Besuch aus Argentinien
Manchmal blätterte Helen in ihren alten Fotoalben und erinnerte sich an die alten Zeiten.
Sie schmunzelte wenn sie die alten Kleider von ihrer Großmutter sah.
"Ach,
Oma, du warst eine stolze Frau und deine Kleidung war stets angemessen.
Wenn du mich heute sehen könntest, in meinen ausgewaschenen Jeans, du
würdest das nicht gut finden!", seufzte Helen.
Doch dann schmunzelte sie und dachte:
"Wie wohl meine Enkel später über die Jeans denken und wie die Mode in ferner Zukunft wohl aussehen würde."
Sie blätterte weiter und sah sich selbst als kleines Kind neben der geliebten Oma stehen.
Ihre Gedanken schweifen in die Vergangenheit.
"Kleines
Lenchen, wie siehst du nur wieder aus?", hörte sie die Stimme ihrer
Oma. Damals hatte sie gedankenverloren im nassen Sand gespielt und ihr
gelbes Sommerkleidchen war von oben bis unten mit dunklem Matsch
bekleckert.
Oma war manchmal etwas zu sauber, wie Opa oft augenzwinkernd bemerkte, was ihm einen strengen Blick von dieser eintrug.
Aber richtig geschimpft hatte sie nie, nur seufzend das Kleidchen ausgezogen und in die Wäsche getan.
Und Helen hat sich vorgenommen, das nächste Mal gewiss aufzupassen, was aber selten gelang.
Als es an der Haustür klingelte, schlug Helen das Fotoalbum zu, fuhr sich durch die Haare und betätigte den Türöffner.
Im gleichen Moment ärgerte sie sich über sich selbst, denn wieder hatte sie nicht vorher nachgefragt, wer da vor der Tür stand.
Sie öffnete, wurde kreidebleich und wich entsetzt zurück.
"Oma, du bist doch ...?"
"Tot?
Ja leider ist meine liebe Cäcilie verstorben. Ich bin ihre jüngste
Schwester, deine Großtante Esther. Willst du mich nicht herein lassen?"
Helen trat einen Schritt zurück und die kleine Dame trippelte an ihr vorbei in die Wohnung.
Neugierig sah sie sich um.
"Schön hast du es hier."
"Danke! Du hast mir einen ganz schönen Schreck eingejagt, Tante Esther. Du siehst ja aus wie Omas Zwilling."
Helen
konnte es noch immer nicht fassen, gerade hatte sie noch ein inneres
Zwiegespräch mit Oma geführt und dann steht da Tante Esther vor der Tür,
die sie vorher noch nie gesehen hatte.
"Ja,
das ist schon seltsam, wir waren acht Geschwister und Cäcilie, die
Älteste und ich, die Jüngste und nur wir beiden sahen uns so ähnlich.
Hast du übrigens einen Kaffee für mich, du bist die erste meiner Verwandten, die ich besuche.
Gestern bin ich aus Hamburg gekommen, nachdem ich das Schiff aus Argentinien verlassen habe.
Nachdem
mein Mann gestorben ist, hatte ich auf einmal so Heimweh nach
Deutschland. Schade, dass ich meine liebe Schwester nicht mehr antreffe,
aber sie hat mir immer so lieb von dir erzählt, da wollte ich dich
kennenlernen."
Helen
bot ihrer Großtante einen Platz im Wohnzimmer an.
"Setz dich doch, ich
koche uns schnell einen Kaffee und ... du hast Glück, ich habe heute
Morgen einen Kuchen gebacken, nach Omas Rezept!"
Tante Esther lächelte. Das gefiel ihr, sehr sogar!
Zufrieden
machte sie es sich auf dem Sofa bequem und als der Kaffeeduft ihre Nase
umschmeichelte, wurde ihr so richtige wohlig zumute.
Das
Schicksal hatte ihr Kinder versagt, obwohl sie eine besonders
glückliche Ehe führten und manchmal hatte sie ihre Schwester beneidet,
wenn sie so begeistert von ihrer Familie und besonders ihrer geliebten
Enkelin in ihren Briefen berichtete.
Und
als sie von dem Tod der Schwester erfuhr, da stand ihr Entschluss fest.
Da ihr Mann kürzlich verstorben war, hielt sie nichts mehr in
Argentinien. Sie wollte diese von Cäcilie über alles geliebte Enkelin kennen lernen.
Helen kam aus der Küche mit einem Tablett und deckte flink den Tisch.
Dann setzte sie sich der Tante gegenüber und sah sie mit leuchenden Augen an.
"Ich
kann es noch gar nicht fassen!", sagte Helen.
"Gerade eben habe ich mir
die alten Fotos von Oma angesehen. Weißt du, ich vermisse sie so sehr.
Aber wenn du deinen Mann verloren hast, dann weißt du ja, wovon ich
rede"
"Und
ob ich das weiß, Kind. Aber jetzt gerade bin ich sehr froh. Gut, dass
ich mich auf den Weg gemacht habe zu dir." Beherzt biss sie in das
Kuchenstück. "Das ist Sandkuchen nach dem Rezept von Cäcilie. Ich kann
mich noch so gut an den Geschmack erinnern, obwohl ich ihn ewig nicht
gegessen habe."
Helene lächelte verträumt.
"Es ist, als wäre Oma jetzt bei uns."
"Ja,
das fühle ich auch gerade. Cäcilie hat dich sehr geliebt, Helen. Und
ich weiß, warum das so war. Du bist eine bezaubernde junge Frau!"
Helen errötete. Das erste Mal seit dem Tod ihrer Oma verspürte sie wieder Freude.
"Tante Esther, möchtest du eine Weile bei mir wohnen? Ich habe genug Platz und wir könnten zusammen die Verwandten besuchen!"
"Oh
wundervoll!" die alte Dame klatschte in die Hände. "Das ist viel
schöner als im Hotel, ich komme gerne zu dir. Weißt du was, ich lade
dich zum Essen in mein Hotel ein, dann können wir gleich meine Koffer
mitnehmen."
"Wieviele Koffer hast du denn?"
Die Tante winkte ab.
"Keine Bange, nur vier, die Schrankkoffer habe ich in Hamburg gelagert."
Sie lachte vergnügt, als sie Helenes entsetztes Gesicht sah.
"Ich will mich hier in der Nähe nach einem Haus umsehen, dann erst lasse ich meine Sachen nachkommen."
Helen
stimmte in ihr Lachen ein. Was waren schon vier Koffer? Die würde sie
mit Leichtigkeit unterbringen und vielleicht fand sich ja auch schnell
ein schönes Haus, in das ihre Tante einziehen konnte. Sie würde ihr bei
der Suche helfen.
Helene
stellte sich das herrlich vor. In ihrer Fantasie sah sie das Häuschen
schon vor sich. Ein großer Garten sollte es umgeben, wo man auf einer
Bank unter einem Baum sitzen konnte. Und viele Blumen sollten ihren Duft
verströmen.
Sie teilte der Tante ihre Vorstellungen mit und diese lächelte geheimnisvoll.
"Du hast keine Ahnung, liebe Helen, oder?", fragte die Tante und ihr Lächeln wurde noch eine Spur breiter.
"Nein, was meinst du denn?" Helen schaute ihre Tante erstaunt an.
"Nun, ich habe das Haus meiner Schwester geerbt, unter der Voraussetzung, dass ich es mit dir teile!"
Helen
ließ sich fassungslos zurück fallen. Niemand in der Verwandtschaft
wusste, was mit dem Haus geschehen sollte und viele spekulierten
darauf.
Und
nun durfte sie mit ihrer bereits lieb gewordenen neuen Tante dort
einziehen.Sie fiel dieser um den Hals und lachte und weinte vor Freude.
(c) Regina Meier zu Verl und Lore Platz
Ich hoffe die Geschichte hat euch gefallen und wünsche euch ein schönes Wochenende.
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