Ein
Hand legt sich sachte auf ihre Schulter und durch einen
Tränenschleier sieht sie die freundliche junge Frau neben sich
sitzen.
Sie
schnieft und Jutta reicht ihr ein Papiertaschentuch.
Nachdem
sich Lieschen kräftig die Nase geputzt hat, lächelt sie Jutta
dankbar an.
„Wieder
besser?“ meint diese freundlich.
Lieschen
nickt, doch als Jutta ihr das Päckchen Kaffee hinhält, hebt sie
abwehrend beide Hände.
„Nein,
den haben sie bezahlt. Ich habe ihn nicht verdient!“
„Ach
Unsinn! Nehmen sie ihn doch, sie können mir ja später einmal das
Geld zurück geben, wenn es das ist, was ihnen Kopfzerbrechen
macht!“
Doch
Lieschen schüttelt nur den Kopf und wird puterrot.
Dann
sieht sie der jungen Frau offen ins Gesicht.
„Ich
wollte den Kaffee wirklich stehlen und habe ihn in die Tasche
gesteckt,“ bekennt sie tapfer.
„Und
warum hatten sie das Päckchen dann in der Hand?“
„Weil
ich erschrocken über mich selber war und den Kaffee wieder zurück
stellen wollte,“ flüstert das alte Mädchen beschämt und senkt
den Kopf.
Die
junge Frau aber sieht auf das schmächtige, altmodisch gekleidete
Fräulein und denkt:
Millionen
Euros werden auf der Welt verschoben, betrogen und veruntreut und
dieses arme alte Mädchen hat die größten Gewissensbisse, weil sie
sie
für einen Moment schwach geworden war.
Jutta
legt ihre Hand auf Lieschens nervös spielende Hände und meint:
„Ich
respektiere es, wenn sie den Kaffee nicht annehmen wollen, aber darf
ich sie zu einer Tasse Kaffee einladen. Nicht weit von hier ist ein
hübsches kleines Cafe. Sie würden mir eine große Freude machen.“
Sie
zieht Lieschen hoch, nimmt ihr die Einkaufstasche ab und ehe sich
diese versieht, sitzt sie schon angeschnallt im Auto.
Unterwegs
plaudert Jutta ganz zwanglos, erzählt lustige Anekdoten von ihren
Kindern, dem fünfjährigen Dirk und der zweijährigen Susanna und
langsam entspannt sich Lieschen.
Einmal
entschlüpft ihr sogar ein Kichern.
Schwungvoll
fährt Jutta auf den Parkplatz und gleich darauf betreten sie den
behaglich eingerichteten Raum.
Sie
finden einen Tisch gleich neben dem riesigen Kuchenbüfett, das
Lieschen mit großen staunenden Augen betrachtet.
Jutta
bestellt zwei Kännchen Kaffee und fragt Lieschen welchen Kuchen sie
haben möchte.
Diese
löst ihren Blick von dem reichhaltigen Büfett und meint schüchtern.
„Eine
Schwarzwälderkirschtorte.“
Jutta
gibt die Bestellung an die Kellnerin weiter und beobachtet wenig
später amüsiert, wie Lieschen genussvoll den ersten Schluck Kaffee
nimmt und dann andächtig ihren Kuchen verspeist.
Zufrieden
lehnt Lieschen sich zurück und strahlt ihr neue Freundin an.
„Das
war fein, danke!“
Und
dann lacht sie plötzlich auf.
„Dann
haben sie mir doch Glück gebracht!“
Auf
den fragenden Blick von Jutta erzählt sie ihr, wie sie heute morgen
den Einkaufszettel geschrieben hat und ihr genau noch 1,11€ übrig
geblieben sind und sie gedacht hat, die Zahlen müssen ihr doch Glück
bringen.
Jutta
ist betroffen.
Selbst
in einer gut situierten Familie groß geworden, mit einem gut
verdienenden Architekten verheiratet, hatte sie sich noch nie
Gedanken gemacht, dass es auch Menschen gab, die mit jedem Cent
rechnen mussten.
Dabei
machte diese schmächtige kleine Person so einen glücklichen,
fröhlichen und zufriedenen Eindruck, wirkte weder vergrämt noch
verbittert.
Lieschen,
die immer mehr Vertrauen zu der freundlichen jungen Frau gewinnt
erzählt ihr nun, dass sie am Montag Geburtstag hat und ihre Mutter
ihr immer ihren Lieblingskuchen Schwarzwälderkirschtorte gebacken
hatte und dazu gab es dann immer guten echten Bohnenkaffee.
Und
Jutta erzählt von ihrer Familie und ihrem Wunsch, im September, wenn
Dirk in die Schule und Susanna in den Kindergarten kam, wieder zurück
in ihren Beruf als Werbezeichnerin zu gehen.
Denn
sie könnte da auch viel von zu Hause aus arbeiten und ihr Mann der
Architekt war, arbeitet auch manchmal zu Hause und so könnten sie
sich dann wegen der Kinder absprechen.
Die
Beiden plauderten, als würden sie sich schon lange kennen, längst
waren sie zum „Du“ übergegangen.
Dann
aber sieht Jutta erschrocken auf die Uhr.
„ Himmel,
ich muss Dirk vom Kindergarten abholen!“
Schnell
winkt sie die Kellnerin herbei, zahlt und wenig später sitzen sie im
Auto.
Vor
dem Wohnblock halten sie. Frau
Kalupke aus dem 2. Stock verlässt eben das Haus und beobachtet, wie
Lieschen vorsichtig und etwas umständlich aus dem Auto steigt.
Jutta
hupt, hebt grüßend die Hand und braust davon.
„Das
ist aber ein schöner Wagen, eine Verwandte von Ihnen?“
„Nein,
eine liebe Freundin,“ antwortet Lieschen freundlich und eilt
schnell ins Haus, um weiteren neugierigen Fragen zu entgehen.
In
ihrer Wohnung angekommen schlüpft sie erleichtert aus ihren
Straßenschuhen und in ihre ausgetretenen Pantoffeln.
Dann
setzt sie vorsichtig das Hütchen ab, zieht die Jacke aus, hängt sie
ordentlich an die Garderobe und eilt zum Fenster, um es weit zu
öffnen.
Tief
atmend genießt sie den schönen Blick über die Dächer der Stadt.
Weit
hinten flirren die Berge im Sonnenlicht.
Ihr
Blick wandert zum Himmel hinauf.
„Mama,
heute hätte ich beinahe eine große Dummheit gemacht, aber du hast
mir einen Engel gesandt,“ flüstert sie
leise.
Morgen geht es weiter!