das lustige Traben der Pferde an dem kleinen Bach, an dessen
Ufer die Kühe in der Sonne liegen.
Große
mächtige Weiden säumen den Weg und Bibi blinzelt gegen die Sonne
und versucht die Nester der Raben zu erspähen.
Eine
Lerche flattert aus dem Gebüsch und das Mädchen kneift die Augen
zusammen und beobachtet wie der braun gefiederte Vogel jubilierend
dem Himmel zu fliegt.
Der
Wagen biegt jetzt in den Hof des Müllers ein und Peter springt vom
Kutschbock und begrüßt diesen mit einem Handschlag.
Bald
sind die Säcke mit Mehl aufgeladen und es geht zurück.
Als
sie in den Hof von Sommering einbiegen, führen Adam und Johann
gerade den Vollbluthengst Gidran aus dem Stall.
Nervös
tänzelt das kräftige Tier zwischen den beiden jungen Männern.
„Bibi!“
ruft Adam und winkt dem Mädchen zu.
„Gidran
braucht Bewegung, hast du Lust?“
„Und
ob!“ Leichtfüßig springt Bibi vom Wagen und schon sitzt sie im
Sattel.
Mit
sicherer Hand lenkt sie ihr Lieblingspferd und lässt ihn eine
Ehrenrunde im Hof drehen.
Dann
aber steht sie plötzlich im Sattel und treibt das Pferde zum Galopp
Gidran
setzt über das Gatter und galoppiert den kleinen Waldweg hinunter.
Bald
ist Bibi den Blicken ihrer Brüder entschwunden und sie hört auch
nicht mehr Sukis verzweifeltes Blöken, die dem halsbrecherischen
Tempo nicht folgen kann.
Doch
zum ersten Mal vergisst das Mädchen das kleine Schaf.
Dies
ist eine ganz andere Bibi.
Wild
und unbezähmbar steht sie auf dem Pferderücken.
Die
Zöpfe haben sich aufgelöst und der Rock schleudert um ihre Knie.
Bibi
fühlt sich frei und glücklich.
Sie
reitet bis zur alten Felsengrotte, schlägt einen Bogen und
galoppiert in demselben Tempo zurück, begeistert von ihren Brüdern
empfangen.
Glücklich
und mit hochrotem Gesicht springt sie aus dem Sattel.
„Bibi,
Bibi!“ tönt die Stimme der Mutter aus der Küche.
Schnell
fährt das Mädchen mit den Händen über den Rock und eilt ins Haus.
Vorwurfsvoll
sehen die guten Augen der Mutter auf das zerzauste Mädchen.
„Du
weißt doch, ich will nicht, dass du so wild wie ein Junge reitest,“
tadelt die Mutter sanft.
Bibi
nickt etwas schuldbewusst.
„Ja,
Mutter, aber es war doch so wunderschön!“
Die
Mutter lacht und streicht ihr schnell über den Kopf.
„Nun
lauf und deck schnell den Tisch!“
Bibi
nimmt die blaue Tischdecke aus der Schublade und Teller und Besteck
aus dem Schrank und eilt hinaus in den Garten.
Es
ist inzwischen heiß geworden, aber unter der dicken alten Linde, die
ihre weit ausladenden Zweige über den grob gezimmerten Tisch
breitet, ist es angenehm kühl.
Flink
wirft Bibi die Decke über den Tisch, verteilt Teller und Löffel und
schon kommt Lena mit der dampfenden Suppenschüssel.
Kichernd
laufen die Mädchen zurück ins Haus und vergessen ganz Suki, die mit
neugierig glänzenden Augen das eifrige Schaffen der Mädchen
verfolgt hat.
Nun
trippelt das Schäfchen näher, hebt schnuppernd das Näschen und
klettert mühsam mit den Vorderbeinen auf
die
Holzbank.
Ein
Sprung und es steht mit den Vorderbeinen auf der Tischkante. Noch ein
Sprung und Suki thront mitten auf dem Tisch.
Scheppernd
fällt das Geschirr auf den Rasen.
Suki
macht einen erschrockenen Satz und landet mit der rechten Vorderpfote
in der heißen Suppenschüssel.
Ihr
klägliches Schreien lockt die ganze Familie aus dem Haus.
Lena
und Bibi befreien das Schaf und Adam verarztet es.
Der
Vater hat dies alles mit strenger Miene beobachtet und als die Mutter
ihm sacht die Hand auf den Arm legt, dreht er sich um und geht stumm
ins Haus.
Die
Mutter dirigiert nun die Kinder und bald ist alles wieder in Ordnung.
Adam
aber bringt das verletzte Schaf in die Scheune. Bibi kniet sich neben
Suki und schlingt die Arme um den wolligen Hals.
„Kommst
du mit zum Essen?“ fragt ihr Bruder.
Das
Mädchen schüttelt den Kopf und Adam verlässt schulterzuckend die
Scheune.
Als
Peter später nach Bibi schaut, findet er sie tief schlafend, die
Arme fest um Sukis Hals geschlungen.
Lächelnd
schließt er die Tür.
Es
ist später Nachmittag als das Mädchen erwacht.
Erschrocken
springt es auf und auch Suki rappelt sich hoch.
„Oh
Suki!“ ruft Bibi, „ der Vater wird schimpfen, bleib du hier, ich
muss ja noch die Kühe melken!“
Sie
läuft über den Hof und trifft auf den Knecht, der gerade polternd
die Milchkannen auf den Leiterwagen lädt.
„Na
auch schon wach?“ spottet er gutmütig und Bibi wird puterrot.
Schnell
läuft sie an ihm vorbei ins Haus, schlüpft in die groben
Holzpantoffeln, bindet sich das Kopftuch um, nimmt die beiden
Melkschemel und Milchsiebe und kommt etwas atemlos auf den Hof.
Andrasch
wartet bereits auf dem Kutschbock und Bibi wirft die Sachen auf den
Wagen und klettert neben ihn.
Ein
kurzes Wippen mit der Peitsche und ab geht die Fahrt hinunter zum
Bach.
Gemeinsam
verladen sie die Milchkannen in das bereit stehende Boot.
Bibi
lässt die Pantoffeln am Ufer und watet in den seichten Schlamm und
während Andrasch das Boot ins Wasser schiebt, springt sie hinein.
Lachend
hilft sie dann dem Knecht in das schaukelnde Boot.
Dieser
greift sich die Ruder und bringt sie mit kräftigen Schlägen ans
andere Ufer, während Bibi vorne am Bug sitzt und spielerisch die
Hände durchs Wasser gleiten lässt.
Andrasch
stimmt ein fröhliches Lied an und Bibi fällt mit heller Stimme ein.
Die
Kühe heben staunend die Köpfe.
Als
das Boot ans Ufer stößt und Andrasch es fest gemacht hat, nehmen
sie die Melkschemel und Milcheimer und klettern den Hang hinauf.
Der
Abend dämmert schon herauf und graue Nebelschleier breiten sich über
das Land, als sie mit den Kühen fertig sind.
Als
die letzte volle Milchkanne auf dem Boot verladen ist und sie zurück
rudern ans andere Ufer werden sie begleitet von dem dankbaren Muhen
der Kühe, die befreit von der Milch sich viel wohler fühlen.
So
sind die Tage auf Sommering ausgefüllt mit Arbeit, kleinen
Erlebnissen und Freuden.
Als
Bibi dann um neun Uhr abends ins Bett kriecht, denkt sie noch kurz
vor dem Einschlafen, wie glücklich sie doch ist.
Glücklich
auf Sommering!
©
Lore Platz
Liebe Lore, du bist ein echter Schlawiner (nee, eine Schlawinerin)!! Aber was will man sagen: Du hast die Reizwörter alle untergebracht - und wenn du uns mit einer anderen so tollen Geschichte verwöhnst, wer will da meckern? Ich ganz bestimmt nicht - obwohl: Es waren meine Reizwörter, die dir nicht gefallen und dich nicht inspiriert haben. Nun ja, damit muss ich jetzt wohl leben :-(!!!! Quatsch!!! Tolle Geschichte, Lore, Danke dafür!!! LG Martina
AntwortenLöschenIch finde diese Geschichte sehr sehr schön. Vielen Dank, dass du sie ausgesucht hast!
AntwortenLöschenLG Elke
Liebe Lore,
AntwortenLöschendas ist ein toller Trick die Reizworter zu verpacken, lach. Deine wunderschöne Geschichte erinnert mich an früher bei meiner Oma auf dem Bauernhof. Liebe Grüße Eva
Danke, Lore für Deine Geschichte!
AntwortenLöschenAlles Liebe
Eva :)
Liebe Lore,
AntwortenLöschendas war eine tolle Geschichte - auch wenn die Reizwörter nicht drin vorgekommen sind!
Wenn mir mal gar nichts einfallen will, werde ich auch Deinen "Trick 17 mit Anschleichen" anwenden, bevor ich vor lauter Nachdenken Kopfschmerzen kriege... **grins**.
Liebe Grüße
Christine
Liebe Lore
AntwortenLöscheneine lustige tolle Geschichte auf dem Bauerhof!
Lieben Gruss Elke
Liebe Lore,
AntwortenLöschenich habe diese Geschichte genossen. Sie war so lebensnah erzählt.
Man konnte meinen, man wäre selbst auf dem Bauernhof.
Einen geruhsamen Abend wünscht Dir
Irmi
Liebe Lore,
AntwortenLöschenich konnte mir alles genau vorstellen.
Die alte Frau hat sich bestimmt sehr über diese Geschichte gefreut, umso mehr weil es eine wahre Geschichte aus dem Leben ihrer Familie ist.
Ich konnte die Idylle, aber auch das arbeitsreiche Leben der Menschen auf Sommerring richtig spüren. Schade, dass sie alles verlassen mussten.
Mein Mann und ich hatten uns während des Studiums mal zum Urlaub bei einer Familie in Jugoslawien eingemietet. Ich habe schon oft an diese Menschen gedacht und welches Schicksal der Krieg ihnen wohl beschert hat.
LG
Astrid