Montag, 25. November 2019

Möpschen hat ein Geheimnis

1944 in einem eisigen Winter flohen Millionen Menschen aus Pommern, Schlesien und Ostpreußen vor den Russen.
Sie müssen alles zurücklassen und viele starben unterwegs.
Kleinkinder und Kinder trifft es oft als erste.

Seltsam, die Geschichte der Menschen wiederholt sich immer wieder aufs neue, nur die Kulissen ändern sich.









Möpschen hat ein Geheimnis


Eine alte Frau sitzt in einem gemütlichen Zimmer in einem altertümlich etwas abgewetzten Lehnstuhl und ihre Augen sehen traurig ins Leere.
Seit einigen Tag spürt sie, dass die Stimmung im Haus sich geändert hat.
Ihr Enkel und seine Familie hatten sie damals aufgenommen, als ihr geliebter Mann gestorben war.
Achtzig Jahre ist sie nun und soviel ihrer Lieben hat sie schon verloren.
Geblieben sind ihr nur noch ihr Enkel Andreas, seine warmherzige Frau Gisela und die vierjährige Angelika.
Als ihr Mann starb haben sie ihr ein Heim in ihrem Haus angeboten.
Ihr Blick wandert zu dem Mops, der auf der Vitrine steht. Er ist fast so alt wie sie, ein Ohr ist ein wenig abstoßen und die Farbe ist ganz trüb geworden.
Sie schließt die Augen und ihre Gedanken wandern in die Vergangenheit.
Vier Jahre war sie alt, als sie im Oktober 1944 mit ihrer Mutter und Tante Jutta flüchten mussten.
Verlassen mussten ihr schönes Zuhause.
Die Dienstboten hatten sie schon längst verlassen. Ihre Mutter und ihre Tante hatten das nötigste auf den großen Schlitten gepackt.
Sie zogen mehrere Kleider übereinander, denn es war bereits eisig kalt.
Wertvolles konnten sie nicht mitnehmen, denn das würde nur unterwegs Diebe anlocken.
Mama trug nur ihren Ehering um den Hals versteckt unter den vielen Pullovern, die sie trug.
Und Tante Jutta, die gerne töpferte, hatte, nur Möpschen mit genommen und ihn behütet wie einen kostbaren Schatz.
Sie hatte sich sehr gewundert und erst viele viele Jahre später als sie selbst nicht mehr jung am Bett ihrer sterbenden Tante stand, hatte diese ihr leise das Geheimnis von Möpschen ins Ohr geflüstert.
Nachdem die Augen der Tante sich für immer geschlossen hatten, nahm sie die Keramikfigur an sich, wie diese es verlangt hatte.
Und nun war sie seit vielen Jahren die Hüterin des Hundes und irgendwie spürte sie, dass es an der Zeit ist sein Geheimnis zu lüften.
Leise öffnet sich die Tür und das süße Gesicht ihrer Urenkelin späht herein.
Uri, darf ich herein kommen?“
Sicher.“
Die Vierjährige stürzt ins Zimmer und in die Arme ihrer Urgroßmutter.
Ich bin soooo traurig Uri,“ schluchzt sie und umklammert den Hals der alten Frau und drückt ihr nasses Gesicht an ihr Gesicht.
Liebevoll streicht die alte Frau über das seidenweiche Haar der Kleinen und wiegt sie sanft hin und her und als das Schluchzen leiser wird, fragt sie liebevoll.
Warum bist du denn so traurig, mein Schatz.“
Ein Mann hat eben einen Brief gebracht und Papa hat ganz grimmig geschaut und hat zu Mama gesagt
jetzt ist es soweit wir verlieren unser Haus.“
Wieder rollen die Tränen über ihr Gesicht.
Wenn wenn wir kein kein Haus mehr haben müssen wir dann im Garten schlafen.“
Die alte Frau hebt das Kind von ihrem Schoß, steht auf, nimm ihre Hand und meint fröhlich.
Nein das musst du nicht, komm wir wollen deine Eltern wieder fröhlich machen.“
Von der Kommode nimmt sie die Porzellanfigur und geht zusammen mit Angelika ins Wohnzimmer.
Ihr Enkel und seine Frau halten sich umschlungen und fahren auseinander, als sie eintreten.
Gisela wischt sich verlegen die Tränen aus den Augen.
Angelika läuft zu ihrer Mutter und klettert auf ihren Schoß.
Die Großmutter aber setzt die Figur auf den Tisch und sagt forsch.
Ihr werdet euer Haus nicht verlieren, Möpschen wird euch helfen, auch wenn er leider dafür sterben muss.“
Entgeistert starren die jungen Leute auf die Porzellanfigur, die sie oft belächelt hatten weil die Oma sie so behütet hat.
Und nun erzählt die alte Frau von Tante Jutta, die gerne töpferte und deren Lieblingshund der Mops war und als sie den Schwarzsender abhörte und erfuhr, dass die Russen kommen, da hat sie einen Mops geschaffen, in den sie den Familienschmuck mitsamt der Besitzurkunde verstecken konnte.
All die Jahre hat sie ihn behütet.
Anfangs konnte sie ihn nicht verkaufen, denn alle waren arm. Später hatte sie sich eine neue Existenz aufgebaut und brauchte das Geld nicht.
Als sie ihn mir übergab und sein Geheimnis verriet, meinte sie, eines Tages wird die Zeit kommen, da du ihn brauchst, du wirst es spüren.
Ich denke dieser Tag ist jetzt gekommen.
Die Zeiten sind schlecht, deine Firma hat pleite gemacht und du hast deinen Arbeitsplatz verloren. Ihr steht kurz davor das Dach über dem Kopf zu verlieren.
Einen besseren Zeitpunkt kann es nicht geben.
Hol ein großes weiches Handtuch und einen Hammer.“
Die alte Frau wendet sich an ihre Enkelin.
Hast du noch von dem leckeren Kuchen, den du gestern gebacken hast, wie wäre es wenn du dazu für uns alle einen schönen Kakao kochst und Angelika will dir sicher helfen.“
Gisela versteht, dass die Kleine nicht dabei sein soll, wenn die Figur zertrümmert wird und geht mit dem Mädchen in die Küche.
Andreas kommt zurück, wickelt die Porzellanfigur in das weiche Tuch und schlägt drauf.
Die alte Frau schließt die Augen und ein kleiner Schmerz durchzuckt sie, zu lange war die wunderschöne Figur in ihrem Besitz gewesen.






Andreas legt seine Hand auf ihre.
Würde es dir helfen wenn wir einen neuen Mops beschaffen?“ fragt er mitfühlend.
Seine Oma nickt und Tränen glitzern in ihren Augen.
Schon allein wegen Angelika, die ihn sicher vermissen wird.
Bestimmt finden wir einen, der so ähnlich aussieht, aber nun mach schon das Handtuch auf.
Ich bin auch gespannt, wie unser Familienschmuck
aussieht.“
Ehrfürchtig betrachten die beiden das glitzernde Collier, das passende Armband dazu und einige goldene Ringe.
Was denkst du wie viel der Schmuck wert ist.?“
Nun die Diamanten sind echt und das Gold dürfte 24 Karat sein.
Morgen gehen wir zum Juwelier und lassen ihn schätzen, vielleicht kennt er sogar einen Käufer.
Ich denke um die Hypothek abzulösen und deine Schulden zu zahlen, dürfte es reichen.“
Andreas fällt seiner Oma um den Hals.
Na, na zerdrück mich nicht, lass schnell die Scherben verschwinden, ich höre Gisela und Angelika.
Auch Gisela bewundert den Schmuck und Angelika sieht strahlend von einem zum andern und freut sich, dass alle wieder glücklich sind und lachen.

© Lore Platz