Als meine Tochter acht Jahre alt war, durfte sie sich ein Wort oder
Tier ausdenken und ich machte daraus eine Geschichte.
Dasselbe Spiel spielen Oma und Lena.
Vor einigen Jahren schrieben wir schon einmal Reizwortgeschichten und aus einigen entwickelten sich Serien, weil ich mich in die Hauptdarsteller verliebt habe.
Ich denk auch Oma und Lena gehen in Serie.
Viel Spaß beim Lesen!
Oma und Lena und ihre besonderen Geschichten
Hui!, pfeift der Herbstwind und wirbelt den Staub auf.
Er taucht ein in den aufgehäuften Berg bunter Blätter, treibt sie vor
sich her, bläst sie in die Luft und lässt sie wieder herunter fallen.
Dann jagt er weiter, um an Regenrinnen und Fensterläden zu
klappern.
Eine alte Frau sitzt in ihrem Lehnstuhl, ihre geliebte Kuscheldecke
über die Knie und lauscht versonnen dem rauen Gesang des Windes.
Leise öffnet sich die Tür und ein kleines Mädchen tritt herein.
Ihre Augen sind fest auf die Tasse gerichtete, damit ihr ja kein
Tropfen verloren geht.
Aufatmend stellt sie den Tee auf den kleinen Tisch neben dem
Sessel.
„ Ich habe keinen Tropfen verschüttet!“, verkündet sie stolz.
Die alte Frau lächelt sie liebevoll an.
„Oma, du musst den Tee trinken, solange er noch heiß ist.“
Eine junge Frau öffnet die Tür und steckt den Kopf herein:
„Mama. Ich gehe einkaufen, brauchst du was?“
„Nein Gisela, danke.“
„Ich brauche auch nichts, Mama,“ trompetet Lena.
Ihre Mutter lacht und zieht sich zurück.
Lena aber lehnt sich an das Knie ihrer Oma und bettelt.
„ Erzählst du mir eine Geschichte?“
Frau Jomson lüftet die Decke und die Kleine macht es sich
gemütlich.
Liebevoll streicht die alte Frau über das seidenweiche Haar ihrer
Enkelin.
„Was möchtest du denn heute für eine Geschichte?“
„Von einer Kastanie!“
„Einer Kastanie?“
„Ja, wir haben heute im Kindergarten Kastanien gesammelt und
Morgen dürfen wir damit basteln.“
Ihre Oma schließt einen Moment die Augen, lächelt und beginnt:
Die kleine Kastanie
Hochmütig erklärte er seinem Nachbarn dem Apfelbaum, dass einer seiner Vorfahren ein Canstano Santo gewesen wäre und dieser Baum in Andalusien als heilig gelte.
Der Apfelbaum konnte weder etwas vornehmes noch heiliges an seiner Nachbarin entdecken, aber er war viel zu gutmütig, um etwas zu sagen.
Die Kastanie aber hatte sich schon längst abgewandt und betrachtete voller stolz ihre vielen Früchte. In jedem der stacheligen behaarten Fruchtbecher wohnten drei ihrer Kinder. Braun, dick und wohlgestaltet hatten sie die grünen Becher schon ein wenig gesprengt.
Sie runzelte die Stirn und missmutig betrachtete sie einen der weiter unten hängenden Fruchtbecher.
Was war denn das, neben zwei herrlich prallen Früchten, saß ein mickriges kleines Ding.
Das war ja entsetzlich, schämen musste sie sich, was würden die Leute sagen.
Als würde sie den Missmut der Mutter spüren versuchte die kleine winzige Kastanie sich noch kleiner zu machen. Was konnte sie denn dafür, wenn ihre Brüder immer dicker wurden und ihr keinen Platz ließen.
Eine einsame kleine Träne kullerte über ihre Gestalt, doch niemand sah sie.
Es war Herbst und früh schon begann die Dämmerung ihre Schleier über das Land zu breiten.
In der Küche des kleinen Hauses saß die Familie beim Abendbrot.
Der Vater Klaus Ortner war Waldarbeiter und in der Försterei angestellt.
Margarete seine Frau half vormittags, wenn die Kinder in der Schule waren, in der Gutsküche aus. Nachmittags kümmerte sie sich um die kleine Landwirtschaft, die aus einigen Hühnern, einer Ziege und einem großen Obst und Gemüsegarten bestand.
Ihr Sohn Jochen ging bereits in die vierte Klasse und seine kleine Schwester Annegret in die zweite.
Nun saßen sie alle vier in der Küche und ließen sich die leckere Gemüsesuppe schmecken.
„Papa, die Kastanien müssten doch bald reif sein,“ fragend sah Jochen seinen Vater an.
Dieser nickte bedächtig und wischte mit einem Stück Brot den Rest der Suppe aus dem Teller.
Ich denke am Samstag ist es soweit.
„Juchhu,“ jubelte Annegret, „bekommen wir welche zum basteln?“
„Ja ihr dürft euch jeder vier Stück aussuchen. Den Rest brauche ich für die Wildschweinfütterung
„Och,“ maulte Jochen, „ damit kann man ja nix richtiges basteln.“
Der Vater grinste und zwinkerte ihm zu:
„Wenn du sie halbierst hast du acht Stück.“
Das Gesicht des Jungen hellte sich auf.
„Ich werde eine Raupe basteln!“
„Ich werde eine Puppe basteln!“ trompetete Annegret.
„Und ich,“ sagte die Mutter, die gerade die Teller zusammen stellte, “werde euch eine Schachtel Streichholz spendieren. Nun aber helft mir den Tisch abräumen, es gibt noch Pudding.“
„Pudding!“ jubelten die Kinder und für den Moment waren die Kastanien vergessen.
Zwei Tage später lagen alle Kastanien unter dem Baum auf der Wiese.
Es war Sonntag und nach dem Mittagessen holte der Vater den großen Korb aus dem Schuppen und zusammen mit Jochen sammelte er die Kastanien auf.
Annegret aber, mit einem kleinen Körbchen am Arm. umrundete den Baum und suchte die schönsten Kastanien für ihre Puppe. Drei lagen schon in ihrem Korb, es fehlte nur noch eine für den Kopf.
Da sah sie zwei ganz dicke braune Kugeln liegen und daneben eine ganz kleine.
Vorsichtig hob sie die kleine Kastanie auf.
„Oh was bist du hübsch, du wirst ein schöner Kopf für meine Puppe.“
Der kleinen Kastanie klopfte das Herz voller Glück. Hübsch hatte sie das Menschenkind genannt.
Annegret aber legte ihren Fund vorsichtig ins Körbchen.
Dann bückte sie sich und hob auch die ganz dicken Früchte auf. Diese wollte sie dem Papa bringen.
„Schau, Papa, hier habe ich zwei ganz dicke Kastanien gefunden, davon werden die Wildschweine bestimmt satt.“
Nachdem alle Kastanien geerntet, wird der Korb im Schuppen verstaut und sie gehen ins Haus.
Der Vater zündete seine Pfeife an und setzte sich mit der Zeitung in seinen gemütlichen Sessel. Im Sessel neben ihm ließ die Mutter ihre Stricknadeln klappern.
Die Kinder aber breiteten ihre Schätze auf dem Tisch aus.
Jochen zerteilte vorsichtig mit seinem Taschenmesser seine Kastanien, steckte sie zusammen und malte dann seiner Raupe noch ein lustiges Gesicht.
Dann half er seiner Schwester, die sich vergeblich bemühte ein Streichholz durch die Kastanie zu pressen.
Die Puppe bekam auch ein fröhliches Gesicht und nun stellten die Kinder ihre Kunstwerke ganz vorsichtig auf das Regal.
Die Nacht hatte ihre Schleier über das Land gebreitet und nur der pausbäckige Mond spendete etwas Licht.
Auf dem Regal stand die kleine Kastanie und sah sich glücklich in der vom Mond beschienenen Küche, um.
Nun durfte sie bei den freundlichen Menschen wohnen. Sie, die kleine Kastanie, die von ihrer Mutter verächtlich als hässlich und mickrig bezeichnet wurde.“
Eine Weile bleibt es still. Dann legt Lena beide Arme um den Hals
ihrer Oma und küsst sie auf die Wange.
„Das war eine schöne Geschichte.“
Liebevoll lächelnd streichelt die alte Frau ihrer Enkelin über
das Haar.
Sie öffnet die Kuscheldecke.
„Es duftet nach Kaffee, deine Mutter ist zurück.“
Hand in Hand gehen die Beiden in die Küche.
© Lore Platz
Wieder eine wunderbare Herbstgeschichte liebe Lore !
AntwortenLöschenLiebe Lore, habe beim Lesen der Geschichte, die ich noch nicht kannte, gleich Lust auf Herbstdeko bekommen und ich habe mich so richtig wohlgefühlt.
AntwortenLöschenEine soooo schöne Herbstgeschichte, die einem immer wieder erfreut liebe Lore !
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