Samstag, 14. September 2024

Armin und der Stift des Glücks






Armin und der Stift des Glücks


Lena springt aus dem Schulbus und läuft die paar Meter zu dem alten Mietshaus. Ihr Schulranzen auf dem Rücken hüpft dabei fröhlich auf und ab.
Nachdem sie die ausgetretenen Holzstufen bis zum zweiten Stock hinter sich hat, klingelt sie an der Tür von Henriette Ohlsen.
Henriette wohnt gleich gegenüber von Lena und ihrer Mutter und passt auf das Mädchen auf, bis deren Mutter von der Arbeit kommt.
Die alte Frau öffnet und Balduin, der alte Dackel, drängt sich an ihr vorbei und begrüßt das Mädchen freudig.
Er bellt und hechelt etwas kurzatmig und wedelt heftig mit dem Schwanz.
Lena krault ihn zwischen den Ohren und stellt dann ihren Schulranzen ab.
Lena gehst du schon in die Küche, ich möchte nur noch die Glühbirne in meiner Nachttischlampe auswechseln.“
Das Mädchen nickt vergnügt und gefolgt von Balduin hüpft sie in die Küche, in der es herrlich duftet.
Auf dem Ofen blubbert ein Gemüseeintopf und in einem Topf schwimmen Würstchen.
Lena holt zwei Teller aus dem Küchenschrank und deckt flink den Tisch, während Balduin sich in sein Körbchen verzieht und sie von dort aus beobachtet.
Nach dem Essen holt Henriette ihr Strickzeug und das Mädchen macht ihre Hausaufgaben.
Es ist still in der warmen gemütlichen Küche, in der noch ein leichter Essensgeruch liegt. Nur das gleichmäßige Ticken der alten verschnörkelten Uhr und das leise Schnarchen des Dackels ist zu hören.
Lena klappt aufatmend das Heft zu. „Fertig nun muss ich nur noch ein Herbstbild malen.“
Sie holt aus ihrem Schulranzen den Zeichenblock und wühlt in ihrem Schlampermäppchen.
Tante Henriette hast du einen Bleistift?“
Sieh mal in der Krimskrams-Schublade nach Kind.“
Lena springt auf.
Sie liebt die Krimskrams-Schublade, in der Dinge sind, die man nicht mehr, aber vielleicht doch noch einmal gebrauchen konnte.
Eifrig wühlt Lena zwischen den alten Knöpfen, Resten von Garn und einer alten Schnur, einem abgebrochenem Schraubenzieher, Nägeln und noch so allerlei und zieht schließlich einen Bleistiftstummel heraus.
Zweifelnd betrachtet sie ihn.
Ob man den noch benutzen kann?“
Aber sicher,“ meint Henriette lakonisch, die nicht gerne etwas weg warf, bevor es total unbrauchbar war.
Lena schließt die offene Schublade und kommt zurück zum Tisch.
Erzählst du mir eine Geschichte während ich male?“
Henriette überlegt einen Moment und ihr Blick ruht auf dem Mädchen, das mit hochkonzentrierten Gesicht mit dem Stift über das Papier fährt.
Möchtest du die Geschichte von einem Stift hören, der Glück brachte?“
Lena nickt und Henriette beginnt zu erzählen.

In einem alten Mietshaus, ganz oben unterm Dach wohnte  Armin  Notnagel, ein junger Künstler.
Viele Möbel hatte er nicht.
Auf dem Boden lag eine Matratze mit einer Decke. Daneben stand eine alte Holzkiste, auf der ein alter Teller mit einer Kerze stand, denn man hatte ihm mal wieder den Strom abgestellt.
Auf einem alten wackeligen Tisch, dessen linkes Bein mit einem dicken Telefonbuch gestützt war, lagen kreuz und quer eine Menge Zeichnungen, die er angefertigt hatte.
Ein Stuhl, aus dem die Lehne herausgebrochen war, vervollständige die Einrichtung.
Vielleicht sollte man den Eimer in der Ecke noch erwähnen, denn, wenn es regnete, dann regnete es durch das löchrige Dach.
Den jungen Mann störte das Alles nicht. Er war ein fröhlicher Typ mit einem goldenen Herzen und durch kleine Aushilfsjobs verdiente er sich das Wenige, das er zum leben brauchte.
Und die Menschen mochten ihn wegen seiner fröhlichen unbekümmerten Art.
  Armin glaubte fest an seinen großen Durchbruch als Maler und in letzter Zeit mehr denn je, denn er war verliebt und wollte dem Vater seiner Liebsten imponieren.
Der reiche Bäckermeister Gottfried Semmel sah es gar nicht gern, dass der arme Hungerleider seiner Tochter Else schöne Augen machte. Das Mädel war sowieso schon so verdreht, seit sie aus dem feinen Internat zurück gekommen war.
Einen Bäcker sollte sie heiraten, der einmal das Geschäft übernahm.
So hatte das Liebespaar also wenig Aussichten.




Else brachte jeden Morgen einen Korb mit frischen Brötchen und allerlei Leckereien zu dem Kiosk an der Ecke. Denn die alte Berta war ihre Verbündete.
Berta kochte in dem kleinen Raum hinter dem Kiosk einen guten Kaffee und frühstückte mit dem jungen Mann, der dann seufzend den Liebesbrief seiner Else las, der jeden Morgen zwischen den frischen Brötchen steckte.
Bevor er dann in die Arbeit ging, schlenderte er an dem Haus des Bäckers vorbei und Else winkte ihm von ihrem Fenster aus zu.
So vergingen die Tage, der Herbst hatte schon längst die Blätter bunt gefärbt und sein Spießgeselle, der stürmische frostige Wind, hatte sie von den Bäumen gepustet.
Manchmal wollte der junge Mann die Hoffnung aufgeben jemals als Maler berühmt zu werden und überlegte sogar eine Bäckerlehre zu machen, denn er wollte seiner Else nahe sein.
Als er eines Tages von einem seiner zahlreichen Jobs nach Hause ging sah er vor sich eine alte Frau, die tief gebeugt immer wieder kurz stehen bleibend, durch den Park schlurfte.
Mitleidig sprach Armin sie an.
Gute Frau, wohin müssen sie denn gehen, kann ich sie nach Hause bringen.“
Die alte Frau blieb stehen und ihre erstaunlich jungen Augen in dem von Runzeln übersäten Gesicht sahen ihn freundlich an.
Danke junger Mann, wenn sie mir ihren Arm reichen könnten.“
Sie zog fröstelnd das zerschlissene Schultertuch um ihre mageren Schultern.
Der junge Mann zog seine Jacke aus und hängte sie ihr über, dann legte er seinen Arm um die Alte, um sie zu stützen.
Als sie den Park verlassen hatten, blieb die Frau stehen, schlüpfte aus der Jacke und reichte sie ihm.
Danke junger Mann von hier aus kann ich alleine weiter gehen. Aber weil sie so ein gutes Herz haben, will ich ihnen etwas schenken. Denken sie niemals daran ihren Traum aufzugeben, denn sie können Großes erreichen. Hier dieser Stift wird ihnen Glück bringen.“
Armin betrachtete den einfachen unansehnlichen Kohlestift und steckte ihn in die Jackentasche, denn er wollte die alte
Frau nicht kränken.
Als er sich umwandte, um ihr zu danken, war sie verschwunden.



Doch von diesem Tag an, schien das Glück in sein Haus zu kommen.
Berta musste zum Zahnarzt und Ronny wollte in dieser Zeit auf den Kiosk aufpassen.
Es war nicht viel los. Die Menschen hasteten vorbei, ohne stehen zu bleiben und zwei Jungen spielten Fußball mit einer Blechbüchse, während ein Hund sie umsprang.
Und schnell holte er seinen Zeichenblock, um dieses Bild festzuhalten. Und wie durch Zauberhand lag plötzlich der Stift der alten Frau in seiner Hand. Mit schnellen gekonnten Strichen fuhr Hieronymus über das Blatt.
Aufatmend betrachtete er das Bild, das ihm besonders gut gelungen war, da begann der Stift in seiner Hand zu blinken, als würde er ihm zuzwinkern.
Ein Mann in einem teuren Pelz kam auf den Kiosk zu und verlangte eine Tasse Kaffee.
Ronny ließ die Espressomaschine laufen.
Zucker und Milch?“
Als er keine Antwort bekam, drehte er sich um und sah wie der Herr seine Zeichnung betrachtete.
Junger Mann sie haben Talent, das ist wunderschön und sehr detailgetreu. Malen sie auch Porträts?“
Rony nickte.
Auch in Öl?“
Ja.“
Der gut gekleidete Herr reichte ihm eine Visitenkarte.
Ich bin Kommerzienrat Goldner, kommen sie morgen zu dieser Adresse, ich möchte, dass sie ein Porträt meiner Frau malen.“
Dann ging er, ohne seinen Kaffee getrunken zu haben.
  Armin malte das Porträt und es wurde in der feinen Gesellschaft bewundert.
Bald konnte er sich vor Aufträgen nicht mehr retten.
Er heiratete seine geliebte Else und niemand war stolzer auf seinen berühmten Schwiegersohn, als Bäckermeister Semmel.“
 
Das war schön und mein Bild ist auch fertig, gefällt es dir?“
Henriette bewundert das schöne Herbstbild.
Balduin aber verließ sein Körbchen und lief zur Tür.
Ich glaube Lena, wir drehen noch eine Runde mit Balduin, bevor deine Mutter kommt.“

© Lore Platz 20.07.2020

Mit dieser Geschichte wünsche ich euch  ein schönes Wochenende, nächste Woche erzähle ich dann wie das Kasperle den Direktor Quirin kennen gelernt hat.
Eure Märchenfee


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