Sie
verschwindet im Schlafzimmer und kommt bald darauf altmodisch, aber
adrett und sauber gekleidet wieder zum Vorschein.
Sie
schließt das Fenster, wo die Spatzen inzwischen verschwunden sind,
zieht vor dem Spiegel im Flur ihr altmodisches kleines Hütchen auf,
legt Geldbeutel und Einkaufszettel in die Tasche und verlässt die
Wohnung.
Vorsichtig
hält sie sich am Geländer fest, als sie die abgetretenen Holzstufen
hinunter geht.
Einen
Moment blinzelt sie geblendet, als sie von dem halbdunklem Flur in
das helle Sonnenlicht tritt.
Dann
geht sie mit forschen Schritten zum Kaufhaus, holt sich einen Wagen
und beginnt ihren kleinen Einkauf.
Sorgfältig
prüft sie, ob sich die Preise auch nicht geändert haben, damit sie
an der Kasse nicht in Verlegenheit geriet.
Durch
die langen Gänge schiebt sie ihren Wagen in Richtung Kasse.
Da
erfasst ihre Nase den feinen Duft von Kaffee.
Rechts
und links sind die Regale gefüllt mit Kaffeepäckchen, in bunten
Farben und in allen möglichen Sorten.
Nur
mal so aus Neugier schiebt Lieschen ihren Wagen näher heran. Sie
wollte doch einmal die Preise studieren.
Da
erblickt sie die Sorte, die ihre Mutter immer gekauft hatte und
langsam, als wäre es eine große Kostbarkeit nimmt sie das Päckchen
Kaffee in die Hand.
Sie
schielt auf den Preis und seufzt.
Unbezahlbar
für sie!
Die
schöne Zeit mit ihrer Mutter, die bescheiden doch ohne Not waren und
die wunderbaren Geburtstage, die diese ihr immer bereitet hatte, all
dies ging ihr durch den Kopf.
Und
auf einmal, sie weiß es eigentlich selbst nicht, wie es geschah, war
das Kaffeepäckchen in ihrer Tasche verschwunden.
Auf
dem Weg zur Kasse lief es ihr plötzlich heiß über den Rücken.
Was
hatte sie getan?
Das
war ja Diebstahl!
Was
war nur über sie gekommen?
Noch
nie in ihrem Leben hatte sie etwas Unrechtes getan und nun war sie
plötzlich zur Diebin geworden.
Sie
öffnet ihre Tasche und holt das grüne Päckchen Kaffee heraus.
In
dem Moment legt sich eine schwere Hand auf ihre Schulter.
Lieschen
blickt in das Gesicht eines bulligen Mannes.
„Kommen
sie mit ins Büro, ich habe sie beobachtet, sie wollten diesen Kaffee
stehlen!“
„Ich,
ich, ich ...“, stammelt Lieschen und ihre Augen füllen sich mit
Tränen.
Eine
junge Frau, die im gegenüberliegenden Regal die Waren studiert,
dreht sich zu den Beiden um.
„Was
ist hier los?“ fragt sie die Stirn runzelnd.
„Mischen
sie sich nicht ein! Ich bin der Kaufhausdetektiv!“
„Ach,
und was hat die alte Dame verbrochen?“
„Ich
habe sie beobachtet, wie sie ein Paket Kaffee in ihrer Tasche
verschwinden ließ.“
Die
junge Frau überfliegt den kärglichen Einkauf in dem Wagen und den
Kaffee in der Hand des vor Angst zitternden Lieschens und meint
spöttisch.
„Ich
sehe nur eine leere Tasche und ein Päckchen in der Hand der Dame.
Sieht mir nicht nach einem Diebstahl aus!“
Der
Detektiv wird unsicher, trotzdem beharrt er weiterhin:
„ Ich
habe genau gesehen, wie sie den Kaffee in die Tasche steckte!“
„Na
und? Haben sie noch nie in Gedanken etwas in ihre Tasche gesteckt?
Ich suche ständig meine Autoschlüssel, weil ich sie irgendwo hin
gesteckt habe.“
„Na
gut,“ murmelt der Mann, nimmt Lieschen das Paket aus der Hand und
legt es in ihren Einkaufswagen.
„Dann
gehen sie mal zur Kasse!“ brummt er und verschwindet zwischen den
Regalen.
Die
junge Frau tritt neben das alte Fräulein.
„Jutta
Zimmermann,“ stellt sie sich vor.
Noch
ganz benommen ergreift Lieschen die dargebotene Hand und murmelt
leise:
„Lieschen
Krämer.“
„Wunderbar,
freut mich, sind sie fertig mit ihren Einkäufen?“ hört sie die
frische Stimme von Jutta und nickt.
„Ich
auch, dann können wir ja gemeinsam zur Kasse gehen.“
Wie
im Traum geht Lieschen in Richtung Kasse.
Jutta
bleibt direkt hinter ihr, als wollte sie sie beschützen, denn aus
den Augenwinkeln hat sie den Kaufhausdetektiv bemerkt, der mit
verschränkten Armen in der Nähe der Kasse lungert und die alte Frau
nicht aus den Augen lässt
Lieschen
aber läuft es heiß und kalt über den Rücken. Was sollte sie nur
tun. Sie hatte doch gar nicht soviel Geld dabei, um den Kaffee zu
bezahlen.
Sie
wirft einen verzweifelten Blick nach hinten in Juttas vergnügt
blitzende Augen.
Den
Wagen hinter sich herziehend, tritt diese neben sie und murmelt: „
Was ist los?“
„Ich
habe nicht genügend Geld dabei,“ flüstert Lieschen.
„Keine
Bange, ich mache das schon!“
Doch
das alte Fräulein hört es nicht mehr, denn nun ist sie dran.
Langsam
und bedächtig legt sie ihre Waren auf das Laufband.
Jutta
beginnt sofort auch ihre Einkäufe auszupacken und mit einer
unauffälligen Bewegung schiebt sie das dubiose Kaffeepäckchen zu
ihren Waren.
Lieschen
merkt es nicht, so benommen ist sie und die Kassiererin muss sie
zweimal auffordern.
„2€
76“ „ Wie bitte?“ „2€ 76!“ wiederholt diese nun leicht
ungeduldig.
Lieschen
sieht zu Jutta, die ihr vergnügt zu zwinkert und entdeckt den Kaffee
unter deren Einkäufen.
Erleichtert
atmet sie auf, zählt umständlich das Geld auf die Theke, verstaut
ihre Einkäufe in ihrer alten Tasche und schiebt den leeren Wagen
hinaus.
Als
sie den Einkaufswagen abgestellt hat, verlassen sie ihr Kräfte und
sie lässt sich auf die Bank in der Nähe fallen. Ihr zittern die
Knie!
Schluchzend
legt sie den Kopf in beide Hände. Wie peinlich war das doch gewesen
und sie schämt sich so sehr, denn beinahe wäre sie zur Diebin
geworden.
Welcher
Teufel hatte sie da nur geritten?
Morgen geht es weiter
Morgen geht es weiter