Der
alte Puppenspieler
Langsam
senkt sich die Dämmerung über den Marktplatz und es sind nur noch
wenige Menschen unterwegs.
Eine
leichte Brise wirbelt den Staub auf und der alte Mann senkt den Kopf
und schlägt den Kragen seines abgetragenen Mantels hoch.
Traurig
bückt er sich zu dem verbeulten Teller und schüttet die paar
Kupferstücke in die hohle Hand.
Niemand
hat mehr Interesse an seinem Puppenspiel, nicht mal die Kinder. Sie
laufen vorbei und spotten noch über seine langweiligen Puppen.
Müde
hebt er den schwarzen, abgeschabten Koffer, indem er liebevoll seine
'Kinder', wie er seine Puppen nennt,verstaut hat, auf und schlurft
mit gesenktem Kopf die Straße hinab.
Er
biegt in den kleinen Weg ein, der zum Häuschen seiner Schwester
führt, die ihm ein kleines Kämmerchen zur Verfügung gestellt hat,
als er sich nicht mehr als Puppenspieler selbst ernähren konnte.
Seinem
Schwager war das gar nicht Recht und er missgönnte ihm jeden Bissen.
Der
alte Mann öffnet die Holztür, die leise knarrt, als wollte sie
protestieren und tritt in den gefliesten Flur.
Sein
Schwager Paul tritt ihm entgegen.
„Na,
hast du heute gut verdient mit deinem Firlefanz,“ spottet er.
Martin
senkt den Kopf und will sich an ihm vorbei drängen, doch dieser hält
ihn am Arm fest.
„ Ich
habe es satt, dich unnützen Träumer noch weiter mit durch zu
füttern, du wirst in Zukunft auf dem Hof mitarbeiten.“
Hilde
tritt aus der Küche und stemmt die Arme in die Hüften.
„Lass
meinen Bruder in Ruhe, das bisschen was er isst, können wir immer
noch verkraften.“
„ Ins
Narrenhaus gehört er, ein alter Mann, der noch mit Puppen spielt!“
brummt ihr Mann und verlässt das Haus.
Hilde
aber legt liebevoll ihren Arm um Martins Schulter.
„Komm
mit in die Küche ich habe eine gute warme Suppe.“
Obwohl
Hilde einige Jahre jünger war als ihr Bruder hatte sie ihn schon als
Kind bemuttert und in Schutz genommen, wenn der Vater mal wieder grob
wurde, weil Martin lieber Puppen schnitzte und träumte, als auf dem
Hof zu arbeiten.
Sie
hatte für seine Puppen die Kleider genäht und auch ihm das Nähen
beigebracht.
Natürlich
durfte der Vater das nicht mitbekommen, dann hätte er sich noch mehr
erzürnt, wenn er seinen Sohn bei so einer weibischen Tätigkeit
erwischt hätte.
Als
die Eltern dann gestorben sind, war Hilde in die Stadt in Dienst
gegangen und Martin hatte seine Puppen in den Rucksack gepackt und
war über Land gezogen.
In
Dörfern und Städten hatte er alte Märchen und auch ausgedachte
Geschichten vorgeführt.
Reich
wurde er nicht, aber für eine warme Mahlzeit hatte es immer
gereicht.
Aber
sein schönster Lohn war doch das Lachen und die Freude der Kinder.
So
ging das viele Jahre, doch auf einmal wollten die Menschen keine
Puppenspiele mehr sehen und auch die Kinder fanden andere Spiele
interessanter.
Martin
war inzwischen alt geworden und auch das Leben auf der Straße wurde
immer beschwerlicher und so war er eines Tages vor der Tür seiner
Schwester gestanden.
Hilde
hatte ihn ohne viel zu Fragen aufgenommen.
Martin
löffelt schweigend seine Suppe und auch den
Milchkaffee
und das dick mit Butter bestrichene Brot lässt er sich schmecken.
In
seiner Kammer holt er seine Puppen aus dem Koffer und setzt sie
nebeneinander auf das alte Sofa.
Er
legt sich auf das Bett und verschränkt die Arme unter dem Kopf. Er
kann nicht schlafen, denn zu viele Gedanken gehen ihm durch den Kopf.
Die
Tür unten knarrt. Sein Schwager kommt wohl aus dem Wirtshaus zurück
und wenn er getrunken hat, fühlt er sich besonders stark.
Schon
hört man ihn brüllen, „ und dass du es genau weißt, der alte
Nichtsnutz kommt aus dem Haus, ich dulde es nicht länger, dass du
ihn durch fütterst.“
Martin
hebt sich die Ohren zu, um die streitenden Stimmen nicht mehr zu
hören.
Endlich
werden sie leiser und dann verstummen sie ganz.
Der
alte Mann setzt sich im Bett auf und sieht hinüber zu seinen Puppen
und flüstert. „Kinder, Morgen werden wir diese Haus verlassen. Ich
will nicht, dass meine Schwester ständig Ärger wegen mir bekommt.“
Es
dauert lange, bis er eingeschlafen ist, doch dann fallen ihm die
Augen zu und leise Schnarchtöne sind zu hören.
Auf
dem Sofa wird es auf einmal lebendig. Die Puppen recken und strecken
sich.
„Habt
ihr gehört,“ murmelt Friederich, der meistens die Rolle des
Kammerdieners spielen muss, „ Morgen will er ganz allein mit uns
weiter reisen.“
Kasperles
Oma sieht sehr besorgt aus.
„Ja,
das wird er nicht überleben, bald kommt der Winter und außerdem
will uns doch niemand mehr spielen sehen.
Er
wird verhungern.“
Alle
Puppen nicken betrübt, selbst der Räuber, die Hexe und das
Krokodil, die immer die Rolle der Bösewichte übernehmen müssen,
obwohl sie doch gar nicht so böse
sind.
„Hm,“
der Zauberer streicht über seinen langen grauen Bart, „Vielleicht
sollten wir die Puppenfee um Hilfe bitten?“
„Wer
ist die Puppenfee, wo wohnt sie und warum kann sie Meister Martin
helfen.“ so rufen die Puppen durcheinander.
„Die
Puppenfee wohnt in einem wunderschönen Land und ihre Helfer eilen
durch die ganze Welt um allen traurigen Puppen, die verlassen oder
durch Menschenhand zerstört wurden, zu sich zu holen und ihnen eine
neue Heimat zu geben,“ erklärt der Zauberer.
„ Weißt
du denn wo sie wohnt?“
(c) meine Tochter |
„Nicht
so genau, aber vor der Stadt im Wald wohnt Eulalia, die Eule, sie ist
sehr weise und kann uns weiter helfen.“
„Wir
können aber nicht alle gemeinsam losgehen, was wird Meister Martin
denken. Er wird einen großen Schreck bekommen. Wenn nur einer von
uns die Fee aufsucht, wird es ihm nicht auffallen,“ meint der
König, der sehr klug ist.
„Ich
werde gehen,“ meldet sich das Kasperle und alle sind einverstanden.
Wenig
später klettert der kleine Kerl durch das Fenster und lässt sich an
der Regenrinne hinab.
Mit
schnellen Schritten verlässt er den Hof und saust die Straße
entlang, die aus der Stadt führt. Atemlos kommt er im Wald an.
Müde
sinkt er ins Gras, lehnt sich an den Stamm eines Baumes und schließt
erschöpft die Augen.
„Warum
rennst du denn so?“
Kasperle
öffnet die Augen und sieht einen Igel vor sich, der ihn aus seinen
dunklen Knopfaugen neugierig mustert.
„Ich
muss zu Eulalia.“
„Das
geht jetzt nicht, die ist vor einiger Zeit zurück gekommen und
schläft jetzt sicher und wenn man sie aufweckt wird sie furchtbar
böse.“
„Darauf
kann ich keine Rücksicht nehmen, ich brauche unbedingt ihre Hilfe.“
„Na
ich weiß nicht,“ meint der Igel zweifelnd.
„Wenn
er Eulalies Hilfe benötigt, dann wird sie ihm auch helfen.“
Ein
Reh tritt zwischen den Büschen hervor.
„Komm,
setz' dich auf meinen Rücken, ich werde dich zu Eulalie bringen.“
wendet sie sich an das Kasperle.
Der
Igel zuckt nur mit der Nase und verschwindet im Gebüsch.
Kasperle
aber klettert auf den Rücken des hilfsbereiten Rehs und nun geht es
über Stock und Stein durch den Wald.
Vor
einer großen mächtigen Eiche bleibt das Reh stehen und deutet mit
dem Kopf nach oben.
„Siehst
du die große runde Öffnung, dort wohnt Eulalie.“
Kasperle
bedankt sich, richtet sich auf und greift nach dem nächsten Ast und
schwingt sich flink den Baum hinauf.
Das
Reh beobachtet ihn noch eine Weile bis er im Bau der Eule
verschwunden ist, dann läuft es weiter.
Kasperle
aber steht vor dem Bett der Eule, die mit leicht geöffnetem Mund
leise schnarcht. Es tut ihm leid sie zu wecken, denn war sie doch als
Nachttier die ganze Nacht unterwegs gewesen, aber dann denkt er an
Meister Martin und auch an seine Freunde und rüttelt die Eule leicht
an der Schulter.
Unwillig
brummt diese und dreht sich auf die andere Seite.
Doch
Kasperle lässt ihr keine Ruhe und ruft verzweifelt. „Bitte Frau
Eulalie, bitte ich brauche eure Hilfe.“
Die
Eule öffnet die Augen und blickt den Störenfried finster an.
„Bitte,
ich muss wissen wie ich zur Puppenfee komme. Es geht um Meister
Martin und seine Puppen. Wir brauchen Hilfe.“
Eulalie
setzt zu einer unwirschen Antwort an, doch dann sieht sie den
flehenden Blick des kleinen Kerls und ihr gutes Herz siegt.
„Wenn
du nicht weißt, wo die Puppenfee wohnt, dann ist es dir noch nie
schlecht gegangen.“
„Nein!“
Kasperle lächelt, „ unser Vater Meister Martin hat uns geschaffen
und all die Jahre geliebt und für uns gesorgt. Doch nun ist er alt
und niemand will unser Spiel
mehr
sehen und der Mann seiner Schwester ist böse und deshalb möchte
Meister Martin heute wieder auf Wanderschaft gehen. Aber er ist zu
alt für das Leben auf der Straße, deshalb will ich die Puppenfee um
Hilfe bitten und man hat mir gesagt, sie wüssten wie ich sie finden
kann.“
Eulalie
richtet sich seufzend auf.
„Das
ist ganz einfach, du musst die Puppenfee rufen und wenn du wirklich
in Not bist, wird sie dich finden. Aber nun lass mich schlafen.“
Die
Holzpuppe bedankt sich und klettert flink den Baum hinab. Einen
Moment bleibt sie stehen und überlegt, sollte es wirklich so einfach
sein?
Nun
er musste es versuchen.
Leise
ruft er: „ Liebe Puppenfee, ich brauche deine Hilfe.“
Aufmerksam
sieht er sich um, doch nirgends kann er jemanden entdecken. Mutlos
mit gesenktem Kopf verlässt er den Wald.
Als
er die große Lichtung erreicht, hört er plötzlich leises Lachen
und neben ihm geht eine wunderschöne Frau mit rotbraunen wallenden
Haaren. Das Kleid, das aus vielen Schleiern besteht ist fast so bunt
wie sein Kasperlegewand.
„Du
hast mich gerufen?“
Kasperle
starrt sie mit offenem Mund an. „Du bist die Puppenfee?“
Wieder
erklingt das melodische Lachen und schmeichelt sich in sein Herz.
„ Ja,
ich bin die Puppenfee und ich kenne deinen Kummer, denn schon viele
Jahre beobachte ich deinen Meister Martin und seine Liebe zu meinen
Geschöpfen. Längst habe ich beschlossen ihm helfen, also sorge dich
nicht.“
Sie
lächelt und Kasperle fühlt, wie all sein Kummer von ihm abfällt
und er ist sicher, dass alles gut wird.
„Aber
nun lauf, bald wird Meister Martin aufstehen und dann solltest du
wieder bei den anderen sein.“
Die
Puppenfee verschwindet, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
Nun
aber saust das Kasperle los, kommt über die Regenrinne ungesehen ins
Zimmer und ist gerade mit seinem Bericht fertig, als Meister Martin
sich in seinem Bett bewegt.
Etwas
schwerfällig erhebt er sich und schlurft ins angrenzende Bad.
Als
er zurück kommt nimmt er den Koffer und legt ganz liebevoll eine
Puppe nach der anderen hinein. Seine wenigen Habseligkeiten packt er
in den alten Rucksack, den er im Schrank verstaut hat, dann wirft er
noch einen Abschied nehmenden Blick ins Zimmer und geht langsam die
Treppe hinunter.
Er
hört Hilde in der Küche hantieren und deponiert Koffer und Rucksack
im Flur, dann tritt er zu seiner Schwester.
Diese
schenkt ihm ein liebevolles Lächeln.
„Guten
Morgen, Martin, setz' dich. Willst du wirklich wieder durch die
Gegend streifen. Es ist Sturm und Regen angesagt, da wird wohl
niemand stehen bleiben.“
„Ach
vielleicht kann ich ja in einer Gaststube spielen.“
Hilde
nickt nur, sie weiß dass niemand seine Puppen mehr sehen will, aber
sie schweigt. Sie weiß wie wichtig ihrem Bruder das Gefühl ist noch
etwas unternehmen zu können.
„Aber
wenn nicht, dann komm bitte nach Hause, aber nun trink deinen Kaffee
und iss deine Stulle.“
Nach
dem Frühstück bleibt der alte Mann unschlüssig stehen, dann umarmt
er seine Schwester.
„Nanu,
was ist denn heute mit dir los?“
„Ach
Hilde, ich will dir einfach nur mal danken, warst immer eine gute
Schwester.“
Sie
gibt ihm eine kleinen Klaps und brummt, um ihre Rührung zu
verbergen.
„Dafür
sind Geschwister doch da, aber nun nimm deine Brotzeit und bring
Freude mit deinen Puppen unter die Menschen.“
Martin
verlässt die Küche, dreht sich noch einmal um und wirft Hilde einen
langen Blick zu, unter dem es dieser ganz eigentümlich zu Mute wird.
Langsam
mit müden Schritten wandert er aus dem Dorf und das Herz ist ihm
schwer.
Nach
endlos scheinender Zeit hat er die nächste Ortschaft erreicht und
stellt sich auf den Marktplatz und holt seine 'Kinder' heraus.
Doch
die Menschen hasten vorbei und niemand hat Interesse für seine schön
geschnitzten Puppen.
Große
Tropfen fallen vom Himmel und schnell verstaut er die Marionetten im
Koffer. Er schlägt den Kragen hoch und eilt, um einen schützenden
Platz vor dem Regen zu finden.
In
einer alte Scheune lässt er sich aufatmend ins Heu sinken. Mit einem
großen karierten Taschentuch fährt er sich über das nasse Gesicht.
Ihm ist kalt und seine Zähne klappern, er fühlt sich so elend und
müde und dann fallen ihm die Augen zu.
Ein
überirdisch schönes Licht erhellt den alten Schuppen und vor ihm
steht eine junge Frau in einem kunterbunten Kleid und lächelt ihn
an.
„Martin,
komm mit!“
Und
sie hält ihm ihre feingliedrige Hand entgegen und wie in einem Traum
nimmt der Puppenspieler diese und folgt ihr. Sie erreichen einen
herrlichen großen Garten voller Sonnenschein in dem viele Puppen
fröhlich herum springen.
„Wo
bin ich hier?“
„ In
meinem Puppenreich, in dem vergessene und verletzte Puppen eine neue
Heimat finden, möchtest
du
mir helfen diese armen Geschöpfe wieder glücklich und gesund zu
machen?“
„Ach
bin doch so alt und müde.“
Die
Puppenfee lächelt und schnippt mit den Fingern und Martin spürt wie
seine Kraft zurück kehrt. Er dehnt und streckt sich.
Dann
sind auf einmal alle seine 'Kinder' hier und umringen ihn.
„Vater,
du bist ja auf einmal wieder jung!“ staunen sie.
Und
Martin bewegt seine durch Arthritis geschwächten Finger.
Sie
sind beweglich und ohne Schmerzen, da stößt er einen Jodler aus und
ruft fröhlich.
„Ich
will all den verletzten Geschöpfen helfen, hast du ein Schnitzmesser
für mich?“
Die
Puppenfee lächelt und führt ihn zu einem hübschen kleinen
Häuschen.
„Hier
kannst du mit deinen Kindern wohnen und nebenan ist eine Werkstatt.
Also willst du bei mir bleiben?“
„Ja!“
ruft Martin mit strahlenden Augen.
Am
nächsten Morgen fand man den alten Puppenspieler tot in der Scheune.
©
Lore Platz 25.01.2019
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