Mittwoch, 4. September 2019

Andreas Plan






Andreas Plan

Herr Krumbein lehnte am Gartenzaun und schaute die Straße entlang.
Er war aus dem Haus geflüchtet, weil seine Erna dort das Unterste zu Oberst räumte.
Eine schlimme Ahnung hatte ihn heute Morgen beim Frühstück überfallen, als seine überaus geliebte Frau mit diesem besonderen Lächeln verkündete „Frühjahrsputz!“
Das bedeutete für ihn einige sehr unbequeme Tage.
Merle und Andrea kommen die Straße herauf und unterhalten sich mit sehr ernsten Gesichtern.
Probleme in der Schule?“ fragte Herr Krumbein und die beiden Mädchen fuhren erschrocken zusammen.
Dann aber begrüßten sie ihn mit einem strahlendem Lächeln.
Sie mochten den alten Herrn.
Nein, in der Schule ist es ganz toll und Frau Heidenreich ist eine wunderbare Lehrerin,“ schwärmte Andrea, dann winkten sie und zogen weiter.
Schmunzelnd sah Herr Krumbein ihnen nach und musste ihnen Recht geben. Die neue Lehrerin, die erst vor kurzem hierher gezogen war, war wirklich sehr nett und dazu noch eine Augenweide.
Hans-Uwe, der Postbote blieb am Zaun stehen.
Wartest du auf deine Zeitung?“
Ne, ich bin geflüchtet, Frühjahrsputz!“
Hans-Uwe nickte verständnisvoll.
Meine Marlene hat heute morgen auch schon so etwas
angekündigt und Frau Wagner hängt schon halb aus dem Fenster und wedelt mit einem Tuch wie verrückt auf den Scheiben herum.“
Aber,“ brummte Herr Krumbein ihr könnt alle in die Arbeit flüchten, aber ich armer Rentner.“
Der Postbote drückte ihm die Zeitung in die Hand und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, dann schob er sein Rad weiter.
Herr Krumbein aber verzog sich mit der Zeitung in seine Werkstatt.
Die beiden Erstklässlerinnen waren inzwischen bei Merle angekommen.
Abgemacht, nach den Hausaufgaben komme ich zu dir und wir machen einen Plan!“ rief Andrea und lief ebenfalls nach Hause.
Andreas Mutter war bei ihrer Geburt gestorben und seitdem führte ihnen die Oma den Haushalt.
Hm das riecht aber lecker!“ rief das Mädchen, als es die Küche betrat.
Hände waschen!“
Bald saßen die beiden vergnügt am Tisch und Andrea erzählte begeistert von der Schule und vor allem schwärmte sie von Frau Heidenreich.
Die Oma hörte lächelnd zu, dann überlegte sie, ob diese Frau Heidenreich wohl noch Single war, denn sie war der Meinung, der Junge musste unbedingt wieder heiraten.
Seit seine Frau gestorben war vergrub er sich nur in der Arbeit.
Nachdem sie gemeinsam das Geschirr in der Spülmaschine verstaut hatten, setzte sich die Oma mit dem Strickzeug in ihren geliebten Sessel und Andrea machte ihre Hausaufgaben.




Die Rechenaufgaben hatte sie blitzschnell gelöst, dann holte sie das Deutschheft heraus.
Andächtig schraubte sie den neuen Füller auf, denn seit kurzem durften sie mit dem Füller schreiben.

Sie waren bereits bei dem Buchstaben „S“ und sollten Wörter mit diesem Anfangsbuchstaben aufschreiben.
Andrea malte zuerst einmal eine Zeile nur mit wunderschönen „S“, dann sah sie auf den Zettel, wo sie die verschiedenen Wörter, die auf der Tafel standen notiert hatte.
Während sie die Wörter: „Schlange, sehen, Sonne und schreiben“, buchstabierte kam ihr eine Idee.
Und nun begann etwas Seltsames in ihrem Heft vorzugehen.
Die „Schlange“ kroch ganz klein über die Zeile, die „Sonne“ und das Wort „schreiben“ war voller Tintenkleckse und das Wort „sehen“ war fürchterlich anzuschauen.
Angewidert betrachtete Andrea ihr Werk, aber es musste sein.
Sie warf einen vorsichtigen Blick auf die Oma, die war aber über ihrem Strickzeug eingenickt.
Leise packte sie ihren Ranzen, das Deutschheft nahm sie mit, als sie auf Zehenspitzen an der schlafenden Oma vorbei schlich.
Merle schrie erschrocken auf, als sie das verunstaltete Heft sah.
Doch Andrea beruhigte sie.
Das gehört alles zu meinem Plan.“
Denn heute Morgen hatte sie ihrer besten Freundin anvertraut, dass sie sich Frau Heidenreich als Mutter wünschte und alles tun würde, damit ihr Papa sich in ihre Lehrerin verliebte.
Dass Frau Heidenreich ganz allein in dem kleinen Häuschen lebte, dass sie von ihrer Tante vor kurzem geerbt hatte, wussten sie.
Aber wie stellst du dir das vor, du wirst nur mächtigen Ärger bekommen.“
Das ist die Sache wert. Wenn ich nun ganz schrecklich in der Schule werde, dann muss mein Papa kommen und er sieht Frau Heidenreich und sie verlieben sich.“



Das wäre romantisch!“ seufzte Merle und verdreht die Augen.
Dann aber meinte sie ernst : „Und wenn nicht, wenn sie sich gar nicht leiden können?“
Sie müssen!“ murmelte Andrea trotzig, doch dann erklärte sie ernst, „aber ich habe es wenigstens versucht.“
Und nun begann Frau Heidenreich sich zu wundern.
Andrea bisher eine Musterschülerin veränderte sich, passte im Unterricht nicht auf, machte schlampige oder unvollständige Hausaufgaben und verstand die einfachsten Rechenaufgaben plötzlich nicht mehr.
Eines Tages bat sie nach Schulende Andrea, noch hier zu bleiben.
Und während die anderen lärmend das Schulzimmer verließen trottete das Mädchen mit gesenktem Kopf nach vorne zum Pult.
Frau Heidenreich wartete, bis der letzte Schüler das Zimmer verlassen hatte, dann fragte sie leise.
Was ist los mit dir Andrea, du warst doch bisher so eine gute Schülerin und nun? Hast du Ärger oder Kummer zu Hause?“
Andrea schüttelte langsam den Kopf.
Die Lehrerin betrachtete sie eine Weile schweigend, sie hatte das kleine Mädchen in ihr Herz geschlossen und darum tat es ihr auch weh zu sagen:
So leid es mir tut Andrea, ich muss deinen Vater anrufen.“
Andrea presste ganz fest die Lippen zusammen, um das triumphierende Lächeln zu unterdrücken.
Stattdessen nickte sie nur traurig und stumm mit dem Kopf.
Du kannst gehen!“ seufzte Frau Heidenreich.
Merle wartete vor der Schule.
Andrea grinste: „Es hat geklappt, mein Papa muss morgen in die Sprechstunde!“
Sie hoben die Hand und klatschten ab und kichernd verließen sie den Schulhof.

Pünktlich um 17 Uhr klopfte Herr Baumann an die Tür des Sprechzimmers.
Ernst hörte er sich an, was die Lehrerin ihm erzählte und er
bekam ein schlechtes Gewissen.
Er hatte sich wenig um Andrea gekümmert, sich in seine Karriere gestürzt und seiner Mutter alles weitere überlassen.
Erst gestern hatte diese ihm erklärt, dass ihr alles zu viel würde und er endlich wieder heiraten sollte, dann das Kind bräuchte eine Mutter.
Frau Heidenreich war nun mit ihren Ausführungen fertig, dann machte sie ihm einen Vorschlag.
Wenn Andrea einverstanden ist, dann würde ich ihr gerne Nachhilfe geben.“
Erleichtert atmete Herr Baumann auf und als sie sich zum Abschied die Hand reichten, dachte Frau Heidenreich „was für ein attraktiver Mann“ und Herr Baumann dachte, „welch ein bezauberndes Lächeln diese Frau doch hat“.
Und so kam es, dass Frau Heidenreich jeden Nachmittag mit Andrea Hausaufgaben machte.
Mit der Zeit blieb sie zum Abendessen und seltsamerweise kam Herr Baumann jetzt auch immer früher heim.
Und wenn sie dann so fröhlich zusammen am Tisch saßen, dachte Andrea glücklich. „Wie eine richtige Familie!“
Und eines Tages kam das Mädchen ins Wohnzimmer und sah wie ihr Papa ihre Lehrerin im Arm hielt und küsste.
Endlich!“ jubelte sie, „dann kann ich ja meine Hausaufgaben wieder ordentlich machen.“
Die Erwachsenen sahen sie erst überrascht an, dann begannen sie herzlich zu lachen.

© Lore Platz