Florian liebt seinen Adventskalender. Wie gut, dass noch
einige Türchen zu öffnen sind, denn jeden Tag findet sich eine andere
Überraschung in den Säckchen, die Oma extra dafür genäht hat. Heute ist ein
Gutschein drin. 'Mit Oma und Opa den Weihnachtsmarkt besuchen', steht drauf.
Florian freut sich. Er liebt den Weihnachtsmarkt. Es duftet
so schön und es gibt so viel zu sehen. Wunderschöne Krippen und Figuren,
niedliche Engel und vor allem geschnitzte Tiere, die gefallen ihm am besten.
Später wenn sie genug gesehen haben würden, gäbe es sicher wieder eine
Bratwurst und wenn die Oma nicht hinsähe, durfte er vielleicht einen Schluck
von dem Glühwein probieren.
Aber zuerst will Florian einen Termin mit Oma und Opa
machen. Er ruft die beiden an.
„Hallo Oma, hier ist der Flori!", sagt er und kichert. „Nun
rate mal, was ich heute in meinem Adventskalender gefunden habe!"
„Weiß ich nicht?", stellt sich die Oma ahnungslos.
„Ich darf mit euch auf den Weihnachtsmarkt!"
„Na sowas, und wann soll das denn sein?"
„Deshalb rufe ich doch an!"
„Was hältst du davon, wenn wir heute Abend gehen?",
fragt Oma und Florian ruft begeistert. „Oh ja, das ist prima. Holt ihr mich
ab?"
Klar holen Oma und Opa ihren Enkel ab. Dick eingepackt in
seinen neuen Anorak, mit Mütze auf den Ohren und warmen Handschuhen geht es
los. Schon von Weitem hören sie die weihnachtliche Musik und das Stimmengewirr
auf dem Marktplatz. Je näher sie kommen, desto köstlicher riecht es. Florian
läuft das Wasser im Mund zusammen.
Staunend sieht er sich um. Er hat ganz vergessen wie herrlich
es auf dem Weihnachtsmarkt ist. Außerdem ist er ja wieder ein Jahr älter und
sieht alles mit anderen Augen.
Der Opa bleibt bei einem Stand mit geschnitzten
Krippenfiguren stehen und unterhält sich mit dem bärtigen Mann, der dahinter
steht. Die Oma ist bereits weitergegangen und betrachtet die Weihnachtskugeln.
Opa winkt Florian zu sich und deutet auf die Figuren.
„Wollen wir wieder ein Tier für unsere Krippe dazu kaufen? Wie
wäre es zum Beispiel mit diesem Schäferhund?"
Florian nickt strahlend und beugt sich über die Figuren.
„Nimm mich mit!" Florian hört ein feines Stimmchen.
Verwirrt versucht er auszumachen, von wo diese Stimme kommt.
„Hier bin ich!", sagt die Stimme und dann sieht
Florian, wer da mit ihm redet. Vorsichtig nimmt er die winzige Gans auf seine
Handfläche und betrachtet sie. „Du kannst sprechen?", fragt er ungläubig,
beinahe davon überzeugt, dass er träumt.
„Ja aber nur mit Kindern, die an noch an das Wunder des
Weihnachtsfestes glauben. Nimm mich bitte mit, ich möchte zu gerne an der
Krippe des kleinen Jesus stehen. Unsereins darf doch sonst nur als Braten am
Weihnachtsfest teilnehmen. Bitte!"
„Florian führst du Selbstgespräche?"
Der Junge wird etwas rot und streckt dem Opa die Hand mit
der Gans entgegen. „Könnten wir die mitnehmen?"
„Eine Gans? Aber gut, wenn du das möchtest. Warum auch
nicht!", sagt Opa und reicht dem Verkäufer einen Geldschein.
Florian steckt die Gans in seine Jackentasche, dort hat sie
es schön warm. Zu Hause wird er sie auf sein Nachtschränkchen stellen, bis am
Heiligabend die Krippe im Wohnzimmer aufgebaut werden wird.
Als er am Morgen erwacht fällt sein erster Blick auf die
weiße Gans und er überlegt, ob er sich das nur eingebildet hat, dass sie mit
ihm gesprochen hat.
Da plappert die Gans auch schon wieder los.
„Guten Morgen Florian!", sagt sie. Florian reibt sich
die Augen.
„Guten Morgen Gans, hast du auch einen Namen?", will er
wissen.
„Selbstverständlich habe ich einen Namen. Ich heiße Gisela
und bin eine verzauberte Prinzessin!" Gisela kichert.
Florian will sich ausschütten vor Lachen.
„Das hättest du wohl gern. Wenn du eine verzauberte
Prinzessin wärst, dann müsstet du wenigstens aus Fleisch und Blut sein, du aber
bist aus einem Stück Holz geschnitzt."
„Naja aber schön wäre es schon und außerdem warum kann ich
dann mit dir reden?"
„Hm, das ist allerdings seltsam?"
„Natürlich hast du recht, ich bin eine geschnitzte Holzgans,
aber bevor ich das wurde, war ich aus Fleisch und Blut, so wie du. Zwar war ich
keine Prinzessin, sondern eine ganz normale Gans, aber ich habe einmal das
Christkind beschützt. Als sich Diebe in die Kirche gestohlen hatten, die das
Christkind aus der Krippe mopsen wollten, bin ich aus dem Korb meiner
Besitzerin gesprungen und habe laut geschnattert. Ich kann dir sagen, das war
ein Theater!", erzählt Gisela stolz.
„Was hattest du denn in der Kirche zu suchen?", fragt
Florian neugierig.
„Meine Bäuerin hat mich auf den Markt getragen und wollte
mich verkaufen, da ist sie an der Kirche vorbeigegangen und wollte schnell ein
Gebet sprechen. Dabei hat sie die Diebe gestört und durch mein lautes
Geschnatter sind der Pfarrer, der Mesmer und einige Leute von der Straße in die
Kirche gekommen und haben die Diebe dingfest gemacht. Einen der Diebe habe ich
noch kräftig ins Bein gezwickt."
„Und was geschah dann?"
„Nun war ich plötzlich berühmt. Natürlich konnte ich nun
nicht mehr verkauft werden, denn schließlich kann eine Berühmtheit nicht als
Gänsebraten enden."
Florian schüttelt den Kopf.
„Aber das erklärt immer noch nicht, warum du nun eine
Holzgans bist?"
Gisela lachte, das klang lustig, weil es eine Mischung aus
Geschnatter und Gelächter war.
„Stimmt! Dann will ich es dir jetzt erklären, auch wenn ich
vermute, dass du nicht glauben wirst, was du jetzt erfährst!"
Florian wehrt ab. Immerhin hat er sich auf ein Gespräch mit
einer hölzernen Gans eingelassen, das war schon einigermaßen seltsam. Was
sollte da noch Unglaublicheres kommen?
„Erzähle einfach, ich bin gespannt!", bittet er die
Gans.
„Also ich wurde berühmt und viele Menschen kamen auf
den Hof meiner Bäuerin nur um mich zu sehen. Leider ...", die Gans wird
etwas rot, "stieg mir der ganze Ruhm in den Kopf und ich wurde hochmütig
und dachte, ich wäre etwas Besseres. Ich führte mich auf wie eine Königin
behandelte die anderen Gänse wie ein gemeines Fußvolk. Sie mussten sogar
Spalier stehen wenn ich zum Futtertrog ging, aus dem ich als erste fressen
durfte. Ich war wirklich sehr, sehr gemein."
Gisela senkt beschämt den Kopf.
„Dann kamen immer weniger Menschen und bald wollte mich
niemand mehr sehen. Eines Tages stand ein hübscher kleiner Junge am Zaun und
sah zu mir herüber. Mit hocherhobenem Kopf watschelte ich zu ihm, um mich
bewundern zu lassen. Doch er sah mich unendlich traurig an und sagte:
„Gisela ich bin dir sehr dankbar, dass du mich gerettet
hast, aber es macht mich traurig, wenn ich sehe wie der Ruhm dich
verändert hat. Deshalb muss ich dich bestrafen. Das Leben will ich dir nicht
nehmen, aber ich muss dich leider verwandeln."
Ich spürte einen Ruck durch meinen Körper und wurde ganz
klein und hölzern. Der Junge bückte sich, hob mich vorsichtig auf, dann waren
wir plötzlich auf dem Weihnachtsmarkt und er stellte mich zwischen die anderen
geschnitzten Figuren. Der Junge war das Christkind höchstpersönlich und deshalb
möchte ich an seiner Krippe stehen, denn es tut mir leid, dass ich so garstig
war."
Florian traut seinen Ohren nicht.
„Gisela, du bist unglaublich! Eine Märchenerzählerin bist
du. Nie und nimmer ist das wahr, was du mir gerade erzählt hast, aber es war
eine bewegende Geschichte.", sagt er.
„Glaub, was du willst - ich schwöre, dass es die Wahrheit
ist, so wahr ich Gisela heiße!", sagt die Gans leise und von dem Moment
an schweigt sie und sagt nie wieder ein Sterbenswörtchen.
© Regina Meier zu Verl & Lore Platz 16.12.2018