Mittwoch, 19. Juni 2019

Nur ein Päckchen Kaffee Teil 3







Ein Hand legt sich sachte auf ihre Schulter und durch einen Tränenschleier sieht sie die freundliche junge Frau neben sich sitzen.
Sie schnieft und Jutta reicht ihr ein Papiertaschentuch.
Nachdem sich Lieschen kräftig die Nase geputzt hat, lächelt sie Jutta dankbar an.
Wieder besser?“ meint diese freundlich.
Lieschen nickt, doch als Jutta ihr das Päckchen Kaffee hinhält, hebt sie abwehrend beide Hände.
Nein, den haben sie bezahlt. Ich habe ihn nicht verdient!“
Ach Unsinn! Nehmen sie ihn doch, sie können mir ja später einmal das Geld zurück geben, wenn es das ist, was ihnen Kopfzerbrechen macht!“
Doch Lieschen schüttelt nur den Kopf und wird puterrot.
Dann sieht sie der jungen Frau offen ins Gesicht.
Ich wollte den Kaffee wirklich stehlen und habe ihn in die Tasche gesteckt,“ bekennt sie tapfer.
Und warum hatten sie das Päckchen dann in der Hand?“
Weil ich erschrocken über mich selber war und den Kaffee wieder zurück stellen wollte,“ flüstert das alte Mädchen beschämt und senkt den Kopf.
Die junge Frau aber sieht auf das schmächtige, altmodisch gekleidete Fräulein und denkt:
Millionen Euros werden auf der Welt verschoben, betrogen und veruntreut und dieses arme alte Mädchen hat die größten Gewissensbisse, weil sie
sie für einen Moment schwach geworden war.
Jutta legt ihre Hand auf Lieschens nervös spielende Hände und meint:
Ich respektiere es, wenn sie den Kaffee nicht annehmen wollen, aber darf ich sie zu einer Tasse Kaffee einladen. Nicht weit von hier ist ein hübsches kleines Cafe. Sie würden mir eine große Freude machen.“
Sie zieht Lieschen hoch, nimmt ihr die Einkaufstasche ab und ehe sich diese versieht, sitzt sie schon angeschnallt im Auto.
Unterwegs plaudert Jutta ganz zwanglos, erzählt lustige Anekdoten von ihren Kindern, dem fünfjährigen Dirk und der zweijährigen Susanna und langsam entspannt sich Lieschen.
Einmal entschlüpft ihr sogar ein Kichern.
Schwungvoll fährt Jutta auf den Parkplatz und gleich darauf betreten sie den behaglich eingerichteten Raum.




Sie finden einen Tisch gleich neben dem riesigen Kuchenbüfett, das Lieschen mit großen staunenden Augen betrachtet.
Jutta bestellt zwei Kännchen Kaffee und fragt Lieschen welchen Kuchen sie haben möchte.
Diese löst ihren Blick von dem reichhaltigen Büfett und meint schüchtern.
Eine Schwarzwälderkirschtorte.“
Jutta gibt die Bestellung an die Kellnerin weiter und beobachtet wenig später amüsiert, wie Lieschen genussvoll den ersten Schluck Kaffee nimmt und dann andächtig ihren Kuchen verspeist.
Zufrieden lehnt Lieschen sich zurück und strahlt ihr neue Freundin an.
Das war fein, danke!“
Und dann lacht sie plötzlich auf.
Dann haben sie mir doch Glück gebracht!“
Auf den fragenden Blick von Jutta erzählt sie ihr, wie sie heute morgen den Einkaufszettel geschrieben hat und ihr genau noch 1,11€ übrig geblieben sind und sie gedacht hat, die Zahlen müssen ihr doch Glück bringen.
Jutta ist betroffen.
Selbst in einer gut situierten Familie groß geworden, mit einem gut verdienenden Architekten verheiratet, hatte sie sich noch nie Gedanken gemacht, dass es auch Menschen gab, die mit jedem Cent rechnen mussten.
Dabei machte diese schmächtige kleine Person so einen glücklichen, fröhlichen und zufriedenen Eindruck, wirkte weder vergrämt noch verbittert.
Lieschen, die immer mehr Vertrauen zu der freundlichen jungen Frau gewinnt erzählt ihr nun, dass sie am Montag Geburtstag hat und ihre Mutter ihr immer ihren Lieblingskuchen Schwarzwälderkirschtorte gebacken hatte und dazu gab es dann immer guten echten Bohnenkaffee.
Und Jutta erzählt von ihrer Familie und ihrem Wunsch, im September, wenn Dirk in die Schule und Susanna in den Kindergarten kam, wieder zurück in ihren Beruf als Werbezeichnerin zu gehen.
Denn sie könnte da auch viel von zu Hause aus arbeiten und ihr Mann der Architekt war, arbeitet auch manchmal zu Hause und so könnten sie sich dann wegen der Kinder absprechen.
Die Beiden plauderten, als würden sie sich schon lange kennen, längst waren sie zum „Du“ übergegangen.
Dann aber sieht Jutta erschrocken auf die Uhr.
 







Himmel, ich muss Dirk vom Kindergarten abholen!“

Schnell winkt sie die Kellnerin herbei, zahlt und wenig später sitzen sie im Auto.
Vor dem Wohnblock halten sie. Frau Kalupke aus dem 2. Stock verlässt eben das Haus und beobachtet, wie Lieschen vorsichtig und etwas umständlich aus dem Auto steigt.
Jutta hupt, hebt grüßend die Hand und braust davon.
Das ist aber ein schöner Wagen, eine Verwandte von Ihnen?“
Nein, eine liebe Freundin,“ antwortet Lieschen freundlich und eilt schnell ins Haus, um weiteren neugierigen Fragen zu entgehen.
In ihrer Wohnung angekommen schlüpft sie erleichtert aus ihren Straßenschuhen und in ihre ausgetretenen Pantoffeln.
Dann setzt sie vorsichtig das Hütchen ab, zieht die Jacke aus, hängt sie ordentlich an die Garderobe und eilt zum Fenster, um es weit zu öffnen.
Tief atmend genießt sie den schönen Blick über die Dächer der Stadt.
Weit hinten flirren die Berge im Sonnenlicht.
Ihr Blick wandert zum Himmel hinauf.
Mama, heute hätte ich beinahe eine große Dummheit gemacht, aber du hast mir einen Engel gesandt,“ flüstert sie leise.
Morgen geht es weiter!