Ich will nicht über das Flüchtlingsproblem, über das schon so viel ohne Erfolg diskutiert wurde, schreiben.
Doch die schlimmen Ereignisse auf Lesbos erwecken mein Mitgefühl und auch meinen Ärger.
Da sitzen Vertreter von 27 Ländern am runden Tisch bei Häppchen und Getränken und reden und reden und heraus kommt wieder mal nur heiße Luft. Sie vergessen, dass es sich nicht um Gereidesäcke handelt, sondern um Menschen, die obdachlos sind und hungern und frieren.
Als 2015 die Flüchtlinge in unser Land kamen, da schrieb ich diese Geschichte. Meine Tochter hat damals drei Schwestern aus Afghanistan geholfen, die deutsche Sprache zu lernen.
Und deren wahre Geschichte kommt in meiner Erzählung vor.
Das
Mädchen Narges
Voller
Elan verlässt Ellen die Schwimmhalle.
Als
sie ihren Freundinnen begegnet, hebt sie voller Triumph die
Faust.
„Ich
habe es geschafft! Ich bin die Beste !“
Lilly
und Mia kichern,“ Ja hast du die Neue gesehen, ängstlich wie ein
Kaninchen starrte sie ins Wasser und wollte nicht hinein springen.“
Ellen
grinste, „sie ist wohl wasserscheu“.
Rita
schlendert aus der Umkleidekabine.
„Da
wo die herkommt gibt es bestimmt kein Wasser, das sieht man doch an
ihrer dreckigen Haut und den hässlichen schmuddeligen Kleidern.“
Ellen
sieht sie ernst an.
„Das
ist gemein. Narges ist nicht schmutzig, sie hat nur eine dunklere
Haut und ihre Kleider sind sauber und ordentlich.“
Rita
mustert sie spöttisch. „ Sie ist ein Flüchtling und hat hier bei
uns nichts verloren. Soll sie doch dahin gehen wo sie herkommt. Wir
wollen sie hier nicht haben.“
Ellen
stemmt die Arme in die Hüfte.
„In
ihrem Land ist Krieg. Wie würdest du dich fühlen, wenn hier die
Bomben fielen und du ständig um dein Leben bangen müsstest.“
Rita
tritt einen Schritt auf sie zu, sodass ihre Nasen sich fast
berührten.
„Wir
sind nicht die Wohlfahrt und müssen all den Pöbel aufnehmen, der
sich hier bloß von uns durchfüttern lassen will.“
„Ach
ich habe nicht gemerkt, dass dir etwas abgeht. Dein Pausenbrot war
vom feinsten und du trägst nur Markenkleidung.“
„Wir
können uns das ja auch leisten!“
Ellen
ballt die Fäuste, doch Mia und Lilly ziehen sie zurück.
„Lass
dich nicht provozieren, kümmere dich nicht um ihr
dummes Geschwätz, die ist doch bloß neidisch, weil Narges in
manchen Fächern besser ist wie sie, außerdem müssen wir
zurück ins Klassenzimmer.“
Frau
Sandmann betrachtet sie Stirn runzelnd.
„Schön,
dass ihr auch noch kommt. Setzt euch, ich habe gerade erklärt, dass
ihr bis nächsten Dienstag ein Referat vorbereiten sollt. Ihr
arbeitet immer zu zweit und das Thema dürft ihr jeweils selbst
bestimmen“.
Natürlich
wollen die drei Freundinnen am liebsten zu dritt das Referat halten,
doch die Lehrerin bestimmt, dass Mia und Lilly sich zusammen taten
und da Ellen die beste Note in Deutsch hatte sollte sie Narges
helfen.
Nach
der Stunde gibt Ellen dem Mädchen einen Zettel mit ihrer Adresse und
bittet sie heute Nachmittag am 15Uhr zu ihr zu kommen.
Etwas
scheu und ängstlich betritt Narges das schöne Einfamilienhaus und
folgt Ellen in ihr Zimmer.
Staunend
sieht sie sich in dem großen hellen freundlichen Raum um.
„Gehört
dies ganz allein dir?“
Ellen
nickt. „Hast du kein Zimmer?“
„Wir
haben im Wohnheim einen viel kleineren Raum und dort leben wir zu
sechst. Meine Eltern, ich und meine drei Schwestern.“
Allmählich
verliert das Mädchen ihre Scheu und als Ellen sie fragt, warum sie
so wasserscheu sei, erzählt sie, dass sie bei der Flucht auf dem
Meer beinahe ertrunken wäre.
Und
Ellen denkt beschämt und wir haben sie ausgelacht.
Nach
und nach erfährt sie Narges Geschichte.
Narges
war gerade elf Jahre als ein Mann der Taliban
zu
ihrem Vater kam und sie mit einem seiner Krieger verheiraten wollte.
Da
haben ihre Eltern noch in derselben Nacht das nötigste eingepackt
und sind mit ihren vier Mädchen geflohen.
Gespannt
und entsetzt lauscht Ellen den Schilderungen der Flucht und dann
kommt ihr eine Idee.
Sie
sollten das Referat über die Geschichte von Narges halten, damit
sich ihre Schulkameraden ein Bild von ihrem Schicksal machen konnten.
Narges
ist sofort einverstanden.
Als
die beiden Mädchen in der folgenden Woche ihr Referat halten
schwimmen Tränen in den Augen der
Kinder
und selbst Rita macht ein betroffenes Gesicht.
©
Lore Platz
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