Montag, 11. Oktober 2021

Zuflucht in der Bärenhöhle












Zuflucht in der Bärenhöhle




Andabar setzt sich in seinen gemütlichen Ohrensessel und sieht sich in seiner kleinen Stube um. Wie ruhig es doch ist und er genießt es.
Mit Hilfe der Biber hatte er sich diese Stube mitten in einem Baum gebaut, als er damals in den Wald weit weg von seiner Heimat kam.
Ein großer Erdrutsch hatte die kleine Zwergenstadt vernichtet und seinen Großvater und seine Großmutter unter Steinen und Geröll begraben.
Die anderen Zwerge, die überlebt hatten, waren ins nächste Dorf zu ihren Verwandten gegangen.
Doch er, Andabar, stand ganz allein auf der Welt und deshalb beschlossen auf Wanderschaft zu gehen.
Er schmunzelt bei dem Gedanken, was er alles erlebt und gesehen hat. Schließlich war er bei einem alten Einsiedler gelandet und hatte dort die Heilkunst erlernt.
Doch dann trieb es ihn wieder weiter und nach vielen Jahren war er dann hier im Wald gelandet und es hatte ihm gleich gefallen.
Und als dann sein Stübchen im Baum bezugsfertig war und er sich seine Möbel gezimmert hatte und die Tiere des Waldes ihn eines Tages mit einer weichen Decke und einem Kissen für sein Bett überrascht hatten, das Madame Spinne und ihren Helferinnen gefertigt hatten, da fühlte er sich endlich angekommen.
Und seitdem war der Wald seine Heimat und alle Bewohner darin seine Freunde.
Nachdenklich runzelt er die Stirn. 
Heute war ein seltsamer Tag, die Vögel waren verstummt und hatten sich verkrochen. 
Die Tiere waren unruhig und manche sogar agressiv. 
Mehr als einmal musste er einen Streit schlichten oder kleine Wunden verbinden.
 In der Luft lag eine Schwüle und ein ungutes Flimmern.
Andabar hebt lauschend den Kopf. Ein Heulen und Rauschen ist plötzlich zu hören.
Er klopft seine Pfeife aus, legt sie auf den Tisch und tritt vor die Tür.
Der Wind haut ihn fast um und schlägt hinter ihm die Tür ins Schloss.
Blätter, kleine Äste und Sand vor sich her treibend jagt der Sturm durch den Wald.
Der Zwerg hört über sich ein knacken und kann gerade noch zur Seite springen, denn ein großer Ast fällt vom Baum.
Seine Mütze fest haltend dreht er sich um und will zurück in seine Wohnung.
Doch der dicke Ast liegt direkt vor seiner Tür.
Aus dem Unterholz stürmen die Tiere und laufen blindlings in Panik an ihm vorbei, aber alle in eine Richtung.
Wo wollt ihr hin!“ ruft Andabar.
Ein Dachs dreht sich kurz um. „Zur Bärenhöhle!“
Nun läuft auch der Zwerg los, doch seine dicken kurzen Beine sind nicht so schnell. Auch bremst ihn der Wind und treibt ihm Sand in die Augen.
Doch dann steht Schlitzohr, der Fuchs auf einmal neben ihm.
Steig auf meinen Rücken, Andabar!“
Der Zwerg klettert auf den Rücken seines Freundes und ab geht die wilde Jagd.
Als sie die schützende Höhle erreichen ist sie voll von Tieren der verschiedensten Art.
Ein Rudel Rehe steht dichtgedrängt beieinander, Dachse sitzen neben Hasen, Marder neben Eichhörnchen, eine Mäusefamilie hat sich eingefunden und selbst die scheue Schlange Millie liegt in einer Ecke, etwas abseits von den anderen.
Bruno, der Bär kommt nach vorne und heißt seine unerwarteten Gäste herzlich willkommen.
Andabar bedankt sich im Namen aller, dann setzt er sich mitten in den Raum und langsam kommen die Tiere näher und bilden einen Kreis.
Stumm beobachten sie das Toben vor dem Eingang.
Eine Blätterkugel wird von einem Windstoß herein gewirbelt und bleibt still liegen.
 Neugierig beobachten die Tiere die seltsame Kugel, die sich auf einmal bewegt und die Nase und zwei vergnügt funkelnde Augen von Isidor, dem Igel, erscheint.
Guten Tag, alle Miteinander, das war eine Fahrt. Ich konnte nicht so schnell laufen wie ihr und habe mich zum Ausruhen eingeigelt, da packt mich plötzlich der Wind und rollte mich direkt hierher.“
Er kichert: „ So schnell bin ich noch nie vorwärts gekommen.“
Alle lachen und die trübe Stimmung ist vorbei. Die Tiere machen es sich gemütlich und beginnen fröhlich zu plaudern.
Andebar aber klaubt vorsichtig die Blätter von den Stacheln des Igels und schichtet sie in eine Ecke.
Plötzlich springt Schlitzohr auf und schüttelt seinen buschigen Schwanz.


(c) Elli M.
Eine Ameise fliegt heraus, schlägt einen Salto in der Luft und landet ziemlich unsanft auf dem Boden.
Musst du denn so grob sein!“ schimpft der Ameisenjunge.
Ja Fridolin, wo kommst du denn her, solltest du nicht in eurem Bau sein, dort wärst du doch sicher.“ ruft Andabar erstaunt.
Der Junge errötet, „ich war wohl zu langsam und dann habe ich mich auch noch verirrt.“
Da hast wohl mal wieder geträumt.“
Fridolin nickt verlegen, doch dann lacht er.
Aber es ist doch alles gut gegangen, ich sah wie der Fuchs dich auf seinen Rücken steigen ließ und habe mich schnell in seinen Schwanz gehängt.“
Bin ich ein Ameisentaxi?“ brummt Schlitzohr, doch
niemand beachtet ihn.
Andabar nimmt seine Mütze und legt sie auf den Boden.
Fridolin, klettere auf meine Mütze, da bist du in Sicherheit,“ brummt er gutmütig und meint dann grinsend:
Und dort oben darfst du träumen soviel die willst.“
Die Tiere lachen und der Ameisenjunge klettert schnell auf die rote Mütze, die sich der Zwerg dann wieder auf den Kopf stülpt.
Der Eingang verdunkelt sich und Bertold der Hirsch und sein Frau Felina wanken in die Höhle.
Müde lassen sie sich zu Boden fallen. Bertold fehlt ein Stück seines Geweihs und Felina lehnt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an seine Schulter.
Auf die besorgten Blicke der Tiere erklärte der Hirsch schwer atmend:“ Beinahe hätte uns ein umstürzender Baum unter sich begraben.“
Deshalb fehlt dir ein Stück von deinem Geweih?“ meint Andabar mitfühlend.
Das ist nicht so schlimm,“ wehrte der Hirsch ab ,“aber Felina ist verwundet, der Baum hat ihre Hinterhand gestreift.“
Der Zwerg beugt sich über die Wunde.
Sie ist zum Glück nicht tief, aber sie kann sich entzünden. Ich muss sie säubern.“
Bruno, der Bär ruft: „Weiter hinten in der Höhle ist eine Quelle.“
 
(c) meine Tochter

Frau Eichhorn, die Andabar schon oft assistiert hat, nimmt das Taschentuch, das dieser ihr reicht und läuft neben Bruno zur Quelle.
Dankend nimmt der Zwerg das nasse Taschentuch und beginnt vorsichtig die Wunde aus zu waschen.
Obwohl sich in Felinas Augen Tränen sammeln vor Schmerz, gibt sie keinen Laut von sich.
Sie legt nur ihren Kopf an Bertolds Hals und dieser bedeckt
ihn tröstend mit seinem Haupt.
Dann ist Andabar fertig und reicht das Tuch an Mirella Eichhorn, die nochmal zur Quelle springt, um es auszuwaschen.
Andabar aber sieht sich suchend in der Höhle um, dann fällt sein Blick auf die Blätter und er strahlt.
Da waren doch auch Arnikablätter dabei. Schnell wühlt er in dem Haufen und findet was er sucht.
Zwischen den Händen zerreibt er das Arnika, streut es in die Wunde und legt das sauber ausgewaschene Taschentuch darüber.
Felina wirft ihm einen dankbaren Blick zu und schmiegt sich an ihren Mann.
Auch Bertold bedankt sich.
Der Zwerg setzt sich mit gekreuzten Beinen wieder auf den Boden und hört lächelnd der gemurmelten Unterhaltung zu.


(c) Irmgard Brüggemann

Ich habe Hunger!“ quengelt Susi, die jüngste der Hasenkinder.
Schlitzohr springt auf, fixierte sie und fährt mit der Zunge über seine Lippen.
Ich habe auch Hunger,“ meint er gedehnt.
Susi verschwindet quietschend hinter ihrer Mutter, die dem Fuchs einen kampfeslustigen Blick zu wirft.
Andabar aber gibt dem Fuchs einen leichten Klaps auf die Schnauze.
Benimm dich, du erschreckst nur die Kleine, hier wird niemand gefressen!“
 
 

 
Spielverderber!“ knurrt Schlitzohr, verzieht sich in die Ecke, rollt sich ein, legt die Schnauze auf seinen buschigen Schwanz und schließt die Augen.
Draußen aber toben noch immer die entfesselten Winde und treiben ihr wildes Spiel, als würden sie niemals müde werden. Langsam senkt sich die Nacht über den Wald.
Die Hasenkinder, die bisher herum getollt haben kuscheln sich müde an ihre Eltern.
Und Frau Hase beginnt erst leise zu summen, dann singt sie mit zarter Stimme ihre Kinder in den Schlaf.
Doch nicht nur die Hasenkinder schlafen ein, auch über die kleine Gesellschaft legt sich die Musik wie ein zarter Schleier und lässt sie den schrecklichen Sturm draußen vergessen und schickt sie ins Land der Träume.
Andabar ist der Erste, der am nächsten Morgen erwacht.
Er tritt vor die Höhle.
Der Sturm hat sich endlich zurück gezogen aber eine schreckliche Verwüstung hinterlassen.
Die Tiere kommen alle aus der Höhle und auch sie betrachten besorgt ihren schönen Wald.
Bald wird der Förster und seine Waldarbeiter kommen und alles wieder in Ordnung bringen,“ tröstet der Zwerg.
Rechts, links, eins, zwei!“ ertönt es plötzlich und eine Schwadron Ameisen bahnt sich einen Weg durch Äste und Blätter.
General Zack Zack bleibt vor ihnen stehen.
Guten Tag, habt ihr meinen Neffen Fridolin gesehen. Der dumme Junge hat wohl wieder geträumt und nicht mehr zurück in den Bau gefunden. Mache mir große Sorgen!“
Hier bin ich Onkel!“ ruft Fridolin und klettert von Andabars Mütze.
Die Augen des Generals werden einen Moment feucht, doch dann befiehlt er.
Reihe dich ein mein Junge, es geht nach Hause!“
Kehrt marsch, rechts um, links, rechts, eins zwei...“
Wir sollten auch nach Hause gehen,“ murmelt Bertold und bald steht nur noch der Zwerg neben dem Bären.
Vor meiner Tür liegt ein dicker Ast, ich kann nicht in meine Wohnung.“
Das ist für mich kein Problem, steig auf meinen Rücken,“ brummt Bruno.
Bald sitzt Andabar wieder in seiner kleinen gemütlichen Stube, raucht sein Pfeifchen und ist glücklich.


© Lore Platz


4 Kommentare:

  1. Wie tröstlich, alles hat seine Ordnung! Und es kehrt wieder Ruhe ein nach dem Sturm. Aber die Ruhe nach dem Sturm ist auch die Ruhe vor dem nächsten Sturm! Toll geschrieben liebe Lore !

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  2. Liebe Lore,
    Fesselnd Deine Waldgeschichte mit Sturm.
    In der Not bilden sich Gemeinschaften und Harmonie. Eigentlich traurig, dass oft erst in der Not sowas möglich ist.

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  3. Liebe Lore,wer könnte ab und an nicht auch so eine Bärenhöhle gebrauchen. Schöne Geschichte. Liebe Grüße Roswitha

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  4. Liebe Lore,
    Herzlichen Dank für die schöne Geschichte, hat wieder sehr gefallen.
    Bin ein bayrischen Leser aus Hohenbrunn
    Monika hatte mich neugierig gemacht.
    Herzlich grüßt Rudi

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