Geht
das denn?
Das
Waisenhaus in der Amselgasse ist hell beleuchtet.
Rechts
und links neben den breiten Stufen steht auf der einen Seite ein
großer Weihnachtsmann und auf der anderen Seite Rudolf das Rentier,
dessen rote Nase lustig blinkt.
Die
doppelseitige Eingangstür ist von einer Lichterkette, deren Lämpchen
in verschiedenen Farben blinken, eingerahmt.
Auch
das Innere des Hauses ist festlich geschmückt und aus der großen
Halle dringt Musik, fröhliche Stimmen und lautes Kinderlachen.
Angelika,
eines der Mädchen ,das seit zwei Jahren im Waisenhaus ist, wurde
adoptiert und darf bereits Weihnachten mit ihren neuen Eltern
verbringen.
Es
sind auch ihre Adoptiveltern , die dieses Abschiedsfest mit ihren
Freunden hier im Waisenhaus, geben.
Alle
haben sich in der Halle versammelt, um gemeinsam zu feiern.
Nur
im zweiten Stock sitzt Lotta in ihrem kleinen Zimmer, das sie mit
Angelika teilt und sieht traurig auf das Bett und den gepackten
Koffer ihrer besten Freundin.
Leise
wird die Tür geöffnet und Angelika schlüpft herein.
„Lotta
willst du denn nicht zu meiner Abschiedsparty kommen?“
Das
Mädchen schüttelt den Kopf.
„Ich
bin so traurig!“
Angelika
setzt sich neben sie und legt ihren Kopf an Lottas Schulter.
„Ich
auch, schade, dass sie dich nicht auch adoptiert haben.“
Die
achtjährige Lotta seufzt kummervoll.
„Mich
adoptiert keiner, ich bin viel zu hässlich und mein Temperament
bringt mich doch immer wieder in Schwierigkeiten.“
„Weißt
du was, du könntest doch das Christkind bitten, dass es dir eine
Mutter bringt.“
„Geht
das denn?“ fragt Lotta erstaunt.
Angelika
nickt eifrig.
„Sicher,
ich habe jeden Abend gebetet, dass ich eine Familie bekomme
und
dann wurde ich adoptiert.“
Sie
springt auf und umarmt ihre Freundin.
„Ich
muss wieder hinunter, kommst du mit?“
Lotta
schüttelt den Kopf.
„Später
vielleicht!“
Als
Angelika das Zimmer verlassen hat, stützt Lotta ihren Kopf in die
Hände und überlegt.
Vielleicht
wäre es doch keine so schlechte Idee mit dem Christkind.
Sie
wollte gegenüber in die Kirche gehen, wo das Christkind wohnt und
persönlich mit ihm sprechen.
Sie
springt auf, schlüpft in ihre warme Jacke und schleicht die Treppe
hinunter.
Niemand
bemerkt, dass sie das Haus verlässt.
In
der Kirche ist es still und es riecht nach Weihrauch.
In
der ersten Bank sitzt eine Frau, ganz in schwarz gekleidet und Lotta
stellt sich auf die Zehenspitzen, um ganz leise an ihr vorbei zu
gehen, denn sie will ja zur Krippe mit dem Jesuskind.
Als
sie an der Bank vorbei kommt, sieht sie wie die Frau bitterlich weint
und erschrocken bleibt sie stehen.
Leise
setzt sie sich neben die Unglückliche.
Diese
blickt auf und sieht das Mädchen.
„Hallo,
ich bin Lotta!“
Die
Frau putzt sich die Nase, wischt sich die Tränen aus den Augen und
lächelt.
„Hallo,
ich bin Frau Bergmeister.“
„Warum
weinst du denn?“
„Ich
bin traurig, weil meine Tochter gestorben ist.“
„Das
tut mir leid, ist sie schon beerdigt?“
„Ja,
sie ist nun schon zwei Jahre tot!“
„Und
so lange weinst du schon, weißt du denn nicht, dass du dein Kind
ganz unglücklich machst und es gar nicht mit den Engeln fröhlich
herumtollen und spielen kann.“
Die
Frau sieht sie erstaunt an und Lotta erklärt.
„Schwester
Martina hat uns ein Märchen vom Tränenkrüglein vorgelesen und da
hat die Mutter auch so geweint und das Kind im Himmel musste den
großen Eimer mit Tränen herumschleppen und konnte gar nicht mit den
anderen Engeln spielen.“
Frau
Bergmeister ist ganz still und nun fällt ihr auch das Märchen von
Ludwig Bechstein ein, dass sie vor vielen, vielen Jahren gelesen hat
und es wird ihr ganz eigen zumute.
Eine
Weile sitzen die Beiden ganz still da, dann steht Lotta auf.
„Nun
muss ich aber zum Christkind nach vorne, denn ich habe etwas
Wichtiges mit ihm zu besprechen.“
Die
Dame sieht das komische kleine Mädchen mit den roten kurzen Stoppeln
auf dem Kopf lächelnd an.
„Du
bist wohl vom Waisenhaus auf der anderen Seite und willst deinen
Wunsch dem Christkind persönlich sagen.
Verrätst
du mir denn auch was du dir wünscht?“
Lotta
setzt sich wieder und meint ernsthaft:
„ Meine
beste Freundin Angelika ist adoptiert worden und feiert eben ihre
Abschiedsparty, aber ich konnte nicht hinunter gehen, weil ich so
traurig bin und will das Christkind nun fragen, ob es nicht auch eine
Mutter für mich finden könnte. Aber es wird wohl schwer sein, denn
ich bin eine Heimsuchung!“
Frau
Bergmeister zuckt etwas zusammen.
„Wie
kommst du auf diese Idee?“
„Der
Niklas ist ein ganz böser Junge und ärgert und schlägt immer die
kleineren Kinder.
Er
hat dem kleinen Rudi seinen Lutscher weggenommen, da bin ich auf ihn
losgegangen, denn vor mir fürchtet der Niklas sich.
Der
Feigling ist dann auch davon gelaufen und ich hinterher.
In
der Küche dann bin ich über das Fass mit Mehl gestolpert und alles
war weiß ,als hätte es in der Küche geschneit.“
Lotta
kichert.
„Schwester
Edeltraud hat die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen und
gerufen:
„Dieses
Kind ist eine Heimsuchung mit ihrem höllischen Temperament!“
Dann
hat sie ganz komisch die Augen verdreht und gestöhnt:
„Es
liegt an den roten Haaren!“
Ich
wurde dann auf mein Zimmer geschickt, damit ich nachdenken konnte und
ich habe nachgedacht.
Wenn
es nur an meinen roten Haaren liegt, dass ich immer in
Schwierigkeiten gerate, dann brauchte ich sie doch nur
abzuschneiden.
Doch
das war dann auch wieder nicht Recht und ich bekam eine Woche keinen
Nachtisch.“
Lotta
seufzt tief.
„Die
Erwachsenen sind schon komisch, nie kann man es ihnen recht machen.“
Frau
Bergmeister sieht diese seltsame kleine Person an und ihr Blick fällt
auf die roten kurzen Haare, die, wie die Stacheln eines Igels, vom
Kopf abstehen und dann beginnt sie zu lachen.
Fröhlich
und befreiend lacht sie, wie schon seit langem nicht mehr.
Lotta
blickt sie erstaunt an.
Erwachsene
sind wirklich manchmal seltsam.
Als
Frau Bergmeister sich endlich wieder beruhigt hat, streicht sie Lotta
über den Kopf und sagt liebevoll.
„Lotta
dich hat mir der liebe Gott geschickt oder meine Klara, damit ich
endlich zur Vernunft komme.“
Das
Mädchen nickt, obwohl sie nicht ganz versteht, aber sie mag diese
Frau.
„Weißt
du, ich bin an Weihnachten ganz allein und du bist auch allein, weil
deine beste Freundin nicht mehr da ist.
Wir
könnten doch Weihnachten gemeinsam feiern?“
„Geht
das denn?“
„Und
ob das geht!“ sagt Frau Bergmeister energisch.
Schließlich
saß sie im Vorstand der Stiftung, die das Waisenhaus unterstützt.
Vorsichtig
schiebt sie Lotta aus der Kirchenbank und nimmt ihre Hand.
„Wir
gehen jetzt zusammen auf die Abschiedsparty deiner Freundin und
anschließend sprechen wir mit der Schwester Oberin.“
Und
Hand in Hand gehen die beiden einsamen Gestalten, die ein Zufall
zusammengeführt hat, zum Ausgang.
War
es wirklich der Zufall?
Oder
hatte doch das Christkind die Hand im Spiel?
Vielleicht
geht es manchmal doch!
©
Lore Platz
Liebe Lore, deine Geschichte ist wunderschön, wenn auch traurig.
AntwortenLöschenIch möchte dir einen wundervollen 3. Advent wünschen, mit viel Harmonie.
Ganz liebe Grüße sendet dir Margot.
Oh, ich war ganz gerührt von dieser Geschichte. Und die Schwester trug auch noch meinen Namen. Nee, watt schön!!! Vielen Dank, du hast mein Herz gerührt, heute am 3. Advent! Alles Liebe! Martina
AntwortenLöschenWow, so eine berührende Geschichte, danke, Lore :)
AntwortenLöschenAlles Liebe
Eva :)
Liebe Lore
AntwortenLöschenTränchen abwischen ach gottchen was für eine Geschichte die mich so berührt dankeschön für diese wunderbare Geschichte und ich habe mich so gefreut dass diese zwei Menschen sich gefunden haben!
Ich wünsche dir einen schöne Adventzeit!
Lieben Gruss Elke
Liebe Lore,
AntwortenLöscheneine wunderbare Geschichte. Gruß Helge