Montag, 12. September 2022

Wer schreibt, der bleibt

 
 

 
Wer schreibt, der bleibt


Das sagte vor kurzem eine liebe Freundin zu mir.
Und wie recht sie hat, das zeigt folgende Geschichte.
Meine Schwiegermutter war Jahrgang 1905 und malte wunderschöne Bilder, die sie bis nach Amerika verkaufte.
Vor ungefähr 40 Jahren, drückte sie mir ein Büchlein mit handgeschriebenen Gedichten in die Hand, die von ihrer längst verstorbenen Jugendfreundin waren.
Damals war ich jung verheiratet und hatte andere Dinge im Kopf , als Gedichte zu lesen. Ich hielt den kleinen Ordner aber in Ehren. Leider habe ich mich nie bei meiner Schwiegermutter nach der Verfasserin erkundigt und bereue das sehr.
Denn als mir kürzlich der Ordner in die Hände fiel und ich zu lesen begann, erkannte ich erst welch wunderschöne Gedichte diese Frau verfasst hatte.
Sie muss ein ganz besonderer Mensch gewesen sein.
Auch meine Schwiegermutter ist nun bereits seit über 30 Jahren verstorben und ich kann nichts mehr über ihre Jugendfreundin erfahren.
Diese hat ihre handschriftliche Werke mit E. Ammerich unterschrieben und wäre heute wie auch meine Schwiegermutter weit über 100 Jahre alt.
Aber es wäre sehr schade, würden diesen Gedichte einfach in der Versenkung verschwinden.

Deshalb möchte ich ab und zu eines ihre Werke in meinem Blog stellen.
Vielleicht sieht sie ja vom Himmel herunter und freut sich.

 

 
Herbst

 
Im Wiesengrund steh`n schon die Herbstzeitlosen
Bald ist des Sommers bunte Pracht vorbei
Verblüht, verweht die letzten Rosen
Vielleicht ging auch ein Traum vom Glück vorbei

Scharf weht der Wind schon über Stoppelfelder
Herbstnebel breiten ihre Schleier aus
In Gelb und Rot entflammt das Laub der Wälder
Die letzten Astern blühen im Garten draus

Was nützt die Wehmut, das Jammern, Klagen
Es hat im Leben alles seine Zeit
Sie kommt und geht, und auch nach trüben Tagen
Da ist ein neuer Frühling nicht mehr weit


E. Ammerich 
 
 
 

 
Herbstgeschichte
 
 

Das Weizenfeld war abgeerntet und nur noch Stoppeln ragen aus der Erde.

Die alte Vogelscheuche blickt traurig unter ihrem zerbeulten Hut in die Ferne.

Der Sommer war vorbei und ihre Arbeit getan. Keinem Vogel konnte sie mehr Angst machen, keine Rehe mehr erschrecken.

Hallo, Herr Vogelscheuche“, piepst eine zarte Stimme.

Guten Tag, Frau Feldmaus, ich habe von ihrem Unglück gehört.“

Ach ja, mein armer Mann. Frau Eule hat ihn erwischt und nun bin ich Witwe und muss meine fünf Kinderchen alleine aufziehen.“

Sie wischt sich eilig mit der Pfote über die Augen.

Mein herzlichstes Beileid!“

Danke, ob ich wohl ein paar der abgefallenen Körner nehmen darf?“

fragt sie schüchtern.

Aber sicher, sehen dort drüben, nicht weit von ihrer Wohnung liegt eine ganze Ähre.“

Der Wind gibt der Vogelscheuche einen Schubs und sie dreht sich so, dass ihr ausgestreckter Arm auf die herabgefallene Ähre zeigt.

Vielen herzlichen Dank!“

Die kleine Feldmaus trippelt zu der Stelle und nimmt das Ende der Ähre ins Mäulchen und zerrt und schleift sie in ihre Höhle.

Die Vogelscheuche seufzt.

Wie gerne hätte sie geholfen, doch sie muss ja hier stramm und steif stehen.

Zwei Krähen fliegen herbei und setzen sich auf ihre Schultern, ohne sich durch ihren grimmigen Gesichtsausdruck stören zu lassen.

Ein ungehobeltes Volk diese Krähen!

Sie tratschen über alles mögliche und fliegen dann über das Stoppelfeld in den nahe gelegenen Wald.

Wildgänse fliegen kreischen über das Feld und traurig sinniert die Vogelscheuche , wie schön es doch wäre, fliegen zu können und fremde Länder zu sehen.

Maxl, der Sohn des Bauern kommt mit mürrischem Gesicht angelaufen.

Wütend gibt er ihr einen Tritt, dass sie empört ächzt.

Blöder, alter, vergammelter Trampel,“ schimpft der Junge zornig.

Er war kurz davor, Schusserkönig zu werden, als sein Vater ihn rief und befahl die alte Vogelscheuche in den Schuppen zu bringen.

Nun würde wohl der Jokel gewinnen!

Der Gedanke macht ihn noch wütender und er umfasst mit beiden Händen das alte Ding, reißt es aus der Erde und pfeffert es auf den Boden.

Maxl packt nun die Vogelscheuche und schleift sie über Sand und Kies zum Schuppen.

Immer dünner wird diese, denn unterwegs verliert sie das ganze Stroh, mit dem sie gepolstert war.

Der Junge öffnet die Schuppentür und wirft die Vogelscheuche in die Ecke.

Sie knallt gegen einen verrosteten Pflug, streift einige alte Melkeimer und landet, oh Wunder, auf mehreren alten Säcken.

Zufrieden wälzt sie sich in eine bequeme Lage.

Wegen dem Stroh macht sie sich keine Gedanken. Sie weiß , im Frühjahr wird sie wieder frisch ausgestopft.



Maxl, aber hat seine Freunde noch nicht erreicht, da taucht sein Vater auf.

Mit grimmigem Gesicht deutet der auf den Weg.Vom Feld bis zum Schuppen war alles voller Stroh.

Nimm sofort den Besen und mach den Weg sauber!“knurrt der Bauer.

Maxl seufzt.

Das Schusserspiel konnte er für heute vergessen.


Im Schuppen aber grinst die Vogelscheuche und schließt zufrieden die Augen.

 

(c) Lore Platz






 

2 Kommentare:

  1. So ein schönes Gedicht liebe Lore. Und was für eine schöne Geschichte. Ja.... es wird Herbst - überall!

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  2. Sehr schön Lore,ich denke ,du bist wieder fit.

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