Die
alte Frau sitzt in ihrem bequemen Ohrensessel und sieht
gedankenverloren aus dem Fenster.
Tiefe
Nebelschwaden hüllen den Garten in trübes Grau und nicht ein
Sonnenstrahl findet seinen Weg durch die dichten Schleier.
Trübe
Gedanken sind es auch, die ihr durch den Kopf gehen. Zwanzig Monate
sind es nun schon, seit ihr geliebter Heinrich die Augen für immer
geschlossen, nicht bevor er ihr noch mit einem Zwinkern zu
geflüstert hatte:
„Ich
warte dort oben auf dich und werde schon mal ein schönes Plätzchen
für uns beide suchen.“
Fünfzig
Jahre waren sie verheiratet und nun hatte er sie allein gelassen.
Die
Tür öffnet sich leise und Emilia, kurz Milli, genannt huscht ins
Zimmer.
„Oma,
störe ich?“
Diese
lächelt und schüttelt den Kopf.
„ Morgen
haben wir eine Halloween Party im Kindergarten und Mama fährt
nachher mit mir in die Stadt und dann bekomme ich ein Kostüm.“
„Als
was möchtest du dich denn verkleiden?“
„Ganz
ganz gruselig, vielleicht werde ich ein böser Drache!“
Milli
schneidet eine fürchterliche Grimasse.
Die
Oma lacht.
„Warum
feiern wir eigentlich Halloween?“
Die
Kleine war jetzt im 'warum' Alter und wollte immer alles genau
wissen.
„Früher
war es ein Erntedankfest und da auch die dunkle Jahreszeit beginnt
dachte man an die Toten und in verschiedenen Ländern glaubte man
sogar, dass sie am 31.Oktober auf die Erde zurückkehrten, um zu
spuken.
Und
deshalb verkleidet man sich an diesem Tag und feiert und die Kinder
gehen von Haus zu Haus und sammeln Süßigkeiten.“
Millie
nickt eifrig. „Anne geht morgen Abend mit mir auch Süßigkeiten
sammeln. Ich freue mich schon darauf!“
Anne
war ihre große Schwester.
Frau
Pelzer lächelt und denkt glücklich wie reich gesegnet sie doch ist
mit ihren fünf prächtigen Kindern und 14 Enkelkindern, von denen
Milli das jüngste war.
Nach
dem Tode ihres Mannes hatte ihre Tochter Astrid sie zu sich genommen,
damit sie nicht so allein war.
Mille
zupft sie am Ärmel.
„Omilein
erzählst du mir eine Geschichte?“
Sie
klettert auf den Sessel und schmiegt sich in die Arme der alten Frau.
Diese
überlegt kurz, dann beginnt sie zu erzählen.
„ Es
war einmal eine junge Frau, die wollte gar nicht mehr unter die
Menschen gehen, denn durch einen schweren Verkehrsunfall an dem sie
nicht schuld war, hatte sie schlimme Narben auf ihrer rechten Wange.
Obwohl
ihre Freunde sie immer wieder bedrängten doch mit ihnen zu kommen,
so wollte Erika das Haus nicht verlassen.
Zu
sehr fürchtete sie die teils mitleidigen, entsetzten, oder auch
unverschämten Blicke, die ihrem verunstaltetem Gesicht
galten.“
Milli rekelt sich in ihrem Arm und sieht die Oma ernst an, dann fährt sie liebevoll mit der Hand über die Wange der alten Frau.
Diese
lächelt liebevoll und erzählt weiter.
„ Dann kam Halloween und Rena konnte ihre Freundin überreden auf eine Party mit zu kommen, denn unter all den Masken würde sie nicht auffallen und es wurde an der Zeit, dass sie endlich ihr Krähennest verließ und wieder unter Leute ging.
Unter
viel Gekicher verkleideten sich die beiden.
Aus
Erika wurde eine freche Hexe, den spitzen Hut hatte sie selbst
gebastelt.
Rena
verkleidete sich als Skelett, dazu trug sie Stöckelschuhe
und eine Kette aus Knochen die bei jedem Schritt klapperten.
Mit
dem Taxi fuhren sie zu dem Haus in dem die Party statt fand. Erika
war anfangs noch ängstlich, doch unter all den grotesken und
gruseligen Masken fiel sie gar nicht auf. Niemand machte eine dumme
Bemerkung über ihre Narben, dachten sie doch es gehörte zur
Maskierung.
Rena
war sofort mitten im Trubel verschwunden, während Erika etwas
schüchtern in der Ecke stehen blieb und dem vergnügten Treiben
zusah.
Ein Werwolf kam auf sie zu mit einem Glas Sekt in der Hand. Er hielt es ihr hin und dankbar nahm sie einen Schluck, der kribbeltet in der Nase und sie musste niesen.
Ein Werwolf kam auf sie zu mit einem Glas Sekt in der Hand. Er hielt es ihr hin und dankbar nahm sie einen Schluck, der kribbeltet in der Nase und sie musste niesen.
Er
lachte und die blauen Augen aus der Wolfsmaske funkelten vergnügt.
„Ich
beobachte dich schon eine Weile, alle amüsieren sich und du stehst
hier schüchtern herum.
Komm!“
Er
fasste sie an der Hand und bald tanzte sie genauso ausgelassen wie
die anderen. Der Werwolf blieb den ganzen Abend an ihrer Seite und
Erika fühlte sich immer wohler in seiner Gegenwart, als würde sie
ihn schon ein Leben lang kennen.
Und
als er sie küsste, da fühlte sie sich wie im siebten Himmel, doch
dann fielen ihr plötzlich ihre Narben wiederein
und in einem unbeobachtetem Moment verschwand sie und lief durch die
kalten dunklen Straßen nach Hause.
Heinrich,
der Werwolf aber stand da und murmelte:
„Aschenputtel
hat wenigstens einen Pantoffel da gelassen“
Der
Abend machte ihm keinen Spaß mehr, denn er hatte sich verliebt.
Er
erkundigte sich bei dem Gastgeber, der konnte ihm aber nur sagen,
dass die kleine Hexe mit Rena, er deutete dabei auf das Skelett,
gekommen sei.
Heinrich
ging zu Rena und fragte sie nach ihrer Freundin.
Diese
erschrak. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass Erika verschwunden war,
hatte nur beobachtet wie sich diese mit dem Werwolf amüsierte und
hatte sich gefreut, als sie ihr Lachen hörte, das so klang wie
früher.
Sie
zog Heinrich in eine stille Ecke und erzählte ihm von dem Unfall und
den Narben und dass ihre Freundin sich nicht mehr unter Menschen
wagte. Nur mit Mühe sei es ihr heute gelungen Erika mitzunehmen und
das nur unter dem Schutz der Verkleidung.
Eine
Weile war es still, dann fragte Heinrich, ob sie ihm die Adresse von
Erika geben könnte.
Rena
überlegte lange, sie kannte ihn nur flüchtig, wusste aber von ihrem
Freund Klaus, dass er ein feiner Mensch war, humorvoll, ehrlich und
vielleicht wäre es gut für Erika.
Ernst
sah sie den jungen Mann an.
„Ich
werde dich morgen Nachmittag mitnehmen, aber wehe du brichst ihr das
Herz.“
Erika
hatte die ganze Nacht geweint und war dann endlich eingeschlafen.
Es war schon weit nach Mittag, als sie sich lustlos aus dem Bett schob, fast kalt duschte und trödelte beim Anziehen.
Es war schon weit nach Mittag, als sie sich lustlos aus dem Bett schob, fast kalt duschte und trödelte beim Anziehen.
Gerade
verließ sie das Bad, als es klingelte.
Das
war bestimmt Rena. Erika öffnete die Tür und erschrak, als sie
neben ihrer Freundin Heinrich erblickte.
Erschrocken
senkte sie den Kopf, drehte sich um und lief ins Wohnzimmer.
Rena
gab Heinrich einen Stoß, flüsterte 'Viel Glück' und schloss die
Tür hinter ihm.
Erika
stand mit hängenden Armen und tief gesenktem Kopf mitten im Zimmer,
die Haare wie einen Schleier vor dem Gesicht.
Heinrich
legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte mit leiser
zärtlicher Stimme.
„Willst
du mich nicht ansehen?“
Langsam
hob das Mädchen den Kopf, wagte aber nicht in seine Augen zu
schauen, denn sie fürchtete den entsetzten Blick.
Heinrich
aber führte sie vor den großen Spiegel ihm Flur.
„Liebling
sieh in den Spiegel,“ flüsterte er zärtlich an ihrem Ohr.
Erika
sah hinein und erblickte die große gutaussehende Gestalt des Mannes
hinter sich und dann fiel ihr Gesicht auf ihre Narben und sie wollte
sich aus seinem Griff befreien.
Doch
er hielt sie fest.
„Weißt
du was ich sehe?
Ich
sehe ein wunderschönes Mädchen aus deren Augen Liebe, Güte und
Herzenswärme strahlen. Eine bezaubernde kleine Nase, die etwas keck
nach oben zeigt und die beweist wie fröhlich und humorvoll dieses
Mädchen sein kann. Und einen Mund der so schön lächeln und Lachen
kann und den ich gerne küssen möchte.
Dann
beugte er sich vor und küsste sie sanft und zärtlich.
Erika
aber liefen die Tränen über das Gesicht.
Mit
dem Daumen wischte der junge Mann diese weg und drückte ihren Kopf
an seine Brust.
„Hörst
du wie mein Herz schlägt, es wird für dich schlagen so lange ich
lebe.“
Und
das Mädchen hörte das Klopfen des Herzen, das in ihrem Ohren
vibrierte und fühlte sich geborgen.“
Eine
Weile ist es still, dann dreht Mille sich in den Armen der alten Frau
und kniet sich auf deren Schoß.
Mit
beiden Händen umfasst sie ihr Gesicht.
„Oma
Erika, Opa Heinrich hat Recht, du bist die liebste Oma der Welt und
wunderschön!“
Und
die alte Frau blickt in die Augen des kleinen Mädchens, die ihrem
Mann so ähnlich sind und lächelt unter Tränen.
©
Lore Platz
Wieder eine so wunderschöne Geschichte liebe Lore
AntwortenLöschenWas für eine schöne Geschichte, eine echte "LORE-GESCHICHTE".
AntwortenLöschenDa wird einem warm ums Herz.
Es grüßt Monika aus Dresden