Dunkel
ist es in der schmalen Gasse, der leicht vermodernde Gestank aus den
überquellenden Mülltonnen raubte einem den Atem und nur einige
Ratten liefen mit schnüffelnder Nase herum.
Doch
als sie ein Geräusch hörten huschten sie schnell durch ein Loch in
dem alten Gemäuer einer Fabrik.
Ein
kleiner Junge von ungefähr zehn Jahren bog in die Gasse ein,
beschützend an sich gedrückt hielt er einen kleinen Welpen.
Es
war Antonio, seine Eltern waren vor einigen Monaten durch einen
Autounfall ums Leben gekommen und da er keine Verwandten hatte wurde
er in einem Waisenhaus untergebracht.
Er
hatte warme Kleider und zu essen, doch obwohl er zusammen mit zehn
anderen Jungen in einem großen Schlafsaal schlief, war er einsam.
Niemand
strich ihm liebevoll über das Haar, wie es seine Mutter oft getan
hatte, niemand neckte und lachte mit ihm wie es sein Vater getan
hatte und niemand war da, dem er den
großen Kummer um den Verlust der beiden liebsten und wichtigsten
Menschen im Leben, anvertrauen konnte.
Wochenlang
lebte er so dahin, fügte sich in den strengen Ablauf im Heim, aber
vereinsamte innerlich.
Bis
er auf einem Spaziergang einen kleinen verletzten Welpen fand. Tiere
waren aber nicht erlaubt im Heim und so versteckte er den kleinen
Hund, den er Strubbel nannte, in
einer kleinen abgelegenen Kammer im Keller, fütterte ihn mit dem vom
Tisch abgesparten Resten und pflegte seine verletzte Pfote.
Doch dann wurde Strubbel entdeckt und sollte ins Tierheim.
Nachts
als alle schliefen sind die beiden ausgerissen.
Antonio setzte sich und teilte die Stulle, die ihm einer der Obdachlosen unter der Brücke zugesteckt hatte, mit Strubbel.
Polizeisirenen
ertönten und hastige Schritte erklangen in der Gasse.
Der
Junge drückte sich in die Ecke und versuchte mit dem Schatten zu
verschmelzen.
Er wagte sich kaum zu atmen und legte auch dem Welpen die Hand auf die Schnauze.
Er wagte sich kaum zu atmen und legte auch dem Welpen die Hand auf die Schnauze.
„ Ein
Glück die Bullen sind vorbei gefahren, was machste denn?“
„Will
mal sehen, was wir geschnappt haben, die Frau ist doch steinreich,
blöd nur, dass die Haushälterin so früh nach Hause kam.“
„Nun
lass das jetzt, nicht dass die Bullen uns doch noch erwischen!“
„Aua,
du Grobian!“
Etwas
fiel auf den Boden, dann verklangen die Schritte in der Ferne.
Jetzt
erst ließ der Junge den strampelnden Hund frei, der sofort los lief,
schnüffelte und leise winselte.
„Was
hast du denn da?“
Antonio
bückte sich und hob das Kästchen auf, das die Diebe verloren
hatten.
Es
war aus massiven Holz und rotbraun lasiert und mit bunten Steinen
verziert.
Wieder
ertönten die Sirenen des Polizeiwagens und schnell stopfte der Junge
seinen Fund in den Rucksack, eilte zu der metallenen grauen Tür der
alten Fabrik und drückte dagegen.
In
einer dunklen Ecke fand Antonio einige leer alte Säcke und machte
sich davon ein Bett.
Dicht
aneinander geschmiegt kuschelten sie sich zusammen.
Antonio faltete die Hände und betete wie seine Mutter es ihn gelehrt hatte und plötzlich war ihm als würde ihm jemand ganz sachte über die Haare streichen.
Und
glücklich schlief er ein.
Als
er erwachte schien die Sonne durch die schmutzigen Fenster, Schnuffel
war nirgends zu sehen.
Antonio
holte das gefundene Kästchen aus dem Rucksack und betrachtete es von
allen Seiten.
Kein
Verschluss war zu erkennen.
Vorsichtig
hob er den Deckel an, doch nichts geschah.
Mit
dem Daumen fuhr er an der Vertiefung an der Seite entlang, spürte
einen Widerstand, drückte dagegen und der Deckel hob sich.
Enttäuscht
sah er hinein, kein Goldschatz verbarg sich darin, nur einige alte
Briefe, eine blonde Haarlocke mit einem blauen Band zusammen gebunden
und kleine gehäkelte Babyschuhe.
Er
schloss die Truhe und steckte sie in den Rucksack zurück.
Nachdem
er die Säcke ordentlich zusammen gelegt, klopfte er sich den Staub
aus den Kleidern und machte sich auf die Suche nach Strubbel.
Er
fand ihn unter einem tropfenden Wasserhahn, wo er versuchte die
Tropfen mit der Zunge aufzufangen.
Als er den Jungen erblickte lief er kläffend mit flatternden Ohren auf ihn zu und sprang begeistert an ihm hoch.
Antonio
streichelte seinen kleinen Freund, dann drehte er den Wasserhahn auf
und fing mit gewölbten Händen das Wasser auf um zu trinken, während
Strubbel begeistert aus der Pfütze schlabberte, die sich am Boden
bildete.
Nachdem
sich der Junge etwas gewaschen hatte, zog er die
Kappe
tief ins Gesicht, stopfte den Welpen unter seine Jacke, schulterte
den Rucksack und verließ die Fabrik.
Seinen
knurrenden Magen ignorierend stromerte er durch die Straßen.
Als
er laute Stimmen hörte, drückte er sich in eine Ecke unbeobachtet
von den Frauen, die vor einer Bäckerei sich aufgeregt unterhielten.
„Eine
Schande, man ist doch seines Lebens nicht mehr sicher, die Gauner,
wenn ich nicht früher nach Hause gekommen wäre, hätten sie das
ganze Haus ausgeräumt!“ ereiferte
sich eine ältere mollige Frau.
„Ja,
die nette Dame, hat sie denn nicht so schon genug Unglück, als vor
Jahren ihr Mann und ihre kleine Tochter tödlich
verunglückt sind!“ rief eine junge Frau und Tränen stiegen in
ihre Augen.
„Das
schlimmste aber ist, dass die Diebe nicht nur den Schmuck, sondern
auch das Kästchen in dem die gnädige Frau die Erinnerungen an Mann
und Kind aufbewahrt hatte, mitnahmen. Dabei ist das Kästchen noch
nicht einmal wertvoll!
Aber
nun muss ich mich verabschieden, meine Gnädige wird bald aufstehen
und dann muss ich das Frühstück richten. Auf Wiedersehen!“
Antonio knabberte an der Unterlippe. Was sollte er tun, auch ihm war nur ein Bild seiner Eltern geblieben und es wäre schrecklich würde er es jemals verlieren.
Dann
fasste er einen Entschluss.
Er
folgte der Haushälterin, die in eine Nebenstraße einbog und dann
durch ein großes schmiedeeisernes Tor in einem parkähnlichen Garten
verschwand, in dessen Hintergrund man eine Villa sehen konnte.
Antonio
schlüpfte durch das Tor und klingelte kurze Zeit später an der Tür
des großen Hauses.
Die mollige Frau öffnete und betrachtete ihn Stirn runzelnd.
„Was
willst du ?“
Antonio
nahm all seinen Mut zusammen.
„Ich
hätte gern die gnädige Frau gesprochen.“
„Warum?“
„Das
möchte ich ihr lieber selber sagen.“
Die
Frau musterte ihn und der Junge fürchtete schon sie würde ihm die
Tür vor der Nase zuschlagen.
Doch
dann lächelte sie.
„Komm
herein, ich bin übrigens die Magda, die gnädige Frau ist gerade im
Bad, du musst noch ein wenig warten, komm mit in die Küche, hast
sicher Hunger.“
Bald
saß der Junge vor einer Tasse Kakao und einem dicken Marmeladenbrot.
„Kann
mein Freund auch etwas haben?“
„Ist
noch ein Junge vor der Tür?“
Antonio
errötete und schüttelte den Kopf und öffnete den Reißverschluss
seiner Jacke und Strubbels Kopf kam freudig hechelnd zum Vorschein.
Magda
lachte herzlich und knuddelte den kleinen Kerl, der ihr begeistert
die Hand leckte.
Bald
hatte auch der Hund eine Schüssel voll Leckereien und schob in
seiner Begeisterung diese über den Boden, damit ihm ja nicht ein
Stückchen entging.
Antonio
zuckte zusammen als ein schriller Ton ertönte und aus einem Kessel
Wasserdampf quoll.
Nun
lief Magda geschäftig hin und her, füllte Tee in eine Kanne,
stellte Butter, Marmelade und Toast auf ein Tablett.
„Ich
bringe jetzt der gnädigen Frau das Frühstück und sage ihr, dass du
sie sprechen willst.“
Gleich
darauf kam sie wieder.
„Die
gnädige Frau erwartet dich. Wasch dir aber noch die Hände.“
Magda
fuhr ihm auch noch mit einem Kamm durch die Haare dann wies sie auf
die Tür des Esszimmers.
„Klopf
aber an.“
Antonio
nahm seinen Rucksack, Schnuffel aber wurde von Magda zurück
gehalten.
Mit
bangem Herzen blieb der Junge vor der Tür stehen, dann fasste er
sich ein Herz und klopfte an.
Eine
feine Dame etwa Ende dreißig blickte ihm freundlich entgegen, als er
schüchtern eintrat.
„Komm
nur näher, setz' dich doch, du wolltest mich sprechen?“
Antonio
lief blutrot an und wusste nicht wie er anfangen sollte.
„Gnädige
Frau,“ stotterte er.
Ein
helles Lachen erklang.
„ Ich
bin keine Gnädige, ich bin Frau Baumgartner.“
„Aber
Magda nannte sie doch 'gnädige Frau' ?“
„Ja,
Magda, die findet das besonders vornehm und ich kann es ihr nicht
abgewöhnen. Aber nun habe keine Angst, sag frei von der Leber weg, was du für ein Anliegen hast.“
Der
Junge sah in die freundlichen Augen der Frau, öffnete den Rucksack,
zog das Kästchen heraus und stellte es auf den Tisch.
Frau
Baumgartner wurde blass.
Vorsichtig fuhr sie mit dem Finger in die Vertiefung und der Deckel sprang auf.
Vorsichtig fuhr sie mit dem Finger in die Vertiefung und der Deckel sprang auf.
Tränen
liefen ihr über die Wangen, als sie bemerkte, dass nichts von den
für sie so kostbaren Schätzen fehlte.
„Wo
hast du es gefunden?“
Antonio
atmete auf, hatte er doch befürchtet, die Dame würde ihn vielleicht
des Diebstahls verdächtigen, doch als er in ihre freundlichen Augen
sah, fasste er Vertrauen und erzählte ihr von dem Tod der Eltern,
dem Waisenhaus aus dem er ausgerissen war, wegen Schnuffel und von
den Dieben in der Gasse und wie er zufällig Magda und die anderen
Frauen belauschte und auch wie er fühlte, dass diese Erinnerungen in
dem Kästchen sehr wichtig wären, denn auch ihm war nur ein Bild von
den Eltern geblieben.
Frau
Baumgartner sprang auf, zog den Jungen in ihr Arme und nun weinten
beide.
„Oh
Jott oh Jott, was ist denn hier los?“ polterte Magda, die nachsehen
wollte, warum es solange dauerte.
Frau
Baumgartner deutete auf das Kästchen und Magda schlug die Hände
über dem Kopf zusammen und nun liefen auch ihr die Tränen über das
Gesicht.
Schnuffel
aber auf der Suche nach Antonio, entdeckte die nicht ganz
geschlossene Tür und drückte solange mit der Nase dagegen bis er
sich durchzwängen konnte.
Fröhlich
kläffend sprang er auf sein Herrchen zu und wusste vor lauter Freude
nicht wohin.
Unter
Tränen lächelnd meinte Frau Baumgartner:
„Das
ist also dein Freund Strubbel?“
Antonio
nickte, straffte sich und sagte ernst.
„Ich
weiß, dass sie jetzt die Polizei und das Waisenhaus verständigen müssen, aber würden sie bitte
für Strubbel ein Zuhause finden.“
Er
schluckte und versuchte tapfer zu sein.
Die
Dame fuhr ihm liebevoll über das Haar, wie es seine Mutter immer
gemacht hatte und der Junge fühlte sich, seltsam und auch ein wenig traurig.
„Sicher,
müssen wir das Waisenhaus verständigen, denn man macht sich sicher
Sorgen, aber vielleicht können du und Strubbel ja hier bleiben. Was
meinst du Magda?“
„Ja,“
strahlte diese, „Zeit das wieder Leben ins Haus kommt!“
Natürlich
dauerte es einige Wochen bis mit den Ämtern alles geregelt war, aber
dann wurde aus Antonio Salvatore, Antonio Salvatore -Baumgartner.
©
Lore Platz 2.09.2019
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