Lena
springt aus dem Schulbus und läuft die paar Meter zu dem alten
Mietshaus. Ihr Schulranzen auf dem Rücken hüpft dabei fröhlich auf
und ab.
Nachdem
sie die ausgetretenen Holzstufen bis zum zweiten Stock hinter sich
hat, klingelt sie an der Tür von Henriette Ohlsen.
Henriette
wohnt gleich gegenüber von Lena und ihrer Mutter und passt auf das
Mädchen auf, bis deren Mutter von der Arbeit kommt.
Die
alte Frau öffnet und Balduin, der alte Dackel, drängt sich an ihr
vorbei und begrüßt das Mädchen freudig.
Er
bellt und hechelt
etwas kurzatmig
und wedelt heftig mit dem Schwanz.
Lena
krault ihn zwischen den Ohren und stellt dann ihren Schulranzen ab.
„Lena
gehst du schon in die Küche, ich möchte nur noch die Glühbirne in
meiner Nachttischlampe auswechseln.“
Das
Mädchen nickt vergnügt und gefolgt von Balduin hüpft sie in die
Küche, in der es herrlich duftet.
Auf
dem Ofen blubbert ein Gemüseeintopf und in einem Topf schwimmen
Würstchen.
Lena
holt zwei Teller aus dem Küchenschrank und deckt flink den Tisch,
während Balduin sich in sein Körbchen verzieht und sie von dort aus
beobachtet.
Nach
dem Essen holt Henriette ihr Strickzeug und das Mädchen macht ihre
Hausaufgaben.
Es
ist still in der warmen gemütlichen Küche, in der noch ein leichter
Essensgeruch liegt. Nur das gleichmäßige Ticken der alten
verschnörkelten Uhr und das leise Schnarchen des Dackels ist zu
hören.
Lena
klappt aufatmend das Heft zu. „Fertig nun muss ich nur noch ein
Herbstbild malen.“
Sie
holt aus ihrem Schulranzen den Zeichenblock und wühlt in ihrem
Schlampermäppchen.
„Tante
Henriette hast du einen Bleistift?“
„Sieh
mal in der Krimskrams-Schublade nach Kind.“
Lena
springt auf.
Sie
liebt die Krimskrams-Schublade, in der Dinge sind, die man nicht
mehr, aber vielleicht doch noch einmal gebrauchen konnte.
Eifrig
wühlt Lena zwischen den alten Knöpfen, Resten von Garn und einer
alten Schnur, einem abgebrochenem Schraubenzieher, Nägeln und noch
so allerlei und zieht schließlich einen Bleistiftstummel
heraus.
Zweifelnd
betrachtet sie ihn.
„Ob
man den noch benutzen kann?“
„Aber
sicher,“ meint Henriette lakonisch, die nicht gerne etwas weg warf,
bevor es total unbrauchbar war.
Lena
schließt die offene Schublade und kommt zurück zum Tisch.
„Erzählst
du mir eine Geschichte während ich male?“
Henriette
überlegt einen Moment und ihr Blick ruht auf dem Mädchen, das mit
hochkonzentrierten Gesicht mit dem Stift über das Papier fährt.
„Möchtest
du die Geschichte von einem Stift hören, der Glück brachte?“
Lena
nickt und Henriette beginnt zu erzählen.
„ In
einem alten Mietshaus, ganz oben unterm Dach wohnte Armin
Notnagel, ein junger Künstler.
Viele
Möbel hatte er nicht.
Auf
dem Boden lag eine Matratze mit einer Decke. Daneben stand eine alte
Holzkiste, auf der ein alter Teller mit einer Kerze stand, denn man
hatte ihm mal wieder den Strom abgestellt.
Auf
einem alten wackeligen Tisch, dessen linkes Bein mit einem dicken
Telefonbuch gestützt war, lagen kreuz und quer eine Menge
Zeichnungen, die er angefertigt hatte.
Ein
Stuhl, aus dem die Lehne herausgebrochen war, vervollständige die
Einrichtung.
Vielleicht
sollte man den Eimer in der Ecke noch erwähnen, denn, wenn es
regnete, dann regnete es durch das löchrige Dach.
Den
jungen Mann störte das Alles nicht. Er war ein fröhlicher Typ mit
einem goldenen Herzen und durch kleine Aushilfsjobs verdiente er sich
das Wenige, das er zum leben brauchte.
Und
die Menschen mochten ihn wegen seiner fröhlichen unbekümmerten Art.
Armin glaubte fest an seinen großen Durchbruch als Maler und in letzter
Zeit mehr denn je, denn er war verliebt und wollte dem Vater seiner
Liebsten imponieren.
Der
reiche Bäckermeister Gottfried Semmel sah es gar nicht gern, dass
der arme Hungerleider seiner Tochter Else schöne
Augen machte. Das Mädel war sowieso schon so verdreht, seit sie aus
dem feinen Internat zurück gekommen war.
Einen
Bäcker sollte sie heiraten, der einmal das Geschäft übernahm.
So
hatte das Liebespaar also wenig Aussichten.
Else brachte jeden Morgen einen Korb mit frischen Brötchen und allerlei Leckereien zu dem Kiosk an der Ecke. Denn die alte Berta war ihre Verbündete.
Berta
kochte in dem kleinen Raum hinter dem Kiosk einen guten Kaffee und
frühstückte mit dem jungen Mann, der dann
seufzend den Liebesbrief seiner Else las, der jeden Morgen
zwischen den frischen Brötchen steckte.
Bevor
er dann in die Arbeit ging, schlenderte er an dem Haus des Bäckers
vorbei und Else winkte ihm von ihrem Fenster
aus zu.
So
vergingen die Tage, der Herbst hatte schon längst die Blätter bunt
gefärbt und sein Spießgeselle, der stürmische frostige Wind, hatte
sie von den Bäumen gepustet.
Manchmal
wollte der junge Mann die Hoffnung aufgeben jemals als Maler berühmt zu
werden und überlegte sogar eine Bäckerlehre zu machen, denn er
wollte seiner Else nahe sein.
Als
er eines Tages von einem seiner zahlreichen Jobs nach Hause ging sah
er vor sich eine alte Frau, die tief gebeugt immer wieder kurz
stehen bleibend, durch den Park schlurfte.
Mitleidig
sprach Armin sie an.
„Gute
Frau, wohin müssen sie denn gehen, kann ich sie nach Hause bringen.“
Die
alte Frau blieb stehen und ihre erstaunlich jungen Augen in dem von
Runzeln übersäten Gesicht sahen ihn freundlich an.
„Danke
junger Mann, wenn sie mir ihren Arm reichen könnten.“
Sie
zog fröstelnd das zerschlissene Schultertuch um ihre mageren
Schultern.
Der
junge Mann zog seine Jacke aus und hängte sie ihr über, dann legte
er seinen Arm um die Alte, um sie zu stützen.
Als
sie den Park verlassen hatten, blieb die Frau stehen, schlüpfte aus
der Jacke und reichte sie ihm.
„Danke
junger Mann von hier aus kann ich alleine weiter gehen. Aber weil sie
so ein gutes Herz haben, will ich ihnen etwas schenken. Denken sie
niemals daran ihren Traum aufzugeben, denn sie können Großes
erreichen. Hier dieser Stift wird ihnen Glück bringen.“
Armin betrachtete den einfachen unansehnlichen Kohlestift und steckte ihn
in die Jackentasche, denn er wollte die alte
Frau
nicht kränken.
Als
er sich umwandte, um ihr zu danken, war sie verschwunden.
Berta
musste zum Zahnarzt und Ronny wollte in dieser Zeit auf den Kiosk
aufpassen.
Es
war nicht viel los. Die Menschen hasteten vorbei, ohne stehen zu
bleiben und zwei Jungen spielten Fußball mit einer Blechbüchse,
während ein Hund sie umsprang.
Und schnell holte er seinen Zeichenblock, um dieses Bild festzuhalten. Und wie durch
Zauberhand lag plötzlich der Stift der alten Frau in seiner Hand.
Mit schnellen gekonnten Strichen fuhr Hieronymus über das Blatt.
Aufatmend
betrachtete er das Bild, das ihm besonders gut gelungen war, da
begann der Stift in seiner Hand zu blinken, als würde er ihm
zuzwinkern.
Ein
Mann in einem teuren Pelz kam auf den Kiosk zu und verlangte eine
Tasse Kaffee.
Ronny
ließ die Espressomaschine laufen.
„Zucker
und Milch?“
Als
er keine Antwort bekam, drehte er sich um und sah wie der Herr seine
Zeichnung betrachtete.
„Junger
Mann sie haben Talent, das ist wunderschön und sehr detailgetreu.
Malen sie auch Porträts?“
Rony
nickte.
„Auch
in Öl?“
„Ja.“
Der
gut gekleidete Herr reichte ihm eine Visitenkarte.
„ Ich
bin Kommerzienrat Goldner, kommen sie morgen zu dieser Adresse, ich
möchte, dass sie ein Porträt meiner Frau malen.“
Dann
ging er, ohne seinen Kaffee getrunken zu haben.
Armin malte das Porträt und es wurde in der feinen Gesellschaft bewundert.
Bald
konnte er sich vor Aufträgen nicht mehr retten.
Er
heiratete seine geliebte Else und niemand war stolzer auf
seinen berühmten Schwiegersohn, als Bäckermeister Semmel.“
„Das
war schön und mein Bild ist auch fertig, gefällt es dir?“
Henriette
bewundert das schöne Herbstbild.
Balduin
aber verließ sein Körbchen und lief zur Tür.
„Ich
glaube Lena, wir drehen noch eine Runde mit Balduin, bevor deine
Mutter kommt.“
©
Lore Platz 20.07.2020
Mit dieser Geschichte wünsche ich euch ein schönes Wochenende, nächste Woche erzähle ich dann wie das Kasperle den Direktor Quirin kennen gelernt hat.
Eure Märchenfee
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