Mittwoch, 30. September 2020

Plauderecke Das Mädchen Narges


Ich will nicht über das Flüchtlingsproblem, über das schon so viel ohne Erfolg diskutiert wurde, schreiben.
Doch die schlimmen Ereignisse auf Lesbos erwecken mein Mitgefühl und auch meinen Ärger.
Da sitzen Vertreter von 27 Ländern am runden Tisch bei Häppchen und Getränken und reden und reden und heraus kommt wieder mal nur heiße Luft. Sie vergessen, dass es sich nicht um Gereidesäcke handelt, sondern um Menschen, die obdachlos sind und hungern und frieren.


Als 2015 die Flüchtlinge in unser Land kamen, da schrieb ich diese Geschichte. Meine Tochter hat damals drei Schwestern aus Afghanistan geholfen, die deutsche Sprache zu lernen. 
Und deren wahre Geschichte kommt in meiner Erzählung vor.




 




Das Mädchen Narges

Voller Elan verlässt Ellen die Schwimmhalle.
Als sie ihren Freundinnen begegnet, hebt sie voller Triumph die Faust.
Ich habe es geschafft! Ich bin die Beste !“
Lilly und Mia kichern,“ Ja hast du die Neue gesehen, ängstlich wie ein Kaninchen starrte sie ins Wasser und wollte nicht hinein springen.“
Ellen grinste, „sie ist wohl wasserscheu“.
Rita schlendert aus der Umkleidekabine.
Da wo die herkommt gibt es bestimmt kein Wasser, das sieht man doch an ihrer dreckigen Haut und den hässlichen schmuddeligen Kleidern.“
Ellen sieht sie ernst an.
Das ist gemein. Narges ist nicht schmutzig, sie hat nur eine dunklere Haut und ihre Kleider sind sauber und ordentlich.“
Rita mustert sie spöttisch. „ Sie ist ein Flüchtling und hat hier bei uns nichts verloren. Soll sie doch dahin gehen wo sie herkommt. Wir wollen sie hier nicht haben.“
Ellen stemmt die Arme in die Hüfte.
In ihrem Land ist Krieg. Wie würdest du dich fühlen, wenn hier die Bomben fielen und du ständig um dein Leben bangen müsstest.“
Rita tritt einen Schritt auf sie zu, sodass ihre Nasen sich fast berührten.
Wir sind nicht die Wohlfahrt und müssen all den Pöbel aufnehmen, der sich hier bloß von uns durchfüttern lassen will.“
Ach ich habe nicht gemerkt, dass dir etwas abgeht. Dein Pausenbrot war vom feinsten und du trägst nur Markenkleidung.“
Wir können uns das ja auch leisten!“
Ellen ballt die Fäuste, doch Mia und Lilly ziehen sie zurück.
Lass dich nicht provozieren, kümmere dich nicht um ihr dummes Geschwätz, die ist doch bloß neidisch, weil Narges in manchen Fächern besser ist wie sie, außerdem müssen wir zurück ins Klassenzimmer.“
Frau Sandmann betrachtet sie Stirn runzelnd.
Schön, dass ihr auch noch kommt. Setzt euch, ich habe gerade erklärt, dass ihr bis nächsten Dienstag ein Referat vorbereiten sollt. Ihr arbeitet immer zu zweit und das Thema dürft ihr jeweils selbst bestimmen“.
Natürlich wollen die drei Freundinnen am liebsten zu dritt das Referat halten, doch die Lehrerin bestimmt, dass Mia und Lilly sich zusammen taten und da Ellen die beste Note in Deutsch hatte sollte sie Narges helfen.
Nach der Stunde gibt Ellen dem Mädchen einen Zettel mit ihrer Adresse und bittet sie heute Nachmittag am 15Uhr zu ihr zu kommen.
Etwas scheu und ängstlich betritt Narges das schöne Einfamilienhaus und folgt Ellen in ihr Zimmer.
Staunend sieht sie sich in dem großen hellen freundlichen Raum um.
Gehört dies ganz allein dir?“
Ellen nickt. „Hast du kein Zimmer?“
Wir haben im Wohnheim einen viel kleineren Raum und dort leben wir zu sechst. Meine Eltern, ich und meine drei Schwestern.“
Allmählich verliert das Mädchen ihre Scheu und als Ellen sie fragt, warum sie so wasserscheu sei, erzählt sie, dass sie bei der Flucht auf dem Meer beinahe ertrunken wäre.
Und Ellen denkt beschämt und wir haben sie ausgelacht.
Nach und nach erfährt sie Narges Geschichte.
Narges war gerade elf Jahre als ein Mann der Taliban
zu ihrem Vater kam und sie mit einem seiner Krieger verheiraten wollte.
Da haben ihre Eltern noch in derselben Nacht das nötigste eingepackt und sind mit ihren vier Mädchen geflohen.
Gespannt und entsetzt lauscht Ellen den Schilderungen der Flucht und dann kommt ihr eine Idee.
Sie sollten das Referat über die Geschichte von Narges halten, damit sich ihre Schulkameraden ein Bild von ihrem Schicksal machen konnten.
Narges ist sofort einverstanden.
Als die beiden Mädchen in der folgenden Woche ihr Referat halten schwimmen Tränen in den Augen der
Kinder und selbst Rita macht ein betroffenes Gesicht.

© Lore Platz




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6 Kommentare:

  1. Liebe Lore,
    wie gut, dass jemand da war, der sich gekdümmert hat. Eine hochaktuelle Geschichte, die ein Beispiel dafür gibt, wie Hilfe auch aussehen kann!
    Herzliche Grüße
    Regina

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  2. Liebe Lore,
    eine sehr aktuelel Geschichte. Schön, dass du sie
    hier vorstellst. Zum Nachdenken geeignet.
    Einen schönen Tag wünscht dir
    Irmi

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  3. Liebe Lore,
    wir sind leider oft voller Vorurteile - und nicht nur, was die aktuelle Flüchtlings-Situation anbelangt ...
    Man sollte wirklich erst mal die Hintergründe einer Situation erforschen, bevor man ein Urteil fällt! Und da nehme ich mich selbst nicht aus!
    Liebe Grüße, und schöne Pfingstfeiertage.
    Christine

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  4. Liebe Lore, ich finde es ganz großartig, dass du dieses brisante Thema in einer Geschichte verarbeitet hast. - Ja, es gibt diese Stimmen, genau wie du es beschreibst. --- Ich habe auch die eine oder andere Geschichte gehört, die einer Flucht vorangegangen sind. Das geht unter die Haut. Wer sich die Mühe macht, diesen Menschen zuzuhören, muss ein Herz aus Stein besitzen, wenn er danach nicht der Meinung ist: Wir müssen es zumindest versuchen, dass Leid ein wenig zu mildern. --- Danke und frohe Pfingsten, liebe Lore! Martina

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  5. Liebe Lore, hoch aktuell und prisantydning deine Geschichte. Das wird uns alle noch lange beschäftigen. Gestern in den Medien dieser Junge, der nach Afghanistan abgeschoben werden sollte und seine Klassenkameraden für ihn demonstriert haben. Kriminelle bleiben im Land und machen Attentate. Und Menschen, die schon integriert , sind werden abgeschoben. Alles sehr ungerecht. Liebe Grüße Eva

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  6. Liebe Lore,
    Du hast ein hochaktuelles Thema für Deine Geschichte gewählt. Sie regt sehr zum Nachdenken an. Der Mensch reagiert oft auf Fremdes und Unbekanntes mit Vorurteilen, was sich auch hier wieder zeigt. Kennt man die Hintergründe, sieht plötzlich alles anders aus.
    Herzliche Grüße
    Astrid

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