Donnerstag, 9. Juli 2020

Hexe Liliput und die Drachenjäger 2




Er winkte. „Kommt mit!“
Sie folgten ihm in die Felsenspalte durch viele verschlungene Gänge und kamen in eine große Höhle.
Tolpatsch sank erschöpft nieder.
Die kleine Hexe sah sich erstaunt um.
Hast du es aber schön hier, ich bin Liliput und das ist mein Freund Tolpatsch. Hast du Wasser, ich muss die Wunde reinigen.“
Der Junge eilte in eine Nebenhöhle und kam mit einer Schüssel Wasser und einem Bund Arnika zurück.
Liliput wusch die blutende Wunde, während der Junge aus der Heilpflanze einen Brei machte, den die Hexe vorsichtig auftrug.
Sie schnippt mit dem Finger und ein großes Pflaster legt sich über die Verletzung.
Du kannst zaubern, warum hast du dann nicht die Wunde geheilt?“
Weil ich noch Lehrling bin und nur die kleinen Zauber kann. Der Heilzauber ist einer der schwersten Zauber und man braucht eine lange Ausbildung dafür. Auf dem Hexenberg gibt es nur eine Heilerin und das ist meine Lehrerin Frau Kassandra.“
Der Junge hatte inzwischen ein kleines Feuer gemacht und kramte in einer Kiste.
Was machst du denn da, wie heißt du überhaupt?“
Du kannst es dir aussuchen; Missgeburt, Scheusal, Wechselbalg, Teufelsbrut, pfui-igitt.“
Das sind ja scheußliche Namen, ich meine deinen Taufnamen, ihr Menschen habt doch Taufnamen.“
Ich nicht,“ lachte der Junge bitter, „ als der Pfarrer mich sah weigerte er sich mich zu taufen. Teufelsbrut nannte er mich.
Ich mache uns was zu essen, ich hoffe du magst Kartoffel in der Schale, mehr habe ich leider nicht.“
Nein, leg sie zurück, setz dich zu mir.“
Als der Junge saß, sagte Liliput.
Ich werde mir einen Namen für dich ausdenken. Aber nun machen wir ein Spiel. Schließ die Augen, du darfst sie erst aufmachen, wenn ich es sage.“
Der Junge nickte.
Nun stell dir vor was du gerne essen willst.“
Ein gebratenes Hähnchen.“
Liliput grinste, schnippte mit dem Finger und ein Teller mit einem gebratenem Hähnchen stand vor ihm auf dem Boden.“
Der Junge kicherte: „ Das ist schon was tolles mit der Fantasie, ich kann das Hähnchen sogar riechen.“
Ja, aber halte die Augen nur geschlossen. Wir wollen ein ganzes Menü zusammenstellen. Was willst du als Beilage?“
Kartoffelbrei und Bohnengemüse!“ kam es wie aus der Pistole geschossen.
Schon stand eine Schüssel Kartoffelbrei und eine Schüssel Bohnen vor ihm.
Nachtisch?“
Hmmm,“ der Junge leckte sich genießerisch über die Lippen, „Schokoladenpudding.“
Nun darfst du die Augen öffnen.“
Aber, aber,“ stammelte er, „ das ist alles wirklich.“
Liliput grinste.“ Der Essenszauber ist das erste was wir lernen, nun guten Appetit.“
Sie freute sich wie sehr es ihm schmeckt.
Er lehnte sich zurück und strich über seinen Bauch.
Das war lecker! Aber warum guckt dein Freund mich so an?“
Liliput warf einen Blick auf Tolpatsch und lachte.
Er hat Hunger, kann ich ihm die Reste geben?“
Als der Junge nickte, ließ die kleine Hexe die übrige gebliebenen Speisen in den weit geöffneten Rachen des Drachens fliegen.
Willst du mir nun erzählen warum du hier wohnst und nicht im Dorf. Wie alt bist du denn?“
Zehn Jahre. Und hier wohne ich seit zwei Jahren.
Als meine Mutter starb war ich sechs Jahre. Sie war die einzige, die lieb zu mir war und mich getröstet hat, wenn mein Vater, die Kinder und viele Erwachsene im Dorf böse zu mir waren.
Doch dann bekam sie ein schlimmes Fieber und starb.
Mein Vater heiratete sofort wieder und seine neue Frau wollte mich nicht im Haus haben.
Ich musste im Schweinestall wohnen und auch das Essen mit ihnen teilen.
Marianne vom Nachbarhof kam ab und zu vorbei, brachte mir etwas zum anziehen und essen.“
Marianne, das ist meine Freundin,“ rief Liliput.
Aha, dann bist bestimmt auch du für das oft leckere Essen zuständig.“
Als ich sie kennenlernte war sie halb verhungert. Ihre Tante ließ sie den ganzen Tag schuften, aber sie bekam kaum zu essen.
Also habe ich einen Zauber in ihr Zimmer gelegt, wenn sie abends müde in ihre kleine Dachkammer kam, dann konnte sie sich wünschen was sie essen wollte.“
Als ich eines nachts in den Garten ging, um mir einen Apfel zu holen, entdeckte mich mein Vater und prügelte mich halb tot.
Marianne die meine Schreie gehört hatte holte mich und brachte mich zu den Eltern ihres Freundes Lukas. Diese pflegten mich gesund.
Lukas und Marianne aber richteten mir hier diese Höhle ein.
Im Dorf konnte ich nicht mehr bleiben.“
Dein Vater ist ein böser Mensch!“ rief Liliput wütend.
Der Junge zuckte traurig die Schultern.
Aber nicht alle Menschen sind böse!“
Sie sahen sich an und lachten, denn sie hatten gleichzeitig dasselbe gesagt.
Weißt du was meine Mutter immer gesagt hat, wenn ich weinend zu ihr lief, weil die Dörfler wieder mal böse zu mir waren.
Fünf bösen Menschen stehen fünf gute Menschen gegenüber. Das ist Gottes Ausgleich.“
Eine Weile schwiegen sie.
Ich hab einen Namen für dich. Du bist gut und edel wie ein Prinz und du wohnst hier umgeben von Wäldern. Ich werde dich Waldprinz nennen. Gefällt dir der Name?“
Waldprinz nickte strahlend, doch dann wird er wieder ernst.
Was machen wir mit dem Drachen?“
Ich werde Frau Kassandra um Hilfe bitten.“
Und mich mit dem Ungetüm alleine lassen. Er wird meine Wohnung abfackeln.“
Unsinn, ich bin ja bald wieder da.“
Liliput schwang sich auf ihren Besen und verließ die Höhle.
Draußen warf sie einen Unsichtbar-zauber um sich und flog zum Hexenwald.
Sie erzählt nun Frau Kassandra alles.
Diese sah sie ernst.
Du hast wieder einmal nicht gedacht und unverantwortlich gehandelt. Nun haben wir wieder einmal den Zorn der Menschen erregt.“
Aber ich bin doch so allein und wollte nur einen kleinen Bruder. „
Mitleidig sah Frau Kassandra sie an.
Ich weiß, du bist die einzige hier, die keine Familie hat. Also bring mich zu deinem Drachen.“
Wenig später betraten sie die Höhle.
Liliput schrie entsetzt auf.
Was hast du getan, wie konntest du nur!“
Trotzig sah Waldprinz sie an.
Sollte ich vielleicht meine Wohnung abfackeln lassen!“
Die kleine Hexe warf ihm einen finsteren Blick zu.
Und deshalb hast du sein Maul mit einem Seil zugebunden und seinen Schwanz an einem Felsen gekettet.
Ich hätte dich statt Waldprinz lieber Wirrkopf nennen sollen.“
Der Junge verschränkte die Arme und blickte genauso zornig zurück.
Er hat bereits zwei Tassen mit seinem Schwanz kaputt gemacht und ich wollte nicht warten bis er auch noch meine Möbel versengt.“
Frau Kassandra hatte schmunzelnd zugehört.
Nun legte sie die Hand auf Waldprinz Schulter.
Dieser sah sie schüchtern, aber auch etwas ängstlich an. Wie würde sie auf seinen Anblick reagieren?
Doch die Hexe lächelte ihn freundlich an.
Das hast du sehr gut gemacht. Du hast klug und überlegt gehandelt. Tolpatsch ist zwar nicht bösartig, trotzdem gefährlich.“
Liliput hatte den inzwischen den Drachen befreit. Dieser sprang freudig auf, sein großer Schwanz schlenkerte und aus seinem Mund kam Feuer.
Frau Kassandra hob die Hand und ließ ihn erstarren.
Siehst du nun, wie gefährlich dein Freund ist.“
Liliput ließ den Kopf hängen und Tränen glitzerten in ihren Augen.
Bittend hob sie die Hände.
Tötet ihn nicht. Es ist alles meine Schuld, lasst ihn nicht dafür büßen. Ich werde ein neues Versteck für ihn suchen.“
Du kannst ihn nicht immer einsperren. Hm, sein einziger Fehler ist seine Größe.“






Frau Kassandra hob lächelnd die Hand und der Drache begann zu schrumpfen, bis er so klein wie eine Eidechse war.
Das ist ja toll!“ rief Waldprinz und Liliput jubelte,
So groß und niedlich war er, als er aus dem Ei schlüpfte!“
Sie hob den Drachen hoch und dieser schmiegte sich an sie.
Frau Kassandra nickte zufrieden.
Der Zauber kann nie mehr rückgängig gemacht werden, es besteht also keine Gefahr und Tolpatsch kann nun für immer bei dir bleiben.“
Dann wandte sich die Hexe an den Jungen.
Möchtest du bei uns im Hexenwald leben?“
Aber er ist doch ein Mensch!“
Sicher, aber im Testament von Graf Herold von Trutzingen steht, dass das Schloss und die umliegenden Wälder eine Heimat für alle Verfolgten und Verstoßenen sind und unser Waldprinz wurde doch von den Menschen verstoßen.“
Liliput hüpfte vor Freude auf und ab.
Und wohnen kannst du bei mir, ich habe mir schon immer einen Bruder gewünscht.“
Dass ihr streiten könnt wie Geschwister habt ihr ja eben schon bewiesen,“ schmunzelte Frau Kassandra,
willst du denn bei uns leben, du wärst nicht mehr so allein und niemand würde dich deines Aussehens wegen übel behandeln. Außerdem wo sonst sollte ein Waldprinz leben als Wald.“
Waldprinz sah sie mit großen Augen an.
Sprechen konnte er nicht, aber er nickte heftig mit dem Kopf.
Dann komm. Liliput du nimmst Tolpatsch auf deinem Besen und ich unseren Waldprinzen.“
Als sich der Junge in der Wohnung umsah, meinte die Hexe. „Wir kommen später noch einmal hierher und holen deine Sachen.“
Sie setzten sich auf ihre Besen und sausten durch die Luft.
Waldprinz, der hinter Frau Kassandra saß, hatte keine Angst, er genoss es, wie der Wind ihm durch die Haare fuhr und beobachtetet staunend wie die Welt unter ihm immer kleiner wurde. Und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich wirklich frei.
Sie landeten in Liliputs Garten und dieser blieb vor Staunen der Mund offen.
Aber mein Haus ist ja viel größer.“
Ich habe es durch einen Anbau erweitert, wollt ihr ihn euch nicht mal ansehen?“
Als sie den Raum betraten staunten sie noch mehr.
Aber das sind doch alle meine Sachen aus der Höhle!“
Ich dachte, das würde dir das Eingewöhnen leichter machen,“ lächelte Frau Kassandra, „ nun muss ich aber ins Schloss zurück.“

Liliput aber nahm, ihren Bruder an der Hand und stellt ihm Trinchen vor.
Während Waldprinz der Schildkröte sanft über den Kopf strich, ließ Liliput versonnen den Blick über Tolpatsch, Trinchen und Waldprinz gleiten.
Glücklich lächelte sie.
Nun hatte sie auch eine Familie.

Da der Drache verschwunden, wurden die Drachenjäger nicht mehr benötigt. Da sie aber keinen Erfolg hatten, verweigerte der Moorhofer die Bezahlung.
Als die wilden Kerle abzogen, zerstörten sie aus Rache alle Felder des geizigen Bauern.


© Lore Platz