Mein Buschwindröschen – Erinnerungen
„Weißt
du, Oma und ich, wir haben uns an einem schönen Tag im März kennen
gelernt. Es war die Begegnung mit einem Engel“, erzählt mein
Großvater und sein Blick fliegt ins Leere, während er sich
erinnert.
„Oma war das schönste Mädchen, das ich je gesehen
habe!“
Er muss sie sehr geliebt haben, meine Oma, und niemand
versteht das so gut wie ich. Auch ich habe sie geliebt und
bewundert.
„Erzähl noch ein bisschen, Opa“, bitte ich.
„Ach
Kind, du weißt das doch schon alles!“
„Das macht nichts,
Opa. Bald ist ihr Geburtstag und was können wir ihr Schöneres
schenken, als uns gemeinsam an sie zu erinnern?“
Opa
nickt.
„Sollen wir heute zum Friedhof gehen?“, fragt er und
ich stimme sofort zu.
Unser Weg führt durch ein kleines
Waldstück. Alles ist uns hier vertraut, denn unzählige Male sind
wir in den vergangenen Jahren hier entlang gelaufen.
Als wir zu
der Lichtung kommen, die in jedem Jahr mit unzähligen weißen
Sternchen besiedelt ist, bleiben wir stehen.
„Ist das nicht
wunderschön?“, fragt Opa.
Ich kann kaum sprechen vor
Ergriffenheit, denn ich weiß, was er als nächstes sagen wird.
„Ich
habe sie immer „Mein Buschwindröschen“ genannt. Sie war so zart
und so verletzlich. Wenn sie traurig war, dann schlossen sich ihre
Blütenblätter und sie ließ niemanden an sich heran.“
Ich
lasse die Tränen laufen und weine ungeniert.
„Nicht weinen,
Schatz, alles ist gut!“
Nun muss er mich auch noch trösten,
dabei wird er sie noch viel mehr vermissen als ich. Ich reiße mich
zusammen, trockne die Tränen und umarme meinen Großvater.
„Eines
Tages muss ich auch gehen“, flüstert er mir ins Ohr. „und du
weißt dann, dass ich wieder mit ihr vereint bin und wir werden uns
von dort, wo wir sind, die Buschwindröschenwiese anschauen und dir
fröhlich zuwinken.“
Ich schlucke den Kloß herunter, der im
Hals steckt, nehme meinen Opa an die Hand und nach ein paar Minuten
erreichen wir den Friedhof.
Still stehen wir Arm in Arm vor dem
Grab und gehen unseren Gedanken nach, als ich plötzlich etwas hinter
dem Stein hervorblitzen sehe. Ich trete näher heran und erkenne: ein
Buschwindröschen.
„Schau, Opa!“
„Ein Wunder!“,
sagt er und strahlt. „Ein Wunder!“