Die
Oma hatte ihr gestern nur erzählt, dass sie mit Frau Naumann einst
in die Dorfschule gegangen ist, bis diese dann ins Gymnasium kam.
Christiane
macht es sich im Sessel bequem und öffnet das Buch.
„ Der
Geiger und das Jesuskind
Mit
einem dumpfen Knall schließt sich das große Gefängnistor hinter
Sebastian.
Fest
umfasst seine Hand den Geigenkasten.
Mitten
aus der Probe hatte man ihn damals verhaftet, denn er hatte einen
Scheck seines Chefs gefälscht. Zwei Jahre war er nun im Gefängnis
gewesen.
Er
sieht sich um, doch niemand ist da, um ihn abzuholen. Sein Eltern
hatten ihn ein paarmal besucht und insgeheim hatte er gehofft, dass
sein Vater jetzt hier wäre und ihn mit nach Hause nähme.
Leise
beginnt es zu schneien und Sebastian steigt in den Bus, der ihn in
die Stadt bringt.
In
der Jackentasche steckt ein Zettel mit der Adresse eines
Sozialarbeiters, der ihm weiter helfen sollte.
In
der Stadtmitte steigt er aus.
Die
Schneeflocken waren dicker geworden und die Straßen sind kaum zu
sehen, trotzdem bemerkt er, dass alles weihnachtlich geschmückt ist.
Ach
ja, morgen war ja der Heilige Abend.
Letztes
Jahr hatte er ihn in der JVA verbracht. Sie sangen Weihnachtlieder in
dem großen Gemeinschaftsraum und es gab sogar Plätzchen. Von seinen
Eltern war ein Paket gekommen.
Was
sie morgen wohl machen und ob sie ihn überhaupt sehen wollen?
Auf
einmal steht er vor einem Pfandleihhaus.
Sollte
er die Geige versetzen? Ein paar Euro würde sie bestimmt bringen und
er könnte sich eine ordentliche Mahlzeit kaufen.
Doch
dann geht er entschlossen weiter.
Nein,
die Geige hatte seinem Großvater gehört,lieber hungern.
Aus
den dicken Schneeflocken ist inzwischen ein Schneesturm geworden.
Sebastian
schlägt den Kragen seiner Jacke hoch und hastet vorwärts.
Er
sieht kaum die Hand vor den Augen.
Plötzlich
stößt er an eine Stufe und sieht eine Kirche vor sich.
Dort
würde er Schutz finden vor dem grässlichen Wetter.
Mühsam
drückt er die schwere Tür auf und schlüpft hinein.
Stille
umfängt ihn.
Er
setzt sich auf eine der Bänke und legt den Geigenkasten neben sich.
Es
riecht nach Weihrauch und Tannen, denn ein großer Adventskranz hängt
vorne am Altar von der Wand herunter. Die Dochte aller vier Kerzen
sind schwarz. Am Sonntag war ja der vierte Advent gewesen.
Unter
dem Adventskranz aber ist die heilige Familie aufgebaut.
Josef
in seinem braunen schweren Umhang, den Blick in die Ferne gerichtet,
als mache er sich Sorgen über irgendetwas.
Maria
in einem blauen langen Kleid einen weißen Schleier über dem Kopf
sieht voller Liebe auf ihr Kind.
Das
Jesuskind aber liegt in der Krippe, die Hände weit ausgebreitet als
wollte es die ganze Welt umarmen.
Auf
einmal dringt ein Sonnenstrahl durch die bunte Scheibe des
Kirchenfensters und Sebastian ist, als würde das Jesuskind ihn
anlächeln.
Wie
unter Zwang holt er seine Geige aus dem Kasten
und
geht mit langsamen Schritten nach vorne.
Er
hebt die Geige, stützt sie unterm Kinn ab und dann beginnt er zu
spielen. Lieblich strömen die Töne hervor und er spielt so schön,
wie er noch nie gespielt hat.
Die
Geige jubelt und jauchzt zu Ehren Gottes und das Jesuskind strahlt
ihn freundlich an.
Sebastian
wird ganz warm ums Herz und er spürt wie all sein Kummer sich löst
und mit den Tönen verschwindet.
Wie
aus einem Traum erwachend lässt er die Geige sinken und bemerkt in
der Tür zur Sakristei einen Priester, der Tränen in den Augen hat
und nun mit schnellen Schritten auf ihn zu eilt und ihm beide Hände
entgegenstreckt.
Erschrocken
wendet Sebastian sich um und geht mit schnellen Schritten davon.
Der
Pfarrer schürzt seine schwarze Soutane und läuft ihm nach.
„Junger
Mann warten sie doch, sie sind die Erhörung auf meine Gebete.“
Sebastian
bleibt stehen und wendet sich um.
Atemlos
setzt sich der Priester in eine Bank und winkte ihn an seine Seite.
„ Man
sollte fast an ein Wunder glauben, euch hat der Herrgott geschickt.“
Sebastian
lacht bitter auf.
„Hochwürden,
dann doch eher der Teufel. Ich bin ein Sünder und wurde gerade aus
dem Gefängnis entlassen.“
Der
Pfarrer sieht ihm lange in die Augen, dann lächelt er.
„Ihr
habt gute Augen und wenn ihr gerade aus dem Gefängnis kommt, dann
habt ihre eure Strafe verbüßt.“
Ein
verschmitztes Lächeln gleitet über sein Gesicht.
„Aber
Gott liebt doch die Sünder, wisst ihr das nicht? Jesus selbst hat
doch gesagt:
Gott
freut sich mehr über 99 Sünder, als über einen Gerechten.“
Er
packt Sebastian am Arm und zerrt ihn zur Sakristei.
„Kommt
mit, meine Köchin soll uns einen guten Kaffee kochen und ich kann
dir versprechen, sie hat einen prima Stollen und ihre Plätzchen
zergehen auf der Zunge. Du kannst mir ja dann erzählen warum du im
Gefängnis warst und ich sage dir, warum ich denke dass der liebe
Gott dich ausgerechnet heute in meine Kirche geführt hat.“
Als
sie dann in der warmen gemütlichen Stube sitzen erzählt ihm
Sebastian seine Geschichte.
Wie
er Lotte kennen gelernt hat und diese immer nur in die besten
Restaurant, schicke Kleider und Schuhe und teure Wochenendreisen
wollte. Und wie sein Konto hoffnungslos überzogen war und er dann
einen Scheck seines Chefs gefälscht hatte.
Die
Enttäuschung seiner Eltern und die Angst sie heute aufzusuchen.
Der
Priester hat ihm ruhig zugehört, dann sagt er.
„Hast
du denn deine Tat bereut?“
„Schon
tausendmal!“
„Siehst
du, dann hat Gott dir auch längst vergeben und sonst hätte er dich
heute auch nicht zu mir geschickt.“
Auf
den fragenden Blick von Sebastian erklärt er ihm, dass vor einigen
Tagen die Orgel kaputt gegangen ist und die Reparatur länger dauern
wird.
Aber
über die Weihnachtstage hatten sie keine musikalische Begleitung.
Und
er fragt ihn, ob er den Kinderchor mit seiner Geige begleiten würde.
Mit
strahlenden Gesicht nickt Sebastian.
Der
Pfarrer bietet ihm sein Gästezimmer an und am Nachmittag ruft er den
Chor zusammen, damit sie noch miteinander üben können.
Und
am HL. Abend steht Sebastian mit dem Kinderchor vor dem Altar und seine
Geige jubelt wie noch nie.
Und
als er nach dem wunderbaren Liede:
„Stille
Nacht, heilige Nacht“ die Geige sinken lässt sieht er in der
ersten Bank seine Eltern sitzen, die beide Tränen in den Augen
haben.“
Frau
Naumann lässt das Buch sinken.
Ingelore
hat schon längst mit dem Basteln aufgehört und ist ganz blass im
Gesicht.
„Stimmt
es, dass Gott auch die Sünder liebt?“
Christiane
nickt.
Sie
hat mit Bedacht extra diese Geschichte gewählt.
Das
Mädchen aber atmet auf, als wäre eine schwere Last von ihrer Seele
genommen und ein glückliches Leuchten liegt in ihren Augen.
Frau
Naumann aber blättert ein wenig in dem Buch, sie möchte dem Mädchen
etwas Zeit geben, sich zu fange, dann ruft sie.
"Jetzt aber genug gearbeitet, nun machen wir es uns bei Kakao und Plätzchen gemütlich."
An diesem Abend schläft Ingelore tief und fest, als wäre eine schwere Last von ihr genommen.
Morgen geht es weiter
Wieder eine schöne Geschichte Lore - ich liebe sie !
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