Dienstag, 5. November 2024

Die Hände einer Mutter

Schwere Zeiten sind es für uns im Moment, sowie viele Generationen vor uns  und viele nach uns  auch schwere Zeiten erleben, denn das Leben ist niemals leicht oder gerecht. Wünsche euch einen schönen Tag. 

Ist der November auch trüb und grau

Die Wolken nicht  mehr himmelblau

wir müssens ertragen

doch denkt daran in 26 Tagen

zünden wir schon das erste Kerzlein an

 

 

(c)RMzV




 


Hände haben mich schon immer fasziniert und wenn ich einem Menschen zum ersten Mal begegnete, dann sah ich zuerst auf seine Hände.
Dabei weiß ich nicht einmal warum, vielleicht aus einem Instinkt heraus, denn es ist wichtig welchen Händen man sich anvertraut.
Mein Vater hatte große, warme Hände, Hände denen man sich anvertrauen konnte. Wenn die ganze Familie sonntags zu einem Spaziergang aufbrach, dann schlüpfte meine kleine Hand in seine große und ich wusste, es kann mir nichts geschehen.
Dieses Gefühl hatte ich bis zu seinem Tod.
Es war auch das Bild der betenden Hände von Albrecht Dürer, das sein Sterbebildchen zierte.
Albrecht Dürer schuf diese Zeichnung wohl nach seinen eigenen Händen, gedacht war sie für einen im Jahre 1507 von Josef Heller, einen Frankfurter Patrizier, bestellten Altar und galt wohl als Vorlage für eine Apostelfigur.
Für uns aber war sie das Sinnbild für die arbeitsamen Hände unseres Vaters, der immer für seine Familie da war und oft seine Hände schützend über uns hielt.
Meine Mutter hatte feine zarte Hände, Künstlerhände und unter ihren Händen entstanden auch die schönsten Handarbeiten.
Doch der Krieg und die Zeit danach hat diese Hände auch zu groben Arbeiten gezwungen. 
Von Holzhacken bis stundenlang am Waschbrett stehen musste sie alle Arbeiten verrichten und blieb doch immer Dame dabei.




Mein Mann war kein Schönling, aber er hatte starke, sensible Hände, denen man sich anvertrauen konnte und ich habe es nie bereut. Je mehr man über Hände nachdenkt merkt man, wie wichtig diese doch sind und vor allem wie sehr man doch aufpassen muss, sich den richtigen Händen anzuvertrauen.
Denn Hände können nicht nur Schönes schaffen, sie können auch zerstören.
Sie können unendlich zärtlich sein, aber auch grausam und brutal.
Sie können erschaffen und zerstören!
Sie können Wunderschönes schreiben, aber auch Hassparolen an die Wände schmieren.
Ich wünsche mir, dass die Welt immer in guten starken Händen liegt, damit die bösen zerstörerischen Hände niemals die Oberhand gewinnen.



Dies könnte die Geschichte meiner Eltern sein







 Die Hände einer Mutter


Adelheid sitzt am offenen Fenster, die schönen zarten Hände im Schoß verschlungen und sieht träumend hinaus. Sie bemerkt nicht die Schmetterlinge die fröhlich tanzend die Blumen umgaukeln. 
Hört nicht das eifrige Summen der Bienen, die in die geöffneten Kelche schlüpfen und mit schweren Körbchen davon fliegen. Auch das Zirpen der Grillen erreicht sie nicht, denn ihre Gedanken sind bei Arthur, dem Mann, dem all ihre Liebe gilt.
Es klopft und er tritt herein.
Leicht errötend sieht sie ihm entgegen.
Und als er ihr dann den Verlobungsring an den Finger steckt und sie anschließend mit fröhlich blitzenden Augen herum schwenkt, ist ihr Glück vollkommen.
Wenige Monate später schreitet sie am Arm ihres Vaters durch den Mittelgang der geschmückten Kirche und ihr Vater übergibt sie seinem Schwiegersohn.
Ein Jahr später wird ihre kleine Tochter Amelie geboren und als sie über das samtweiche Köpfchen streicht, da fühlt sie sich als der glücklichste Mensch unter der Sonne.
Sie ahnt noch nicht, welch steiniger, dorniger Weg vor ihr liegt.
Dunkle Wolken erscheinen am Himmel und das Kriegsgeschrei wird immer lauter.
Und eines Tages steht Arthur in Uniform vor ihr und seine Augen, die immer so lustig blitzten, sind ernst und traurig.
Mit beiden Händen umfasst sie sein geliebtes Gesicht und
flüstert: „Gott schütze dich und lasse dich gesund wieder kehren.“ Und in beider Augen stehen Tränen.
Ein letzter Kuss, eine stumme Umarmung und er geht.
Adelheid bleibt mit wehen Herzen zurück, doch ihrer Tochter zuliebe versucht sie den Alltag so normal wie möglich zu gestalten.
Der Krieg hat das eigene Land noch nicht erreicht und hier geht alles weiter wie immer.
Nur die Mütter und Frauen die ihre Söhne und Männer an der Front haben, weinen heimlich stille Tränen.
Wenn ein Feldpostbrief kommt, dann öffnet Adelheid ihn mit zitternden Händen und atmet erleichtert auf, dass er noch lebt, doch sie liest auch den Schmerz und den Kummer zwischen den Zeilen.
Abends wenn die Kleine schläft, dann schreibt sie ihm und erzählt von der kleinen Amelie, dass sie nun schon laufen kann und beginnt die Umwelt, die sie faszinierend findet, zu erforschen.
Sie jammert nicht, sie klagt nicht, sie bemüht sich die Briefe heiter zu gestalten und so schickt sie ihm einen kleinen Sonnenstrahl in die grausame, blutige Welt, die ihn umgibt.
Der Krieg, der nur ein Jahr dauern sollte, wird immer schlimmer und grausamer und die Jahre vergehen und immer noch ist kein Ende in Sicht.
Und als Amelie gerade eingeschult wird erreicht er das eigene Land.
Wenn das schrille Kreischen des Fliegeralarms ertönt, nimmt sie mit der einen Hand Amelie, mit der anderen den gepackten Koffer und läuft in den Keller.
Dort tröstet sie das verängstigte Kind, streichelt zärtlich ihre Locken und dann beginnt sie mit ihrer schönen Stimme zu singen. Die anderen Kinder im Raum scharren sich um sie und beginnen die Kinderlieder mitzusingen und lauschen den Geschichten, die sie ihnen erzählt.
Eine Bombe trifft das Haus ihrer Eltern und begräbt beide darin.
Zu all dem Schmerz kommt auch noch die Sorge um Arthur, denn schon lange war kein Brief mehr gekommen.
Doch Amelie zuliebe verschließt sie ihren Kummer ganz tief in ihrem Herzen.
Auch wird der Alltag von Tag zu Tag schwerer und die Lebensmittel knapper.
Oft müssen sie hungrig zu Bett gehen, aber immer wieder gelingt es ihr die Kleine aufzuheitern und sie den Hunger vergessen zu lassen.
Dann kommt der Frieden und eines Tages steht Arthur in der Tür, hager, schmutzig und seine Augen sind stumpf und leer.
Glücklich eilt sie ihm entgegen, legt beide Hände um sein Gesicht und flüstert.
Gott sei gedankt, er hat dich wieder nach Haus gebracht.“
Und in beider Augen stehen Tränen.
Nachts wenn die Dämonen ihn plagen ist sie bei ihm und streichelt ihn mit linder, zarter Hand bis eines Tages seine Seele wieder geheilt ist.
Die Zeiten werden besser. Arthur hat wieder einen Job als Ingenieur und sie bauen sich ein Haus. Adelheid richtet sich im Dachgeschoss ein Atelier als Schneidern ein.
Denn als sie während des Krieges ihre eigenen Kleider für Amelie umgeändert hat, hat sie ihr Talent fürs Nähen entdeckt.
Eines Tages entwirft und näht sie ein Brautkleid für ihre Tochter.
Und wie einst ihr Vater sie, so führt nun Arthur seine Tochter durch den Mittelgang der geschmückten Kirche und übergibt sie seinem Schwiegersohn.
Dann setzt er sich neben Adelheid und ihre Hände finden sich und beide haben Tränen in den Augen.
Nach und nach kommen die Enkelkinder und sie bringen wieder
Glück und Freude ins Haus.
Eines Tages fährt Adelheid das letzte Mal mit der Hand über Arthurs Gesicht und schließt seine Augen für immer.
Ihre Kinder bitten sie, bei ihr einzuziehen und die Enkelkinder sind begeistert.
Niemand kann so gut trösten wie die Oma.
Wenn sie mit ihrer Hand zart über ihre Köpfe streicht und sie so lieb anschaut, dann ist aller Kummer und Schmerz vergessen.
Während sie inmitten ihrer Enkel sitzt und ihnen Märchen erzählt, dann klappern vergnügt die Stricknadeln.
Denn ihre Hände haben verlernt ruhig im Schoß zu liegen.
Dafür sorgt erst ein Höherer.
Eines morgens nimmt Amelie die Hände ihrer Mutter und legt sie gekreuzt auf ihre Brust.
Und Amelies Hand fährt sacht über die Augen der Mutter und schließt sie für immer.


© Lore Platz  19.07.2014










1 Kommentar:

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