Donnerstag, 20. November 2025

Zwurrli und die verletzte Katze

 

 

(c) Werner Borgfeldt


 

Zwurrli und die verletzte Katze




Langsam öffnet die grau getigerte Katze die Augen und schließt sie sofort wieder. Ein stechender Schmerz lässt sie aufstöhnen. Ein Auto hatte sie an der Hinterhand erwischt und sie gegen die Mauer geschleudert.

Ihre Babys! Sie musste zu ihren Babys, die hilflos und noch halb blind in der alten Scheune lagen.

Mühsam rappelt sie sich auf und hinkt los. Immer wieder muss sie sich hinlegen und verschnaufen, bis sie endlich an ihrem Ziel angelangt ist.

Sie schlüpft durch das zersplitterte Loch an der Seite des Schuppens und hört schon ihre Kinder kläglich maunzen.

Eifrig fährt sie mit der rauen Zunge über das Fell der Kleinen, um ihnen zu zeigen, dass sie wieder da ist.

Tapsig rücken Annabell und Gustav näher an ihre Mutter heran, nur Clothilde liegt merkwürdig still da und Susi erschrickt.

Sie hat eines ihrer Kinder verloren. Seit Tagen findet sie wenig zu fressen und hat wohl zu wenig Milch für ihre drei Babys und nun auch noch der Unfall.

Wenn sie starb, was wurde dann aus ihren Kindern?

Muriel! Die Spaniel-Dame wohnt nicht weit von hier und hat auch vor kurzem drei wunderschöne Welpen geboren.

Ja Muriel würde ihr helfen. Am Anfang mochten sie sich gar nicht und der Hund bellte und tobte, wenn Susi durch ihren Garten flitzte oder gar spöttisch vom Baum heruntermiaute, aber dann war Susi einmal vollkommen entkräftet im Gras unter dem Baum gelegen und der Hund kam kläffend auf sie zu.

Und sie glaubte ihr letztes Stündchen wäre gekommen, doch der Hund hatte sie nur beschnüffelt und sich umgedreht.

Wenig später war er mit einem Stück Fleisch im Maul gekommen und hatte es neben ihr ins Gras fallen lassen.

Gierig war sie darüber hergefallen und der Hund saß mit zufriedenem Gesicht neben ihr.

Seitdem waren sie Freunde und Muriel hatte sie oft aus seinem reich gefüllten Napf fressen lassen.

Und wenn es nicht die letzten Tage soviel geregnet hätte und der Hund mit den Welpen im Haus geblieben wäre, dann wäre sie bestimmt nicht so völlig entkräftet.

Kurzentschlossen nimmt Susi die kleine Annabell ins Maul und läuft los.

Muriel, liegt im Garten und lässt sich die Sonne auf das Fell scheinen, ihre drei Kinder sausen um sie herum, spielen und balgen sich.

Die Hündin öffnet die Augen, als neben ihr etwas ins Gras plumpst.

Erschrocken springt sie auf und sieht ihre Freundin entsetzt an.

Was ist denn mit dir passiert?“

Später!“ ruft Susi und humpelt aus dem Garten, um kurz darauf mit Gustav im Maul wieder zu kommen.

Sie lässt ihn neben seiner Schwester ins Gras fallen.

Dann legt auch sie sich einen Moment hin.

Muriel, ein Auto hat mich gestreift, auch bin ich halb verhungert, ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe, kümmere du dich bitte um meine Kinder.“

Mühsam steht sie auf.

Aber, aber ich bringe dir was zu fressen und, und ...“

stammelt die Hündin hilflos.

Susi schenkt ihm ein trauriges Lächeln.

Lass gut sein, kümmere dich um meine Kinder und danke für deine Freundschaft. Ich muss zurück und mein totes Kind begraben. Leb wohl!“

Sie fährt Abschied nehmend mit der Zunge über das Fell ihrer Kinder und humpelt mit schmerzverzerrtem Gesicht davon.

Die beiden Kätzchen miauen, als spüren sie, dass ihre Mutter gegangen ist.

Muriel aber legt sich hin und der Geruch der Milch lässt die Kleinen die Zitzen finden und glücklich saugen sie sich ihre Bäuchlein prall.

Susi aber fällt jeder Schritt schwerer und kurz vor dem Schuppen bricht sie zusammen.

 Vergnügt läuft Knusperle, das Eichhörnchen über die Wiese. Sie hat ihre Verwandten im Wald besucht und ist nun auf dem Weg zurück in ihren Kobel im Park.

Sie stutzt als sie die Katze liegen sieht und geht vorsichtig näher.

Das ist ja Susi!

Sie kennt sie sehr gut, denn immer wenn sie auf dem Weg in den Wald hier vorbeikommt, halten sie ein Schwätzchen und sie hat unlängst auch ihre drei Kinderchen bewundert.

Knusperle beugt sich über die Katze und erschrickt über das schlechte Aussehen derselben.

Ob sie wohl tot ist??

Doch nein, der Brustkorb hebt und senkt sich.

Das Eichhörnchen läuft in großen Sprüngen davon, um Hilfe zu holen.

Zwurrli liegt unter einem Baum und genießt den warmen Sonnenschein.

Ein Apfel fällt dicht neben ihm herunter und rollt direkt vor die spitze Nase von Orlando, dem Igel.




Der schlägt sofort seine kleinen Zähnen in die Frucht und verzieht das Gesicht.

Sauer!“, dann grinst er: “Aber saftig!“, und frisst weiter.

Zwurrli aber guckt nach oben, wo Kasper gemütlich auf dem Ast liegt und ihn grinsend betrachtet.

Ich kann zielen und hätte dich bestimmt nicht getroffen!“

Geschmeidig springt er vom Baum und setzt sich neben den Wichtel.

Sie beobachten Orlando der sich schmatzend in den Apfel vergräbt.

Ein rotbrauner Blitz saust durch den Garten und bleibt schwer atmend vor ihnen stehen.

Knusperle, wer ist denn hinter dir her!“ lacht Zwurrli.

Das Eichhörnchen atmet erst mehrmals durch, dann erzählt sie ihren Freunden von der kranken Katze.

Der Wichtel klettert auf den Rücken seiner Freundin und begleitet von Kasper verlassen sie den Garten.

Erschüttert stehen sie vor der verletzten Katze.

Während Zwurrli die Wunde untersucht, schlüpfen Kasper und Knusperle in die Scheune um nach den Jungen zu sehen.

Mit traurigem Gesicht kommen sie wieder und Kasper trägt im Maul das tote Katzenkind.

Vorsichtig legt er es ins Gras.

Ich werde die arme Kleine begraben und dann suche ich nach den anderen beiden Kätzchen.“

Zwurrli nickt bekümmert.

Ich werde Biggi um Hilfe bitten.“

Knusperle setzt ihn auf der Terrasse ab und verabschiedet sich dann.

Zwurrli aber stapft in die Küche, wo Biggi gerade das Geschirr in die Spülmaschine stellt.

Lächelnd begrüßt sie den Wichtel.

Doch dann wird ihr Gesicht ernst, als er ihr von der armen Katze erzählt.


(c) L.P

Sie schaltet die Maschine ein, holt eine alte Decke und läuft in den Fahrradschuppen.

Den großen Korb vorne polstert sie mit der Decke aus und schwingt sich auf das Rad.

He, nimm mich mit!“

Lachend beugt sich die junge Frau hinunter und hebt den kleinen Wicht in den Korb.

Kasper sitzt wachend neben Susi, als sie ankommen

Biggi beugt sich über ihn und streichelt lobend sein Fell, was Kasper mit einem Schnurren beantwortet.

Besorgt untersucht sie das verletzte Tier.

Vorsichtig hebt sie es hoch und bettete es in den ausgepolsterten Korb.

Ich bringe sie zum Tierarzt, vielleicht ist sie noch zu retten,“ erklärt sie Zwurrli, „ aber wie kommst du nach Hause?“

Kasper wird mich zurück bringen, keine Sorge, sieh du nur zu, dass Susi schnell geholfen wird.“


(c) Werner Borgfeldt

 Der Wichtel und der Kater sehen ihr nach.

Hast du die Kleinen gefunden?“

Kasper grinst.

Ja nicht weit von hier, sie werden von einer Hündin gesäugt und tollen mit deren Welpen im Garten herum. Hoffentlich fangen sie nicht auch noch zu bellen an.“

Zwurrli kichert.

Ich habe der Hündin, sie heißt Muriel und ist mit Susi befreundet, erzählt, dass wir der Katze helfen wollen und sollte sie wieder gesund werden, hole ich die Kinder ab. Solange will sie sich um die kleiner Maunzer kümmern.“

Der Wichtel klettert auf den Rücken des Katers und bald sind sie wieder im heimatlichen Garten.

Nun beginnt eine lange Wartezeit.

Endlich schiebt Biggi ihr Fahrrad durch die Gartentür.

Zwurrli will gerade zu ihr laufen, da kommt der „lange Kerl“ wie der Wichtel Biggis Mann nennt, fröhlich pfeifend angeradelt.

Die beiden begrüßen sich mit einem Kuss und gehen zusammen ins Haus.

Enttäuscht wendet sich Zwurrli um und und trifft beim Birnbaum seine Familie, die gerade vom Park zurückgekommen ist und nun alles von der Katze wissen wollen.

Sie gehen hinunter in ihre Wohnung und nun erzählt ihnen Zwurrli, all das was Knusperle noch nicht gewusst hat.

Es ist schon spät und fast dunkel, als der Wichtel seinen Namen rufen hört.

Biggi kniet vor dem Birnbaum und fordert ihn auf mit ihr zu kommen.

Sie führt ihn in den Geräteschuppen.

Eine große Kiste mit Decken und Laken ausgepolstert steht dort in einer Ecke und zwei saubere Fressnäpfe davor auf dem Boden.

Deine Freundin Susi wird überleben. Sie hat einige Rippenbrüche und das linke hintere ist Bein gebrochen, aber glücklicherweise keine inneren Blutungen. Nur ist sie total unterernährt. Deshalb bekommt sie eine Infusion und bleibt über Nacht in der Tierarztpraxis zur Beobachtung.

Morgen kann ich sie holen und mein Mann hat extra diese Kiste für sie hergerichtet.“

Zwurrli denkt, 'er ist ja gar nicht so übel der lange Kerl.'

Susi hat vor einiger Zeit geworfen, weißt du wo ihre Kleinen sind?“

Der Wichtel errötet leicht. Er will seine Freundin nicht belügen weiß aber auch nicht, ob er verraten soll, wo die Kätzchen sich befinden.

Offen sieht er seiner Freundin in die Augen.

Ich kümmere mich darum.“

Biggi nickt genauso ernst.

Gut, im Moment solange sie so schwach ist und auch noch Medikamente bekommt kann sie die Kleinen sowieso nicht stillen. Später dann wird sie sie sicher bei sich haben wollen.“


Darf sie denn dann hier bleiben?“

Ja, gern, nur Kinder darf sie nicht mehr bekommen.“

Zwurrli grinst: „Wird sie kastriert wie Kasper.“

Lächelnd schüttelt Biggi den Kopf.

Bei Katzen heißt dies sterilisiert und wir machen dies nicht, um die Katzen zu quälen, sondern weil es schon genug Katzenelend in unserer Gegend gibt. 

Sieh nur deine Freundin Susi, sie ist halb verhungert und ob ihre Kleinen noch leben?“

Denen geht es gut!“ platzt Zwurrli heraus.

Biggi lächelt, fragt aber nicht weiter.

Weißt du, ich hätte deine Freundin auch im Haus pflegen können, aber ich dachte du und Kasper könnt ihr Gesellschaft leisten und auf sie aufpassen, besonders nachts.“


Am nächsten Tag kommt Susi in ihr neues Zuhause. Schwach und fast leblos liegt sie da.

Doch durch die gute Pflege von Biggi und die Gesellschaft ihrer neuen Freunde geht es ihr von Tag zu Tag besser.

Selbst Ricky schaut sofort wenn er von der Arbeit nach Hause kommt in den Schuppen, geht vor der Kiste in die Hocke, streichelt die Katze und redet aufmunternd auf sie ein.

Zwurrli, der sich sofort hinter einer Latte in der Ecke versteckt, wenn er ihn kommen hört, beobachtet dies alles.

Er ist doch eigentlich ganz nett, der lange Kerl.

Biggi bringt Susi dann eines Tages wieder zum Tierarzt und die Schiene wird abgenommen und die Katze versucht dann im Garten schon die ersten steifbeinigen Schritte, doch dann verlangt sie wieder nach ihrer Kiste.

Als dann in der Nacht ihre Freunde, die gesamte Wichtelfamilie, Kasper, der nie von ihrer Seite weicht und Orlando, der sich im Schuppen eine hübsches Plätzchen eingerichtet hat, um sie versammelt sind, meint die Katze

 traurig.

Jetzt könnte ich mich doch wieder um meine Kinder kümmern, glaubt ihr, dass die Menschen mich trotzdem behalten werden?“

Ja, das weiß ich, Biggi hat gesagt sobald du keine Medikamente mehr nehmen musst, kannst du deine Kinder wieder selber stillen und du darfst hierbleiben für immer.“erklärt Zwurrli.

Wie schön,“ flüstert Susi mit Tränen in den Augen und auch Kasper freut sich und er verspricht morgen die Kinder

bei Muriel abzuholen.

Als dann Biggi am nächsten Morgen mit dem gefüllten Futternapf in den Schuppen tritt, liegen die beiden niedlichen, inzwischen nicht mehr blinden, Kätzchen in der Kiste an ihre Mutter geschmiegt.

Die junge Frau ruft ihren Mann.

Ja, wo kommen die denn plötzlich her?“ staunt Ricky und streichelt über das weiche Fell der Kleinen.

Feixend richtet er sich dann auf und fragt.

Hat die dein geheimnisvoller Wichtel vielleicht gebracht!“

Vielleicht,“ meint Biggi schnippisch, „ und wenn du nicht immer so spotten würdest, hätte er sich dir bestimmt schon gezeigt.“

Ricky lacht schallend, legt den Arm um sie und zieht sie zur Tür.

Biggi aber dreht sich um zwinkert Zwurrli zu, der ihr aus der Ecke zuwinkt.


Man muss nicht reich sein, wichtig ist, man hat Freunde, die einem in der Not beistehen.


© Lore Platz  07.09.2014


Katze und Hund



Miezel eine schlaue Katze
Molly, ein begabter Hund,
Wohnhaft an demselben Platze
Hassten sich aus Herzensgrund


Schon der Ausdrucke ihrer Mienen,
Bei gesträubter Haarfrisur,
Zeigt es deutlich: Zwischen ihnen
Ist von Liebe keine Spur


Doch wenn Miezel in dem Baume,
Wo sie meistens hin entwich,
Friedlich da sitzt, wie im Traume,
Dann ist Molly ausser sich

Beide leben in der Scheune,

Die gefüllt mit frischem Heu,
Alle beide hatten Kleine,
Molly zwei und Miezel drei


Einst zur Jagd ging Miezel wieder

Auf das Feld, da geht es bumm!
Der Herr Förster schoss sie nieder,
Ihre Lebenszeit war um.



Oh, wie jämmerlich miauen
Die drei Kinderchen daheim
Molly eilt, sie zu beschauen,
und ihr Herz geht aus dem Leim.


Und sie trägt sie kurzentschlossen

Zu der eigenen Lagerstatt
Wo sie nunmehr fünf Genossen
An der Brust zu Gaste hat

 

Mensch mit traurigem Gesicht

Sprich nicht nur von Leid und Streit
Selbst in Brehms Naturgeschichte
Findet sich Barmherzigkeit!


Wilhelm BUSCH






(c) Werner Borgfeldt







Mittwoch, 19. November 2025

Die kleine Schneeflocke

 
 
Habt ihr euch schon mal überlegt, dass je älter wir werden, umso größer unsere Geburtstagstorte sein sollte, denn wie will man sonst die immer mehr werdenden Kerzen unterbringen.
Ich werde ja in einigen Wochen 76 Jahre alt, was gäbe das für ein Getümmel auf der Torte.


 

 

© Lore Platz 6.01.2015


Was gab es denn Heiligabend bei Euch zu essen? 
Die einzige in unserer Familie, die die Tradition > Würstchen und Kartoffelsalat < aufrecht erhält, ist meine jüngste Schwester.
Ich habe mir diesmal etwas ganz Besonderes ausgedacht.
   


 
Mein Nachbar ist ja Koch und ich bestellte bei ihm ein kleines Catering und überraschte damit meine Tochter.
Die Hälfte habe wir gleich verputzt und den Rest gab es am nächsten Tag, ersparte uns einmal kochen.
Hmmmm war das Lecker!!!

Am Heiligabend hatten wir ja frühlingshaftes Wetter, doch dann am zweiten Weihnachtsfeiertag begann es zu schneien.
Ich jubelte so laut, dass meiner Tochter, die am Herd stand, beinahe der Topfdeckel aus der Hand gefallen wäre.
Drei Tage hat es dann ununterbrochen geschneit.
Zwar blieben wir von einem Eisregen verschont, aber einen kleinen Schneesturm gab es doch und der rüttelte nachts ganz ganz schön an unseren Jalousien.
Und am Hallertauer Dreieck, der Autobahn ganz in unserer Nähe herrschte das Chaos, kam sogar im ZDF.
 
 
 




Der Tanz der Schneeflocken

Hurtig Nordwind spiele auf,
stimme deine Geigen
Schneeflocken wollen dir
den neusten Tanz nun zeigen
In zartem Schmelz die weißen Flöckchen
so wirbeln sie hernieder
Und dreh`n vergnügt nach der Musik
die zarten feinen Glieder







Die kleine Schneeflocke



Glitzerchen sieht bewundernd an sich herunter. Wie wunderschön ihr Kleidchen doch ist.
Zum ersten Mal ist sie nun eine Schneeflocke.
Vor kurzem noch lag sie mit ihren Geschwistern in einer schmutzigen Pfütze.
Doch dann kam Mutter Sonne und saugte sie alle auf.
Ach wie herrlich warm war es da, doch je höher sie stiegen umso kälter wurde es, bis es richtig schrecklich war und sie für einen Moment das Bewusstsein verlor.
Als sie wieder erwachte befand sie sich in dieser Wolke und trug ein herrlich glitzerndes weißes Kleid.
Mit spitzen Fingern hebt sie das Röckchen und dreht sich wie ein kleine Ballerina.
Fröhliches Lachen reißt sie aus ihrer Verzückung.
Kristalla, die schon oft den Kreislauf der Natur durchlebt hat und zur Schneeflocke wurde, fragt lächelnd.
Es gefällt dir wohl dein neues Kleid, das ging mir genauso beim ersten Mal, aber nun komm, das große Wolkentor wird geöffnet.“
Sie nimmt die Jüngere an der Hand und sie laufen zum Tor, an dem sich tausende von zarten weißen Flöckchen kichernd und schwatzend versammelt haben.
Frau Holle kommt aus ihrem Zimmer und klatscht in die Hände.
Ruhe meine Damen, etwas mehr ernst bitte!“
Sie drängt sich durch die kleine Schar nach vorne und winkt ungeduldig die naseweisen Flöckchen etwas zurück.
Tretet zur Seite, sonst kann ich ja das Tor nicht öffnen,“ ruft sie ärgerlich.
Langsam schwingen die beiden Flügel des schneeweißen Wolkentores auf und vor ihnen erscheint der graue Himmel.
Das lustige Gesicht des Windes taucht auf und fröhlich ruft er.
Nun denn auf, wir wollen tanzen
Mit einem Jubelschrei stürzen sich tausend und abertausend weiße zarte Schneeflocken in die Tiefe.
Frau Holle tritt schnell zurück, damit sie nicht mitgerissen wird.
Kristalla aber fasst Glitzerchen fest an der Hand, damit sie nicht getrennt werden.
Diese jubelt begeistert, wie schön war dieser freie Fall in die Tiefe.
Unter ihnen wird ein Wald sichtbar und Kristalla zieht ihre Freundin zu einem Baum, auf dessen Ast sie sich nieder lassen.
Viele ihrer Schwestern haben dieselbe Idee und bald sind die Bäume schneebedeckt.
Ein Eichkätzchen lugt neugierig aus seinem Kober und springt dann von Ast zu Ast und kichernd fallen die Schneeflocken, die dort geruht haben zu Boden.
Auch Kristalla und Glitzerchen sind unter ihnen.
Glitzerchen gefällt das gar nicht, von hier unten konnte man doch gar nichts sehen.
Kristalla aber winkt dem Wind.
Wir wollen in die Stadt lieber Freund.“
Zu Diensten meine Damen.“
Und er pustet in den Schneehaufen, wirbelt die vergnügten Flöckchen empor und treibt sie vor sich her in die Stadt.
Auf einem Dach lassen sie sich nieder.
Glitzerchen sitzt neben ihrer Freundin und sieht hinunter auf die beleuchteten Straßen, dann deutet sie auf den Weihnachtsbaum, der mitten auf dem Marktplatz steht.
Oh wie bunt und schön, ganz anders als die Bäume im Wald.“
Das ist ein Weihnachtbaum!“
Und Kristalla erzählt nun der aufmerksam lauschenden Glitzerchen, dass die Menschen jedes Jahr am
24. Dezember die Geburt des Herrn Jesus Christus, dem Sohn Gottes feiern.
Dass sie geschmückte Tannenbäume in ihren Zimmern aufstellen und Geschenke darunter legen.Das Schreien von Kinderstimmen lässt sie zusammen zucken und vorsichtig lugen sie hinunter.
Ee Menge Kinder stürmt jubelnd aus dem Haus und bewirft sich mit Schneebällen.
Hier wohnen aber viele Kinder,“ staunt Glitzerchen.
Kristalla lacht. „Wir sitzen auf dem Schulhaus“ und geduldig erklärt sie , was eine Schule ist.
Ein Mädchen fängt laut zu weinen an und Glitzerchen ruft staunend:
Sieh, es kommt Wasser aus ihren Augen.“
Das sind Tränen, du weißt aber auch gar nichts,“ lacht ihre Freundin.
Na entschuldige, wenn man die erste Zeit seines Lebens in einer Wasserpfütze verbracht hat bekommt man nicht so viel von der Welt zu sehen.“ ruft Glitzerchen empört.
Das Klingeln einer Glocke ertönt und leise murrend verschwinden die Kinder im Schulhaus.
Komm wir wollen mal in das Klassenzimmer sehen!“
Kristalla nimmt ihre Freundin an der Hand und sie rutschen zum Fenster.
Die Kinder stürmen lärmend in den Raum und nach einigem Gerangel sitzen sie bald alle auf ihrem Platz.
Die Tür öffnet sich und ein Mann mit einer Gitarre in der Hand kommt ins Zimmer.
Die Kinder stehen auf und brüllen im Chor.
Guten Morgen Herr Berger!“
Dieser winkt ab und meint nur: „Setzt euch!
Heute studieren wir ein Lied für die Weihnachtsfeier ein.“
Und er erzählt den aufmerksam lauschenden Kindern von der schlesischen Lehrerin Hedwig Haberkern (1837 – 1902) die als „Tante Hedwig“ Erzählungen für Kinder schrieb.
Und in der „Geschichte von der Schneewolke „ kam dieses Lied vor, das sie heute einstudieren wollten.
Ein Junge teilt nun die Zettel mit dem Text aus, der Lehrer lässt einige Akkorde auf seiner Gitarre erklingen und dann singen die Kinder:

Schneeflöckchen, Weißröckchen, jetzt kommst du geschneit.
Du kommst aus den Wolken dein Weg ist so weit“

Die singen ja ein Lied über uns,“ staunt Glitzerchen.
Der Wind taucht neben ihnen auf.
Wollen die Damen weiter fliegen?“

Und bald wirbeln sie wieder durch die Luft!

© Lore Platz 6.01.2015


 



Dienstag, 18. November 2025

Erinnerungen








Erinnerungen

Hannelore ging langsam den Kiesweg entlang und blieb dann vor dem Grab ihrer Oma stehen.
Sie legte den bunten Blumenstrauß ab und zog die gläserne Vase aus der schwarzen weichen Erde inmitten des steinernen Vierecks.
Am nahegelegenen Kompost entsorgte sie die verwelkten Blumen, spülte die Vase aus und füllte sie mit frischem Wasser.
Während sie die Blumen liebevoll arrangierte, liefen ihr die Tränen über das Gesicht.
Oma, ich vermisse dich so, hast dich einfach still und heimlich davon geschlichen, während ich mitten im Examen steckte. Nichts gesagt hast du mir, wie krank dein armes Herz war, wolltest mich nicht belasten.
Aber wenigstens hat der Arzt gesagt, du bist ganz friedlich eingeschlafen. Dabei wollte ich dir doch Lutz vorstellen, du hättest ihn sicher gemocht. Ach Omi, ich lieb dich so!“
Das Mädchen erhob sich, faltete die Hände zu einem stummen Gebet und verließ mit gesenktem Kopf den Friedhof.
Wenig später hielt ihr Auto vor dem kleinen ärmlichen Häuschen der Oma.
Beide Hände auf dem Lenkrad betrachtete sie den verwilderten Garten, den Apfelbaum an dem noch die Schaukel hing, die der Opa ihr aufgehängt hatte, als sie damals nach der Scheidung ihre Eltern von ihrer Mutter bei
deren Eltern abgeliefert wurde wie ein lästiges Paket.
Weder der Vater noch die Mutter wollten sie in ihr neues
Leben mitnehmen.
Mit unendlicher Liebe hatten sich die Großeltern dem verstörten Kind angenommen.
Nach dem Abitur hatte sie dann weiter entfernt einen Studienplatz bekommen und konnte nur noch gelegentlich zu Besuch kommen, denn das Fahrgeld war teuer und sie hatte auch noch einen Job als Kellnerin in einem Studenten- Cafe.
Als sie im zweiten Semester war, starb der Großvater und sie war sofort nach Hause geeilt, um der Großmutter zur Seite zu stehen.
Als alles erledigt und vorüber war, hatte die Oma sie energisch weg geschickt, denn der Opa würde sich freuen wenn sie ein gutes Examen machte.
War er doch so stolz auf seine kluge Enkelin.
Und sie hatte sich noch mehr in ihre Studien gestürzt, erstens, um zu vergessen, aber auch um ihren Großeltern zu danken, die soviel für sie getan hatten.
Dann hatte sie ihr Examen mit Eins gemacht und gerade ihre Koffer gepackt, Lutz, den sie ihrer Oma vorstellen wollte wartete schon unten in seinem alten VW-Käfer, da kam das Telegramm.
Verzweifelt und entsetzt hatte sie dagesessen bis Lutz herauf kam und sie in die Arme nahm.
Und statt auf Besuch waren sie zu einer Beerdigung gefahren.
Da kein Testament vorhanden war, hatte ihre Mutter das Haus geerbt und schnellst möglichst verkauft.
Sie hatte ihre Tochter aufgefordert, ihre persönlichen Sachen und das der Oma aus dem Haus zu holen, bevor am Montag die Firma, die das Haus ausräumen würde, kommt.
Hannelore nahm den Schlüssel aus dem Blumentopf neben dem Eingang und betrat das Haus.
Im Flur hingen mehrere Mäntel und Jacken übereinander auf den Hacken. Verschiedene Schuhe lagen kreuz und quer darunter.
Liebevoll lächelnd betrachtete das Mädchen das Chaos. Von Ordnung hielt Oma nie viel.
Eine Wohnung ist keine Schonung, man muss sehen, dass darin das Leben stattfindet,“ pflegte sie zu sagen, wenn der Opa über ihre Unordnung meckerte.
Hannelore ging in die kleine beige geflieste Küche. Wie viele gemütliche Stunden hatten sie drei hier verbracht. Opa hatte die Oma immer geneckt, und die sich vergnügt zu wehren gewusst.
Hannelore hatte gekichert und sich gewünscht, auch einmal so eine glückliche Ehe zu führen.
Sie ging hinüber in die kleine Wohnstube, öffnete das Fenster, um die abgestandene Luft hinaus zu lassen.
Eine Biene kam summend herein geflogen, prallte gegen die Wand, dann gegen die Scheibe und fand endlich wieder den Weg in den Garten.
Hannelore strich liebevoll über die Lehne des alten Sessels. Hier hatte die Oma immer gesessen und ihr aus einem alten zerfledderten Märchenbuch vorgelesen, während sie auf dem Fußbänkchen saß, den Kopf an Omas Knie gelehnt und lauschte.
Der Opa war am Tisch gesessen, die geliebte Pfeife im Mund und tat als würde er Zeitung lesen.
In Wirklichkeit hörte er auch zu, aber dass hätte er niemals zugegeben.
Hannelores Blick wanderte zum Schrank, auf dessen unterer Ablage große ziemlich schiefe Stapel alter Zeitungen sich türmten.
In dem Regal darüber lagen kunterbunt durcheinander einige Bücher.
Das Mädchen holte das Märchenbuch heraus und blättert versonnen darin.
Träumst du mal wieder, Sprösschen,“ erklang Lutz Stimme hinter ihr.
Jubelnd fiel sie ihm um den Hals.
Wo kommst du denn her!“
Hab mir frei genommen, konnte dich doch nicht allein
lassen mit dem ganzen Kram hier.“
Grinsend sah er sich um.
Jetzt weiß ich woher du deinen Hang zur Unordnung hast.“
Spielerisch knuffte sie ihn in die Seite.
Nun begannen sie alle Dinge, die Hannelore gern behalten wollte in die Umzugskartons zu packen.
Die Schubladen, die vor Papieren überquollen schütteten sie in einen Wäschekorb.
Den Papierkram wollten sie zu Hause erledigen.
Die Fotoalben und Bücher legten sie dazu.
Zwei Stunden später lümmelten sie erschöpft aber froh auf dem alten Sofa.
Lutz ließ grinsend seinen Blick durch den Raum gleiten.
Gemütlich hier!“
Trotz Unordnung?“ spottete Hannelore.
Lutz küsste sie auf die mit Sommersprossen übersäte Nase, deshalb nannte er sie auch Sprösschen, und erklärte.
Seit ich dich kenne, liebe ich Unordnung geradezu!“
Das Mädchen rammte ihm den Ellbogen in die Seite.
Aua!“
Dann legte sie ihren Kopf an seine Schulter und Lutz schmiegte seine Wange auf ihr Haar.
Hannelore war, als hörte sie ihre Oma kichern.
Oh ja, Lutz hätte der Oma gefallen.

© Lore Platz 27.05.2014