Er
war so wütend an diesem Tag gewesen.
Als
er die Probe mit der Fünf auf den Tisch legte zum Unterschreiben,
hatte sein Vater gebrüllt, er hätte einen Versager in die Welt
gesetzt!
Und
seine Mutter kreischte, genau wie sein Vater und wenn sie damals
nicht schwanger gewesen wäre, hätte sie ihn niemals geheiratet.
Und
schon waren sie wieder im schönsten Streit.
Arne
hatte das Haus verlassen, sie haben es nicht einmal bemerkt.
In
ihm aber war soviel Wut, Hass und Verzweiflung und da kam Pascal
daher und irgendwie ist dann alles aus dem Ruder gelaufen.
Arne
hält es nicht länger im Bett aus, er zieht sich an und springt aus
dem Fenster.
Schneidende
Kälte umfasst ihn.
Die
Hände tief in den Taschen vergraben, den Kopf eingezogen stapft er
durch den Schnee.
Sein
Weg führt ihn zu den Klippen.
Dort
zieht es ihn immer hin, wenn er vor Kummer nicht mehr weiter weiß.
Er
lehnt sich an den Felsen und betrachtet den sternenklaren Himmel.
Er
spürt die Kälte nicht mehr und dann legt er den Kopf auf die Knie
und weint, wie er noch nie in seinem Leben geheult hat.
Und
all die Verzweiflung und der Hass von vielen Jahren löst sich und
er fühlt, wie die Kruste um sein Herz sich auflöst und er nichts
weiter ist als ein verzweifelter kleiner Junge.
Und
dann weiß er, was er zu tun hat.
Morgen
würde er zum Vater von Pascal gehen und ihm anbieten eine neue Geige
zu kaufen.
Nach
der Schule wollte er sich einen Job suchen und sie ab stottern.
Mutlos
lässt er die Schultern sinken.
Was
so eine Geige wohl kosten würde?
Der
Mond ist inzwischen aufgegangen und taucht die eisige Landschaft in
sein silbernes Licht.
Plötzlich
sieht Arne gegenüber etwas aufblitzen.
Er
wischt sich über die Augen, die Tränen haben ihm wohl einen Streich
gespielt
Wieder
ein Blinken, es kommt aus der Höhle in den Felsen.
Arne
glaubt nicht an die Legende, dass ein Pirat in einer der Höhlen
einen Schatz versteckt hat, aber er ist doch neugierig.
Er
umrundet die Klippen und klettert vorsichtig die steile Wand hinunter
und springt auf den Absatz, der in die Höhle hinein führt.
Dunkelheit
umgibt ihn, denn das Mondlicht dringt nicht bis in das Innere der
Höhle.
Vorsichtig
tastet Arne sich an den kahlen Wänden entlang.
Enttäuscht
will er schon umkehren, als es aus der hintersten Ecke wieder
aufblitzt.
Seine
Augen haben sich schon ein wenig an das Dunkel gewöhnt und so geht
er weiter.
Wieder
blinkt es und zwar direkt vor ihm.
Der
Junge bückt sich und keucht überrascht auf.
Vor
ihm liegt eine Geige, die nun zu strahlen beginnt, als hätte sie nur
auf ihn gewartet, um ihr Licht zu entfalten.
Sie
ist aus Glas und in ihrem Innern leuchtet es, als wäre die Sonne
darin gefangen.
Arne
lacht glücklich und die Felsenwände werfen sein Lachen mehrfach
zurück.
Schnell
bückt er sich, hebt behutsam das Instrument mitsamt dem Bogen auf
und schiebt es unter seine Jacke.
Dann
macht er sich an den schwierigen Aufstieg.
So
schnell er kann läuft er nach Hause und es ist, als würden ihn
seine Beine von selber tragen.
In
seinem Zimmer wickelt er das kostbare Instrument in eine Decke und
schiebt es unter das Bett.
Gleich
morgen früh würde er die Geige zu Pascal bringen.
Glücklich
schläft er ein.
Aber
er fühlt sich frisch und ausgeruht.
Schnell
springt er aus dem Bett, bückt sich und zieht das Paket hervor.
Vorsichtig
wickelt er die Geige aus der Decke und betrachtet sie staunend.
Wie
wunderschön sie ist.
Behutsam
fährt er mit der Hand über das Gehäuse und zupft ganz zart mit dem
Finger die Saiten.
Er
schlüpft in seine Jacke, wickelt die Geige wieder in die Decke und
klettert aus dem Fenster.
Es
ist noch sehr früh und das Dorf ist wie ausgestorben.
Arne
klopft an Pascals Fenster.
Das
verschlafene Gesicht des Jungen erscheint und verschwindet wieder.
Verzweifelt
klopft Arne noch einmal.
Die
Tür öffnet und sich und Pascal sieht ihn wütend an.
„Du
weckst ja meine Eltern auf. Was willst du?“
„Komm
mit, ich muss dir was zeigen!“
Pascal
knöpft sich seinen Mantel zu und folgt etwas misstrauisch dem
Jungen.
Arne
wartet unter der großen Kastanie in der Ortsmitte auf ihn.
Etwas
verlegen sieht er Pascal entgegen, dann sagt er ernst:
„Es
tut mit leid, dass ich deine Geige kaputt gemacht habe, es war dumm
und gemein von mir und ich danke dir, dass du mich nicht verraten
hast. Doch sieh mal,was ich in einer der Höhlen in den Klippen
gefunden haben.“
Er
wickelt das Instrument aus und Pascal bekommt kugelrunde Augen.
„Die
ist ja wunderschön,“ flüstert er ehrfürchtig und nimmt die Geige
in die Hand.
„Sie
ist vollkommen aus Glas, wie sie wohl klingt?“
„Spiel,“
flüstert Arne.
Pascal
stützt die Geige unterm Kinn ab und fährt
sachte
mit dem Bogen über die Saiten.
Er
zarter heller Ton erklingt.
Und
dann beginnt Pascal zu spielen, zuerst ein Menuett von Mozart, dann
einen Walzer von Johann Brahms und schließlich die Träumerei von
Robert Schumann.
Und
die Geige jauchzt, jubelt und singt und es ist als würden die Töne
zum Himmel aufsteigen.
Plötzlich
ist ein tiefes Grollen zu hören, als würde ein Gewitter aufziehen.
Ein
großer weißer Wolf taucht am Ortseingang auf und kommt auf sie zu,
die Lefzen zurückgezogen und aus seinen roten Augen schießen kleine
Blitze.
Die
beiden Jungen rücken ängstlich zusammen.
Auf
einmal steht Mutter Erde neben ihnen.
„Spiel
weiter Pascal!“
Und
obwohl sein Magen sich vor Angst verkrampft, lässt der Junge die
Geige singen und jubilieren und es ist als würde sie von selber
spielen.
Der Wolf bleibt stehen, setzt sich auf die Hinterläufe und
beginnt fürchterlich zu heulen.
Pascal
aber lässt sich nicht beirren, er spielt weiter.
Das
Heulen des Wolfes geht in ein Winseln über, er dreht sich um und
läuft davon.
„Wir
haben sie besiegt, wir haben die Eishexe besiegt!“ jubelt Mutter
Erde.
„Spiel
weiter mein Junge, spiele weiter, vielleicht weckst du meinen Sohn!“
Und
Pascal spielt und die Töne umschmeicheln das Land und der Schnee
beginnt zu schmelzen.
In
den Häusern ringsum gehen die Lichter an und die Menschen kommen aus
ihren Häusern.
Ein Rauschen und Brausen ertönt und das Meer beginnt wilde Wellen zu schlagen und aus den Fluten steigt ein junger schöner Mann.
Er
ist ganz in Grün gekleidet und in seinem langen goldbraunen Haar
sind Blumen geflochten.
Und
als er den Boden betritt, erblühen unter jedem seiner Schritte die
schönsten Blumen.
Die
Menge teilt sich, als er auf sie zu schreitet.
Er
verneigt sich vor Mutter Erde und diese nimmt ihn mit Tränen in den
Augen in den Arm.
Dann
wendet sie sich an die Menschen, die sie voller Staunen betrachten.
„Wir
alle waren in großer Gefahr. Die Eishexe wollte die Weltherrschaft
erringen und hat meinen Sohn, den Frühling gefangen genommen.
Zum
Glück konnte er auf der Flucht seine Zaubergeige verstecken.
Diese
beiden mutigen Jungen haben sie gefunden und zum Spielen gebracht und
so konnte der Bann der Eishexe gebrochen werden.“
„Hoch
Pascal, hoch Arne!“ rufen die Kinder und die anderen stimmen mit
ein.
Pascal
sieht zu seinen Eltern, die ihm mit Tränen in den Augen zulächeln.
Auch
Arnes Blick gleitet über die Menge, doch er kann seine Eltern
nirgends entdecken.
Der
Frühling aber beugt sich zu Pascal und streckt die Hand aus.
„Nun
werde ich weiter spielen und die Natur zum Leben erwecken.“
Fröhliche
Weisen spielend dreht er sich um und ringsum beginnt der Schnee
restlos zu schmelzen.
Alles
fängt an zu blühen und selbst an der großen Kastanie sprießen die
ersten Triebe.
Mutter
Sonne und ihre Töchter schieben mit ganzer Kraft die dicken Wolken
weg und senden ihr Licht und ihre Wärme auf die Erde.
Die
Leute jubeln und strecken ihre Gesichter der Sonne entgegen.
Mutter
Erde hebt die Hand und Stille tritt ein.
„Da
diese beiden tapferen Jungen uns alle aus einer großen Gefahr
gerettet haben, werde ich jedem einen Wunsch erfüllen. Nun Arne, was
wünscht du dir?“
Arne
senkt den Kopf und sagt so leise, dass nur Mutter Erde ihn verstehen
kann.
„Ich
habe nichts verdient.“
Mutter
Erde beugt sich zu ihm hinunter und flüstert:
„Durch
deine gute Tat hast du deinen Fehler wieder gut gemacht, aber ich
werde mir für dich einen Wunsch ausdenken.“
Sie
richtet sich auf und sagt.
„Unser
Arne ist noch so überwältigt, dass ihm gar nicht einfällt, also
werde ich mir für ihn etwas ausdenken.“
Alles
lacht.
„Und
was wünscht du dir denn Pascal?“ fragt Mutter Erde.
„Lass
dir dein lahmes Bein wegzaubern!“ ruft Arne.
Pascal
lächelt, dann sucht sein Blick seine Eltern und langsam schüttelt
er den Kopf.
„Nein,
ich habe mein lahmes Bein schon so lange und es stört mich nicht,
aber...“
Er
wendet sich an Mutter Erde und murmelt:
„ Ich
hätte so gerne eine neue Geige.“
Lächelnd
streckt Mutter Erde die Hand aus und hält auf einmal eine
wunderschöne glänzende Geige in den Händen und reicht sie an
Pascal weiter.
Sie
ist viel viel schöner als seine alte Geige und als er den Bogen
ansetzt, erklingen die Töne so zart und so rein.
Pascal
lacht fröhlich und beginnt eine übermütige Weise zu spielen und
die Menschen tanzen auf der inzwischen grünen blühenden Wiese.
Mutter
Erde aber wendet sich um und geht leise davon.
Nun
gibt es nicht mehr viel zu erzählen.
Arne
und Pascal wurden die besten Freunde.
Und
wehe, einer schaute Pascal nur schief an, dann war Arne schon da mit
geballten Fäusten.
Arnes
Eltern schafften es endlich sich zu trennen und ließen sich
scheiden.
Da
keiner von beiden aber Arne wollte, ging der Vater von Pascal zum
Bürgermeister und setzte es durch, dass Arne bei Ihnen bleiben
durfte.
Arne
war nun der glücklichste Junge und dachte im Stillen, ob das wohl
der Wunsch von Mutter Erde für ihn war.
Pascal
wurde, wie nicht anders zu erwarten ein weltberühmter Geiger und
Arne?
Nun
der wurde … Geigenbauer!
Doch
die Freundschaft der Beiden hielt bis an ihr Lebensende.
©
Lore Platz
Liebe Lore,
AntwortenLöscheneine wunderschöne Geschichte - die noch ein versöhnliches Ende hatte.
Danke für deine Mühe.
Einen harmonischen Donnerstagabend wünscht Dir
Irmi
Liebe Lore, hast eben den Bogen raus, für Harmonie zu sorgen.
AntwortenLöschenDanke für diese schöne Geschichte, nun kann ich mich schlafen legen Gute Nacht