Freitag, 26. Januar 2024

Die Zaubergeige - Ende




Er war so wütend an diesem Tag gewesen.
Als er die Probe mit der Fünf auf den Tisch legte zum Unterschreiben, hatte sein Vater gebrüllt, er hätte einen Versager in die Welt gesetzt!
Und seine Mutter kreischte, genau wie sein Vater und wenn sie damals nicht schwanger gewesen wäre, hätte sie ihn niemals geheiratet.
Und schon waren sie wieder im schönsten Streit.
Arne hatte das Haus verlassen, sie haben es nicht einmal bemerkt.
In ihm aber war soviel Wut, Hass und Verzweiflung und da kam Pascal daher und irgendwie ist dann alles aus dem Ruder gelaufen.
Arne hält es nicht länger im Bett aus, er zieht sich an und springt aus dem Fenster.
Schneidende Kälte umfasst ihn.
Die Hände tief in den Taschen vergraben, den Kopf eingezogen stapft er durch den Schnee.
Sein Weg führt ihn zu den Klippen.
Dort zieht es ihn immer hin, wenn er vor Kummer nicht mehr weiter weiß.
Er lehnt sich an den Felsen und betrachtet den sternenklaren Himmel.
Er spürt die Kälte nicht mehr und dann legt er den Kopf auf die Knie und weint, wie er noch nie in seinem Leben geheult hat.
Und all die Verzweiflung und der Hass von vielen Jahren löst sich und er fühlt, wie die Kruste um sein Herz sich auflöst und er nichts weiter ist als ein verzweifelter kleiner Junge.
Und dann weiß er, was er zu tun hat.
Morgen würde er zum Vater von Pascal gehen und ihm anbieten eine neue Geige zu kaufen.
Nach der Schule wollte er sich einen Job suchen und sie ab stottern.
Mutlos lässt er die Schultern sinken.
Was so eine Geige wohl kosten würde?
Der Mond ist inzwischen aufgegangen und taucht die eisige Landschaft in sein silbernes Licht.
Plötzlich sieht Arne gegenüber etwas aufblitzen.
Er wischt sich über die Augen, die Tränen haben ihm wohl einen Streich gespielt
Wieder ein Blinken, es kommt aus der Höhle in den Felsen.
Arne glaubt nicht an die Legende, dass ein Pirat in einer der Höhlen einen Schatz versteckt hat, aber er ist doch neugierig.
Er umrundet die Klippen und klettert vorsichtig die steile Wand hinunter und springt auf den Absatz, der in die Höhle hinein führt.
Dunkelheit umgibt ihn, denn das Mondlicht dringt nicht bis in das Innere der Höhle.
Vorsichtig tastet Arne sich an den kahlen Wänden entlang.
Enttäuscht will er schon umkehren, als es aus der hintersten Ecke wieder aufblitzt.
Seine Augen haben sich schon ein wenig an das Dunkel gewöhnt und so geht er weiter.
Wieder blinkt es und zwar direkt vor ihm.
Der Junge bückt sich und keucht überrascht auf.
Vor ihm liegt eine Geige, die nun zu strahlen beginnt, als hätte sie nur auf ihn gewartet, um ihr Licht zu entfalten.
Sie ist aus Glas und in ihrem Innern leuchtet es, als wäre die Sonne darin gefangen.
Arne lacht glücklich und die Felsenwände werfen sein Lachen mehrfach zurück.
Schnell bückt er sich, hebt behutsam das Instrument mitsamt dem Bogen auf und schiebt es unter seine Jacke.
Dann macht er sich an den schwierigen Aufstieg.
So schnell er kann läuft er nach Hause und es ist, als würden ihn seine Beine von selber tragen.
In seinem Zimmer wickelt er das kostbare Instrument in eine Decke und schiebt es unter das Bett.
Gleich morgen früh würde er die Geige zu Pascal bringen.
Glücklich schläft er ein.




Als er am nächsten Tag erwacht ist es noch dämmrig draußen.
Aber er fühlt sich frisch und ausgeruht.
Schnell springt er aus dem Bett, bückt sich und zieht das Paket hervor.
Vorsichtig wickelt er die Geige aus der Decke und betrachtet sie staunend.
Wie wunderschön sie ist.
Behutsam fährt er mit der Hand über das Gehäuse und zupft ganz zart mit dem Finger die Saiten.
Er schlüpft in seine Jacke, wickelt die Geige wieder in die Decke und klettert aus dem Fenster.
Es ist noch sehr früh und das Dorf ist wie ausgestorben.
Arne klopft an Pascals Fenster.
Das verschlafene Gesicht des Jungen erscheint und verschwindet wieder.
Verzweifelt klopft Arne noch einmal.
Die Tür öffnet und sich und Pascal sieht ihn wütend an.
Du weckst ja meine Eltern auf. Was willst du?“
Komm mit, ich muss dir was zeigen!“
Pascal knöpft sich seinen Mantel zu und folgt etwas misstrauisch dem Jungen.
Arne wartet unter der großen Kastanie in der Ortsmitte auf ihn.
Etwas verlegen sieht er Pascal entgegen, dann sagt er ernst:
Es tut mit leid, dass ich deine Geige kaputt gemacht habe, es war dumm und gemein von mir und ich danke dir, dass du mich nicht verraten hast. Doch sieh mal,was ich in einer der Höhlen in den Klippen gefunden haben.“
Er wickelt das Instrument aus und Pascal bekommt kugelrunde Augen.
Die ist ja wunderschön,“ flüstert er ehrfürchtig und nimmt die Geige in die Hand.
Sie ist vollkommen aus Glas, wie sie wohl klingt?“
Spiel,“ flüstert Arne.
Pascal stützt die Geige unterm Kinn ab und fährt
sachte mit dem Bogen über die Saiten.
Er zarter heller Ton erklingt.
Und dann beginnt Pascal zu spielen, zuerst ein Menuett von Mozart, dann einen Walzer von Johann Brahms und schließlich die Träumerei von Robert Schumann.
Und die Geige jauchzt, jubelt und singt und es ist als würden die Töne zum Himmel aufsteigen.
Plötzlich ist ein tiefes Grollen zu hören, als würde ein Gewitter aufziehen.
Ein großer weißer Wolf taucht am Ortseingang auf und kommt auf sie zu, die Lefzen zurückgezogen und aus seinen roten Augen schießen kleine Blitze.
Die beiden Jungen rücken ängstlich zusammen.
Auf einmal steht Mutter Erde neben ihnen.
Spiel weiter Pascal!“
Und obwohl sein Magen sich vor Angst verkrampft, lässt der Junge die Geige singen und jubilieren und es ist als würde sie von selber spielen.
Der Wolf bleibt stehen, setzt sich auf die Hinterläufe und beginnt fürchterlich zu heulen.
Pascal aber lässt sich nicht beirren, er spielt weiter.
Das Heulen des Wolfes geht in ein Winseln über, er dreht sich um und läuft davon.
Wir haben sie besiegt, wir haben die Eishexe besiegt!“ jubelt Mutter Erde.
Spiel weiter mein Junge, spiele weiter, vielleicht weckst du meinen Sohn!“
Und Pascal spielt und die Töne umschmeicheln das Land und der Schnee beginnt zu schmelzen.
In den Häusern ringsum gehen die Lichter an und die Menschen kommen aus ihren Häusern.




Ein Rauschen und Brausen ertönt und das Meer beginnt wilde Wellen zu schlagen und aus den Fluten steigt ein junger schöner Mann.
Er ist ganz in Grün gekleidet und in seinem langen goldbraunen Haar sind Blumen geflochten.
Und als er den Boden betritt, erblühen unter jedem seiner Schritte die schönsten Blumen.
Die Menge teilt sich, als er auf sie zu schreitet.
Er verneigt sich vor Mutter Erde und diese nimmt ihn mit Tränen in den Augen in den Arm.
Dann wendet sie sich an die Menschen, die sie voller Staunen betrachten.
Wir alle waren in großer Gefahr. Die Eishexe wollte die Weltherrschaft erringen und hat meinen Sohn, den Frühling gefangen genommen.
Zum Glück konnte er auf der Flucht seine Zaubergeige verstecken.
Diese beiden mutigen Jungen haben sie gefunden und zum Spielen gebracht und so konnte der Bann der Eishexe gebrochen werden.“
Hoch Pascal, hoch Arne!“ rufen die Kinder und die anderen stimmen mit ein.
Pascal sieht zu seinen Eltern, die ihm mit Tränen in den Augen zulächeln.
Auch Arnes Blick gleitet über die Menge, doch er kann seine Eltern nirgends entdecken.
Der Frühling aber beugt sich zu Pascal und streckt die Hand aus.
Nun werde ich weiter spielen und die Natur zum Leben erwecken.“
Fröhliche Weisen spielend dreht er sich um und ringsum beginnt der Schnee restlos zu schmelzen.
Alles fängt an zu blühen und selbst an der großen Kastanie sprießen die ersten Triebe.
Mutter Sonne und ihre Töchter schieben mit ganzer Kraft die dicken Wolken weg und senden ihr Licht und ihre Wärme auf die Erde.
Die Leute jubeln und strecken ihre Gesichter der Sonne entgegen.
Mutter Erde hebt die Hand und Stille tritt ein.
Da diese beiden tapferen Jungen uns alle aus einer großen Gefahr gerettet haben, werde ich jedem einen Wunsch erfüllen. Nun Arne, was wünscht du dir?“
Arne senkt den Kopf und sagt so leise, dass nur Mutter Erde ihn verstehen kann.
Ich habe nichts verdient.“
Mutter Erde beugt sich zu ihm hinunter und flüstert:
Durch deine gute Tat hast du deinen Fehler wieder gut gemacht, aber ich werde mir für dich einen Wunsch ausdenken.“
Sie richtet sich auf und sagt.
Unser Arne ist noch so überwältigt, dass ihm gar nicht einfällt, also werde ich mir für ihn etwas ausdenken.“
Alles lacht.
Und was wünscht du dir denn Pascal?“ fragt Mutter Erde.
Lass dir dein lahmes Bein wegzaubern!“ ruft Arne.
Pascal lächelt, dann sucht sein Blick seine Eltern und langsam schüttelt er den Kopf.
Nein, ich habe mein lahmes Bein schon so lange und es stört mich nicht, aber...“
Er wendet sich an Mutter Erde und murmelt:
Ich hätte so gerne eine neue Geige.“
Lächelnd streckt Mutter Erde die Hand aus und hält auf einmal eine wunderschöne glänzende Geige in den Händen und reicht sie an Pascal weiter.
Sie ist viel viel schöner als seine alte Geige und als er den Bogen ansetzt, erklingen die Töne so zart und so rein.
Pascal lacht fröhlich und beginnt eine übermütige Weise zu spielen und die Menschen tanzen auf der inzwischen grünen blühenden Wiese.
Mutter Erde aber wendet sich um und geht leise davon.

Nun gibt es nicht mehr viel zu erzählen.
Arne und Pascal wurden die besten Freunde.
Und wehe, einer schaute Pascal nur schief an, dann war Arne schon da mit geballten Fäusten.
Arnes Eltern schafften es endlich sich zu trennen und ließen sich scheiden.
Da keiner von beiden aber Arne wollte, ging der Vater von Pascal zum Bürgermeister und setzte es durch, dass Arne bei Ihnen bleiben durfte.
Arne war nun der glücklichste Junge und dachte im Stillen, ob das wohl der Wunsch von Mutter Erde für ihn war.

Pascal wurde, wie nicht anders zu erwarten ein weltberühmter Geiger und Arne?
Nun der wurde … Geigenbauer!
Doch die Freundschaft der Beiden hielt bis an ihr Lebensende.

© Lore Platz


2 Kommentare:

  1. Liebe Lore,
    eine wunderschöne Geschichte - die noch ein versöhnliches Ende hatte.
    Danke für deine Mühe.
    Einen harmonischen Donnerstagabend wünscht Dir
    Irmi

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  2. Monika aus Dresden27. Januar 2024 um 01:07

    Liebe Lore, hast eben den Bogen raus, für Harmonie zu sorgen.
    Danke für diese schöne Geschichte, nun kann ich mich schlafen legen Gute Nacht

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